OGH 1Ob200/62

OGH1Ob200/6219.9.1962

SZ 35/94

 

 

Spruch:

Gegen einen Beschluß des Abhandlungsgerichtes, durch den in das bücherliche Recht eines Dritten eingegriffen wird, kann der Dritte Rekurs ergreifen.

Entscheidung vom 19. September 1962, 1 Ob 200, 201/62.

I. Instanz: Bezirksgericht Obernberg am Inn; II. Instanz: Kreisgericht Ried i. I.

 

Begründung:

In dem Verlassenschaftsverfahren nach Josef H. haben die erblasserische Witwe und die vier Kinder vor dem Notar als Gerichtskommissär zum Nachlaß eine unbedingte Erbserklärung abgegeben und im Zuge der Errichtung des eidesstättigen Vermögensbekenntnisses auch den Hälfteanteil der Liegenschaft EZ. 78, KG. W., als in das Verlassenschaftsvermögen gehörig bezeichnet, und zwar im Hinblick auf einen diese Liegenschaftshälfte betreffenden, zwischen dem Erblasser und Anna H. am 25. Jänner 1958 geschlossenen Kaufvertrag, dem nach der Bekanntgabe der Parteien allerdings noch die grundverkehrsbehördliche Genehmigung fehlt und der daher noch nicht verbücherungsreif ist.

Ungeachtet einer von Anna H. dem Verlassenschaftsgericht gegenüber abgegebenen Erklärung, sich gegen die Einbeziehung der erwähnten Liegenschaftshälfte in die Verlassenschaftsabhandlung auszusprechen, weil sie den erwähnten Kaufvertrag wohl beglaubigt unterschrieben, aber dem Verkauf an den Erblasser niemals zugestimmt habe, hat das Erstgericht das von den gesetzlichen Erben erstattete eidesstättige Vermögensbekenntnis unter Einschluß der erwähnten Liegenschaftshälfte der Abhandlung zugrunde gelegt und über Antrag der Erben unter Berücksichtigung eines außergerichtlich geschlossenen Erbübereinkommens mit Beschluß vom 5. April 1962 (ONr. 8) dem erblasserischen Sohn Josef H. unter anderem die Besorgung und Verwaltung der von ihm allein in Natur übernommenen, aus dem Nachlaß stammenden Liegenschaften, darunter auch der Liegenschaftshälfte der EZ. 78, überlassen. Dieser Beschluß wurde vom Erstgericht der erblasserischen Witwe, den vier erblasserischen Kindern, dem Erbenvertreter und dem Notar als Gerichtskommissär und nachträglich am 5. Juni 1962 der Anna H. zugestellt. Ebenfalls am 5. April 1962 erließ das Erstgericht die Einantwortungsurkunde (ONr. 11), in der, was die Liegenschaftshälfte an der EZ. 78, KG. W. anlangt, verfügt wird, daß nach den Ergebnissen der Verlassenschaftsabhandlung ob dieser Liegenschaftshälfte die Einverleibung des Eigentumsrechtes für den erblasserischen Sohn Josef H. vorzunehmen sein wird. Die Einantwortungsurkunde wurde dem Erbenvertreter in drei Ausfertigungen und dem Gebührenfinanzamt zugestellt, nachträglich am 5. Juni 1962 auch an Anna H.

