Spruch:
Die Rechtsmittelfrist für das berichtigte Urteil wird dann nicht neu in Lauf gesetzt, wenn der Rechtsmittelwerber auch ohne Fassung eines Berichtigungsbeschlusses über den wirklichen Inhalt des richterlichen Ausspruches nicht im Zweifel sein konnte.
Entscheidung vom 8. September 1954, 3 Ob 470/54.
I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Das Erstgericht hat entgegen der Unzuständigkeitseinrede des Widerklägers die Zuständigkeit des Landesgerichtes Feldkirch zur Entscheidung über den gegenständlichen Scheidungsstreit angenommen und dies in den Urteilsgrunden auch erörtert, ohne aber in den Urteilsspruch die Entscheidung über die Unzuständigkeitseinrede aufzunehmen. In der Sache selbst hat das Erstgericht die Ehe der Prozeßparteien aus dem Verschulden des Ehemannes geschieden. Gegen dieses Urteil hat der Widerkläger am 10. September 1952 die Berufung eingebracht, welche mit Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch vom 10. September 1952, Cg 591/51-11, als verspätet zurückgewiesen wurde. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen.
Am 23. Mai 1935 brachte der Widerkläger einen Antrag auf Berichtigung des Urteiles ein, weil das Prozeßgericht den Beschluß über die Unzuständigkeitseinrede nicht in den Urteilsspruch aufgenommen habe. Das Erstgericht hat hierauf den beantragten Berichtigungsbeschluß erlassen und den Parteienvertretern die berichtigten Urteilsausfertigungen zugestellt. Der Vertreter des Widerklägers hat die berichtigte Urteilsausfertigung laut Zustellschein am 16. November 1953 zugestellt erhalten und am 24. November 1953 die gegenständliche Berufung überreicht. Das Erstgericht hat die Gleichschrift dieser Berufung dem Klagevertreter zugefertigt, auch die Zufertigung der Gleichschrift der Berufungsmitteilung verfügt und das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück.
Der Oberste Gerichtshof gab der gegen die Zurückweisung der Berufung gerichteten Rekurs nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Oberste Gerichtshof hält zwar grundsätzlich an seiner nach dem Jahre 1945 wieder ständig geübten Praxis fest, die dem Spruchrepertorium 8 (neu) folgt (SZ. XXIII/16, 1 Ob 692/50, 1 Ob 152/51, 1 Ob 339/52), wonach die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung der berichtigten Entscheidung beginnen kann, weil erst in diesem Zeitpunkte der wahre Ausdruck des richterlichen Willens den Parteien gegenüber wirksam geworden ist, sodaß erst dann von einer gesetzentsprechenden Zustellung gesprochen werden könne, wobei es auch keinen Unterschied macht, welcher Teil der Entscheidung berichtigt worden ist, da die Rechtsmittelfrist einheitlich für die Anfechtung der gesamten Entscheidung läuft, pflichtet aber dem Berufungsgericht dahingehend bei, daß dieser Grundsatz nicht durchgreift, wenn der Rechtsmittelwerber auch ohne Fassung eines Berichtigungsbeschlusses über den wirklichen Inhalt des richterlichen Willens nicht im Zweifel sein konnte, sodaß auch die Berichtigung zu dessen Klärung nichts mehr beitragen konnte, diese die bloß sinngleiche Neufassung einer bereits entschiedenen Frage darstellt und der Berichtigungsantrag offensichtlich nur dem Zweck dient, mißbräuchlich eine neue Rechtsmittelfrist zu erwirken. Da der Beklagte und Widerkläger schon aus den Gründen des erstrichterlichen Urteils eindeutig erkennen mußte, daß über die vom Beklagten erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit im Sinne deren Verwerfung entschieden worden war, sodaß folgerichtig im Sachvorbringen der als verspätet zurückgewiesenen Berufung die erstrichterliche Rechtsansicht in der Zuständigkeitsfrage ausdrücklich bekämpft wurde, hat das Berufungsgericht mit Recht ausgesprochen, daß im vorliegenden Fall die Berichtigung durch spruchmäßige Aufnahme der Entscheidung über die Unzuständigkeitseinrede als bloß sinngleiche Neufassung einer bereits entschiedenen Frage angesehen werden könne und daher nicht geeignet sei, die versäumte Rechtsmittelfrist neu in Gang zu setzen. Spruch 8 soll den Parteien die Möglichkeit eröffnen, mit der Einbringung der Rechtsmittel zuzuwarten, bis der Sinn einer offenbar unklaren Stelle der anzufechtenden Entscheidung durch Richtigstellung klargestellt worden ist. Wenn aber über Sinn und Zweck der richterlichen Entscheidung kein Zweifel besteht und auch sonst ein Interesse an der Richtigstellung nicht ersichtlich ist, so kann ein Richtigstellungsantrag, auch wenn tatsächlich eine Richtigstellung erfolgt, nicht die Folge haben, dem Antragsteller eine neue Rechtsmittelfrist, nachdem das zuerst eingebrachte Rechtsmittel als verspätet zurückgewiesen wurde, zu eröffnen. Der Zweifel, ob irgendein bedeutungsloser Schreibfehler oder sonstige Unrichtigkeit sich in die Urteilsausfertigung eingeschlichen hat, darf nicht die Handhabe dazu bieten, die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ungeschehen zu machen. Auch im Prozeßrecht gilt der Grundsatz: fraus omnia corrumpit.
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