OGH 2Ob38/95

OGH2Ob38/9524.5.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Angelika P*****, 2. Robert P*****, beide vertreten durch Dr.Arno Kempf, Rechtsanwalt in Spittal/Drau, wider die beklagten Parteien 1. Ernst Anton V*****, 2. I***** GmbH, ***** 3. E***** Versicherungs-AG, ***** alle vertreten durch Dr.Dieter Sima, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 37.771,60 sA und Feststellung (Erstklägerin) und S 189.672 sA (Zweitkläger), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 19. Oktober 1993, GZ 1 R 112/93-39, womit infolge Berufungen aller Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 25.Februar 1993, GZ 24 Cg 271/90-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 31.7.1988 ereignete sich im Ortsgebiet von Baldramsdorf ein Verkehrsunfall, an dem der 51-jährige Vater der Kläger, Adolf P*****, als Lenker eines PKW Peugeot 504 und der Erstbeklagte als Lenker eines von der zweitbeklagten Partei gehaltenen, bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKWs (VW-Transporter) beteiligt waren. Die Verschuldensanteile der Fahrzeuglenker sind im Verhältnis 1 : 4 zugunsten des Vaters der Kläger nicht mehr strittig.

Die Kläger stützen ihre Ansprüche auf § 1327 ABGB. Die größtenteils abschlägig beschiedenen Leistungsansprüche der Kläger sind nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens. Dies ist nur noch das Feststellungsbegehren der am 18.6.1966 geborenen Erstklägerin, wonach die beklagten Parteien ihr für alle künftigen kausalen Schäden aus dem Unfall vom 31.7.1988 haften. Dazu brachte die Erstklägerin vor, der Nachlaß ihres Vaters, ein Erbhof, sei überschuldet, so daß daraus für ihren Unterhalt nichts erwirtschaftet werden könne.

Die beklagten Parteien beantragten Abweisung des Feststellungsbegehrens und wendeten dazu ein, die Erstklägerin sei im Zeitpunkt des Todes ihres Vaters bereits selbsterhaltungsfähig gewesen, so daß ihr Unterhaltsanspruch erloschen sei. Die Bestimmung des § 142 ABGB gehe jener des § 1327 ABGB vor. Der Vater der Kläger habe nur geringe Erträge aus dem Erbhof gezogen. Die Bankverbindlichkeiten hätten 4,000.000 S und die jährlichen Zinsenbelastungen rund S 400.000 bis S 500.000 betragen.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren im Umfang von 4/5 statt. Es ging dabei von folgenden weiteren Feststellungen aus:

Der Vater der Kläger hinterließ einen landwirtschaftlichen Besitz, bei dem es sich um einen Besitz mittlerer Größe im Sinne des Kärntner Höferechtes handelte. Der Verkehrswert wurde im Abhandlungsverfahren mit S 9,109.467 bewertet, das bewegliche Inventar mit S 159.500 und der Übernahmswert mit S 564.360. Der steuerliche Einheitswert betrug S 179.000, das Ausmaß beträgt rund 36 ha. Desweiteren hinterließ er einen (ehemaligen) Gewerbebetrieb, dessen Wert mit S 2,345.712 angenommen wurde. Eine Verwertung dieser Liegenschaft um den Schätzwert sei allerdings nicht möglich. Die Summe der Nachlaßaktiva wurde mit S 11,668.080 bewertet, die Summe der Nachlaßpassiva mit S 3,921.907,61, der reine Nachlaß somit mit S 7,746.172,39. Nach dem Ergebnis des Verlassenschaftsverfahrens wurde das Eigentumsrecht des Zweitklägers an den genannten Liegenschaften einverleibt.