Am 21. Mai 1962 brachte der Rechtsvertreter der Anna H. eine als Rüge gegen den Beschluß ONr. 8 und die Einantwortungsurkunde ONr. 11 bezeichnete Eingabe ein, in der die Überlassung der Besorgung und Verwaltung an der Liegenschaftshälfte der EZ. 78, KG. W., und die diese Liegenschaftshälfte betreffende Verfügung in der Einantwortungsurkunde unter Hinweis auf die dem Gericht gegenüber bereits früher erklärte Stellungnahme, sich der Einbeziehung dieser Liegenschaftshälfte in die Abhandlung zu widersetzen, gerügt wird. Am 12. Juni 1962 langte beim Erstgericht ein Rekurs der Anna H. ein. In diesem wird neuerdings die verfügte Besorgung und Verwaltung hinsichtlich der Liegenschaftshälfte der EZ. 78 und die diese betreffende in der Einantwortungsurkunde enthaltene Verfügung bekämpft; es wurde der Rekursantrag gestellt, den erstgerichtlichen Beschluß und die Einantwortungsurkunde in dem die Liegenschaftshälfte der EZ. 78, KG. W., betreffenden Teil dahin abzuändern, daß Josef H. nicht die Besorgung und Verwaltung überlassen wird und daß in der Einantwortungsurkunde keine diese Liegenschaft betreffende Verfügung getroffen wird.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der Anna H. als unzulässig zurück. Es ging davon aus, daß die Genannte nach der Aktenlage weder Erbin, Noterbin, Nachlaßnehmerin noch Verlassenschaftsgläubigerin ist und daß es ihr demnach, weil sie nicht Beteiligte im Sinn des § 9 AußStrG. sei, verwehrt ist, am Verlassenschaftsverfahren teilzunehmen. Das Erstgericht hätte, so führt das Rekursgericht aus, der Einschreiterin, die eine Zustellung von Beschlüssen nicht begehrt hatte, weder den Beschluß ONr. 8 noch die Einantwortungsurkunde zustellen, sondern sie mit ihren Ansprüchen auf den Rechtsweg verweisen sollen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Anna H. Folge, hob den angefochtenen Beschluß und die erstgerichtlichen Beschlüsse ON. 8 und 11 in ihren die EZ. 78 der KG. W. betreffenden Aussprüchen auf und wies die ihnen zugrunde liegenden Anträge der Erben ab.

Rechtliche Beurteilung

Im gegenständlichen Fall muß davon ausgegangen werden, daß das Rekursgericht den Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß und die Einantwortungsurkunde mangels Beschwerdelegitimation der Anna H. als unzulässig zurückgewiesen, somit keine meritorische Entscheidung getroffen hat. Wird nun dieser Beschluß des Rekursgerichtes angefochten, dann ist es verfehlt, diese Anfechtung auf § 16 AußStrG. zu stützen, denn diese Gesetzesstelle hat das Vorliegen einer Bestätigung des erstgerichtlichen Beschlusses durch das Rekursgericht zur Voraussetzung. Dieser Fall liegt aber hier nicht vor. Gegen die Zurückweisung eines Rechtsmittels wegen Unzulässigkeit ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof ohne die Einengung durch die Vorschriften des § 16 AußStrG. zulässig; er ist dann begrundet, wenn der Zurückweisungsbeschluß auf einer irrigen Annahme beruht (Ott, Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 248). Es war daher vorliegend zunächst die Frage zu prüfen, ob das Rekursgericht die Beschwerdelegitimation der Anna H. zu Recht verneint hat. In diesem Punkt kann dem vom Rekursgericht eingenommenen Standpunkt nicht gefolgt werden. Der Oberste Gerichtshof steht in ständiger Rechtsprechung auf dem Standpunkt, daß nur Erben, Pflichtteilsberechtigten, Legataren und in einzelnen Fällen Verlassenschaftsgläubigern im Verlassenschaftsverfahren Partei- oder Beteiligtenstellung im Sinne des § 9 AußStrG. zukommt (EvBl. 1961 Nr. 439, SZ. XXIII 240 u. a.) und daß das Recht der Beschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen im außerstreitigen Verfahren im Sinne des § 9 AußStrG. nur denjenigen zusteht, die an dem betreffenden Verfahren beteiligt sind, nicht aber Personen, die mit einem der Beteiligten Rechtsgeschäfte geschlossen haben (JBl. 1950 S. 15). Im gegenständlichen Fall ist die Rechtsmittelwerberin nach den Behauptungen der Erben Vertragspartnerin des Erblassers gewesen; sie hat nach der Aktenlage nicht behauptet, geschweige denn nachgewiesen, daß ihr die Qualität eines Erben, Pflichtteilsberechtigten, Legatars oder Gläubigers zukommt. Trotzdem muß ihr die Beschwerdelegitimation im Sinne des § 9 AußStrG. im gegenständlichen Fall zuerkannt werden, weil durch die Entscheidung des Erstgerichtes in ihr Eigentums- (Besitz‑) Recht eingegriffen wurde, indem dem Erben Josef H. die Besorgung und Verwaltung einer grundbücherlich ihr zugeschriebenen Liegenschaften bewilligt (Punkt 4 des Beschlusses ONr. 8) und in der Einantwortungsurkunde eine grundbücherlich ihr gehörige Liegenschaft als dem genannten Josef H. zugehörig behandelt wird, so zwar, daß nach Rechtskraft der Einantwortungsurkunde die laut Buchstand der Anna H. gehörige Liegenschaftshälfte in das bücherliche Eigentum des Erben Josef H. zu übertragen ist (Punkt I der Einantwortungsurkunde ONr. 11). Mit Recht erachtet sich die Rechtsmittelwerberin durch diese Verfügungen des Erstgerichtes beschwert. Es muß gegenständlich davon ausgegangen werden, daß durch die Entscheidungen des Erstgerichtes rechtlich geschützte Interessen der Anna H. beeinträchtigt werden (NZ. 1955 S. 140, JBl. 1954 S. 516, EvBl. 1953 Nr. 350, SZ. XXI 160 u. a.), und daß die Frage, ob ein Gegenstand im Besitz des Erblassers ist, im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden ist (SZ XXVI 225; NotZ. 1932, 117). Anna H. muß demnach die Legitimation zur Einbringung eines Rechtsmittels gegen die schon bezeichneten erstgerichtlichen Beschlüsse zuerkannt werden. Die vom Rekursgericht vertretene Rechtsansicht, daß der Rekurs der Genannten als unzulässig zurückzuweisen sei, erweist sich demnach als verfehlt. Dies muß die Aufhebung des Beschlusses des Rekursgerichtes zur Folge haben.

