OGH 7Ob546/95

OGH7Ob546/9526.4.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Peter Gatternig, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dusan S*****, vertreten durch Dr.Hans Wagner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28.September 1994, GZ 48 R 656/94-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 24.März 1994, GZ 47 C 529/93-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit insgesamt S 6.447,84 (darin enthalten S 744,64 USt und S 1.980,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist aufgrund des Mietvertrages vom 24.6.1991 Mieter der Wohnung Tür Nr.3 im Haus 1110 Wien, *****. Im Zeitpunkt des Schlusses des Verfahrens erster Instanz war die Firma R***** AG bücherliche Eigentümerin dieses Hauses. Mit Kaufvertrag vom 12.2. bzw. 18.2.1992 kaufte die klagende Partei diese Liegenschaft. Als Stichtag der Übergabe und Übernahme der Liegenschaft wurde der 15.2.1993 festgelegt. Ab diesem Zeitpunkt sollte vereinbarungsgemäß Gefahr und Zufall, Nutzen und Lasten auf die klagende Partei übergehen und die klagende Partei alle mit dem Kaufgegenstand verbundenen Gebühren und Abgaben tragen. Die Verwaltung des Hauses wurde bereits von der klagenden Partei übernommen.

Mit am 5.8.1993 eingebrachter Klage begehrte die klagende Partei die Räumung der Wohnung, weil der Beklagte trotz Mahnung mit den Mietzinsen für Mai und Juni 1993 im Rückstand sei, sodaß nach entsprechender Einmahnung die vorzeitige Vertragsauflösung erklärt worden sei.

Mit gleichzeitig eingebrachter Mahnklage begehrte die klagende Partei die Zahlung der rückständigen Mietzinse für Mai und Juni 1993 in Höhe von insgesamt S 16.185,92. Mit rechtskräftigem Zahlungsbefehl vom 6.8.1993 wurde der Beklagte zur Zahlung dieses Betrages verpflichtet.

Der Beklagte beantragte Abweisung der Räumungsklage. Er wendete die mangelnde Aktivlegitimation ein, bestritt zunächst das Vorliegen eines Mietzinsrückstandes und brachte hilfsweise vor, daß ihn kein grobes Verschulden am Rückstand treffe, weil er ungeachtet seiner prekären finanziellen Situation stets bereit gewesen sei, den Mietzins pünktlich zu begleichen. Bei der Schlichtungsstelle sei ein "Verfahren nach § 16 MRG" anhängig, weshalb er die Unterbrechung des Räumungsverfahrens gemäß § 41 MRG beantrage. In der Tagsatzung vom 14.1.1994 erklärte der persönlich erschienene Beklagte, daß er den ihm mit Zahlungsbefehl auferlegten Betrag von S 16.185,92 nicht bezahlt habe. Er habe S 13.500,-- bei sich und könnte diesen Betrag zahlen.

Die klagende Partei erklärte hiezu, zur Annahme des Teilbetrages bereit zu sein, aber ihr Räumungsbegehren aufrecht zu erhalten. Sie brachte vor, daß per 27.12.1993 bereits ein Mietzinsrückstand von S 48.723,-- unberichtigt aushafte. Sie wies weiters darauf hin, daß ihr Eigentum im Grundbuch bereits vorgemerkt sei und ihr der Besitz und die Verwaltung des Hauses übertragen worden seien.

Das Erstgericht wies den Unterbrechungsantrag ab und gab dem Räumungsbegehren statt. Eine Beschlußfassung nach § 33 Abs.2 und Abs.3 MRG sowie eine Verfahrensunterbrechung nach § 41 MRG erübrigten sich im Hinblick auf das Vorliegen des rechtskräftigen Zahlungsbefehles hinsichtlich des Mietzinsrückstandes. Da dieser Rückstand nicht beglichen worden sei, liege der Auflösungstatbestand des § 1118 zweiter Fall ABGB vor. Die Aktivlegitimation der klagenden Partei sei zu bejahen, weil ihr bereits der Besitz und die Verwaltung der Liegenschaft übertragen worden seien.

