OGH 6Ob502/96

OGH6Ob502/9622.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth von P*****, vertreten durch Dr.Anton Heinrich, Rechtsanwalt in Judenburg, wider die beklagte Partei Z***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Schönherr Barfuss Torggler & Co Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Entfernung von dienstbarkeitsbehindernden Anlagen (Streitwert 75.000,-- S), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 12. September 1995, GZ 1 R 120/95-45, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Beklagte hatte der Klägerin mit Dienstbarkeitsvertrag vom 30.11.1984 (samt Nachträgen) "auf immerwährende Zeiten und ohne Gegenleistung die Dienstbarkeit des unbeschränkten Gehens, Fahrens, Reitens und Viehtreibens über die Grundstücke 420/3, 421/3 und 421/5 der EZ 434 *****" eingeräumt.

Mit ihrer am 2.12.1991 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin gestützt auf ihr Servitutsrecht die Entfernung eines Schrankens und einer Verkehrsampel, die auf dem Werksgelände der Beklagten errichtet worden waren.

Das Erstgericht gab der Klage statt und erkannte die Beklagte entsprechend den Klageangaben für schuldig, "den Schranken über das Grundstück 421/5 Weg ***** auf Höhe des Portierhauses bei der Westeinfahrt zum Fabriksgelände der Beklagten in ***** sowie die dort befindliche Rotlichtanzeige einer Verkehrsampel zu entfernen" (ON 22). Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und bestätigte das erstinstanzliche Urteil (ON 27). Dieses erwuchs in Rechtskraft.

Am 7.4.1994 beantragte die Klägerin die Berichtigung des Urteilsspruches, weil sich herausgestellt habe, daß sich die titelmäßig zu entfernende Anlage auf Höhe des Portierhauses bei der Westeinfahrt zum Fabriksgelände der Beklagten nicht auf einem zum Grundstück 421/5 Weg gehörenden Teil der Erdoberfläche, sondern auf dem Nachbargrundstück 594 Weg befände.

Das Erstgericht entsprach dem von der Klägerin gestellten Urteilsberichtigungsantrag in der Weise, daß es im Spruch seines Urteiles die Wortfolge "über das Grundstück 421/5 Weg *****" durch die Wortfolge "wie dieser durch die vier im Gerichtsakt erliegenden und am 25.Juni 1992 aufgenommenen Sofortbilder wiedergegeben wird" ersetzte (ON 29). Das Rekursgericht wies in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung den Urteilsberichtigungsantrag ab (ON 36). Der Oberste Gerichtshof gab mit seinem Beschluß vom 10.11.1994 dem Revisionsrekurs der Klägerin statt und stellte den erstinstanzlichen Urteilsberichtigungsbeschluß wieder her (6 Ob 655/94 = ON 40). In der Zwischenzeit hatte das Berufungsgericht mit Beschluß vom 16.9.1994 die am 20.5.1994 eingebrachte zweite Berufung der Beklagten (ON 33) gegen das erstinstanzliche Urteil vom 24.4.1993 mangels Beschwer zurückgewiesen (ON 37).

Am 25.1.1995 erhob die Beklagte die nunmehr dritte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil (ON 42). Das Berufungsgericht wies diese Berufung zurück. Nach der neueren Rechtsprechung beginne die Rechtsmittelfrist in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Rechtsmittelwerber ohne Berichtigungsbeschluß keinen Zweifel über den wirklichen Inhalt der richterlichen Entscheidung haben konnte, bereits mit der Zustellung des unberichtigten Urteils. Gegen dieses Urteil habe die Beklagte den Instanzenzug ausgeschöpft, der neuerlichen Berufung stehe die formelle Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung entgegen. Zwar beginne mit der Zustellung des berichtigten Urteils eine neue Rechtsmittelfrist zu laufen, dies jedoch nach neuerer Rechtsprechung dann nicht, wenn keine Zweifel über den wirklichen Inhalt der richterlichen Entscheidung bestehen konnten.

Gegen die Zurückweisung ihrer Berufung richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag auf Aufhebung. Dem Berufungsgericht möge die Fortsetzung des Verfahrens und die Entscheidung über die Berufung aufgetragen werden.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zulässig, aber nicht berechtigt.

