OGH 6Ob601/94

OGH6Ob601/9426.8.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Versicherungsanstalt *****B*****, vertreten durch Dr.Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei mj.Thomas W*****, geboren am 9.Dezember 1981, *****, vertreten durch Dr.Rudolf Zitta, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 51.528,10 S samt Nebenforderungen und Feststellung (Teilstreitwert 24.000 S), infolge Revision der beklagten Partei gegen das zum Urteil des Bezirksgerichtes Neumarkt bei Salzburg vom 4. Januar 1994, GZ 2 C 528/93-9, ergangene Berufungsurteil des Landesgerichtes Salzburg vom 13.April 1994, AZ 21 R 89/94(ON 13), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise stattgegeben und das angefochtene Berufungsurteil im folgenden Sinn abgeändert:

Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 25.764,05 S zuzüglich 4 % Zinsen aus 25.371,50 S seit 14.April 1993 und aus weiteren 392,55 S seit 14.Juli 1993 bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen.

Das auf Zahlung eines weiteren Betrages in derselben Höhe gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.

Ebenso wird das Begehren auf Feststellung abgewiesen, daß die beklagte Partei verpflichtet sei, der klagenden Partei für ihre zukünftigen Leistungen, die sie aufgrund des Unfalles vom 7.Mai 1990, bei welchem Christian S*****, geboren am 28.September 1981, verletzt wurde, erbringen wird, insoweit Ersatz zu leisten, als im Schadenersatzanspruch des Christian S***** ein übergangsfähiger kongruenter Deckungsfonds vorhanden ist, wobei diese Verpflichtung der Höhe nach mit der vertraglichen Haftpflichtversicherungssumme von zwei Millionen Schilling beschränkt ist, welche die Eltern des Beklagten, Franz und Theresia W*****, bei der ***** B***** Versicherungsaktiengesellschaft abgeschlossen haben.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Beklagten die mit S 27.462,72 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin enthalten an Umsatzsteuer S 4.577,12) zu einem Drittel, das sind S 9.154,24, zuzüglich eines Gebühren- und Kostenanteils in der Höhe von S 4.000,-- binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Zug eines Freizeitspieles dreier Klassenkameraden einer zweiten Volksschulklasse auf dem ländlichen Anwesen der Eltern eines dieser Schüler, dessen Mutter im Hause anwesend war, schossen die Knaben wechselseitig mit zwei mit Gummisaugknöpfen ausgestatteten Plastikpfeilen aufeinander; nachdem die beiden Spielzeugpfeile verschossen waren, beschlossen die Spielgefährten, mit dem Spielzeugbogen ein 20 bis 30 cm langes Holzstäbchen abzuschießen. Der damals 8 1/2 Jahre alte Beklagte schoß auf diese Weise gegen seinen zweieinhalb Monate älteren Kameraden, traf ihn im Gesicht und verletzte das linke Auge so schwer, daß trotz zweier Operationen die Sehkraft dieses Auges praktisch als verloren zu werten ist. Die Notwendigkeit einer Nachoperation des geschädigten Glaskörpers ist nicht auszuschließen.

Schütze und Verletzter sind vermögenslos. Der Verletzte genießt als Angehöriger seines Vaters sozialversicherungsrechtlichen Krankenschutz. Der Schütze ist im Rahmen einer von seinen Eltern abgeschlossenen Bündelversicherung für Privathaftpflichtfälle mit einer Versicherungssumme von 2 Mio S mitversichert.

Der Verletzte erhob gegen seinen Spielgefährten Ansprüche an Schmerzengeld, Verdienstentgang sowie Ersatz von verschiedenen verletzungsbedingten Aufwendungen (vor allem seiner Eltern). Überdies stellte er das Begehren auf Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche Verletzungsfolgen. Dem Zahlungsbegehren wurde in einem betraglich herabgesetzten Ausmaß stattgegeben. Die Haftung des Beklagten wurde mit der Einschränkung festgestellt, daß sie mit der Höhe der vertraglichen Haftpflichtversicherungssumme aus der Versicherung der Eltern des Beklagten beschränkt sei.

Der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachte aus Anlaß der Spielverletzung des Klägers zur Heilbehandlung einen Aufwand von 51.528,10 S.