Was den vom Erstgericht im Beschluß ONr. 8 und in der Einantwortungsurkunde ONr. 11 bezogenen Standpunkt anlangt, daß dem Erben Josef H. auf Grund des getroffenen Erbübereinkommens mit den anderen Erben die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses auch an der der Anna H. bücherlich zugeschriebenen Hälfte der Liegenschaft EZ. 78, KG.W., zu überlassen und nach den Ergebnissen der Abhandlung, ob dieser Liegenschaftshälfte die Einverleibung des Eigentumsrechtes zugunsten des Josef H. vorzunehmen sein wird, so muß festgestellt werden, daß der Erstrichter in diesem Punkt über das Vorbringen der Erben hinausgegangen ist. Im eidesstättigen Vermögensbekenntnis ist nicht von einem Eigentum (Besitz) der Verlassenschaft an dieser Liegenschaftshälfte die Rede, sondern von einem "Übereignungsanspruch" auf Grund des abgeschlossenen, aber von der Grundverkehrskommission noch nicht genehmigten und daher nicht verbücherungsreifen Kaufvertrages zwischen dem Erblasser und Anna H. Haben aber die Erben nicht die Behauptung aufgestellt, daß diese Liegenschaftshälfte im Eigentum der Verlassenschaft steht oder diesen Mitbesitz an der ganzen Liegenschaft zukommt, dann durfte der Erstrichter nicht über diese Erklärung der Parteien hinaus Eigentums- oder Mitbesitzrechte annehmen, denn sowohl die Gestattung der Besorgung und Verwaltung als auch die Verfügung über die nach den Ergebnissen der Abhandlung zu treffenden Grundbuchsakte stützen sich auf den Bestand von Besitz und Eigentumsrechten des Erblassers, ohne daß hiefür eine Grundlage vorliegt.

Es war daher wie im Spruche zu entscheiden und neben der Aufhebung des Beschlusses des Rekursgerichtes auch mit einer Aufhebung der Teile der erstgerichtlichen Entscheidungen, die Aussprüche über die fragliche Liegenschaftshälfte an der EZ. 78, KG. W., enthalten (Punkt 4 des Beschlusses ONr. 8 und Punkt I der Einantwortungsurkunde ONr. 11) vorzugehen.

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