Die in SZ 2/145 (= Spr 8 neu) und in vielen nachfolgenden Entscheidungen vertretene Auffassung, daß im Falle der Berichtigung eines Urteils nach § 419 ZPO die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung zu laufen beginne, wird in ständiger jüngerer oberstgerichtlicher Rechtsprechung dahin eingeschränkt, daß kein neuer Fristenlauf in Gang gesetzt werde, wenn der Rechtsmittelwerber auch ohne Berichtigungsbeschluß keinen Zweifel über den wirklichen Inhalt des richterlichen Ausspruchs haben konnte (SZ 27/219; EvBl 1975/224; MietSlg 33.652; 7 Ob 609/93; VersRdSch 1994, 219 uva). Es kann der Rekurswerberin zwar zugestanden werden, daß nicht sie, sondern die Klägerin Berichtigungswerberin war und daß die angeführte einschränkende Judikatur deswegen entwickelt wurde, um einem offenkundigen Rechtsmißbrauch zu begegnen, der darin zu erblicken ist, daß der Berichtigungsantrag nur zu dem Zweck gestellt wird, damit eine neue Rechtsmittelfrist erwirkt und das Verfahren verzögert wird. Der Berichtigungsantrag soll auch nicht dazu dienen, eine versäumte Rechtsmittelfrist in Gang zu setzen (SZ 27/219). Wenn auch hier von einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Berichtigungsmöglichkeit keine Rede sein kann, weil nicht die Beklagte, sondern die Klägerin den Berichtigungsantrag gestellt und die Beklagte ohnehin gegen das unberichtigte Urteil Berufung erhoben hatte, so ist damit für die Rekurswerberin noch nichts gewonnen, weil es auch in solchen Fällen entscheidend ist, ob der wahre Inhalt der Gerichtsentscheidung ohne Berichtigungsbeschluß zweifelhaft sein konnte. Genau dies ist hier nicht der Fall. Dazu kann auf die Begründung in der Vorentscheidung des erkennenden Senates verwiesen werden, wonach nach der Aktenlage weder für die Parteien noch für das Prozeßgericht erster Instanz bis zur Urteilsfällung der geringste Zweifel daran bestand, welche Schranken- und Ampelanlage auf der Höhe des an der ortsnahen Einfahrt zum Werk der Beklagten befindlichen Portierhauses in der Natur Gegenstand des klageweise erhobenen Beseitigungsbegehrens ist. Die Anlage wurde im Zuge des Ortsaugenscheines besichtigt, beschrieben und in Lichtbildern festgehalten. Nach den Entscheidungsgründen steht außer jedem Zweifel, daß das Prozeßgericht erster Instanz mit seinem Urteil die Beklagte zur Entfernung dieser beschriebenen und fotografierten Anlage verpflichten wollte.

Die Rekurswerberin steht auf dem Standpunkt, daß sie ihre erstmals in der Berufung erhobene Einwendung, der Schranken und die Ampelanlage seien nicht auf einem im Servitutsvertrag angeführten Grundstück, sondern auf einem anderen Grundstück errichtet worden, hinsichtlich dessen der Klägerin keine Servitut eingeräumt worden wäre, nicht schon in der Berufung gegen das unberichtigte erstinstanzliche Urteil, sondern nur gegen das berichtigte Urteil erheben hätte können. Durch die Zurückweisung der Berufung wäre der Beklagten das rechtliche Gehör entzogen. Diese Rechtsmittelausführungen negieren den schon dargelegten Umstand, daß Prozeßgegenstand der Beseitigungsanspruch hinsichtlich einer in der Natur nach den gegebenen Örtlichkeiten bestimmten Anlage war. Der von der Klägerin veranlaßte Irrtum über das Grundstück, auf dem sich die Anlage befindet, wurde im Verfahren erster Instanz weder vom Gericht noch von den Parteien wahrgenommen, hätte aber jederzeit, auch von der Beklagten, aufgegriffen werden können. Es fällt allein in die Sphäre der Beklagten, wenn sie bei ihrem Prozeßvorbringen der grundbücherlichen Situation kein Augenmerk schenkte und sich darauf beschränkte, gegen den Servitutsanspruch nur ins Treffen zu führen, daß die Servitut durch den Schranken und die Ampelanlage nicht unzumutbar erschwert werde. Das Berufungsverfahren kann jedenfalls nach der zitierten oberstgerichtlichen Judikatur, von der abzuweichen der erkennende Senat sich nicht veranlaßt fühlt, nicht dazu führen, daß es der Beklagten ermöglicht wird, im Wege eines neuerlich in Gang gesetzten Berufungsverfahrens ein Parteivorbringen nachzuholen, das im Verfahren erster Instanz nicht erstattet wurde. Der durch die Parteienbehauptungen abgegrenzte Prozeßstoff kann nicht erweitert werden. Das Berichtigungsverfahren dient keinesfalls der Umgehung des im Berufungsverfahren herrschenden Neuerungsverbotes. Für den Fall aber, daß das Berufungsvorbringen, der Klägerin stehe auf dem Grundstück, auf dem der Schranken und die Ampelanlage errichtet wurden, keine Servitut zu, im Parteivorbringen der Beklagten im Verfahren erster Instanz bereits Deckung gefunden hätte (also keine Neuerung vorläge), hätte die Beklagte diese rechtliche Einwendung schon in der Berufung gegen das unberichtigte Urteil erster Instanz geltend machen können und müssen. Ihrem Rekurs ist daher nicht Folge zu geben.

Der Ausspruch über die Rekurskosten beruht auf den §§ 40 und 50 ZPO.

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