OGH 9ObA7/96

OGH9ObA7/9614.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Michael Manhard (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Erwin Niemitz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Erich M*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Zandl und Dr.Andreas Grundei, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A*****versicherungsanstalt, ***** vertreten durch Dr.Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 1.100 brutto sA und Feststellung (Streitwert S 100.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4.Oktober 1995, GZ 8 Ra 103/95-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 6.April 1995, GZ 16 Cga 196/94y-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.605 (darin S 1.267,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bis zu seiner Pensionierung am 1.8.1989 Angestellter der beklagten Partei. Auf sein Dienst- und Ruhestandsverhältnis finden die Bestimmungen der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (kurz DO.A) Anwendung. Bis 31.12.1993 wurde seine Pension gemäß § 87 Abs 3 DO.A aufgewertet.

Diese Regelung lautete:

"Bei einer allgemeinen Änderung des Gehaltes (§ 35 Abs 2 Z 1) sind mit deren Wirksamkeitsbeginn die Pensionsleistungen nach den neuen Dienstbezügen zu berechnen."

Nach der 39.Änderung der DO.A erfolgte die Erhöhung der Pension ab 1.1.1994 gemäß § 102 DO.A folgenderweise:

"Die Leistungen nach dem Pensionsrecht der DO.A werden zum selben Zeitpunkt wie die gesetzlichen Pensionen angepaßt. Sofern keine andersartige Vereinbarung getroffen wird, ist der Anpassungsfaktor gemäß'§ 108 Abs 5 ASVG anzuwenden."

Die Pension des Klägers wurde zum 1.1.1994 um den ASVG-Anpassungsfaktor von 2,5 % erhöht. Die Gehaltserhöhung nach dem Gehaltsschema (§ 35 Abs 2 Z 1 DO.A) betrug 2,6 %. Insgesamt erhielt der Kläger ab 1.1.1994 eine monatliche Pension von S 53.212,90 brutto, die sich aus der ASVG-Pension von S 24.325,10 und der Zusatzpension nach der DO.A von S 28.887,80 zusammensetzte. Wäre seine Pension gemäß § 87 Abs 3 DO.A aF aufgewertet worden, hätte er S 50,40 brutto mehr erhalten (Seite 33).

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger S 1.100 brutto als ausstehende Differenz zu den ihm vom 1.1.1994 bis 30.4.1995 zustehenden Pensionsleistungen und die Feststellung, daß die beklagte Partei verpflichtet sei, seine Dienstordnungspension mindestens nach Maßgabe der Erhöhung der Dienstbezüge ihrer aktiven Angestellten aufzuwerten (§ 87 Abs 3 DO.A in der ab 1.5.1983 geltenden Fassung), wobei diese Pension mindestens 80 % der fiktiven Aktivbezüge des Klägers abzüglich der mit 420 Versicherungsmonaten berechneten fiktiven ASVG-Pension zu betragen habe.

Die Änderung des Aufwertungsfaktors sei unzulässig. Der Kläger habe der Einschränkung seiner wohl erworbenen Rechte niemals zugestimmt. Die Vorgangsweise der beklagten Partei verstoße gegen die guten Sitten (§ 879 ABGB). Der Kläger habe während seines Dienstverhältnisses Beiträge für die spätere Dienstordnungspension entrichtet und darauf vertraut, daß er diese Pension in der Höhe erhalten werde, wie sie in der damals in Geltung gestandenen und von ihm anerkannten DO.A enthalten war. Diese Änderung habe einen Eingriff in sein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Eigentumsrecht zur Folge, mit dem ein nicht unwesentlicher Sozialabbau verbunden sei. Die beabsichtigte Vereinheitlichung des Pensionsanpassungssystems könne jedenfalls nicht dazu führen, daß in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise in bereits bestehende Rechte eingegriffen werde. Durch die Bezugnahme auf das ASVG werde die Anpassung wesentlich unter die Aufwertungen nach dem Gehaltsschema der DO.A zurückfallen.