Mit Vergleich vom 6.2.1987 hatte sich Adolf P***** verpflichtet, anstelle des bisher festgesetzten monatlichen Unterhalts von S 1.500 ab 1.1.1987 der Erstklägerin monatlich S 3.500 zu bezahlen. Die Scheidung der Eltern der Kläger war im Jahr 1983, beide Kläger zogen dann vom Vater weg. Die Erstklägerin absolvierte die Frauenberufsschule in Spittal/Drau und maturierte dort, dann war sie für einige Monate in Frankreich. Im Wintersemester 1986 begann sie das Studium der Psychologie und Pädagogik, nach zwei Semestern änderte sie die Studienrichtung auf die Sprachen Französisch und Englisch. Sie bezog kein Stipendium, die Familienbeihilfe für sie wird von ihrer Mutter bezogen. Ihr Studienerfolg war derartig, daß sie im Sommersemester 1992 mit den Prüfungen fertig wurde und die Diplomarbeit noch zu schreiben war. Abgesehen von den Leistungen der Sozialversicherung an Waisenpension und Waisenrente hat sie kein Einkommen. Am Hof ihres Vaters hat sie ein Zimmer, das sie als ihren Hauptwohnsitz ansieht. Studienbedingt wohnt sie in Klagenfurt, wofür sie monatlich 2.000 S Miete zu zahlen hat. Adolf P***** war - neben der Bewirtschaftung seines Hofes - für die Handelskammer Kärnten tätig, wofür ihm abgesehen vom Ersatz des Kilometergeldes monatlich ein Betrag von rund 10.000 S brutto als Honorar zukam.

Der Zweitkläger war als eingeantworteter Erbe nach seinem Vater wegen des hoch verschuldeten Nachlasses gezwungen, einen Notverkauf (einer Liegenschaft) vorzunehmen. Der Vater der Erstklägerin war aufgrund seiner Einkommenslage nicht imstande, mehr als monatlich S 3.500 an Unterhalt zu leisten.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung der Sache erachtete das Erstgericht das Feststellungsbegehren der Erstklägerin mit der dem Verschulden der Fahrzeuglenker entsprechenden Einschränkung für berechtigt.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte das Ersturteil im Feststellungsausspruch mit der Maßgabe, daß die beklagten Parteien der Erstklägerin für alle künftigen kausalen Schäden "durch einen allfälligen Unterhaltsentgang"....haften und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es vertrat folgende Rechtsansicht:

Das Feststellungsbegehren der Klägerin sei berechtigt, weil nach der Sachlage keine Rede davon sein könne, daß sie selbsterhaltungsfähig sei. Es sei weder behauptet worden, noch im Verfahren hervorgekommen, daß die Erstklägerin ihr Studium nicht ernstlich, zielstrebig und mit Erfolg betreibe. Ihr Vater habe außerdem das Hochschulstudium der Tochter gebilligt, weil er den Vergleich mit der erhöhten Unterhaltspflicht geschlossen habe, als diese bereits an der Universität Klagenfurt studiert habe. Ungeachtet des gegenwärtig hohen Standes der Sozialversicherungsgesetzgebung bleibe die Möglichkeit offen, daß die derzeit gewährte Waisenrente und Waisenpension in Zukunft nicht mehr gewährt oder gekürzt würden oder daß die Selbsterhaltungsfähigkeit nach Studienabschluß nicht eintreten werde. Jedenfalls könne die künftige Entwicklung nicht abgesehen werden, so daß das Feststellungsinteresse zu bejahen sei.