Gestützt auf den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 125 B-KUVG

begehrte der Sozialversicherungsträger von dem nach dem dritten Fall

des § 1310 ABGB als ersatzpflichtig angesehenen Beklagten den

(vollen) Ersatz seines bisherigen Heilbehandlungsaufwandes sowie die

Feststellung der Haftung des Beklagten für alle beim verletzten Kind

eintretenden Unfallsfolgen insoweit, "als im Schadenersatzanspruch

des ...(Verletzten)... ein übergangsfähiger kongruenter Deckungsfonds

vorhanden ist, wobei diese Verpflichtung der Höhe nach mit der

vertraglichen Haftpflichtversicherungssumme von 2 Mio S beschränkt

ist, welche die Eltern des Beklagten... bei der Versicherung...

abgeschlossen haben".

Das Prozeßgericht erster Instanz wies sowohl das Leistungs- als auch das Feststellungsbegehren ab. Es erachtete für die subsidiäre Haftung nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB zufolge des gesetzlichen Forderungsüberganges eine Abwägung der Vermögenslage des Schädigers und jener des Legalzessionars des Verletzten für angebracht und schätzte den Aufwand des gesetzlichen Krankenversicherungsträgers dabei aufgrund der Aufbringung seiner Mittel grundsätzlich als weniger berücksichtigungswürdig ein als etwa eine Schadensdeckung durch einen Individualversicherer des Geschädigten. Auch sei derzeit die Ausschöpfung der (Haftpflicht-)Versicherungssumme durch mögliche (Direkt-)Ansprüche des Verletzten noch völlig ungewiß.

Das Berufungsgericht gab in Abänderung des erstinstanzlichen Urteiles sowohl dem Leistungs- als auch dem Feststellungsbegehren statt. Dazu sprach das Berufungsgericht aus, daß eine Revisionszulässigkeitsvoraussetzung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO vorliege.

Das Berufungsgericht verwarf die erstrichterliche Ansicht, daß bei der Billigkeitsentscheidung, ob und inwieweit nach den beiderseitigen Vermögensverhältnissen (einschließlich bestehender Deckungsansprüche gegen Dritte, die die Schadenstragung verlagern) der - mangels sonstiger Haftung eines Dritten oder des Beklagten selbst aus einem allgemeinen Haftungsgrund schadenersatzrechtlich als Zufall zu wertende - Nachteil eher vom Schädiger als vom Geschädigten getragen werden sollte, zufolge Legalzession die Leistungsfähigkeit des dem Geschädigten leistungspflichtigen Sozialversicherungsträgers und nicht des Geschädigten selbst der Leistungsfähigkeit des Schädigers gegenüberzustellen wäre. Richtigerweise seien bei der sogenannten Tragfähigkeitsprüfung die Verhältnisse des Schädigers (einschließlich eines allfälligen Deckungsanspruches gegen einen Haftpflichtversicherer) und jene des Geschädigten (ebenfalls einschließlich eines allfälligen Deckungsanspruches gegen einen Versicherer) gegeneinander abzuwägen. Das im Direktprozeß des Geschädigten ergangene, in Rechtskraft erwachsene Urteil übe zwar auf die vom Sozialversicherungsträger als Legalzessionar erhobenen Schadenersatzansprüche keine Rechtskraftwirkung aus, wohl aber eine Tatbestandswirkung insofern, als die (auf denselben privatversicherungsrechtlichen Deckungsanspruch gewiesenen) Direktansprüche (an Schmerzengeld im Betrag von 170.000 S, an Verunstaltungsentschädigung im Betrag von 50.000 S und an - sozialversicherungsrechtlich nicht gedeckten - Aufwendungen im Betrag von 10.000 S) des verletzten Kindes gegen den (nur im Rahmen des versicherungsrechtlichen Deckungsanspruches leistungsfähigen) Beklagten bestünden. Neben diesen Beträgen fände der Krankenbehandlungsaufwand von rund 51.500 S in der Haftpflichtversicherungssumme ausreichend Deckung. Deshalb erübrigten sich im anhängigen Rechtsstreit über die gesetzlich auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Ansprüche Erörterungen über die in der Rechtsprechung nicht einheitlich gelöste Frage, in welchem Ausmaß ein Deckungsanspruch des Schädigers gegen seinen Haftpflichtversicherer einerseits und eine Deckung des Geschädigten durch einen Individualversicherer oder einen Sozialversicherungsträger andererseits bei der richterlichen Billigkeitsentscheidung abzuwägen wären. Der Feststellungsausspruch aber schließe eine Tragfähigkeitsprüfung bei der seinerzeitigen Beurteilung einer Ersatzpflicht in Ansehung künftig eintretender Unfallschäden keinesfalls aus, weil die Billigkeitsentscheidung immer aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (über das jeweilige Leistungsbegehren) zu treffen sei.

