Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.370,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.395,-- USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 13. November 1992 warteten der Kläger und der Beklagte sowie eine größere Anzahl weiterer Schüler bei einer Schulbushaltestelle auf dem Bus. Zum "Zeitvertreib" schlug der Beklagte mit einem Holzstück mehrmals gegen einen kleinen Laubbaum, wobei kleine Holzstücke absplitterten und der Kläger von einem ca 5 cm langen Holzsplitter im Auge getroffen wurde. Dieser erlitt hiedurch eine schwere Verletzung des linken Auges und wurde vom 13.11.1992 bis 25.11.1992 im LKH-Steyr stationär behandelt. Der Kläger muß mit bleibenden Schäden rechnen; Spätfolgen sind nicht auszuschließen.
Zugunsten des mitversicherten minderjährigen Beklagten besteht bei der Versicherungsanstalt "***** Versicherungs AG" eine Privathaftpflichtversicherung für Personen- und Sachschäden mit einer Deckungssumme von S 2,000.000,--. Gemäß Art 9 der ABH übernimmt der Versicherer im Versicherungsfall die Erfüllung von Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer wegen eines Personenschadens, eines Sachschadens oder eines Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts erwachsen. Die Vertragsdauer besteht vom 11.7.1991 bis 11.7.2001.
Der Kläger begehrte aus dem Titel des Schadenersatzes gemäß §§ 1295, 1310 ABGB den Zuspruch eines Betrages von S 103.000,-- sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden. Im wesentlichen brachte er vor, der elfjährige Beklagte hätte erkennen können, daß durch das Herumschlagen mit einem Holzstück in unmittelbarer Nähe zum Kläger die Gefahr einer Verletzung bestünde. Darüberhinaus bestehe zu Gunsten des Beklagten eine aufrechte Privathaftpflichtversicherung, welcher Umstand als "Vermögen" des Schädigers anzusehen sei.
Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und bestritt ein Verschulden sowie die - selbst für einen Deliktsfähigen nicht gegebene - objektive Vorhersehbarkeit des Schadeneintritts.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren überwiegend statt, beschränkte allerdings die Haftung des Beklagten für künftige Schäden mit der Deckungssumme der zugunsten des Beklagten bei der Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Haftpflichtversicherung. Insbesondere stellte es fest, daß der Kläger, durch das zuvor dargestellte Verhalten des Beklagten, eine schwere Prellungsverletzung am linken Auge mit teilweiser Lähmung der Pupillenreaktion, Aderhautriß und Netzhautnarben erlitt. Die dementsprechend verminderte Sehleistung könne durch eine zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführende Staroperation nur beschränkt gebessert werden. Spätfolgen, wie eine neuerliche Steigerung des Augeninnendruckes mit Sehnervenschwund in weiterer Folge und eventuellen Komplikationen nach der zu einem späteren Zeitpunkt erfolgenden Staroperation sind nicht auszuschließen.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß der Beklagte zum Zeitpunkt des Vorfalles deliktsunfähig war und eine Haftung im Sinne § 1309 ABGB jedenfalls nicht gegeben sei. Ein subjektiv vorwerfbares Verschulden gemäß § 1310 erster Fall ABGB könne der beklagten Partei nicht zur Last gelegt werden. Allerdings sei sein Verhalten als objektiv sorgfaltswidrig anzusehen. Da zugunsten des Beklagten eine Haftplichtversicherung mit einer Deckungssumme von S 2,000.000,-- für eingetretene Personenschäden bestehe, sohin ein Vermögen im Sinne § 1310 dritter Fall ABGB gegeben sei, sei eine Haftung des Beklagten zu bejahen.
Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der beklagten Partei gab das Berufungsgericht nicht Folge, schloß sich der Rechtsmeinung des Erstgerichtes an und sprach aus, daß eine ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.
Gegen das Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die außerordentliche Revision für zulässig zu erklären, ihr Folge zu geben, das angefochtene Urteil abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen.
Der Beklagte führt in seiner außerordentlichen Revision aus, das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz stehe zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Feststellungsurteils bei der Haftung von Minderjährigen gemäß § 1310 ABGB in Widerspruch und weiche sohin von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ab, weshalb eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne § 502 Abs 1 ZPO vorliege. Die Billigkeitshaftung nach § 1310 dritter Fall ABGB könne erst zu jenem Zeitpunkt beurteilt werden, zu dem diese Ansprüche aktualisiert werden, sodaß im Falle der Haftung nach § 1310 dritter Fall ABGB ein Feststellungsbegehren grundsätzlich ausscheide, da nicht beurteilt werden könne, inwieweit sich die Vermögenslage künftig derart ändern werde, daß die Voraussetzungen des § 1310 dritter Fall ABGB auch zum Zeitpunkt der Beurteilung künftiger Ansprüche noch vorliegen (OGH vom 26.8.1994, 6 Ob 601/94).
Der Kläger beantragt, der außerordentlichen Revision nicht Folge zu geben.
Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision ist das Revisionsgericht an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO).
Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig, da die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes in dieser Rechtsfrage uneinheitlich ist. Ihr kommt jedoch keine Berechtigung zu.
Rechtliche Beurteilung
Der erkennende Senat vermag der in der zu 6 Ob 601/94 ergangenen Entscheidung vertretenen Aufassung nicht zu folgen, sondern vertritt den Grundsatz der bisherigen Rechtsprechung, daß zur Feststellung der Ersatzpflicht für künftige unfallbedingte Schäden die Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz im Leistungsprozeß zu prüfen ist. Ein nicht aus dem bürgerlichen Recht, sondern aus § 228 ZPO abzuleitendes Feststellungsinteresse ist im Fall einer Haftung nach § 1310 dritter Fall ABGB zu bejahen, weshalb neben dem Leistungs- auch ein Feststellungsbegehren für künftige bereits im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz latent vorhandenen Schäden zuzulassen ist (SZ 60/180; ZVR 1975/196). Die Entscheidung 6 Ob 601/94 (= RdW 1995, 17) stellt auf die materielle Rechtslage ab, während das Feststellungsinteresse aus § 228 ZPO abzuleiten ist. Hinsichtlich dieser Bestimmung anerkennt die Rechtsprechung aber rechtzsfortbildend ganz einheitlich ein rechtliches Interesse des Klägers an der Feststellung der Ersatzpflicht für alle künftigen Schäden aus einem Unfall (siehe Rechberger in Rechberger, ZPO, Rz 5 zu § 228 mwN). Der erkennende Senat schließt sich daher der vereinzelt gebliebenen Entscheidung 6 Ob 601/94 nicht an, vielmehr rechtfertigt der Umstand, daß unfallsbedingte Spätfolgen nicht ausgeschlossen werden können, ein Klagebegehren auf Feststellung der Haftung für in Hinkunft entstehende Unfallsfolgen (2 Ob 36/95).
Den rechtlichen Ausführungen des Berufungsgerichtes ist dahingehend zu folgen, daß dem deliktsunfähigen (§ 153 ABGB) Beklagten ein Verschulden und somit eine Haftung nach § 1310 erster Fall ABGB nicht zur Last gelegt werden kann. Eine Billigkeitshaftung nach § 1310 dritter Fall ABGB setzt jedoch voraus, daß ein voll Handlungsfähiger im gleichen Fall haften würde (SZ17/145; EvBl 1974/234).
Aufgrund des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts, hätte ein unbeschränkt Deliktsfähiger die Gefährlichkeit und die sich daraus ergebende Verletzungsgefahr des Schlagens mit einem Holzstock auf einen kleinen Laubbaum insbesondere in Anbetracht der in unmittelbarer Nähe stehender Kindergruppe vorhersehen können. Es liegt innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung, daß bei kraftvoller Einwirkung auf ein Holzstück dieses splittert und Splitter lediglich 3 m entfernt stehende Personen am Körper- hiebei kann selbständlich der Augenbereich nicht ausgeschlossen werden - treffen können, weshalb die Verletzungen des Klägers keine inadäquate Folge des Verhaltens des Beklagten darstellen. Nach ständiger Rechtsprechung hat derjenige, der - wenn auch erlaubterweise - eine Gefahrenquelle schafft, dafür zu sorgen, dh entsprechende Sorgfalt anzuwenden, daß daraus kein Schaden entsteht. Entscheidend ist hiebei wohin die Gefahrenquelle wirkt (Reischauer in Rummel2, Rz 4 zu § 1294 ABGB). Dem die Gefahrenquelle Schaffenden muß es möglich sein, die Verletzung von Rechtsgütern Dritter zu erkennen und der Gefahr durch zumutbare Maßnahmen vorzubeugen (JBl 1988, 318). Obwohl im bloßen Schlagen mit einem Holzstock auf einen kleinen Laubbaum an sich ein rechtswidriges Verhalten nicht erblickt werden kann, der Beklagte dadurch aber eine Gefahrenquelle eröffnet hat, hätte er dafür Sorge treffen müssen, daß hieraus Dritten kein Schaden entsteht. Als eine hiefür zumutbare Maßnahme wäre ein generelles Unterlassen eines solchen Verhaltens in Gegenwart anderer sich im Splitterbereich befindlichen Personen gewesen. Da darüberhinaus der der beklagten Partei obliegende Beweis, die nötige Sorgfalt nicht vernachlässigt zu haben, im Verfahren nicht erbracht wurde, ist deswegen auch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten zu bejahen.
Nach § 1310 dritter Fall ABGB kommt es bei der Ermessensentscheidung nicht ausschließlich auf die Höhe des beiderseitigen Vermögens an, sondern darauf, wer mit Rücksicht auf seine Vermögenslage den Schaden leichter tragen kann. Die wirtschaftliche Lage desjenigen, den ein Versicherer für Schadenersatzverpflichtungen schadlos zu halten hat, wird zweifellos durch die Erfüllung einer solchen Verpflichtung überhaupt nicht berührt; ihn beschwert die Erfüllung seiner Schadenersatzverpflichtung - im Gegensatz zum Beschädigten, der sonst den Schaden selbst zu tragen hätte - wirtschaftlich nicht. Bei dieser Sachlage wird auch der sonst vermögenlose Beschädiger nach § 1310 dritter Fall ABGB zum Ersatz des Schadens insoweit zu verhalten sein, als die Erfüllung dieser Verpflichtung durch eine Versicherung gedeckt ist (EFSlg 13.684; vgl auch Böhmer in MDR 1963, 21). Der Anspruch des Minderjährigen (als des aus der Haftpflichtversicherung seines gesetzlichen Vertreters begünstigten Dritten) gegen den Versicherer stellt im übrigen nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ein Vermögen im Sinne des § 1310 dritter Fall ABGB dar (JBl 1969, 503; SZ 47/43; SZ 52/168; ZVR 1975/196; Gamerith in ÖA 1979 bis 1981, 20 ff; ua). Eine Ersatzpflicht des Beklagten für (künftige) unfallbedingte Schäden ist allerdings nach Billigkeitserwägungen nur bis zur Höhe des sich aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag ergebenden Haftungsbetrages denkbar (ZVR 1975/196; JBl 1969, 503; ua).
Die sich hieraus ableitende Frage, ob der Versicherer auch für jene unfallkausale Schäden zu leisten hat, die nach Beendigung des Versicherungsvertrages auftreten, ist dahingehend zu beantworten, daß es sich hiebei um einen "gedehnten" Versicherungsfall (Schauer, Das Österreichische Versicherungsvertragsrecht 160 und 188 ff) handelt, wonach auf den Zeitpunkt des Schadeneintrittes abzustellen ist. Diese dadurch bereits während des Versicherungsvertrages eingetretenen, zunächst zwar nur latent vorhandenen Schäden sind mit den bereits hervorgetretenen als Einheit zu betrachten, weshalb bei rechtskräftiger Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden, der Versicherer selbst dann bis zur Höhe der Deckungssumme für den Beklagten zur Ersatzleistung verpflichtet ist, wenn die Vertragsdauer bereits zuvor geendet hat.
Eine Verjährung der rechtskräftig festgestellten Entschädigungsforderung tritt hiebei erst nach dreißig Jahren ein (MGA ABGB34 § 1489/E 4).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.
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