Die beklagte Partei beantragte, die Klagebegehren abzuweisen. Durch die gebotene weitgehende Vereinheitlichung des Pensionssystems (ASVG-Pension und Zusatzpension) sei keine Verschlechterung der Pensionsleistungen eingetreten oder zu erwarten. Abgesehen davon, daß auch Null-Lohnrunden nicht ausgeschlossen seien, sei die jährliche Erhöhung der ASVG-Pension in den Jahren 1975 bis 1995 mehrmals über der Erhöhung des monatlichen Gehalts gelegen. Mit dem Kläger sei keine Einzelvereinbarung über eine bestimmte Fassung der Dienstordnung getroffen worden. Da die DO.A ein Kollektivvertrag sei, habe durch deren Änderung auch in die kollektivvertraglichen Rechtsansprüche der Ruheständler eingegriffen werden können (§ 2 Abs 2 Z 3 ArbVG), zumal der Eingriff auch sachlich gerechtfertigt sei. Die Abkoppelung der Pensionen von der Bezugserhöhung trage der nur die aktiven Bediensteten treffenden Beitragspflicht Rechnung. Pensionisten hätten keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sowie Pensionsversicherung zu leisten und auch ihr Krankenversicherungsbeitrag sei niedriger als der der Aktiven. Durch die in § 102 DO.A sichergestellte Pensionsanpassung sei gewährleistet, daß zumindest der Kaufkraftverlust ausgeglichen werde. Eine Leistungseinschränkung oder ein Verstoß gegen die guten Sitten liege insgesamt nicht vor.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Die Pensionsbemessungsgrundlage für die Pension des Klägers besteht aus dem Schemabezug, der Dienstalterszulage und einer Funktionszulage. Aufgrund dieser Pensionsbemessungsgrundlage wird die Dienstordnungspension des Klägers in der Weise ermittelt, daß davon 80 % errechnet werden und von diesem Betrag die sogenannte "fiktive ASVG-Pension" abgezogen wird. Die "fiktive" ASVG-Pension" umfaßt jene ASVG-Versicherungsmonate (maximal 420), die der Angestellte im Dienst der beklagten Partei erworben hat. Die tatsächliche ASVG-Pension des Klägers ist höher als die auf die Dienstordnungspension anzurechnende "fiktive ASVG-Pension".

In den Jahren 1975 bis 1995 ist es zu folgenden Gehaltserhöhungen nach der DO.A bzw Pensionsaufwertungen nach dem ASVG gekommen:

Jahr DO.A ASVG

1975 14,00 % 13,20 %

1976 8,30 % 11,50 %

1977 7,90 % 7,00 %

1978 5,90 % 6,90 %

1979 4,55 % 6,50 %

1980 5,46 % 5,60 %

1981 6,94 % 5,10 %

1982 6,08 % 5,20 %

1983 4,42 % 5,50 %

1984 4,20 % 4,00 %

1985 4,90 % 3,30 %

1986 4,40 % 3,50 %

1987 2,60 % 3,80 %

1988 1,95 % 2,30 %

1989 1,75 % 2,10 %

1990 5,04 % 4,00 %

1991 5,90 % 5,00 %

1992 4,72 % 4,00 %

1993 3,95 % 4,00 %

1994 2,60 % 2,50 %

1995 2,90 % 2,80 %

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß den Kollektivvertragsparteien eine dem Gesetzgeber ähnliche Regelungsbefugnis zukomme, so daß sie das, was sie einmal gegeben hätten, auch wieder nehmen könnten. Die einzige Schranke dieser Eingriffe liege in den guten Sitten (§ 879 ABGB). Die vorzunehmende Abwägung dürfe keine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision kein grobes Mißverhältnis zwischen den Interessen der Beteiligten ergeben. Ein solches Mißverhältnis liege nicht vor. Es sei keineswegs sicher oder hinreichend wahrscheinlich, daß dem Kläger durch die Änderung der Wertanpassung auf lange Sicht ein Nachteil erwachsen werde. Es stehe auch im Belieben der Kollektivvertragspartner, eine vom ASVG-Anpassungsfaktor abweichende Werterhöhung der Betriebspensionen zu vereinbaren. Der Kläger habe nie einen Anspruch auf eine betraglich festgelegte Wertsteigerung gehabt; auch unter Zugrundelegung der ursprünglichen Wertanpassung gemäß DO.A habe er damit rechnen müssen, daß keine oder lediglich eine geringfügige Erhöhung der Aktivgehälter und damit auch seiner Betriebspension erfolgen könne.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus (§ 46 Abs 3 Z 3 ASGG), daß die Revision zulässig sei. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und führte ergänzend aus, daß die von den Kollektivvertragsparteien gemäß § 2 Abs 2 Z 3 ArbVG vorgenommene Änderung der Wertanpassung weder gegen die guten Sitten, den Eigentumsschutz gemäß Art 5 StGG und Art I des ersten ZPMRK noch gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz verstoße. Da es gemäß § 87 Abs 3 DO.A ungewiß gewesen sei, in welchem Ausmaß eine Erhöhung der Pension zu erfolgen habe, erschöpfe sich die Vermögenswertbildung in dem Umstand, daß die Pension unter bestimmten Voraussetzungen anzupassen sei. Durch den Wechsel des Anpassungsfaktors werde in dieses Recht nicht eingegriffen.

Die Kollektivvertragsänderung wirke sich auf die Höhe der monatlich anfallenden Pension nur im Bereich von Prozentpunkten aus. Dieser Bereich sei auch bei sorgfältigster Lebensplanung nicht kalkulierbar, so daß man seinen Lebensstandard nicht darauf abstellen könne. Insoferne habe der Kläger in seinen Erwartungen nicht getäuscht werden können. Es sei daher sachlich gerechtfertigt, diesbezüglich nicht mehr zwischen Alt- und Neupensionisten zu unterscheiden und die Aktiven bei den Bruttobezügen verschieden zu behandeln, weil diese eine höhere Beitragslast treffe. Den Kollektivvertragsparteien könne grundsätzlich unterstellt werden, daß sie eine vernünftige, zweckentsprechende Regelung getroffen haben, die zu einem gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen führe und eine Ungleichbehandlung vermeide.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren Folge gegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Vorinstanzen richtig erkannten, handelt es sich bei der DO.A der Sozialversicherungsträger um einen Kollektivvertrag (Arb 10.945, 10.241, 9200 uva), dessen normativer Teil gemäß § 11 Abs 1 ArbVG sohin unmittelbar rechtsverbindlich ist. Dieser ist als Gesetz im materiellen Sinn zu qualifizieren (vgl Strasser in Floretta/Spielbüchler/Strasser, ArbR3 II 119 f). Es ist daher bedeutungslos, ob der Kläger bestimmte Regelungen in jeweiligen Fassungen der DO.A anerkannte oder Änderungen seine Zustimmung verweigerte. Der Kollektivvertrag hat unabhängig von rechtsgeschäftlichen Unterwerfungsakten Rechtsquellencharakter und seine Bestimmungen sind in bezug auf die Kollektivvertragsunterworfenen objektives Recht (Strasser aaO). Da der Kläger seine Pensionsansprüche ausschließlich auf die DO.A stützen kann, ist sein Exkurs auf die Erwägungen in 9 ObA 907/90 (ÖIAG-Aussetzung der Wertsicherung) schon aus diesem Grund verfehlt, weil dieses besondere Feststellungsverfahren die mehrjährige Außerkraftsetzung der Valorisierungsklauseln in einzelvertraglich vereinbarten, unwiderruflichen Betriebspensionen betraf. Eine solche Individualvereinbarung wurde mit dem Kläger aber nicht geschlossen.

Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 ArbVG können die Kollektivvertragsparteien auch Regelungen treffen, welche sich auf die Ansprüche der Arbeitnehmer nach ihrem Ausscheiden aus dem Betrieb beziehen. Dabei wird es sich reglmäßig um Pensions- und Ruhegeldleistungen handeln, die gemäß § 2 Abs 2 Z 3 ArbVG auch dann noch der Regelungsbefugnis der Kollektivvertragspartner unterstehen, wenn sie bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer betreffen. Kollektivvertragliche Rechtsansprüche sind demnach in jeder Richtung regelbar; sie können sowohl verbessert als auch verschlechtert werden (vgl Schwarz/Löschnigg, ArbR5 98 mwH; Strasser in Floretta/Strasser, HandkommzArbVG § 2 Erl 5.4 ua). Die Gestaltungsfreiheit der Kollektivvertragsparteien findet jedoch ihre Schranke in der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte, vor allem in der Konkretisierung der wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln des Zivilrechts (insbesondere § 879 ABGB). Die Kollektivvertragsparteien haben daher in der Regel bei ihrer Befugnis, eine getroffene Regelung zu verschlechtern, die Grundrechte der betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu beachten (vgl 9 ObA 602/92 = DRdA 1993/45 [Resch] = ZAS 1995, 12 [Schrammel] = RdW 1993, 81 mwH; 9 ObA 109/94 = Arb 11.212 = RdW 1995, 69; 8 ObA 220/95 = ecolex 1995, 745 [Mazal] = ZAS 1995/21 Seite 190 [Tomandl ZAS 1995, 181 ff] = ARD 4673/26/95).

Richtig ist, daß sich die Abkoppelung der Wertanpassung von den Aktivbezügen möglicherweise in einer geringeren Erhöhung der Pensionsleistungen auswirken kann. Demgegenüber kann sich der Kläger aber nicht auf ein wohl erworbenes Recht (vgl dazu VfGHSlg 10.588) auf eine Dienstordnungspension in Höhe einer bestimmten Fassung der DO.A berufen. Der Schutz seines Vertrauens auf eine bestimmte Regelung umfaßt auch die Möglichkeiten einer maßvollen Änderung der Regelung im Sinne des § 2 Abs 2 ArbVG. Der von den Kollektivvertragsparteien vorgenommene Eingriff in seine Rechtsposition ist nicht von so erheblichem Gewicht, daß er grundrechtswidrig und sohin sittenwidrig (vgl Runggaldier, Grenzen der Kollektivvertragsautonomie (1995) 15 ff mwH) wäre. Auch die Sittenwidrigkeit ist nichts anderes als Rechtswidrigkeit (vgl Krejci in Rummel2, ABGB I § 879 Rz 48 ff mwH).

Soweit der Kläger auf § 10 BPG verweist (Seite 103), ist ihm entgegenzuhalten, daß gerade an dieser Stelle von der subsidiären Wertanpassung mit dem Anpassungsfaktor gemäß § 108 f ASVG die Rede ist. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber für den Bereich des öffentlichen Dienstes bereits eine ähnliche Regelung vorgegeben. Die Höhe des ruhegenußfähigen Monatsbezuges der Beamten des Ruhestandes ist zwar gemäß § 41 Abs 2 PG noch an die Bezüge der Beamten des Dienststandes gekoppelt. Mit § 13a PG wurde dazu jedoch ein "Pensionssicherungsbeitrag" eingeführt, der die Gleichwertigkeit zu den Anpassungen in der gesetzlichen Sozialversicherung herstellt. Die Problematik ist im wesentlichen gleichgelagert; die Pensionsleistungen sollen finanzierbar bleiben und die Pensionssysteme selbst angepaßt werden. Insgesamt erscheint daher der Eingriff in die Rechtsposition des Klägers unter Bedachtnahme auf sein geschütztes Vertrauen nicht schwerer zu wiegen als es die verfolgten Interessen erforderlich erscheinen lassen (Runggaldier aaO 16). Von einem ihn treffenden Sozialabbau kann keine Rede sein.

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.

Stichworte