Das Gericht zweiter Instanz änderte das Urteil im Sinn einer Klagsabweisung ab, brachte sinngemäß zum Ausdruck, daß deshalb dem Unterbrechungsantrag keine Berechtigung zukomme und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es vertrat die Ansicht, daß der Käufer einer Liegenschaft den an das Liegenschaftseigentum geknüpften Wechsel in der Person des Vermieters (§ 1120 ABGB) mangels Einverleibung nicht in Anspruch nehmen könne. Um vor der Einverleibung die Vermieterstellung zu erlangen, bedürfe es außer der Einigung zwischen Käufer und Verkäufer der Liegenschaft noch der zumindest schlüssigen Zustimmung des Mieters zu einem Vermieterwechsel. Daß eine derartige Zustimmung des Mieters erfolgt sei, habe die klagende Partei nicht einmal behauptet. Das Klagebegehren sei daher mangels Aktivlegitimation verfehlt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.

Die Revision hält der insbesondere auf die Entscheidung 1 Ob 620/93 gegründeten Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz zutreffend entgegen, daß in dieser Entscheidung des Obersten Gerichtshofes die Frage zu prüfen war, ob der Mieter seine Ansprüche auf Erfüllung des Mietvertrages gegen den bücherlichen Eigentümer oder den Erwerber des Bestandgegenstandes, dessen Rechte noch nicht verbüchert sind, geltend machen muß. Anders als im hier vorliegenden Fall waren nicht die Rechte des Bestandgebers, sondern dessen bestandvertragliche Pflichten Gegenstand des Prozesses, deren Übertragung auf einen Dritten im Wege einer Vereinbarung unter Ausschluß des verbleibenden Vertragspartners (Bestandnehmers) gemäß § 1405 ABGB nicht möglich ist, sofern der Überträger hiedurch von seinen Pflichten befreit werden soll.

Im vorliegenden Fall macht aber der außerbücherliche Erwerber, dem Besitz und Verwaltung der Liegenschaft übertragen wurden, das Recht des Bestandgebers auf Auflösung des Mietvertrages geltend. Die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes räumt auch dem außerbücherlichen Erwerber Vermieterstellung ein, wenn ihm vom Veräußerer der Besitz und die Verwaltung der Liegenschaft übertragen wurden und er in den vom bisherigen Eigentümer abgeschlossenen Bestandvertrag eingetreten ist bzw diesen erneuerte. Dabei genügt es, daß der Erwerber den physischen Besitz und die Verwaltung des Hauses erhielt, weil im Zweifel anzunehmen ist, daß derjenige, der den Besitz übertragen hat, mit dem Grundstück nichts mehr zu schaffen hat. Eine Besitzergreifungshandlung trägt in der Regel den Besitzwillen in sich, so daß nicht der Beweis des Besitzwillens nötig, sondern nur der Gegenbeweis seines Nichtvorhandenseins zulässig ist (zuletzt etwa 5 Ob 82/92 mwN). Der Erwerber ist in diesem Fall bereits vor der grundbücherlichen Einverleibung zur Ausübung der Vermieterrechte, insbesondere auch zur Kündigung legitimiert, da der Bestandgeber ebensowenig wie der Verkäufer einer Sache (§ 1092 ABGB) Eigentümer der Bestandsache sein muß und ferner das Kündigungsrecht nicht Ausfluß des Eigentumsrechtes, sondern des Bestandvertrages ist (so bereits 1 Ob 688/54; weiters MietSlg 15.102, 15.103; 36.198 mwN; 38.218 uva). Wie bereits in 5 Ob 82/92 ausgeführt wurde, besteht trotz der Kritik der Lehre (Würth in Rummel2 II, Rz 7 zu § 1120 ABGB) kein Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Wenn auch in der Entscheidung 1 Ob 620/93 Zweifel an der zitierte Entscheidungsreihe anklingen, wird dort doch die hier vorliegende Fallkonstellation keiner abschließenden Beurteilung unterzogen, sondern vielmehr angeführt, daß der (kaufvertraglichen) Überlassung von Besitz, Verwaltung und Nutznießung an den Erwerber regelmäßig die Abtretung der dem Bestandgeber aus dem Bestandverhältnis erwachsenden Rechte an den Erwerber der Liegenschaft impliziert sei; und zwar nicht nur, weil im Zweifel angenommen werden müsse, daß der Vermieter danach mit dem Grundstück nichts mehr zu schaffen haben wolle, sondern vor allem auch, weil mit der Nutznießung der Liegenschaft zwangsläufig auch die Ausübung der Rechte aus bestehenden Bestandverträgen, vor allem die Einziehung der Mietzinse, verbunden sei.

Wollte man - im Sinn der Entscheidung 1 Ob 620/93 (mwN) - auch den Übergang der Bestandgeberrechte von der zumindest schlüssig zu erteilenden Zustimmung des Vermieters abhängig machen, hieße dies noch keineswegs, daß der Mieter den Mietzins überhaupt nicht zahlen müsse, wenn er vom vereinbarten Wechsel seines Vertragspartners nichts erfährt oder damit nicht einverstanden ist, solange der Kaufvertrag nicht verbüchert ist. Seiner mangelnden Zustimmung könnte er insoweit nur durch die Erklärung Ausdruck verleihen, daß der Mietzins bis zur Verbücherung zugunsten des Verkäufers bezahlt werde. Im vorliegenden Fall hat jedoch der Beklagte, als er im Zuge dieses Verfahrens zum Kaufvertrag und der Übertragung von Besitz und Verwaltung an den Käufer erfuhr, keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, daß er bereit sei - wenn schon nicht zugunsten des Käufers, so doch - zugunsten des Verkäufers Zahlung zu leisten, weil er nur diesen weiterhin als seinen Vertragspartner anerkenne. Die bloße Bestreitung der Aktivlegitimation des Käufers steht zu diesem Verhalten im Widerspruch. Erblickte man dennoch darin die Verweigerung der zur Wirksamkeit bei Übertragung der Bestandgeberrechte notwendigen Zustimmung, könnte sich der Mieter praktisch konsequenzlos für die von den Parteien zum Teil nicht beeinflußbare Zeitspanne (Erlangung der Unbedenklichkeitsbescheinigung usw) zwischen Vertragsabschluß und Verbücherung der Eigentumsübertragung seiner Zinszahlungspflicht zumindest vorläufig entledigen. Denn er würde kaum damit rechnen müssen, nun vom wirtschaftlich desinteressierten Verkäufer auf Zahlung des Bestandzinses und (oder) auf Räumung geklagt zu werden.

Der erkennende Senat hält daher an der bisherigen Rechtsprechung, die die Aktivlegitimation des Käufers in derartigen Fällen bejaht, fest, sodaß es der klagenden Partei nicht schadet, daß ihr Eigentum im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz bloß vorgemerkt, aber noch nicht einverleibt war, sodaß die sachenrechlich wirksame "Übergabe" bei verbücherten Liegenschaften (§ 431 ABGB) noch nicht erfolgt war. Die in der Berufung des Beklagten gegen das Urteil erster Instanz enthaltene Beweis- und Mängelrüge, die auf die Feststellung abzielt, der Beklagte habe von der Veräußerung der Liegenschaft keine Kenntnis gehabt, ist daher für die Entscheidung der Rechtssache ohne Belang. Eine Kompensation der Mietzinsforderung der klagenden Partei mit einer entsprechenden Gegenforderung des Beklagten wurde in erster Instanz nicht behauptet, sodaß insoweit eine im Rechtsmittelverfahren unzulässige Neuerung vorliegt, auf die nicht weiter einzugehen ist. Daß ein entsprechender Mietzinsrückstand besteht, wurde bereits durch den Zahlungsbefehl, der hinsichtlich dieses Rückstandes erging, bindend entschieden. Nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten in der Tagsatzung vom 14.1.1994 ist die Behauptung der klagenden Partei als zugestanden anzusehen, daß dieser Mietzinsrückstand nicht beglichen wurde (§§ 26, 266 ZPO).

Die Entscheidung der zweiten Instanz war daher im Sinne der Wiederherstellung des klagsstattgebenden Urteiles des Erstgerichtes abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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