OGH 4Ob505/96

OGH4Ob505/9630.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Tittel und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna Hilde L*****, vertreten durch Dr.Heinrich Oppitz, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei K*****, vertreten durch Dr.Eckhard Pitzl und Dr.Gerhard W.Huber, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 30.000 und Feststellung (Streitwert S 10.000), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 21.Juni 1995, GZ 23 R 121/95-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Wels vom 16.Jänner 1995, GZ 13 C 2290/94-11, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens (darin S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin wurde 1994 von ihrem Zahnarzt wegen eines noch nicht durchgebrochenen und schmerzenden Weisheitszahns an das Krankenhaus der Beklagten verwiesen. Dort stellte man fest, daß auch weitere Eingriffe, ua eine Wurzelspitzenresektion am Zahn 6 links unten, notwendig seien. Da sich die Klägerin auch drei Zähne entfernen lassen mußte, empfahl ihr Primarius Dr.M*****, den Eingriff in Vollnarkose durchführen zu lassen.

In der Folge wurde die Klägerin von der zuständigen Stationsärztin Dr.P***** für die Narkose untersucht. Dr.P***** teilte der Klägerin mit, daß die Laborbefunde in Ordnung seien, und gab ihr die schriftliche Einwilligungserklärung für die Operation zum Unterfertigen. Die Klägerin behielt dieses Informationsblatt vorerst bei sich, las es durch und erkundigte sich bei der Stationsärztin noch wegen der in dem Merkblatt angeführten Gefühlsstörungen. Dr.P***** erklärte ihr, daß der Nerv verletzt werden könne, sich das aber mit der Zeit wieder gebe. Sonst stellte die Klägerin keine weiteren Fragen und unterschrieb die Einwilligungserklärung, in der folgende mögliche Komplikationen konkret genannt waren:

"Gefühlsstörungen im Ausbreitungsgebiet der Nerven der betroffenen Region, die meist nur einige Tage oder einige Wochen anhalten, unerwünschte oder überschießende Narbenbildungen, Mundöffnungsbeschwerden, ausgeprägte Schwellungszustände und postoperative Schmerzen, allergische Reaktionen, Nahtdehiszenz, Spätinfektionen, Verbindungen zur Kieferhöhle, Nekrosen".

Auch Dr.P***** unterschrieb die Einwilligungserklärung.

Bei der Operation wurden die beiden Fünferzähne im Oberkiefer rechts und links entfernt und ein noch im Kiefer befindlicher Weisheitszahn und der Zahn 6 links unten an beiden Wurzelspitzen rezessiert. Dabei wurden die untersten Anteile der krankhaft veränderten Wurzelspitzen durch Fräsen entfernt, bis man nach makroskopischem Eindruck auf gesundes Zahnbein kam. Die Operation selbst verlief ohne Probleme. Während des Auffräsens des Kieferknochens verfing sich aber der Schaft des Bohrers in der Wangenschleimhaut der Klägerin. Dadurch entstand an der Schleimhaut eine Brandwunde, die eine auch äußerlich sichtbare Narbe hinterließ und zu wiederholtem Auftreten von Bläschen an der Schleimhaut führt. Der Eingriff wurde fachgerecht durchgeführt. Eine Verletzung an der Lippe, wie sie die Klägerin erlitt, kann jedem Operateur bei jeder erdenklichen und notwendigen Sorgfalt passieren. Die Nachbehandlung mit Salben und das Verabreichen abschwellender und entzündungshemmender Medikamente sowie das Auflegen von Eisbeuteln war schulgerecht. Daß die Wundheilung an der Lippe etwas verzögert war (während die Wunde im Operationsgebiet normal heilte), ist darauf zurückzuführen, daß es bei jeder mimischen Bewegung, beim Schlucken und auch beim Sprechen zu einem Auseinanderklaffen der hitzegeschädigten Schleimhautwunde kommt. Nach etwa zwei Monaten heilte die Wunde an der Lippe ab; allerdings bilden sich in regelmäßigen, mit fortgeschrittener Zeit immer größer werdenden Abständen Bläschen an der Wunde.