Der Anspruch der Kinder nach § 142 ABGB gegenüber dem Erben solle der Verpflichtung des Tötenden vorgehen, wenn der Nachlaß zureiche (SZ 48/32 zu § 169 ABGB idF des UeKG). Dem sei nur insoweit zuzustimmen, als dadurch dem Erben kein Nachteil entstehe im Vergleich zur Lage, die entstünde, wenn der Getötete gemessen an der für ihn wahrscheinlichen Lebenserwartung eines natürlichen Todes gestorben wäre. Der Erbe habe dann keinen Nachteil, der Hinterbliebene seinen Unterhalt, und es bestehe kein Grund, den Schädiger schadenersatzrechtlich zu belasten. Würde aber der Erbe einen Nachteil erleiden, so müsse insofern die Pflicht des Schädigers vorgehen, denn es könne nicht Aufgabe der Rechtsordnung sein, den Schädiger zu Lasten des Erben zu begünstigen. Hätte der Erbe denselben Vermögensstamm später bekommen, wäre er aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Unterhaltsleistung herangezogen worden, so habe allein der Schädiger den Hinterbliebenen zu versorgen. Der am 5.2.1937 geborene Vater der Erstklägerin wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu einem Zeitpunkt eines natürlichen Todes gestorben, in dem die Erstklägerin schon längst selbsterhaltungsfähig gewesen wäre. Der von seinem Vater als Anerbe nach dem Kärntner Höfegesetz aus dem Jahr 1903 ausersehene Zweitkläger wäre dann nicht mehr zur Unterhaltsleistung herangezogen worden. Daher werde die Auffassung vertreten, daß unter den gegebenen Umständen die Bestimmung des § 142 ABGB jener des § 1327 ABGB nicht vorgehe. Davon abgesehen könne von einem zureichenden Nachlaß im Sinne der Entscheidung SZ 48/32 nicht gesprochen werden. Es stehe fest, daß der Zweitkläger als Erbe gezwungen war, einen Verkauf einer Liegenschaft vorzunehmen, und daß trotzdem keine nennenswerten Erträgnisse erzielt werden könnten. Der festgestellte reine Nachlaß von S 7,746.172,39 beziehe sich beinahe zur Gänze auf den Wert der Liegenschaften samt beweglichem Inventar, das hinterlassene Barvermögen sei unbedeutend.

Rechtliche Beurteilung

Die allein gegen den Feststellungsausspruch gerichtete außerordentliche Revision der beklagten Parteien ist zwar zulässig, weil das Berufungsgericht von der Entscheidung SZ 48/32 abgegangen ist und zur Abgrenzung der Haftung für entgangenen Unterhalt bei (auch) fremdverschuldeter Tötung des primär Unterhaltspflichtigen zwischen dem Schädiger (§ 1327 ABGB) und dem Erben (§ 142 ABGB) weitere Rechtsprechung fehlt. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

Gemäß § 1327 ABGB muß im Falle der Tötung einer Person den Hinterbliebenen, für deren Unterhalt der Getötete nach dem Gesetz zu sorgen hatte, ersetzt werden, was ihnen dadurch entgangen ist. Dieser Anspruch ist kein Unterhalts-, sondern ein Schadenersatzanspruch, der frei von familienrechtlichen Beziehungen ohne Prüfung der Leistungsfähigkeit des Schädigers nach den konkret in Frage kommenden Haftungsregeln (Haftungsbegünstigungen, Mitverschulden), allerdings nach den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten und der hypothetischen Leistungsfähigkeit des Getöteten auszumessen ist (Reischauer in Rummel2 Rz 13 zu § 1327 mwN).

Gemäß § 142 ABGB geht die Schuld eines Elternteiles, dem Kind den Unterhalt zu leisten, bis zum Wert der Verlassenschaft auf seine Erben über. In den Anspruch des Kindes ist alles einzurechnen, was das Kind nach dem Erblasser durch vertragliche oder letztwillige Zuwendung, als gesetzlichen Erbteil, als Pflichtteil oder durch eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Leistung erhält.

Es ist allgemein anerkannt, daß sich der nach § 1327 ABGB ersatzpflichtige Schädiger grundsätzlich nicht auf eine durch den Tod des primär Unterhaltspflichtigen ausgelöste (subsidiäre) Unterhaltspflicht oder auf freiwillig erbrachte Leistungen eines Dritten berufen kann (Reischauer aaO Rz 15 mwN). Der Grundgedanke dieser Auffassung besteht darin, daß es nicht Aufgabe des subsidiär Unterhaltspflichtigen oder eines freiwilligen Helfers der verwaisten Kinder ist, den Schädiger zu entlasten. In SZ 48/32 hat der Oberste Gerichtshof allerdings ausgesprochen, daß bei einem gemäß §§ 171, 169 ABGB in der damals geltenden Fassung (nunmehr § 142 ABGB) zureichenden Nachlaß kein Verlust des Unterhaltsanspruches im Sinne des § 1327 ABGB eintrete, so daß der Anspruch der Kinder nach § 142 ABGB gegen den Erben der Verpflichtung des Schädigers gemäß § 1327 ABGB vorgehe und letztere erst dann und insoweit bestehe, wenn die Erben wegen eines unzureichenden Nachlasses nicht (im vollen Ausmaß) herangezogen werden können. Koziol (Haftpflichtrecht2 I 210 f, 213 und II 159 f) und Reischauer (aaO Rz 15) haben dieser Entscheidung sinngemäß nur insoweit zugestimmt, als dem Erben durch die frühere - als nach dem durch die Tötung veränderten Lauf der Dinge (wahrscheinliche Lebenserwartung des getöteten Unterhaltspflichtigen) sonst zu erwartende - Erlangung der Erbschaft kein Nachteil entsteht. Dieser von der zweiten Instanz geteilten Auffassung tritt auch der erkennende Senat bei:

Ausgehend von dem allgemein anerkannten Grundgedanken, daß es nicht Aufgabe der Rechtsordnung sein kann, den schuldhaft Tötenden zu Lasten anderer, für den Normalfall (hier etwa den natürlichen Tod des Vaters der Kläger) gesetzlich für den Unterhalt der Kinder des Verstorbenen haftender Personen zu begünstigen, ist die Rechtsposition des (mit)schuldigen Schädigers gegenüber dem unterhaltspflichtigen Erben gemäß § 142 ABGB erst dann zu schützen, wenn weder die hinterbliebenen Kinder noch der Erbe aus dem Todesfall einen Nachteil erleiden. Dies ist aber im vorliegenden Fall für den Zweitkläger anzunehmen, weil er aller Voraussicht nach beim natürlichen Tod seines Vaters die gleiche Erbschaft (den Erbhof seines Vaters) wesentlich später ohne die gemäß § 142 ABGB nun zu übernehmende Unterhaltspflicht für seine Schwester übernommen hätte und somit durch den vom Erstkläger verschuldeten früheren Tod seines Vaters einen Nachteil erlitt. Seine Rechtsposition ist daher gegenüber der des Schädigers zu schützen, ohne daß es auf die Prüfung und Beurteilung der weiteren Frage ankommt, ob vorliegend von einem zureichenden Nachlaß im Sinne der Entscheidung SZ 48/32 gesprochen werden kann oder nicht.

Für die Zuweisung des allfälligen Unterhaltsausfalles der Erstklägerin an den Schädiger (bzw hier die beklagten Parteien) spricht aber auch, daß nach der Rechtsprechung (SZ 38/186; siehe auch Reischauer aaO Rz 15) dem Unterhaltsanspruch des Ehegatten gegen den Erben nach § 796 ABGB der Anspruch gegenüber dem Schädiger nach § 1327 ABGB vorgeht, so daß der Grundsatz, der Schädiger dürfe nicht auf Kosten des Erben entlastet werden, auch auf den vergleichbaren vorliegenden Fall anzuwenden ist.

Die Vorinstanz hat auch die Voraussetzungen für den der Erstklägerin zuerkannten Feststellungsanspruch zutreffend als gegeben erachtet, weil diese mit Zustimmung ihres Vaters ein Studium begonnen und zielstrebig fortgesetzt hat und damit als unterhaltsbedürftig zu beurteilen ist, und die künftigen Entwicklungen sowohl im Bereich der anzurechnenden Sozialversicherungsleistungen, als auch der Berufsaussichten nach Studienabschluß nicht ausreichend abzusehen sind. In der außerordentlichen Revision wird dagegen nichts mehr vorgebracht.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des zweitinstanzlichen Urteiles.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 40 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte