Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
"Das Begehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei für die Folgen des Unfalles vom 22.2.1991 eine Integritätsabgeltung zu leisten wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die Hälfte der Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz 17.885,12 S (darin enthalten 2.980,96 S Umsatzsteuer) sohin einen Betrag von 8.942,56 S binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die Hälfte der mit 22.852 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 3.792 S Umsatzsteuer), sohin einen Betrag von 11.426 S binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am Unfallstag, dem 22.2.1991 waren der Kläger, sowie die Arbeiter Karl D*****, Karl A***** und der Baggerfahrer Anton H***** den zweiten Tag auf einer Baustelle an einer Bahnlinie Fundamente für Maste zu graben. Der Kläger war eigentlich als Zimmermann bei dem ausführenden Bauunternehmen beschäftigt, wurde aber auch vorher bereits wiederholt zu Arbeiten bei der Errichtung von Fundamenten herangezogen.
In diesem Bereich verläuft etwa 2,75 über dem Niveau des darunter liegenden Geländes eine Bundesstraße, deren Begrenzung durch eine Stützmauer gesichert ist. Wenige Meter von der Stützmauer entfernt verläuft im darunter liegenden Gelände auf einem Damm parallel zur Straße eine Bahnlinie. Aufgabe der Arbeiter war es, neben dieser Bahnlinie unmittelbar am Fuß der Stützmauer ein 1 x 1 m großes 90 cm tiefes Loch zu graben. Der Kläger und Karl D***** hatten das Erdreich mit Preßlufthämmern zu lockern, der Abraum wurde dann mit einem Löffelbagger, der auf der darüberliegenden Straße stand, aus dem Loch herausgehoben. Dazu mußte der Bagger direkt an die Stützmauer heranfahren - er konnte aber in dieser Position nich tlänger stehenbleiben, weil er dabei den Verkehr auf der Bundesstraße blockierte -, um mit dem Löffel in das Loch greifen zu können. Dabei hatte der Baggerfahrer von der geschlossenen Fahrerkabine aus keine Sicht auf das Bauloch. Bereits am Vortag waren von der Arbeitsgruppe gemeinsam auf diese Art mehrere Löcher ausgehoben worden. Am Unfallstag herrschte sehr kaltes Wetter mit Temperaturen, die erheblich unter -10 Grad lagen. Wegen dieser tiefen Temperaturen vereisten die Preßlufthämmer immer wieder und mußten mit Hammerschlägen vom Eis befreit werden. Wenn diese Werkzeuge vereist waren, entwich die Preßluft unter lautem Zischen; die dabei auftretende Lärmintensität überschritt bereits die Schmerzschwelle.
Als das eben bearbeitete Fundamentloch bereits eine Tiefe von etwa 60 cm aufwies, entfernten sich die Kläger und Karl D***** aus diesem Loch und einer der beiden Männer zeigte dem Baggerfahrer, daß das Erdreich aus dem Loch zu entfernen sei. Daraufhin fuhr der Baggerfahrer zur Stützmauer und langte 2 bis 3-mal in das Bauloch, um das Material daraus zu entfernen. Zu diesem Zeitpunkt waren gerade wieder die Preßlufthämmer vereist, weshalb wieder starker Lärm auftrat. Während der Bagger arbeitete, sagte der Kläger zu Karl D*****, daß er noch einmal in das Loch steigen werde, um Erdreich für die Baggerschaufel vorzubereiten, was D***** allerdings wegen des starken Lärms nicht hörte. D***** sah jedoch, daß sich der Kläger anschickte, wieder in das Fundamentloch zu steigen und sagte zu ihm, er möge weggehen, weil der Bagger noch einmal zufassen werde; dies verstand allerdings der Kläger wegen des starken Lärms nicht. Dabei drehte sich D***** um, um den Preßlufthammer vom Eis zu befreien. Als er wieder zum Bauloch blickte, nahm er gerade wahr, daß der Baggerarm zum Bauloch geführt wurde, in dem sich der Kläger befand. D***** sprang sofort auf den Bahndamm an die Stelle, von der aus dem Baggerfahrer Zeichen gegeben werden konnten, die von diesem wahrgenommen werden konnten und deutete dem Fahrer aufzuhören. Der Baggerarm hatte jedoch den Kläger bereits erfaßt und schwerstens verletzt. Vor dem Unfall hatten einmal der Kläger und ein anderes Mal Karl D***** dem Baggerfahrer das Zeichen zum Ausheben gegeben.