Derzeit ist bei der Klägerin links etwa 10 bis 12 mm vom Mundwinkel entfernt eine narbige Verdickung im Bereich des Lippenrots zu sehen, die sich am Übergang zwischen Lippenrot und äußerer Haut als etwas hellere Region darstellt und im Bereich vom Übergang zum Lippenrot zur Wundschleimhaut kontinuierlich ist. Die Narbe selbst ist im Bereich des Niveaus der Unterlippe leicht eingezogen. Die an der Außenseite der Lippe sichtbare Narbe könnte mit einer plastischen Korrektur entfernt werden. Hinsichtlich der Narben im Bereich des Mundinneren ist dies nicht angezeigt, da durch eine weitere Operation wieder eine Narbe entsteht. Die derzeit vorhandene Narbe wird sich mit der Zeit noch bessern und weicher werden, wodurch auch Bläschen immer seltener auftreten werden.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenhausträgerin ein Schmerzengeld von S 30.000 sA und die Feststellung, daß die Beklagte für alle Spätfolgen aus der durchgeführten Heilbehandlung hafte. Die Beklagte habe die ärztliche Aufklärungspflicht verletzt, weil sie nicht über das Operationsrisiko einer Verletzung mit sichtbarer Narbenbildung aufgeklärt habe. Auch wenn eine solche Komplikation nur selten auftrete, hätte sie der Klägerin doch nicht verschwiegen werden dürfen, zumal die Operation lediglich dazu gedient habe, einen bereits abgestorbenen Zahn noch länger im Kiefer zu halten, wobei der Erfolg des Eingriffs nicht vorhersehbar gewesen sei. Hätte sie gewußt, daß sie mit einer äußerlich sichtbaren Narbe rechnen müsse, dann hätte sie in diesen Eingriff nicht eingewilligt, sondern es bei der Entfernung der übrigen drei Zähne belassen.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Operation sei mit Einwilligung der Klägerin erfolgt, die viel gravierendere Komplikationen in Kauf genommen und durch ihre Unterschrift erklärt habe, keine weiteren Aufklärungen mehr zu wünschen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe nicht gegen die ärztliche Warnpflicht verstoßen. Es sei nicht möglich, sämtliche erdenklichen Komplikationen in einem Merkblatt anzuführen. Die Beklagte habe durch das Überreichen eines Merkblattes über die möglichen Komplikationen und das Einräumen der Möglichkeit, dieses Merkblatt in Ruhe durchzulesen und Fragen an die Stationsärztin zu stellen, ihrer Warnpflicht genügt.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf, trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteige und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Grundsätzlich sei jede mit einer Verletzung der körperlichen Integrität verbundene ärztliche Heilbehandlung als Eingriff in ein absolut geschütztes Rechtsgut rechtswidrig. Erst die Zustimmung des Patienten rechtfertige die rechtswidrige Verletzung der körperlichen Integrität. Die Zustimmung des Patienten setze aber zu ihrer Rechtswirksamkeit eine vorherige entsprechende Aufklärung voraus. Bei fehlender Wirksamkeit der Zustimmung des Patienten infolge Unterbleibens gebotener Aufklärung hafte der Arzt und die den Behandlungsvertrag abschließende Krankenanstalt auch bei kunstgerechter Operation für die dadurch entstandenen Schäden. Die Beweislast für die ausreichende Aufklärung obliege dem Arzt und/oder dem Träger des Krankenhauses, mit dem der Behandlungsvertrag abgeschlossen wurde. In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten aufklären muß, sei eine Rechtsfrage. Dafür gebe es keine generellen, verbindlichen Normen; die ärztliche Aufklärung habe sich immer an den Umständen des Einzelfalles zu orientieren. Richtlinien seien neben dem Grad der Verständigkeit des Patienten und seiner seelischen Verfassung, die Art der Erkrankung und der vorgesehenen Behandlung, mögliche Risken und Komplikationen, aber auch mögliche alternative Behandlungsmethoden. Grundsätzlich sei eine Aufklärung des Patienten über mögliche schädliche Folgen einer vorgesehenen Operation dann nicht erforderlich, wenn Schäden nur in äußerst seltenen Fällen auftreten und anzunehmen ist, daß sie bei einem verständigen Patienten für seinen Entschluß, in die Behandlung einzuwilligen, nicht ernsthaft ins Gewicht fallen. Auf typische Risiken einer Operation sei aber ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes, hinzuweisen. Die Typizität ergebe sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist und den nicht informierten Patienten überrascht, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechnet. Auch das typische Risiko müsse allerdings stets von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen. Die Aufklärungspflicht des Arztes sei umso umfassender, je weniger der Eingriff dringlich erscheine. Fehle es aus medizinischer Sicht an der Dringlichkeit oder bestehe überhaupt keine zwingende Indikation, dann sei auch auf die Möglichkeit äußerst seltener Zwischenfälle hinzuweisen.

Im konkreten Fall habe das Erstgericht keine Feststellungen zur Dringlichkeit oder Notwendigkeit des Eingriffs am Zahn 6 links unten getroffen. Es fehlten auch Feststellungen darüber, ob nicht die Alternative, den erkrankten Zahn zu ziehen, bestanden habe. Eine solche Feststellung sei aber von Bedeutung. Wäre nämlich der konkrete Eingriff wegen der Möglichkeit einer alternativen Behandlungsmethode aus medizinischer Sicht nicht zwingend gewesen, so wäre die Aufklärungspflicht auch dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind. Das Erstgericht habe aber auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob das Risiko, das sich hier bei der Wurzelspitzenresektion verwirklicht habe, typischerweise einem solchen Eingriff anhafte. Es seien auch keine Feststellungen zum Auftreten einer derartigen Komplikation getroffen worden. Das relevante Operationsrisiko - nämlich eine sichtbare Narbe an der Lippe mit wiederholter Bläschenbildung im Mundinneren - sei im Vergleich mit dem angestrebten Operationsziel im Falle einer 41-jährigen Frau erheblich.

Die Argumentation der Beklagten, daß die Klägerin mit der Unterfertigung der schriftlichen Einverständniserklärung erheblich größere Risken auf sich genommen und daher dem vorliegenden Risiko in jedem Fall zugestimmt habe, sei nicht zwingend. Auch der vom Erstgericht beigezogene Sachverständige habe die hier tatsächlich eingetretene Komplikation als im Formblatt nicht erwähnt bezeichnet. Daß in dieser Erklärung unerwünschte oder überschießende Narbenbildungen als mögliche Komplikation genannt sind, bedeute noch keine Zustimmung der Klägerin zum Operationsrisiko einer auch äußerlich sichtbaren Narbe, zumal der medizinische Laie bei Eingriffen im Kieferbereich kaum mit äußerlich sichtbaren Narben rechnen werde. Überhaupt sei der Beweiswert einer derartigen schriftlichen formularmäßigen Einwilligungserklärung problematisch, weil ihre abstrakte und generalisierende Fassung in der Regel weder einen Hinweis für eine konkret erforderliche Behandlungsaufklärung gebe noch erweislich mache, daß der Patient das Formular verstanden hat. Allein durch Vorlage dieses allgemein gehaltenen, von der Klägerin unterfertigten Formulars könne der der Beklagten obliegende Beweis, daß sie ihrer ärztlichen Aufklärungspflicht voll genügt habe, nicht als erbracht angesehen werden. Mag auch der Großteil der in diesem Formblatt genannten Komplikationen aus medizinischer Sicht schwerer wiegen als die bei der Klägerin entstandene Verletzung, so sei hier doch die subjektive Einschätzung der Klägerin maßgebend, weil es sich um eine sichtbare Narbe im Gesicht bei nicht eindeutiger zwingender medizinischer Indikation des Eingriffs handle. Auch aus dem Unterlassen einer weiteren Fragestellung an die Stationsärztin könne auf eine Zustimmung zu Risken, mit denen der Patient überhaupt nicht rechne, nicht geschlossen werden. Es bedürfe daher ergänzender Feststellungen zur medizinischen Indikation der Behandlung (alternative Behandlungsmöglichkeiten) sowie zur Typizität und Häufigkeit des Risikos. Zur Verdeutlichung der bei der Klägerin zurückgebliebenen Operationsfolgen werde die Vorlage von Lichtbildern, die die Narbenbildung bei der Klägerin zeigen, erforderlich sein.

Sollte das Erstgericht eine Verletzung der Aufklärungspflicht annehmen, so treffe die Beklagte die Beweislast dafür, daß die Klägerin auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte. An diesen Beweis seien strenge Anforderungen zu stellen. In derartigen Fällen komme es darauf an, ob für den Patienten plausible Gründe für die Ablehnung einer bestimmten Behandlung bestanden, dh, ob für ihn persönliche Gründe vorlagen, aus seiner Sicht bei einer ordnungsgemäßen ärztlichen Aufklärung die Behandlung abzulehnen. Der Patient dürfe sich daher nicht mit der bloßen Behauptung begnügen, er hätte den Eingriff bei richtiger und vollständiger Aufklärung über die Risken abgelehnt, sofern dies nicht selbstverständlich ist. Er müsse vielmehr in nachvollziehbarer Weise darlegen, daß er bei gehöriger Aufklärung vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden sei, aus dem heraus eine Ablehnung der Einwilligung in die Behandlung zum damaligen Zeitpunkt verständlich erscheint und deutlich wird, daß er nicht das Aufklärungsversäumnis nachträglich ausschließlich zur Begründung einer Schadenersatzklage benutzt. Auch zur Beurteilung dieser Rechtsfrage fehle es an Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes, die diese nachzutragen haben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs der Beklagten ist zwar entgegen der Meinung der Klägerin zulässig, weil - soweit überblickbar - Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu einem in den wesentlichen Belangen vergleichbaren Sachverhalt fehlt; er ist aber nicht berechtigt.

Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, umfaßt nach

ständiger Rechtsprechung der mit dem Arzt oder - wie hier - dem

Träger eines Krankenhauses abgeschlossene Behandlungsvertrag auch die

Pflicht, den Patienten über Art und Schwere sowie über die möglichen

Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung oder ihrer

Unterlassung zu unterrichten (SZ 55/114 = EvBl 1983/5 = JBl 1983, 373

[Holzer]; SZ 57/207 = EvBl 1985/85 = JBl 1985, 548 = RdW 1985, 272;

SZ 59/18 = EvBl 1987/31; SZ 62/154 = JBl 1990, 459; SZ 63/152 = JBl

1991, 445; EvBl 1995/149 = JBl 1995, 453 [Steiner] uva).

Grundsätzlich ist ja jede ärztliche Heilbehandlung, die mit einer

Verletzung der körperlichen Integrität verbunden ist, als

Körperverletzung und damit als Verletzung eines absolut geschützten

Rechtsgutes zu werten und somit rechtswidrig, weshalb erst die

Zustimmung des Patienten den rechtswidrigen Eingriff zu rechtfertigen

vermag. Die Zustimmung des Patienten setzt aber zu ihrer

Rechtswirksamkeit eine vorherige entsprechende Aufklärung voraus,

weshalb bei einem Unterbleiben der Aufklärung der Arzt bzw

Krankenhausträger auch bei kunstgerechter Operation für die dadurch

entstandenen Schäden zu haften hat (JBl 1994, 336 = RdM 1994, 28

[Kopetzki] mwH; EvBl 1995/149 = JBl 1995, 453 [Steiner]).

In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten aufklären muß, damit dieser die Tragweite seiner Erklärung, in die Operation einzuwilligen, überschauen kann, also weiß, worin er einwilligt, ist eine stets anhand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalles getroffenen Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 26 zu § 1299; SZ 55/114 = EvBl 1983/5 = JBl 1983, 373 [Holzer]; SZ 62/154 = JBl 1990, 459; EvBl 1995/149 = JBl 1995, 453 ua).

Nach ständiger Rechtsprechung ist auf typische Risiken einer Operation jedenfalls ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintritts hinzuweisen; insoweit ist die Aufklärungspflicht bei Vorliegen einer typischen Gefahr verschärft

(SZ 57/207 = EvBl 1985/85 = JBl 1985, 548 = RdW 1985, 272; SZ 62/154

= JBl 1990, 459; RdM 1994, 121; EvBl 1995/159 = JBl 1995, 453

[Steiner] ua). Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, daß das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist und den nicht informierten Patienten überrascht, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechnet (SZ 62/154 = JBl 1990, 459; RdM 1994, 121 mwN; EvBl 1995/149 = JBl 1995, 453 [Steiner]). Auch das typische Risiko muß allerdings stets von einiger Erheblichkeit und dadurch geeignet sein, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen (SZ 62/154 = JBl 1990, 459; EvBl 1995/159 = JBl 1995, 453 [Steiner] ua).

Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt

oder Krankenhausträger die Beweislast dafür, daß der Patient auch bei

ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte

(SZ 55/114 = EvBl 1983/5 = JBl 1983, 373; SZ 63/152 = JBl 1991, 445;

EvBl 1995/149 = JBl 1995, 453 [Steiner] mwN).