Der Beklagte ficht das abändernde Berufungsurteil wegen qualifiziert unrichtiger Lösung von Fragen des materiellen Rechtes mit einem auf Wiederherstellung des klagsabweislichen erstinstanzlichen Urteiles zielenden Abänderungsantrag an.

Die klagende Partei strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig. Sie ist auch zum Teil berechtigt.

Nach dem auf den Direktprozeß des Geschädigten bezugnehmenden Prozeßvorbringen der Streitteile können die Negativvoraussetzungen des auf den dritten Fall des § 1310 ABGB gestützten Ersatzanspruches als außer Streit gestellt angesehen werden. Der Beklagte hat lediglich die Voraussetzungen für den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 125 B-KUVG sowie in Ansehung der nach dieser Gesetzesstelle auf den Sozialversicherungsträger übergangsfähigen Ersatzansprüche die Voraussetzung für eine Ersatzpflicht nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB bestritten.

Soweit ein Anspruch des Verletzten gegen den Schädiger auf Ersatz des Heilungskostenaufwandes (nach der gebotenen Billigkeitsprüfung) besteht, sind die festgestellten Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers einem solchen bürgerlich-rechtlichen Ersatzanspruch kongruent und die Voraussetzung des Forderungsüberganges nach § 125 B-KUVG erfüllt.

Ob die Voraussetzungen nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB für eine Ersatzpflicht des Schädigers, der im Direktprozeß des Verletzten bereits aus dem zitierten Rechtsgrund zur Zahlung eines Schmerzengeldes, einer Verunstaltungsentschädigung sowie eines Ersatzes für verschiedene - sozialversicherungsrechtlich nicht gedeckte - Nebenkosten zur Heilbehandlung im Gesamtbetrag von 230.000 S rechtskräftig verpflichtet wurde, auch für den vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten Heilkostenaufwand im eingeklagten Betrag von rund 51.500 S gegeben sind, ist zunächst unabhängig vom Ausgang des Direktprozesses zu beurteilen.

Das vom Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt der Tatbestandswirkung des im Direktprozeß erflossenen Urteils abgehandelte Problem ist der Sache nach eine in § 156 Abs 3 VersVG und § 336 letzter Satz ASVG geregelte Frage, die allerdings nach der Besonderheit des Haftungsgrundes nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB unmittelbar in die Anspruchsgrundlagen zurückschlägt, weil die Tragfähigkeit des Beklagten nach dem festgestellten Sachverhalt keinesfalls weiter reicht als bis zur Versicherungssumme des nach ständiger Rechtsprechung unterstellten Deckungsanspruches des Schädigers gegen den Haftpflichtversicherer seiner Eltern.

Wiewohl die Billigkeitsentscheidung nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB auch dahin lauten könnte, einen teilweisen Ersatz in der Weise zuzuerkennen, daß der Schädiger einzelne Teilansprüche zur Gänze, andere aber gar nicht zu erfüllen hätte, besteht nach den hier abzuwägenden beiderseitigen Verhältnissen zu einer solchen Art der Anordnung eines Teilersatzes kein Grund.

Wie in zahlreichen bisher entschiedenen Fällen einer strittigen Ersatzlage nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB steht dem Schädiger zum Ausgleich des dem Verletzten zugefügten Schadens nur ein Sonderfonds im unterstellten Deckungsanspruch gegen den Haftpflichtversicherer seiner Eltern, dem Geschädigten selbst aber in vergleichbarer Weise lediglich der im Leistungsanspruch gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung seines Vaters vorhandene Sonderfonds zur Verfügung. Der konkret geltend gemachte Heilkostenaufwand von rund 51.500 S findet neben dem bereits im Direktprozeß des Verletzten rechtskräftig zuerkannten - sozialversicherungsrechtlich nicht gedeckten - Ersatzanspruch von 230.000 S im unterstellten Deckungsanspruch des Schädigers gegen den Haftpflichtversicherer seiner Eltern mit einer Versicherungssumme von 2 Mio S noch ausreichend Deckung; andererseits entspricht er auch dem Leistungsanspruch aus der gesetzlichen Krankenversicherung.