In diesem Bereich befanden sich mehrere Arbeitspartien, die nicht in örtlichem Zusammenhang standen; ein direkter Kontakt zwischen den Arbeitspartien bestand nicht. Die Bauhütte lag etwa 300 m von der Unfallstelle entfernt. Der Polier, der für alle Arbeitspartien zuständig war, befand sich im Unfallzeitpunkt nicht in der Nähe der Arbeitspartie des Klägers. Ein Einweiser war nicht bestimmt worden; Sicherheitsanweisungen wurden nicht erteilt. Der Polier hatte an diesem Tag bei Arbeitsbeginn eine schnellere Durchführung der Arbeiten urgiert.
Unbestritten ist, daß beim Kläger als Folge der Verletzung ein Integritätsschaden von 100 vH besteht.
Am 14.4.1992 stellte der Kläger den Antrag auf Gewährung einer Integritätsabgeltung. Über diesen Antrag erging in der Folge kein Bescheid.
Mit Säumnisklage vom 21.7.1993 begehrt der Kläger, die beklagte Partei zur Leistung einer Integritätsabgeltung im gesetzlichen Ausmaß zu verpflichten. Der Unfall sei durch grob fahrlässige Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht worden. Es sei kein dauernder Einweiser bestimmt worden, was inbesondere deshalb notwendig gewesen wäre, weil der Baggerfahrer keine Sicht auf die Arbeitsstelle gehabt habe. Überdies habe der Polier eine weitere Beschleunigung der Arbeiten verlangt.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Eine grobe fahrlässige Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften sei nicht vorgelegen. Das Strafverfahren gegen den Baggerfahrer sei eingestellt worden; Karl D***** sei rechtskräftig freigesprochen worden, weil ihn kein Verschulden treffe. Weder das Arbeitsinspektorat noch der Unfallverhütungsdienst hätten eine Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften festgestellt.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger eine Integritätsabgeltung im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen. Es stellte die von der Judikatur zur Frage der groben Fahrlässigkeit entwickelten Grundsätze dar. Mit dem Begriff "Arbeitnehmerschutzvorschriften" in § 213 a ASVG verweise der Gesetzgeber auf alle Normen des österreichischen Arbeitnehmerschutzrechtes. Hier liege ein Verstoß gegen Bestimmungen der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) wie auch der Bauarbeitnehmerschutzverordnung vor. Gemäß § 92 Abs 7 AAV seien Unterweisungen vorzunehmen und nach Erfordernis, zumindest jedoch einmal im Kalenderjahr in dem jeweils gebotenen Umfang zu wiederholen. Dies sei hier unterblieben. Gemäß § 3 Bauarbeiterschutzverordnung, BGBl 1954/267 seien Bauarbeiten unter Aufsicht einer fachkundigen Person mit der erforderlichen Sorgfalt nach fachmännischen Grundsätzen auszuführen; wenn die Aufsichtsperson nicht ständig anwesend sei, habe der Dienstgeber für jede selbständige Arbeitsstelle, an der zwei oder mehr Dienstnehmer beschäftigt seien, einen auf der Baustelle beschäftigten Dienstnehmer als Anordnungsbefugten für die Einhaltung der für die Arbeitsstelle geltenden Dienstnehmervorschriften zu bestimmen. Der Anordnungsbefugte sei von der mit der Aufsicht betrauten fachkundigen Person über die bei den auszuführenden Arbeiten zu beobachtenden Dienstnehmerschutzvorschriften zu belehren. Gemäß § 72 Abs 3 dieser Verordnung müsse der Bedienungsstand von Baumaschinen möglichst so angeordnet sein, daß der die Maschine Bedienende deren Arbeitsbereich überblicken könne; sei dies nicht möglich, so seien die zur Vermeidung von Unfällen entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Die Baustelle, auf der der Kläger tätig gewesen sei, sei in keinem räumlichen Zusammenhang mit einer anderen