Der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die Beklagte unter den gegebenen Umständen ihrer Aufklärungspflicht nicht Genüge getan hat, ist beizupflichten:

Im Merkblatt der Beklagten werden als mögliche Komplikationen ua "unerwünschte oder überschießende Narbenbildungen" genannt. Daß - wie die Beklagte meint - "ein einsichtiger und besonnener Patient" das nur dahin verstehen könne, "daß eine Narbe außerhalb des Operationsbereiches, allenfalls an der Lippe, auftreten" könne, trifft nicht zu. Wer - wie die Klägerin - vor einer Zahnoperation steht, wird sich selbstverständlich dessen bewußt sein, daß es zu Wunden in der Mundhöhle kommen wird, nicht aber, daß die Lippe verletzt wird. Den Hinweis auf unerwünschte oder überschießende Narbenbildungen wird der Patient daher nur in dem Sinn verstehen, daß im Mund möglicherweise - die Zunge störende -Narben zurückbleiben können. Der der Klägerin vorgelegte Text enthielt somit keinen Hinweis auf das dann tatsächlich verwirklichte Operationsrisiko.

Dazu kommt noch, daß die im Informationsblatt aufgezählten möglichen Komplikationen mit der Klägerin gar nicht mündlich erörtert wurden, daß also gar kein ärztliche Aufklärungsgespräch geführt wurde. Die Beklagte konnte daher nicht mit Sicherheit davon ausgehen, daß der Klägerin die im schriftlichen Text genannten Risken auch in ihrer Bedeutung und Tragweite bewußt waren. Nur in einem Gespräch kann dem Patienten der Inhalt der in einem Merkblatt verwendeten Begriffe näher erläutert werden. Gerade der vorliegende Fall zeigt, daß der bloß schriftliche Hinweis auf eine Komplikation - wie hier auf unerwünschte oder überschießende Narbenbildungen - verschieden aufgefaßt werden kann. Nach Lehre (Steiner, Die ärztliche Aufklärungspflicht nach österreichischem Recht, JBl 1982, 169 ff [173]; ders, JBl 1995, 455 [456]) und Rechtsprechung (EvBl 1995/149 = JBl 1995, 453) genügt es daher nicht, im bürokratischen Weg eine Zustimmungserklärung zum operativen Eingriff einzuholen; vielmehr kann das unmittelbare persönliche Gespräch durch nichts ersetzt werden.

Schon aus diesem Grund kann der Beklagten nicht darin zugestimmt werden, daß die Klägerin die mangelnde Aufklärung über eine mögliche Narbe an der Lippe nicht beanstanden könne, wo sie doch schwerer wiegende Komplikationen in Kauf genommen habe, steht doch nicht fest, daß die Klägerin diese Risken - wie zB "Nahtdehiszenz" oder "Nekrosen" - in ihrer Tragweite erfaßt hat. Ganz abgesehen davon, ist es auch durchaus möglich, daß jemand eine bleibende äußerlich sichtbare Narbe mehr scheut als irgendwelche vorübergehenden Leidenszustände. Für die Beklagte ist auch nichts daraus zu gewinnen, daß bei der Beurteilung der Aufklärungspflicht auf den vernünftigen Patienten abzustellen ist (6 Ob 502/95 mwN). Soweit sich die Klägerin daran stößt, nun mit einer Narbe an der äußeren Lippe leben zu müssen, ist dies nicht Ausdruck einer unvernünftigen Einstellung. Auch eine solche - wenn auch allenfalls nur geringfügige - Verunstaltung ist von einiger Erheblichkeit und daher durchaus geeignet, die Entscheidung eines - auch vernünftigen - Patienten zu beeinflussen. So ist es ohne weiteres vorstellbar, daß es ein Patient oder eine Patientin vorzieht, sich einen (toten) Zahn ziehen, statt eine Wurzelspitzenresektion, die mit dem Risiko einer Lippenverletzung verbunden ist, vornehmen zu lassen.

Da also die dem Aufhebungsbeschluß zugrunde liegende Rechtsansicht richtig ist, kann der Oberste Gerichtshof, der keine Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob die Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (SZ 43/167; JBl 1991, 580 uva; Kodek in Rechberger, ZPO Rz 5 zu § 519).

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Da der Rekurs keinen Anlaß zu einer Änderung der Ergänzungsaufträge geboten hat, war er zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig, so daß ein Kostenvorbehalt nicht in Frage kommt.

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