Diese betraglich volle Deckung des zum Schadensausgleich erforderlichen Betrages in durchsetzbaren Ansprüchen gegen Dritte ist die maßgebliche Grundlage für die nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB zu treffende Billigkeitsentscheidung. Dabei ist keine unterschiedliche Wertung danach angebracht, ob der Deckungsanspruch des Geschädigten auf einem Individualversicherungsvertrag oder einem gesetzlichen Leistungsanspruch gegen einen Sozialversicherungsträger beruht.

Entscheidend ist die volle Deckung im jeweiligen Sonderfonds. Es ist daher nach Ansicht des erkennenden Senates für die konkrete Billigkeitsentscheidung ohne Belang und nur von akademischen Interesse, wieweit ein weiterer Schade auch noch jeweils in den beiderseitigen Sonderfonds Deckung fände.

Der billige Ausgleich nach dem dritten Fall des § 1310 ABGB ist bei voller Schadensdeckung sowohl in einem im unterstellten Deckungsanspruch des Schädigers gegen einen Haftpflichtversicherer bestehenden Sonderfonds einerseits und in einem Deckungs- oder Leistungsanspruch des Geschädigten gegen einen Individualversicherer oder Sozialversicherungsträger andererseits vorhandenen Sonderfonds darin zu finden, daß dem Schädiger die Inanspruchnahme seines Deckungsanspruches ebenso wie dem Geschädigten der Rückgriff auf seine Deckung jeweils zur Hälfte zuzumuten ist.

Der Beklagte hat aus diesen Erwägungen der klagenden Partei nach den festgestellten beiderseitigen Vermögensverhältnissen im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz aus dem Grund des § 1310, dritter Fall ABGB den klageweise geltend gemachten Heilungskostenaufwand zur Hälfte zu ersetzen. Der Ersatzanspruch ist gemäß § 125 B-KUVG auf den Sozialversicherungsträger übergegangen.

Dem Leistungsbegehren war daher nur im Ausmaß der Hälfte des eingeklagten Betrages stattzugeben.

Gegen den Feststellungsausspruch spricht alles, was das Berufungsgericht zutreffend zur bloßen Vorläufigkeit und Unvollständigkeit der Ersatzanspruchsbeurteilung im gegenwärtigen Zeitpunkt ausgeführt hat. Wenn die beiderseitige Vermögenslage (unter Einschluß von Deckungs- und Leistungsansprüchen gegen Dritte) im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung über den konkreten künftigen Leistungsanspruch für die Abwägung heranzuziehen sein wird, dann berührt dies die Grundlagen und den Bestand des auf den dritten Fall des § 1310 ABGB zu gründenden Ersatzanspruches, nicht lediglich dessen Höhe. Der Ersatzanspruch als solcher kann daher für die Zukunft nicht beurteilt werden. So, wie das Berufungsgericht seinen Feststellungsausspruch nach seinen Entscheidungsgründen versteht, wird nur über einzelne, nicht feststellungsfähige Anspruchsvoraussetzungen erkannt (nämlich nur darüber, daß ein schuldfähiger Beklagter für bestimmte Ersatzansprüche des Geschädigten in einem bestimmten Ausmaß zu haften hätte).

Aus diesem schon von Kerschner, ÖJZ 1979, 282 ff, 290 dargelegten und mit den Ausführungen in SZ 60/180 nicht widerlegten Grund erachtet der erkennende Senat die Voraussetzungen für einen Feststellungsanspruch über eine auf § 1310, dritter Fall, ABGB gestützte Haftung für künftig entstehende nachteilige Ereignisfolgen für ausgeschlossen.

Das Feststellungsbegehren war aus dieser Erwägung abzuweisen.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten aller drei Instanzen beruht auf § 43 Abs 1 ZPO, in Ansehung der Kosten des Rechtsmittelverfahrens im Zusammenhang mit § 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte