OGH 9ObA34/95

OGH9ObA34/9526.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Steinbauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Robert Prohaska und Dr.Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helmut A*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr.Estermann, Dr.Wagner, Dr.Postlmayr, KG Partnerschaft, Rechtsanwälte in Mattighofen, wider die beklagte Partei Friedrich H*****, Unternehmer, ***** vertreten durch Dr.Michael Müller, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 131.778,36 brutto abzüglich S 16.934,40 netto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5.Juli 1994, GZ 12 Ra 39/94-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 4.Juni 1993, GZ 19 Cga 104/92-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Arbeitsrechtssache an das Erstgericht zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt aufgrund der seiner Ansicht nach unberechtigten Entlassung an Kündigungsentschädigung, aliquoten Sonderzahlungen, Urlaubsentschädigung und Abfertigung insgesamt einen Betrag von S 131.778,36 brutto abzüglich S 16.934,40 netto.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger zu Recht entlassen worden sei. Der Beklagte habe erfahren, daß der Kläger als Autobuslenker mehrmals alkoholisiert den Bus gelenkt habe und überdies im Herbst 1991 beim Lenken des Busses in alkoholisiertem Zustand einen Schaden verursacht habe.

Beschwerden über Alkoholisierungen des Klägers bei Dienstfahrten sind nicht erhoben worden. Eine Beförderung von Fahrgästen in alkoholisiertem Zustand konnte nicht festgestellt werden. Im Zuge einer Besichtigungsfahrt zu einer Brauerei im Herbst 1991 hat der Kläger bis zum Aussteigen des letzten Fahrgastes den Bus nicht in alkoholisiertem Zustand gelenkt. Nach Entlassung des letzten Fahrgastes hat sich der Kläger in ein Gasthaus begeben, um mit einer eine Fahrt beabsichtigenden Stammtischrunde die näheren Bedingungen derselben zu besprechen. Dabei konsumierte der Kläger zumindest ein oder zwei Glas Bier (1/2 Liter oder 1 Liter). Ob er mehr Alkohol zu sich nahm, kann nicht festgestellt werden. Nach Eintreffen zu Hause hatte der Kläger den Bus in einer rechtwinkeligen Kurve zu wenden. Beim Zurückstoßen fuhr er mit dem Heck des Busses an einen Gartenzaun und beschädigte ihn. Die Gattin des Klägers rief dann noch an diesem Tag eine Büroangestellte des Beklagten an und teilte ihr mit, daß ihr Mann "total rauschig" sei. Von der allfälligen Alkoholisierung des Klägers am Unfalltag erfuhr der Beklagte erst anläßlich eines weiteren Verkehrsunfalls des Klägers am 5.2.1992. Der Beklagte sprach den Kläger auf diesen Unfall an und fragte ihn, ob er damals "etwas getrunken" habe. Der Kläger antwortete: "Was heißt getrunken". Daraufhin sprach der Beklagte die fristlose Entlassung aus. Ein ausdrückliches Zugestehen einer Alkoholisierung im Zusammenhang mit dem Unfall vom Herbst 1991 kann nicht festgestellt werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. In rechtlicher Hinsicht bilde selbst eine einmalige Trunkenheit des Klägers, die im gegebenen Fall ohnedies nicht festgestellt werden konnte, keinen Entlassungsgrund. Eine beharrliche Pflichtenverletzung liege mangels eines gleichgelagerten Vorfalles ebenfalls nicht vor.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die Entlassungsgründe für Arbeiter in § 82 GewO 1859 taxativ aufgezählt seien. Der Tatbestand der Trunksucht setze eine wiederholte Trunkenheit und eine wiederholte fruchtlose Verwarnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber voraus. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Der Entlassungstatbestand der beharrlichen Pflichtverletzung liege mangels einer vorausgegangenen Verwarnung durch den Arbeitgeber nicht vor, noch sei der Vorfall von so schwerwiegender Bedeutung, daß auf die Nachhaltigkeit der Willenshaltung des Arbeitnehmers mit Grund geschlossen werden könne. Die Bestimmung des § 8 der Betriebsordnung für den nicht linienmäßigen Personenverkehr, wonach es dem Lenker eines Fahrzeuges untersagt sei, den Fahrdienst in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand oder in einer hiefür sonst nicht geeigneten körperlichen oder geistigen Verfassung anzutreten oder während des Fahrdienstes Alkohol oder Suchtgifte zu sich zu nehmen, könne infolge der taxativen Aufzählung der Entlassungsgründe in § 82 GewO 1859 dieselben nicht erweitern. Im übrigen sei der Fahrtdienst des Klägers zum Zeitpunkt des Gaststättenbesuches bereits beendet gewesen und habe sich der Kläger ohne Fahrgäste bereits auf dem Heimweg befunden.

Gegen diesen Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Zweifel des Revisionswerbers an der ständigen Bejahung der taxativen Aufzählung der Entlassungsgründe in § 82 GewO 1859 durch den Obersten Gerichtshof sind im vorliegenden Fall rechtlich bedeutungslos (Arb 10.267; ZAS 1989/5; Ind 1994 H 1, 2195; ecolex 1994, 491; 9 ObA 41/94, 9 ObA 193/94). Eine demonstrative Aufzählung der Entlassungsgründe würde nur die Möglichkeit der analogen Einbeziehung nicht katalogisierter Tatbestände einräumen (Kuderna, Entlassungsrecht2, 53), was im vorliegenden Fall jedoch ohne Belang ist.

Bei Angestellten bildet die beharrliche Weigerung der Dienstleistung (§ 27 Z 4 AngG) bzw bei Arbeitern die beharrliche Pflichtenvernachlässigung (§ 82 lit f GewO zweiter Tatbestand) einen Entlassungsgrund. Dabei ist der Tatbestand des § 82 lit f GewO weiter gefaßt und umfaßt im Gegensatz zum Tatbestand des § 27 Z 4 AngG jegliche Vernachlässigung der aus dem Arbeitsverhältnis geschuldeten Pflichten (Kuderna aaO 111).

Beide Tatbestände erfordern in gleicher Weise das Vorliegen der Beharrlichkeit. Diese setzt in der Regel voraus, daß der Arbeitnehmer wegen dieses zur Last gelegten Verhaltens ermahnt worden ist (Kuderna aaO 115 f, 138; Arb 10.118, 10.222; 9 ObA 41/94; 8 ObA 209/94 ua). Von einer unterschiedlichen Behandlung dieses Entlassungsgrundes bei Arbeitern und Angestellten kann daher keine Rede sein. Den verfassungsrechtlichen Bedenken des Revisionswerbers ist daher nicht näherzutreten.

Da die einmalige Konsumation von einem halben oder einem Liter Bier während des Dienstes keinen Anhaltspunkt für eine für den Entlassungstatbestand des § 82 lit c GewO erforderliche wiederholte Trunkenheit während der Arbeitszeit gibt (Kuderna aaO 130 f), ist dieser Entlassungstatbestand mangels Beweises der Trunksucht durch den Arbeitgeber schon aus diesem Grunde nicht gegeben. Die vom Revisionswerber als verfassungsrechtlich bedenklich angesehene Wortfolge des § 82 lit c GewO "....und wiederholt fruchtlos verwarnt wurde" ist daher gar nicht anzuwenden und nicht auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Eine Ermahnung kann dann unterbleiben, wenn bereits eine einmalige Dienstverfehlung derart schwerwiegend und kraß ist, daß der Dienstnehmer auch ohne Ermahnung deren Charakter erkennen kann, sodaß die Nachhaltigkeit und Unnachgiebigkeit seines auf die Pflichtverletzung gerichteten Willens, also die Beharrlichkeit offen zu Tage tritt (9 ObA 176/94 = ecolex 1995, 119). Dabei ist an besonders schwerwiegende Fälle der Pflichtverletzung gedacht, etwa, wenn die Übertretung eines Verbotes eine Gefahr für die Sicherheit des Betriebes oder das Leben von Menschen zur Folge hat. Es muß sich um Fälle handeln, in denen auf die mit der Obliegenheit der Ermahnung verfolgten Zwecke nicht notwendig hingewiesen werden muß, weil der Dienstnehmer die Bedeutung und das Gewicht seines pflichtwidrigen Verhaltens ohnehin genau kennt und diese Pflichtverletzung mit Rücksicht auf ihr besonderes Gewicht im Einzelfall die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausschließt. Dem Dienstnehmer soll nicht durch die Obliegenheit der Ermahnung Gelegenheit geboten werden, von vornherein zu wissen, daß er einen derartigen schwerwiegenden Verstoß einmal begehen kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen (Kuderna aaO 116 mwN).

Das Fahren mit einem Autobus nach Alkoholgenuß ist im Sinne dieser Ausführungen grundsätzlich eine beharrliche Pflichtenvernachlässigung. Gerade für den Kläger als Buslenker ist nicht nur aufgrund der Straßenverkehrsordnung, sondern vor allem des § 8 Abs 1 Z 2 der Betriebsordnung für den nicht linienmäßigen Personenverkehr 1986 das schon im Alkoholgenuß allein gelegene pflichtwidrige Verhalten, das eine Gefährdung von Leben grundsätzlich auch dann herbeizuführen geeignet ist, wenn keine Fahrgäste im Bus sind, bekannt. Die aus dem Arbeitsvertrag geschuldeten Pflichten des Klägers umfaßten nicht nur die Unterlassung von jeglichem Alkoholgenuß während der Dauer der Fahrt mit Fahrgästen, sondern auch bis zur Beendigung der Dienstfahrt, die aber so lange dauert als das Fahrzeug vereinbarungsgemäß in Betrieb genommen werden mußte.

Dieser gravierende Verstoß gegen die Arbeitspflichten verwirklicht den Entlassungsgrund des § 82 lit f GewO alt 2.Tatbestand. Dabei fällt auch noch ins Gewicht, daß das pflichtgemäße Verhalten des Klägers für den Beklagten gar nicht überprüfbar war und er auf die Einhaltung des Alkoholverbotes durch den im Außendienst befindlichen Kläger vertrauen mußte. Trotz des bisherigen untadeligen Verhaltens des Klägers ist daher insgesamt auch die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen waren aber dennoch aufzuheben, weil weder außer Streit steht noch erörtert wurde, ob mit dem als Urlaubsentschädigung bezahlten Betrag von S 16.934,40 netto alle aus dem Titel Urlaub dem Kläger zustehenden nicht entlassungsabhängigen Ansprüche berichtigt worden sind.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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