OGH 14Os79/95

OGH14Os79/9514.9.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.September 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Ebner, Dr.E.Adamovic und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Unterrichter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Elfriede B***** wegen des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 28. März 1995, GZ 31 Vr 2.059/94-53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Eva B***** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Verbrechens des Menschenhandels nach § 217 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt, weil sie von August 1992 bis 28.März 1995 in Linz gewerbsmäßig acht namentlich angeführte weibliche Staatsangehörige der Dominikanischen Republik, mögen diese auch bereits der gewerbsmäßigen Unzucht ergeben gewesen sein, der Unzucht in einem anderen Staat, als in dem, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen oder in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, zugeführt hat, indem sie ihnen Unterkunft gewährte, Räumlichkeiten zur Ausübung der Prostitution bereitstellte und sie polizeilich anmeldete.

Diesen Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus den Gründen der Z 5, 5 a, 9 lit a und lit b des § 281 Abs 1 StPO.

Nach dem wesentlichen Urteilssachverhalt vermietete die Beschwerdeführerin den betreffenden Ausländerinnen, welche teilweise bereits mehrere Jahre hindurch in Österreich der Prostitution nachgegangen waren, aber kaum Deutschkenntnisse besitzen, an der Erlernung dieser Sprache auch kein großes Interesse haben und deshalb keine beständigen sozialen Kontakte zu Inländern aufbauen konnten, über deren jeweilige Initiative in dem von ihr in Linz betriebenen Nachtclub "O*****" zum Preis von 350 S bis 400 S pro Tag Räume, die sowohl als Wohnmöglichkeit als auch zur Ausübung der Prostitution dienen sollten und erteilte ihnen die dazu in ihrem Club nötigen Informationen. Sie schrieb den Frauen den Preis für den Vollzug des Geschlechtsverkehrs vor. Die dadurch erzielten Einnahmen sollten den Prostituierten zur alleinigen Verfügung stehen. Lediglich die im Preis inbegriffenen Kosten für die von den Gästen konsumierten Getränke waren an die Angeklagte abzuliefern. Darüber hinaus vereinbarte sie mit ihnen eine prozentuelle Beteiligung am Getränkeumsatz.

Alle Ausländerinnen waren nach Österreich gekommen, um hier "viel Geld zu verdienen" (US 6), dadurch ihren Lebensstandard und den ihrer Familie zu verbessern, insbesondere aber, um in ihrer Heimat Häuser zu bauen und schließlich dorthin zurückzukehren. Zwei von ihnen sind mittlerweile allerdings mit einem Österreicher verheiratet.

In der Dominikanischen Republik waren die Frauen - entsprechend ihrer Ausbildung - als Fabriksarbeiterinnen, Reinigungsfrauen, Kellnerinnen oder Verkäuferinnen tätig gewesen und hatten dafür einen entsprechenden Lohn bezogen (US 3-9).

Rechtliche Beurteilung

In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß die (bloße) Eingliederung der - im Inland zur Prostitution entschlossenen - Frauen in den von der Angeklagten geführten Bordellbetrieb im Wege der im Urteilsspruch angeführten Handlungen dem Begriff des "Zuführens" im Sinne des § 217 Abs 1 StGB entspreche. Es stützte sich dabei auf zur Auslegung dieses Tatbestandsmerkmales ergangene Rechtsprechung (11 Os 134/93, in gleichem Sinne 11 Os 172/93), in welcher diese Rechtsansicht in dieser Form jedoch keine Deckung findet.

Der Tatbestand des Menschenhandels stellt seinem Wesen nach ein typisches Ausbeutungsdelikt dar (Leukauf-Steininger Komm3 § 217 RN 6), dessen Schutzzweck darin liegt, die Schaffung eines Abhängigkeitsverhältnisses zu verhindern, dem Prostituierte in einem fremden Staat dann unterliegen, wenn es ihnen schwer oder überhaupt nicht möglich ist, selbst mit den Behörden Kontakt aufzunehmen; steht ihnen doch in dieser Situation die Wahl, das unzüchtige Gewerbe fortzusetzen oder nicht, nicht mehr offen (30 Blg XIII.GP, 364).

Die bloße Unterstützung einer zur gewerbsmäßigen Unzucht in einem fremden Staat entschlossenen Person genügt zur Herstellung des Tatbestandes noch nicht, weil Zuführen mehr als bloße Hilfe bedeutet und die Einflußnahme, soll sie dem Begriff des Menschenhandels gerecht werden, mit Rat und Tat geschehen muß (Leukauf-Steininger Komm3 § 217 RN 5; 12 Os 165/91); sei es durch gezielte Beeinflussung der Frauen, im Ausland der Prostitution nachzugehen (Leukauf-Steininger aaO; 13 Os 17, 21/95), sei es - wie im konkreten Fall - durch Aufnahme und Eingliederung von zur Ausübung der Prostitution bereits entschlossenen Ausländerinnen in einen Bordellbetrieb, soferne diese Eingliederung unter Umständen erfolgt, die als (dolose) Ausnützung eines drückenden Abhängigkeitsverhältnisses zu beurteilen sind (11 Os 134/93).

Feststellungen, die eine solche Beurteilung zuließen, hat das Erstgericht - wie die Angeklagte zu Recht (Z 9 lit a) einwendet - nicht getroffen.

Daß die betreffenden Frauen - wenn auch teilweise mit finanzieller Hilfe Dritter - nach Österreich einreisten, um hier "viel" zu verdienen, in ihrer Heimat Häuser zu bauen und den Lebensstandard ihrer Familie zu verbessern, spricht für sich allein nicht für eine durch eine Notlage bedingte drückende Abhängigkeit dieser Personen. Eine eingehendere Befassung mit der Abhängigkeitskomponente wäre daher geboten gewesen. Dies umso mehr, als weitere der Annahme eines relevanten Abhängigkeitsverhältnisses entgegenstehende Beweisergebnisse vorliegen. Dies betrifft nicht nur das von den Prostituierten erzielte - den im Akt erliegenden Unterlagen nach - offensichtlich sehr hohe und mit ihren sonstigen Verdienstchancen auf dem inländischen Arbeitsmarkt nicht vergleichbare, an sich für finanzielle Unabhängkeit sprechende Einkommen von bis zu 60.000 S monatlich. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Aussagen einzelner Frauen zu verweisen, wonach diese in Österreich keineswegs nur und von Anfang an der Prostitution nachgegangen seien (S 205 f/I, 65/II), eine andere, ihrer Ausbildung entsprechende Beschäftigung gar nicht annehmen wollten (S 65, 73 f/II), das (hohe) Einkommen nicht für den Unterhalt der Kinder, sondern allein für persönliche Bedürfnisse und den Bau eines Hauses verwendeten (S 61 f/II iVm S 122/I) bzw überhaupt kinderlos seien und allein zwecks Ankaufs "schöner Kleidung", von Parfum, Schmuck und einer Liegenschaft in Österreich der Prostitution nachgingen (S 83 f/II).

Im Recht ist die Angeklagte auch mit ihren die erstgerichtliche Negation eines gewöhnlichen Aufenthalts der ausländischen Prostituierten im Inland betreffenden Rügen (Z 5 und Z 9 lit a).

Die Feststellungen zum Inlandsbezug dieser Personen (US 11 und 12) lassen nämlich nicht nur mehrere, den getroffenen Annahmen (teilweise) entgegenstehende Beweisergebnisse unberücksichtigt und sind solcherart im Sinne der Mängelrüge (Z 5) mit Begründungsmängeln behaftet, sie weisen als Folge einer unzutreffenden Rechtsansicht auch Lücken auf, die eine abschließende rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nicht zulassen (Z 9 lit a).

Die pauschale Konstatierung, alle von der Beschwerdeführerin beschäftigten Prostituierten seien nicht in der Lage gewesen, soziale Kontakte zu Inländern aufzubauen und hätten nicht einmal Grundkenntnisse der deutschen Sprache, setzt sich beispielsweise über die Aussage der Zeugin Dora del Carmen S***** hinweg, mit einer österreichischen Freundin eine eigene Wohnung in Leonding zu bewohnen und einen österreichischen Freund zu haben, mit dem sie - soweit sie könne - deutsch spreche (S 61 f/II). Dies gilt auch für die Angaben von Monica Antonia Caraballo V***** (S 77/II), ihren österreichischen Ehemann zum Zeitpunkt, als sie im Club der Angeklagten zu arbeiten begann, bereits gekannt und ihn kurze Zeit danach geheiratet zu haben. Gleichfalls unberücksichtigt blieben Depositionen der Zeugin Angela Adalgiza Reyes A*****, seit langer Zeit einen österreichischen Freund zu haben, den sie vielleicht heiraten werde (S 85 f/II). Dazu kommt, daß die Zeugin Juana Arelis Roque A***** (S 69 f/II) über ihre sozialen Kontakte zu Inländern nicht befragt wurde und in Ansehung der Prostituierten Luz Maria G***** eine Beurteilungsgrundlage zur Feststellung ihres gewöhnlichen Aufenthaltes im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt (Oktober 1993; Punkt d des Urteilssatzes) überhaupt fehlt, weil die polizeiliche Vernehmung (S 101 f/I) dafür keinerlei Anhaltspunkte liefert. Insoweit ist das Urteil demnach im Sinne der Mängelrüge (Z 5) unvollständig bzw offenbar unzureichend begründet.

Durch unerörterte Beweisergebnisse ist ferner die Urteilsannahme in Frage gestellt, alle im Club "O*****" beschäftigten Frauen hätten (gemeint: in unbestimmter Zukunft) in ihre Heimat zurückkehren wollen.

Abgesehen davon, daß auch eine auf längere Zeit in Aussicht genommene - freiwillige (dh nicht mit einem Ausbeutungsverhalten spezifisch verknüpfte; vgl 11 Os 134/94) - Aufenthaltnahme zur Annahme des gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland als gewolltem Mittelpunkt der wirtschaftlichen und sozialen Lebensinteressen genügt und demnach - wie der Rechtsrüge (Z 9 lit a) auch in diesem Zusammenhang zuzugeben ist - Feststellungen zur inneren Einstellung der Ausländerinnen bezüglich ihres Aufenthalts in Österreich erforderlich gewesen wären, übergeht das Schöffengericht in diesem Zusammenhang mehrere Zeugenaussagen, die der gerügten Annahme widerstreiten. Dies trifft vor allem auf die Angaben von Prostituierten zu, sie wüßten nicht, ob sie für immer in Österreich bleiben werden (S 67/II), möchten irgendwann nach Hause zurückkehren, ohne zu wissen, wann dies sein könne (ON 9/I), hätten schon im Zeitpunkt, als sie hier ankamen, in Österreich bleiben wollen (S 77/II), hielten es für möglich, hier zu bleiben, weil sie sich in Österreich heimisch fühlten (S 211/I), und gingen jedenfalls erst in ihre Heimat zurück, wenn sie dort ein Haus gebaut hätten; wann dies sei, wüßten sie nicht; sie fühlten sich hier jedenfalls wohl und hätten viele Freunde (S 81/II).

Die Konstatierung, Monica Antonia Caraballo V***** sei in der Hoffnung in das Bordell der Angeklagten gekommen, ihre finanzielle Situation zu verbessern, in Österreich zu heiraten und hier zu bleiben (US 6), ist mit der gerügten Annahme überhaupt unvereinbar, sodaß die Mängelrüge (Z 5) auch insoweit begründet ist.

Die aufgezeigten Begründungs- und Feststellungsmängel machen die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung unumgänglich, weshalb bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung der Schuldspruch zu kassieren war (§ 285 e StPO), ohne daß es noch eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte.

Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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