Baustelle gestanden. Die Bestellung eines Anordnungsbefugten, die unter diesen Umständen erforderlich gewesen wäre, sei jedoch unterblieben. Es sei von vornherein klar gewesen, daß dem Baggerführer die Sicht auf die Arbeiter im Bauloch nicht möglich gewesen sei, weshalb es im Sinne des § 72 Abs 2 der Verordnung entsprechender Sicherheitsvorkehrungen, insbesondere der Bestellung eines Einweisers bedurft hätte. Dem Arbeitgeber habe auch klar sein müssen, daß die Preßluftwerkzeuge unter den gegebenen Bedingungen immer wieder vereisen und dann eine verbale Verständigung zwischen den Arbeitern nicht möglich sei. Es sei daher von vornherein vorhersehbar gewesen, daß es einer kritischen Situation zu Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Arbeitern komme könne. Wäre ein Einweiser bestellt worden, so wäre diesem die Aufgabe zugekommen, für die Reinigung der Preßluftgeräte zu sorgen und dem Baggerfahrer Zeichen zu geben, damit keine Gefährdung der Arbeiter eintrete. Die Unterlassung dieser Vorkehrungen sei als ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung der Sorgfaltspflichten zu qualifizieren, zumal die Beteiligten noch zu einem höheren Arbeitstempo angehalten worden seien, was zu einer Gefahrenverschärfung beigetragen habe; der Eintritt des Unfalles sei lediglich eine Frage der Zeit gewesen. Auf Seiten der Arbeitnehmer sei unter den gegebenen Umständen kein Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften vorgelegen, zumal sie über solche gar nicht belehrt worden seien.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das Urteil des Erstgerichtes mit der Maßgabe, daß es die beklagte Partei zur Leistung einer Integritätsabgeltung von 1,008.000 S verpflichtete. Es erachtete die Feststellungen des Ersturteiles für vollständig und unbedenklich und trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei. Gemäß § 3 Abs 2 Bauarbeiterschutzverordnung wäre im Hinblick auf die Ausgestaltung der Baustelle bzw der mehreren Arbeitsstellen im Rahmen einer Gesamtbaustelle für die konkrete Arbeitsstelle die Nominierung eines Anordnungsbefugten erforderlich gewesen. Diese Norm diene nicht nur dem geordneten Ablauf der Bauarbeiten, sondern insbesondere auch dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der Dienstnehmer durch Hintanhaltung von Unfällen. Diesem Zweck diene auch die Anordnung des § 72 Abs 3 dieser Verordnung, der ebenso nicht beachtet worden sei. Zutreffend sei das Erstgericht auch zu dem Ergebnis gelangt, daß die Unterweisungspflicht gemäß § 92 AAV verletzt worden sei. Die Unterweisung wäre hier insbesondere deshalb erforderlich gewesen, weil der Kläger als Zimmermann erstmals am Vortag zu diesen Arbeiten herangezogen worden sei. Insgesamt sei vom Vorliegen grober Fahrlässigkeit auszugehen. Unrichtig sei allderings der Urteilsspruch des Erstgerichtes. Ein Fall des § 89 Abs 2 ASGG liege nicht vor, weil die Höhe der Leistung leicht zu ermitteln sei. Ein Urteil dem Grunde nach im Sinne der zitierten Gesetzesstelle sei unter diesen Umständen nicht zulässig. Es sei vielmehr dem Kläger der ziffernmäßige Betrag der Integritätsabgeltung zuzusprechen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Begehren des Klägers abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Da das Datum der Entscheidung des Berufungsgerichtes vor dem 1.1.1995 liegt, sind für die Frage der Zulässigkeit der Revision die Bestimmungen des ASGG idF vor der Novelle 1994 anzuwenden (Art X § a Abs 1, § 2 Z 7 BGBl 1994/624). Die Revision ist daher gemäß § 46 Abs 1 Z 2 ASGG idF vor der Novelle 1994 jedenfalls zulässig.
Die Revision ist auch berechtigt.
Der die Integritätsabgeltung regelnde § 213 a ASVG wurde durch Art III Z 3 der 48.ASVGNov BGBl 1989/642 eingefügt. Die Gesetzesmaterialien (AB 1142 BlgNR 17.GP, 2) verweisen zum Begriff der groben Fahrlässigkeit auf die einschlägige Judikatur zu § 334 ASVG, deren Grundsätze unter Anführung einiger Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes und unter Berufung auf die Ausführungen Reischauers in Rummel, ABGB II (damals noch 1.Auflage) zu § 1324 dargestellt wurden.
Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 334 Abs 1 ASVG ist danach dem Begriff der auffallenden Sorglosigkeit im Sinne des § 1324 ABGB gleichzusetzen und nur dann anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt, die den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen läßt. Sie erfordert, daß ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist. Eine strafgerichtliche Verurteilung reicht für sich allein für die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus. Es sind jeweils die Umstände des Einzelfalles zu prüfen (SZ 51/128 mwN). In diesem Sinne ist auch die Tatbestandsvoraussetzung der groben Fahrlässigkeit in § 213 a ASVG zu definieren (SSV-NF 6/61). Das Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften reicht für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht aus. Entscheidende Kriterien für die Beurteilung des Fahrlässigkeitsgrades sind auch nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Dabei ist im wesentlichen zu prüfen, ob der Betreffende ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (9 Ob A 315/92 mwN).
Der von Meistel/Widlar, Die Integritätsabgeltung - eine neue Leistung der Unfallversicherung, SozSi 1991, 362 f (367) unter Berufung auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes aus 1960 (SozSi 1960, 367) vertretenen Meinung, grobe Fahrlässigkeit werde immer anzunehmen sein, wenn ein Unternehmer oder Gleichgestellter jene Aufmerksamkeit vermissen lasse, die in einem Betrieb im Interesse der Unfallverhütung erwartet werden müsse, kann nicht gefolgt werden, weil dann jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift eine grobe Fahrlässigkeit bedeuten würde; damit würden leichte und große Fahrlässigkeit einander gleichgestellt (so auch Reischauer, Neuerungen beim Arbeitgeber-Haftungsprivileg, DRdA 1992, 317 f [326]). Für Reischauer in Rummel, ABGB II2 § 1324 Rz 3 ist im übrigen grobe Fahrlässigkeit (= auffallende Sorglosigkeit) extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt, das auch subjektiv schwerstens vorwerfbar sein muß. Er vertritt aaO die Ansicht, daß auch der Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften als solcher nicht schon grobe Fahrlässigkeit bedeute. Auch wenn bei einer Schädigung mehrfach gegen Schutzgesetze verstoßen worden sei, entscheide nicht die Quantität der Verstöße, sondern ihre Schwere.
Dörner, Die Integritätsabgeltung nach dem ASVG (1994) bemerkt durchaus zutreffend, daß der Unterschied zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit rein maßgeblich und nur aus den Umständen des Einzelfalles ableitbar sei (73). Soweit dieser Autor die auch in der Rechtsprechung vertretene Ansicht, daß ein einmaliges Zuwiderhandeln gegen Unfallverhütungsvorschriften für sich allein zur Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreiche, für den Bereich der Integritätsabgeltung strikt ablehnt (74 mit FN 301 f, 75), kann ihm jedenfalls insoweit beigepflichtet werden, daß dies nach den Umständen des Einzelfalles auch anders sein kann. Hingegen ist seine Meinung, es könne nicht darauf ankommen, daß der Unternehmer (Aufseher etc) aufgrund seiner Fähigkeiten die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und die Rechtswidrigkeit seines Handelns (Unterlassens) tatsächlich hätte erkennen und dementsprechend hätte handeln können (75 f FN 310 f), nicht zu folgen. Er verkennt dabei, daß es in diesem Zusammenhang nicht darum geht, ob der Arbeitsunfall durch die fahrlässige Auerachtlassung von Schutznormen verursacht wurde, sondern um die Abgrenzung des Grades der Fahrlässigkeit. Zuzustimmen ist Dörner allerdings wieder darin, daß für die Beurteilung des Verschuldens ein objektiver, jedoch nach Betriebshierarchie typisierender Maßstab anzulegen ist (10 Ob S 217/94). Daß die Integritätsabgeltung gemäß § 213 a Abs 1 ASVG nicht schon dann gebührt, wenn der Arbeitsunfall durch leicht fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde, sondern diesbezüglich große Fahrlässigkeit gefordert wird, ist auch verfassungsgrechtlich nicht bedenklich (10 Ob S 217/94 mwH).
Prüft man den vorliegenden Fall unter Anlegung dieser Maßstäbe, so ergibt sich, daß die Verstöße gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften, die die Vorinstanzen zugrundelegten, nicht als grob fahrlässig zu qualifizieren sind.
Gemäß § 72 Abs 3 der Verordnung vom 10.November 1954 über die Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit von Dienstnehmern bei der Ausführung von Bauarbeiten, Bauneben- und Bauhilfsarbeiten BGBl 1954/267 (Bauarbeiterschutzverordnung) muß der Bedienungsstand von Baumaschinen möglichst so angeordnet sein, daß der die Maschine Beienende deren Arbeitsbereich überblicken kann. Sofern dies noch möglich ist, sind zur Vermeidung von Unfällen entsprechende Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Im Hinblick auf die örtliche Situation war an der Baustelle, an der der Kläger beschäftigt war, dem Baggerfahrer der Einblick in den Arbeitsbereich nicht möglich. Dem wurde aber dadurch Rechnung getragen, daß der Bagger immer nur dann vorübergehend zum Einsatz kam, wenn dessen Fahrer von den Arbeitern, die mit der Lockerung des Erdreiches beschäftigt waren, hiezu aufgefordert wurde. Beiden Arbeitern und damit auch dem Kläger war dies bekannt und beide wußten, daß sie sich bei Einsatz des Baggers außerhalb des Gefahrenbereiches aufhalten mußten, weil der Maschinenführer eben keine Sicht auf den Bereich hatte, in dem mit der Baggerschaufel die Grabungsarbeiten durchgeführt wurden. Beiden Arbeitern oblag es alternativ, den Baggerfahrer einzuweisen. Der Unfall eriegnete sich nicht deshalb, weil der Baggerfahrer unrichtig eingewiesen wurde, sondern weil sich der Kläger, in Kenntnis dessen, daß der Bagger im Einsatz war, in den Gefahrenbereich begab. Es kann unerörtert bleiben, ob durch die Anordnung, daß der Baggerfahrer die Maschine nur über Anweisung eines der beiden Arbeiter zum Einsatz zu bringen hatte, den in § 72 Abs 3 Bauarbeiterschutzverordnung angeordneten Sicherheitsvorkehrungen voll entsprochen wurde. Da davon ausgegangen werden konnte, daß sich die Arbeiter während der Zeit, während der der Bagger über ihre Einweisung im Einsatz war, außerhalb des Gefahrenbereiches aufhalten werden, überschreitet die Unterlassung allfälliger weiterer Sicherheitsvorkehrungen jedenfalls nicht den Rahmen der leichten Fahrlässigkeit.
Daß der Aufenthalt in dem für den Baggerfahrer abgedeckten Arbeitsbereich mit Gefahren verbunden war, lag auch für den Kläger auf der Hand, so daß der Umstand, daß regelmäßige Unterweisungen (§ 92 AAV - nunmehr geregelt in § 14 ASchG BGBl 1994/450) nicht erfolgten, unter Berücksichtigung des Ablaufes der Ereignisse, die nicht zum Unfall führten, nicht besonders ins Gewicht fällt. Daß der besondere Hinweis auf eine Gefahr, die dem Arbeiter ohnehin bekannt war, im Rahmen einer Unterweisung unterlassen wurde, hat nicht zur Folge, daß mit dem Eintritt eines Unfalles geradezu gerechnet werden mußte; dies wäre aber die Voraussetzung für die Qualifikation der Unterlassung als grobe Fahrlässigkeit. Gleiches gilt für die Unterlassung der Bestellung eines Anordnungsbefugten. Es ist nicht entscheidend, ob es sich bei der Grube, die der Kläger und sein Arbeitskollege auszuheben hatten, um eine selbständige Arbeitsstelle handelte, für die ein Anordnungsbefugter (einer der beiden Arbeiter) zu bestellen gewesen wäre. Im Hinblick auf die oben dargestellten Umstände konnte nämlich keineswegs als wahrscheinlich angesehen werden, daß die Unterlassung dieser Maßnahme zu einem Unfall der dargestellten Art führen werde, waren sich doch, beide Arbeiter der Gefahrenträchtigkeit ihrer Arbeit voll bewußt. Abgesehen davon kann keineswegs davon ausgegangen werden, daß im Falle der Bestellung eines Anordnungsbefugten der Unfall unterblieben wäre, hätte doch auch der Kläger hiezu bestellt werden können; daß er sich in diesem Fall anders verhalten hätte, kann nicht angenommen werden.
Weder den für die Organisation der Baustelle Verantwortlichen, noch den unmittelbaren Arbeitskollegen des Klägers fällt daher grobe Fahrlässigkeit zur Last. Grob fahrlässig war vielmehr ausschließlich das Verhalten des Klägers, der sich in voller Kenntnis des Umstandes, daß der Baggerfahrer, keine Sicht auf die Arbeitsstelle hatte, in die Baugrube begab. Unter diesen Umständen mußte der Kläger geradezu damit rechnen, daß er von der Maschine verletzt würde. Ursache des Unfalles war daher die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften durch den Kläger selbst. In diesem Fall ist aber aufgrund § 1 Abs 2 Z 1 der Richtlinien über die Leistung einer Integritätsabgeltung gemäß § 213 a ASVG (SozSi 11/91) die Leistung einer Integritätsabgeltung ausgeschlossen. Die Bestimmung des § 1 Abs 2 Z 1 der Richtlinien ist allerdings umstritten Dörner, Integritätsabgeltung, 136 führt dazu aus, daß sich dieser Anspruchsausschluß weder aus § 213 a ASVG noch aus einer sonstigen Bestimmung des ASVG ableiten lasse. Ganz im Gegenteil sei in § 175 Abs 6 ASVG ausdrücklich festgehalten, daß verbotswidriges Handeln die Annahme eines Arbeitsunfalles nicht ausschließe. Wenn sich diese Norm auch nur auf das Vorliegen bzw Nichtvorliegen des Versicherungsfalles beziehe, während § 1 Abs 2 Z 1 der Richtlinien bei Eigenverschulden die Leistung an sich ausschließen wolle, werde das Problem der Maßgeblichkeit des Verschuldens bloß auf eine andere Ebene transferiert und widerspreche auch in dieser Konstruktion den Grundsätzen des Unfallsversicherungsrechtes. Unter Berücksichtigung des dem Verfassungsrecht innewohnenden Konzeptes einer hierarchischen Gliederung der Rechtsquellen meldet der Autor Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Richtlinien an (aaO 138).
Auch Reischauer, DRdA 1992, 315 ff [325 f] vertritt die Ansicht, daß § 1 Abs 2 Z 1 der Richtlinien gegen § 18 Abs 2 B-VG verstoßen, weil eine gesetzliche Deckung für einen Leistungsausschluß bei Fremdverschulden und grobem Eigenverschulden des Dienstnehmers fehle. Er räumt allerdings ein, daß es nicht der Absicht des Gesetzes entsprechen könne, dem Dienstnehmer, der sich ohne jedes Fremdverschulden verletze, eine Integritätsabgeltung zu gewähren. Es wäre nämlich unverständlich, wollte man dem Dienstnehmer, der sich grobfahrlässig selbst beschädige, diesen Anspruch gewähren, nicht aber demjenigen, der sich selbst leichtfahrlässig verletze.
Meisel/Widlar (SozSi 1991, 364) rechtfertigen den Leistungsausschluß damit, daß bei Eigenverschulden auch keine zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche bestehen. Dieser Ansicht ist beizutreten.
Wie schon oben dargestellt wurde die Integritätsabgeltung mit der 48. ASVG-Nov eingeführt. Es handelt sich nach den Gesetzesmaterialien (AB 1142 BlgNR 17.GP, 2) um eine dem Schmerzengeld und der Verunstaltungsentschädigung bzw dem Ersatz wegen Verhinderung des besseren Fortkommens verwandte Leistung. Motiv für die Neuregelung war die Kritik, die in der Öffentlichkeit daran geübt wurde, daß der Haftungsausschluß des § 333 Abs 1 bzw 4 ASVG zu ungerechtfertigten Härten führt. Die Integritätsabgeltung hat damit die Aufgabe, in Härtefällen teilweise die Schadenersatzansprüche zu supplieren, deren Geltendmachung gegen die durch § 333 Abs 1 und 4 ASVG privilegierten Personen ausgeschlossen ist. Dabei ist der Anspruch auf Integritätsabgeltung einerseits enger als diesem Ziel entspricht, weil er auf Fälle beschränkt ist, in denen der Unfall oder die Berufskrankheit auf eine grobfahrlässige Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zurückzuführen ist, andererseits weiter, weil er nicht auf Fälle beschränkt ist, in denen diese Verletzung den genannten privilegierten Personen zur Last fällt. Der Anspruch auf Integritätsabgeltung ist danach viel näher im Bereich des Schadenersatzrechtes angesiedelt als sonstige Leistungen aus der Unfallversicherung, weil er im wesentlichen die Funktion bürgerlich-rechtlicher Schadenersatzansprüche übernehmen soll. Diese sind jedoch auf den Fall des Fremdverschuldens beschränkt. Ausgehend von diesem Ziel, das der Gesetzgeber mit der Regelung verfolgte, muß § 213 a Abs 1 ASVG teleologisch dahin reduziert werden, daß Anspruch auf eine Integritätsabgeltung nur dann besteht, wenn eine vom Verletzten verschiedene Person eine grobfahrlässige Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu verantworten hat. Legt man diese Auslegung zugrunde, so steht § 1 Abs 2 Z 1 der Richtlinien mit dem Gesetz im Einklang. Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit dieser Verordnungsbestimmung. Wie zu entscheiden wäre, wenn sowohl der Verletzte als auch eine dritte Person eine grobfahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu verantworten hat, braucht hier nicht erörtert zu werde, weil dieser Fall hier nicht vorliegt. Ausgehend von den Feststellungen hat ausschließlich der Verletzte selbst grobfahrlässig gehandelt.
Da dem Begehren des Klägers somit keine Berechtigung zukommt, waren die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.
Im Hinblick auf die rechtlichen Schwierigkeiten des Falles entspricht es der Billigkeit, dem Kläger die Hälfte der Prozeßkosten zuzuerkennen (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG).
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