OGH 5Ob523/95

OGH5Ob523/9521.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Adamovic und Dr.Baumann als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Elisabeth S*****, Angestellte, ***** 2.) Angelika S*****, Angestellte, ebendort, und 3.) Andreas S*****, Gastwirt, Inhaber des Gasthof "J*****", ***** alle vertreten durch Dr.Gerald Hauska und Dr.Herbert Matzunski, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Gemeinde A*****, vertreten durch den Bürgermeister Ing.Ägidius B*****, dieser vertreten durch Dr.Franz Purtscher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung hilfsweise Feststellung (Streitwert je S 60.000,--), infolge Revisionsrekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 14. Oktober 1994, GZ 3 R 504/94-18, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Rattenberg vom 20.Juli 1993, GZ 3 C 171/93a-5, als nichtig aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß der erstinstanzliche Beschluß wiederhergestellt wird.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind gleich weiteren Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Mit der am 24.2.1993 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrten die klagenden Parteien von der beklagten Partei die Unterlassung der Ausübung des der beklagten Partei laut Kauf- und Wegregelungsvertrages vom 20.12.1989 eingeräumten Gehrechtes über ihr Grundstück 14/1 in EZ ***** Grundbuch A***** durch Gemeingebrauch und beantragten in eventu die Feststellung, daß das der beklagten Partei auf diesem Grundstück eingeräumte Gehrecht nicht zum Gemeingebrauch des öffentlichen Fußgängerverkehrs berechtige, insbesonders auch nicht nach Erklärung des Gehweges zum Gemeindeweg durch Verordnung. Die beklagte Partei habe das zivilrechtlich zur Nutzung eines nunmehr im Gemeindeeigentum und vorher im Eigentum einer Privatperson stehenden Grundstücks eingeräumte Gehrecht durch Erlassung einer Verordnung am 4.3.1992, womit der betreffende Fußweg gemäß § 13 Tiroler Straßengesetz zum Gemeindeweg erklärt worden sei, widerrechtlich erweitert. Die beklagte Partei maße sich damit ein Recht an, welches ihr nicht zustehe, zumal die vorliegende Dienstbarkeit des Gehrechtes keine taugliche Rechtsgrundlage für die nunmehr ausgesprochene Widmung zum Gemeindeweg sei. Gemäß § 484 ABGB dürften Servituten nicht erweitert, sie müßten vielmehr eingeschränkt werden, sodaß gemäß § 523 ABGB die klagenden Parteien bei Anmaßung einer Servitut, somit auch bei Anmaßung von deren rechtswidriger Erweiterung ein Klagerecht auf Unterlassung hätten.

Die beklagte Partei erhob vor Streiteinlassung zu Beginn der ersten Streitverhandlung am 2.4.1993 einerseits die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges, andererseits die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes und schließlich die Einrede der Streitanhängigkeit der Rechtssache. Der Rechtsweg sei unzulässig, da die klagenden Parteien vor dem ordentlichen Gericht in Wahrheit ein Tätigwerden der beklagten Partei als Hoheitsträgerin wünschten, was jedenfalls unzulässig sei, da in diesem Fall die Grenzen zum Bereich der Hoheitsverwaltung überschritten wurden.

Das Erstgericht wies diese Einreden ab. Rechtlich führte es aus, für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges sei in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüberhinaus der Klagssachverhalt maßgebend; daher sei zu prüfen, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben werde, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden hätten. Der Rechtsweg sei zulässig, da sich das Klagebegehren auf einen privatrechtlichen Anspruch, nämlich auf die Eigentumsfreiheitsklage im Sinne des § 523 ABGB stütze.

Dem gegen diesen Beschluß erhobenen Rekurs der beklagten Partei gab das Rekursgericht nach Nichtigerklärung seines Beschlusses vom 3. Dezember 1993, GZ 3a 601/93-8, (5 Ob 533/94), Folge; es hob den erstgerichtlichen Beschluß sowie das ihm vorausgegangene Verfahren einschließlich der Klagszustellung abermals als nichtig auf und wies die Klage zurück. Der Rechtsweg sei nicht zulässig. Zwar werde ein privatrechtlicher Anspruch, nämlich der Eigentumsfreiheitsanspruch, geltend gemacht, jedoch werde in der Klagserzählung gegen eine von der Gemeinde erlassene Verordnung Stellung genommen, womit der Servitutsweg gemäß § 13 Tiroler Straßengesetz, LGBl Nr 131/1989, zum Gemeindeweg erklärt werde und vorgebracht, die Kläger hätten die Gemeinde aufgefordert, die Erklärung zum Gemeindeweg rückgängig zu machen. Daher ergebe sich aus der Klage, daß ein Tätigwerden der beklagten Partei als Hoheitsträger begehrt werde, indem die Abänderung oder Aufhebung der von der beklagten Partei erlassenen Verordnung erwirkt werden solle. Werde mit der Behauptung eines sachenrechtlichen Anspruches auf das hoheitliche Handeln eines Verwaltungsträgers Einfluß genommen, sei der (ordentliche) Rechtsweg unzulässig (RdW 1988, 321).

Der Verfassungsgerichtshof habe wohl mit Entscheidung vom 23.6.1994, V 10/93-10, über Antrag der klagenden Parteien nach Art 139 Abs 1 B-VG die Verordnung der beklagten Partei "insoweit als gesetzwidrig aufgehoben, als der Fußweg zum "Traterfeld" auf der Gp 14/1 auf einer 1,2 m breiten Trasse zum Gemeindeweg erklärt werde; ein hoheitliches Handeln der beklagten Partei in Befolgung eines dem Klagebegehren stattgebenden Urteils sei daher nicht mehr erforderlich. Insoweit wäre nunmehr das Klagebegehren als rein privatrechtlicher, auf den ordentlichen Rechtsweg gehörender Anspruch zu beurteilen. Die Aufhebung der Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof sei jedoch als Neuerung im Rekursverfahren nicht zu berücksichtigen, weil die Verordnung zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung noch wirksam gewesen sei. Die Aufhebung der Verordnung sei keine nachfolgende Änderung der Rechtslage, sie wirke sich nicht auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien aus; das Bestehen der Verordnung sei vielmehr dem Tatsachenbereich zuzuordnen. Die Unzulässigkeit des Rechtsweges sei in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmen; es sei daher das Verfahren als nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen gewesen. Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige S 50.000,--; der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig; es fehle eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, inwieweit in einer Rechtsmittelentscheidung die Änderung bzw Aufhebung einer mittelbar auf das Prozeßverhältnis der Streitteile einwirkenden Norm zu berücksichtigen sei.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der klagenden Parteien aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, ihn abzuändern und "den Rekurs der beklagten Partei abzuweisen", gemeint wohl den erstgerichtlichen Beschluß wiederherzustellen.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Mit Recht vertreten die Rechtsmittelwerber die Ansicht, daß nach Aufhebung der von der beklagten Partei erlassenen Verordnung, mit der der klagsgegenständliche Weg zum Gemeindeweg erklärt wurde, der öffentlich-rechtliche Anteil des von der beklagten Partei geforderten Handelns weggefallen ist (vgl SZ 61/88 = RdW 1988, 321), sodaß nur mehr der privatrechtliche Teil des Klagebegehrens, der Anspruch auf Unterlassung einer über die vertragliche Grundlage hinausgehenden Inanspruchnahme des Wegerechtes, zu beurteilen ist. Für dieses Klagebegehren ist kein Rechtsweghindernis gegeben, wie auch schon das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat.

Den Revisionsrekurswerbern ist auch insofern beizupflichten, als sie sich gegen die Rechtsansicht des Rekursgerichtes wenden, daß die Aufhebung der Verordnung durch den Verfassungsgerichtshof als Neuerung im Rekursverfahren nicht beachtet werden dürfe.

Das Neuerungsverbot gemäß § 482 ZPO, das auch grundsätzlich im Rekursverfahren gilt (E 11 zu § 526 ZPO in MGA14), bezieht sich nur auf von den Parteien vorgebrachte Ansprüche, Einreden, Tatumstände und Beweise (Kodek in Rechberger Rz 3 zu § 526 ZPO mit Rechtsprechungshinweisen), nicht aber auch von Amts wegen zu beachtende Umstände (Fasching, LB2 Rz 1731), zu denen auch die Rechtswegszulässigkeit gehört (§ 240 Abs 3 ZPO). Der in § 29 erster Satz JN hinsichtlich der die Zuständigkeit des Prozeßgerichtes bestimmenden Umstände normierte Grundsatz der sogenannten perpetuatio fori wird gemäß § 29 zweiter Satz JN unter anderem für die Rechtswegszulässigkeit ausdrücklich eingeschränkt; deren nachträglicher Fortfall hat immer die Nichtigerklärung des gesamten Verfahrens und der Zurückweisung der Klage zur Folge, auch im Rechtsmittelverfahren (SZ 63/11; Mayr in Rechberger, ZPO, Rz 3 zu § 29 JN). Diese Norm des § 29 zweiter Satz JN muß zweiseitig gelesen werden in dem Sinn, daß nicht nur der nachträgliche Eintritt des Prozeßhindernisses zu beachten ist, sondern ebenso auch der nachträgliche Wegfall während des Verfahrens, da einseitige Verfahrensregelungen die von zwei Entscheidsmöglichkeiten nur in einem Fall ein Rechtsmittel zulassen oder ausschließen, (zB § 24 Abs 2 JN; §§ 153, 192 Abs 2, 517 Z 1, 519 Abs 1 Z 1 ZPO ua), durchwegs Ausnahmscharakter haben und aus besonderen Gründen der Prozeßökonomie zu rechtfertigen sind, ohne daß daraus auf eine Begünstigung der Ablehnung, der Wiedereinsetzung, der Nichtunterbrechung des Verfahrens, der Nichtzurückweisung der Klage usw geschlossen werden dürfte. Daher wirkt nicht nur der nachträgliche Eintritt der Zuständigkeitsmerkmale heilend (RdW 1983, 116 = DRdA 1983, 381 mwN unter Hinweis auf Fasching I 224), sondern ebenso auch der nachträgliche Wegfall des Prozeßhindernisses der fehlenden inländischen Gerichtsbarkeit oder der Unzulässigkeit des Rechtsweges (EvBl 1975/63, 128 = EFSlg 23.060/3 durch nachfolgenden Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft des Scheidungsklägers; EvBl 1963/168 betreffend die Unzulässigkeit des Rechtsweges). Demzufolge ist die Aufhebung der Verordnung der beklagten Partei durch den Verfassungsgerichtshof, wodurch die beklagte Partei die Ausweitung des Wegerechtes in einer öffentlich-rechtlichen Form in Anspruch nahm, in der Weise zu berücksichtigen, daß der ordentliche Rechtsweg für den nunmehr ausschließlich privatrechtlich zu beurteilenden Anspruch der klagenden Parteien zulässig ist. Der Teil des Wortlautes des hilfweise gestellten Feststellungsgehrens "....insbesondere auch nicht nach Erklärung des Gehweges zum Gemeindeweg durch Verordnung", ist nicht auf die Aufhebung einer Verordnung gerichtet, sondern bewirkt lediglich eine Klarstellung in zeitlicher Hinsicht; dies ist nach Aufhebung der Verordnung nunmehr gegenstandlos geworden.

Es war daher der Beschluß der ersten Instanz wieder herzustellen.

Der Kostenausspruch gründet sich auf § 52 ZPO.

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