OGH 10ObS199/95

OGH10ObS199/9531.10.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Gramm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann H*****, Monteur, *****, vertreten durch Dr. Georg Diwok, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 1995, GZ 9 Rs 38/95-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 2. Februar 1995, GZ 13 Cgs 142/94f-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger erlitt am 23.9.1992 als Monteur bei einem Arbeitsunfall schwere Quetschverletzungen der linken Mittelhand. Als Entschädigung hiefür bezog er von der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 25.3.1993 bis 31.8.1994 eine vorläufige Versehrtenrente von 20 v.H. der Vollrente im Ausmaß von monatlich S 2.905,20. Mit Bescheid der Beklagten vom 29.6.1994 wurde diese vorläufige Versehrtenrente ab 1.9.1994 entzogen und ausgesprochen, daß ein Anspruch auf Dauerrente gemäß §§ 203, 209 Abs 1 ASVG nicht bestehe. Zur Begründung wurde darauf hingewiesen, daß eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in rentenbegründendem Ausmaß ab dem 1.9.1994 nicht vorliege.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene Klagebegehren auf Gewährung der Versehrtenrente ab 1.9.1994 ab. Es stellte fest, daß beim Kläger im Zeitpunkt des Unfallsgeschehens bereits eine Dupuytren'sche Kontraktur der linken Hand bestand. Am 23.10.1992 wurde deswegen eine Operation an der linken Hand durchgeführt. Die linke Hand zeigt im Seitenvergleich praktisch keine Hohlhandbeschwielung, die gesamte Handinnenmuskulatur ist im Seitenvergleich atrophiert, eine Behinderung ist bei Beugung und Streckung der Langfinger gegeben. An der rechten Hand besteht eine Dupuytren'sche Kontraktur des fünften Fingers mit Teilamputation des Ringfingers im Grundglied. Der Zustand der rechten Hand steht in keinem Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom 23.9.1992. Es finden sich Hinweise auf degenerative Veränderungen der Mittel- und Endgelenke an beiden Enden. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers beträgt ab 1.9.1994 10 v. H.

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß die beim Kläger festgestellte Dupuytren'sche Kontraktur nicht ursächlich im Zusammenhang mit dem Unfall vom 23.9.1992 stehe. Die allein auf das Unfallgeschehen zurückzuführenden Funktionseinschränkungen bedeuteten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. ab 1.9.1994. Damit seien die Voraussetzungen des § 203 Abs 1 ASVG nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verwarf die Aktenwidrigkeits- und Mängelrüge als nicht berechtigt und übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Das Berufungsgericht trat auch den Rechtsausführungen des Erstgerichtes bei, wonach die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht das rentenfähige Ausmaß erreiche.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor. Der Kläger rügt hier wie bereits in seiner Berufung, daß das Erstgericht keine weiteren Beweise über die Ursächlichkeit seiner Beschwerden aufgenommen habe, insbesondere die Vernehmung des behandelnden Arztes, von Zeugen und des Klägers als Partei unterlassen habe. Dabei übersieht er, daß Verfahrensmängel erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneint hat, nach ständiger Rechtsprechung auch in Sozialrechtssachen im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden können (SSV-NF 7/74 mwN ua).

Auch der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO liegt nicht vor; diese Beurteilung bedarf nach § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO keiner Begründung.

Soweit in der Mängelrüge geltend gemacht wird, das Erstgericht habe den Kläger nicht über die Art seiner Tätigkeit als Monteur befragt, weshalb nicht beurteilt werden könne, ob er dieser Tätigkeit noch nachgehen könne und es habe auch nicht festgestellt, welche Änderungen gegenüber der Gewährung der vorläufigen Versehrtenrente eingetreten seien, werden ausschließlich der rechtlichen Beurteilung zuzuordnende Feststellungsmängel geltend gemacht, wie denn der Kläger diese Ausführungen zu seiner Mängelrüge auch unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zur Gänze wiederholt.

Die Rechtsrüge ist aber nicht berechtigt.

Die Versehrtenrente wird nach dem Grad der durch den Arbeitsunfall herbeigeführten Minderung der Erwerbsfähigkeit bemessen (§ 205 Abs 1 ASVG). Nach § 203 Abs 1 ASVG besteht Anspruch auf Versehrtenrente, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen des Arbeitsunfalles über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20 v.H. vermindert ist. Wie der Senat wiederholt ausgeführt hat, ist der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich abstrakt nach dem Unfang aller verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, also auch selbständiger Tätigkeiten zu beurteilen und in Beziehung zu allen Erwerbsmöglichkeiten - und nicht nur den tatsächlich genützten - zu setzen. Unter den Begriff der Erwerbsunfähigkeit in diesem Sinn ist nämlich die Fähigkeit zu verstehen, sich im Erwerbsleben einen regelmäßigen Erwerb durch selbständige oder unselbständige Arbeit zu verschaffen (SSV-NF 7/130 mwN; 10 Ob S 248/94). Das bedeutet vor allem, daß bei der Beurteilung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geblickt und gefragt wird, ob und welche Erwerbsmöglichkeiten sich einer Person mit diesem Körperschaden noch bieten. Es kommt aber nicht darauf an, ob der Versicherte seinen bisherigen Beruf noch weiter ausüben kann oder nicht. Die Unfallversicherung ist keine Berufsversicherung und kennt keinen Berufsschutz. Nur in Härtefällen ist auf die Ausbildung und den bisherigen Beruf des konkreten Versehrten Rücksicht zu nehmen, dabei allerdings ein strenger Maßstab anzulegen (SSV-NF 6/44; 10 Ob S 248/94; ebenso Grillberger, Österreichisches Sozialrecht2 68;

Brodil/Windisch-Grätz, Sozialversicherungs- recht in Grundzügen 86;

aA Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 123).

Auf Grund der dargestellten Rechtslage bedarf es keiner Feststellungen, welche Tätigkeiten der Kläger als Monteur ausgeführt hat. Für die Annahme eines Härtefalles (10 Ob S 248/94; zuletzt 10 Ob S 161/95) fehlen alle Anhaltspunkte.

Schließlich ist auch der Einwand des Revisionswerbers, die vorläufige Versehrtenrente könne nach § 99 Abs 1 ASVG nur bei einer wesentlichen Besserung der Unfallsfolgen entzogen werden, nicht zielführend. Der angefochtene Bescheid ist nämlich keine Neufeststellung der Rente bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse iS des § 183 ASVG, sondern die dem Versicherungsträger nach Gewährung einer vorläufigen Versehrtenrente gemäß § 209 Abs 1 ASVG spätestens mit Ablauf des zweijährigen Zeitraumes obliegende Feststellung der Versehrtenrente als Dauerrente; diese Feststellung setzt nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut eine Änderung der Verhältnisse nicht voraus und ist an die Grundlagen für die Berechnung der vorläufigen Rente nicht gebunden. Bei der erstmaligen Feststellung der Dauerrente kann der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit völlig neu bestimmt werden, also auch mit weniger als 20 v.H. oder unter Umständen sogar mit Null, was auf eine Entziehung der vorläufigen Rente hinausläuft (SSV-NF 6/15 mwN). Daraus folgt, daß die Beklagte weder im angefochtenen Bescheid noch im Verfahren erster Instanz eine zur Verringerung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit führende Besserung des Zustands des Klägers behaupten und beweisen mußte. Der gerügte Feststellungsmangel liegt also nicht vor.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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