OGH 8ObA802/95

OGH8ObA802/9530.3.1995

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Gerhard Neugebauer und Mag.Kurt Resch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Wiener Bühnenverein, Hofburg, Batthyanystiege, 1010 Wien, vertreten durch den Präsidenten Direktor KR Franz Häußler, wider den Antragsgegner Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Kunst, Medien, Freie Berufe, Maria Theresienstraße 11, 1090 Wien, vertreten durch Dr.Gustav Teicht und Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag (betreffend Festlegung der Spielzeit für die Dienstnehmer der Wiener Volksoper) in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG und Art 140 Abs 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof den

Antrag,

§ 54 Abs 2 bis 4 ASGG, die Wortfolgen "und Anträge nach Abs 2" und "oder einen solchen Antrag" in Abs 5 dieser Bestimmung sowie den zweiten Satz des § 58 Abs 1 ASGG als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit der Fortführung des Verfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes innegehalten.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof wurde vom Antragsteller angerufen, über einen

von ihm gestellten Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG betreffend die

Festlegung der Spielzeit für die Dienstnehmer der Wiener Volksoper

unter Berücksichtigung des SchSpG und verschiedener Kollektivverträge

(Chor KV, Ballett KV, Orchester KV und KV für das technische

Personal), welche vom Antragsteller für den Bereich des Arbeitgebers Österreichischer Bundestheaterverband abgeschlossen wurden, zu entscheiden (siehe den beigeschlossenen Antrag, dessen Wiedergabe sich - ebenso wie die der dazu eingeholten Stellungnahme des Antragsgegners - erübrigt, weil der Inhalt für die verfassungsrechtlichen Bedenken des Obersten Gerichtshofes nicht relevant ist).

Bei der Entscheidung über diesen Feststellungsantrag hat der Oberste

Gerichtshof die darauf Bezug habenden Gesetzesbestimmungen (§ 54 Abs

2 bis 4 ASGG sowie die in Abs 5 dieser Bestimmung enthaltenen

Wortfolgen "und Anträge nach Abs 2" und "oder einen solchen Antrag"

sowie die im zweiten Satz des § 58 Abs 1 ASGG enthaltene

Kostenbestimmung) anzuwenden.

§ 54 Abs 2 ASGG gibt kollektivvertragsfähigen Körperschaften der

Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Sinn der §§ 4 bis 7 ArbVG das Recht,

im Rahmen ihres Wirkungsbereiches gegen eine kollektivvertragsfähige

Körperschaft der Gegenseite direkt beim Obersten Gerichtshof einen

Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von

Rechten und Rechtsverhältnissen anzubringen. Voraussetzung ist

lediglich, daß der Antrag eine Rechtsfrage des materiellen Rechtes

auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand

hat, die nach der Behauptung des Antragstellers für mindestens drei

Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist. Hierüber hat der

Oberste Gerichtshof nach Einholung einer Stellungnahme der

Gegenseite lediglich auf der Grundlage des vom Antragsteller

behaupteten Sachverhalts zu entscheiden.

Diese exzeptionelle Sonderregelung scheint dem Obersten Gerichtshof mit dem österreichischen Verfassungsrecht insbesondere aus den nachstehenden Gründen nicht vereinbar zu sein, weshalb er sich zur Stellung des oben genannten Antrages veranlaßt sieht:

1.) Der Oberste Gerichtshof wird in den Fällen des § 54 Abs 2 ASGG

nicht - wie es Art 92 Abs 1 B-VG grundsätzlich vorsieht - als

oberste Instanz, sondern als Eingangs- (und einzige) Instanz tätig.

Aus Art 92 Abs 1 B-VG ergibt sich nach einhelliger Meinung

lediglich eine Bestandsgarantie für den Obersten Gerichtshof, der für

einen nicht ganz unwesentlichen Teil der Zivil- und

Strafrechtssachen zuständig sein muß; eine Deutung dieser Bestimmung

in Richtung einer Rechtsweggarantie (oberste Instanz in allen Zivil-

und Strafrechtssachen) oder einer Maximalzuständigkeit (oberste

Instanz ausschließlich in Zivil- und Strafrechtssachen) wird hingegen

von Lehre und Rechtsprechung schon aus Gründen des Wortlauts und

wegen Art 83 Abs 1 B-VG (die Zuständigkeit der Gerichte wird durch

Bundesgesetz festgestellt) abgelehnt.

Ob eine Regelung, wonach der Oberste Gerichtshof - wenn auch nur in

einer bestimmten Materie oder für eine bestimmte Personengruppe -

als Eingangs- und einzige Instanz tätig wird, mit Art 92 Abs 1

B-VG vereinbar ist, ist zweifelhaft und durch Lehre und Rechtsprechung nicht hinreichend geklärt; zu dieser Frage gibt es nämlich nur ganz vereinzelte Stellungnahmen.

Der Wortlaut des Art 92 Abs 1 B-VG spricht prima vista dagegen:

Eine oberste Instanz setzt voraus, daß es auch eine "niedrigere"

gibt. Diese Auslegungsmöglichkeit deutet Wresounig (ASGG 131 mit FN

92), vorsichtig an, ohne sich jedoch festzulegen. Hellbling (JBl

1956, 334) hingegen hielt dies - allerdings in anderem Zusammenhang

(Abgrenzung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung) - für zulässig, wenn

auch wegen der Gefahr der Überlastung für nicht wünschenswert.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich, soweit der Oberste Gerichtshof feststellen konnte, nur einmal (VfSlg 12.151) und dort nur am Rande - im Zusammenhang mit durch Gerichte zu entscheidenden Strafsachen - mit dieser Frage beschäftigt; er führte dort zwar aus, daß der Bundesverfassungsgesetzgeber von einem dreistufigen organisatorischen Aufbau der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit ausgehe, lehnte es jedoch zugleich ab, diese Ansicht zum Prüfmaßstab für die konkrete Ausgestaltung des Instanzenzuges in einem Verfahren zu machen.

Der Oberste Gerichtshof sprach in einer Erlagssache, in welcher der Erlag beim Obersten Gerichtshof beantragt worden war, aus, er könne nach Art 92 Abs 1 B-VG jedenfalls nicht in solchen Zivil- und Strafsachen als erste Instanz tätig werden, in denen seine Zuständigkeit auch in letzter Instanz in Betracht komme (SZ 55/107). Als einen möglichen Ausnahmsfall nannte er in dieser Entscheidung § 532 ZPO. Zu denken wäre aber auch an Entscheidungen über Kompetenzkonflikte sowie Ordinations- und Delegationsfälle. Solche betreffen aber nur rein verfahrensrechtliche Konstellationen, die nur Bestandteil eines anderen Verfahrens und mit dem vorliegenden Fragenkomplex nicht vergleichbar sind.

Betrachtet man Art 92 Abs 1 B-VG unter der im Verfassungsrecht herrschenden "Versteinerungstheorie", wird dieses Ergebnis bestätigt.

Es zeigt sich, daß zur Zeit der Erlassung der relevanten Artikel des

B-VG, die man allgemein mit dem Jahr 1929 ansetzt, der Oberste

Gerichtshof nicht als Eingangs- und einzige Instanz in

Zivilverfahren oder Teilen davon vorgesehen war; eine solche

Zuständigkeit ist daher durch das historische Verständnis des Art 92

Abs 1 B-VG nicht gedeckt (zur Tätigkeit des Obersten Gerichtshofs

als reine Gutachtensinstanz iSd § 16 lit f OGH-Statut, § 27 GewGG,

später § 27 ArbGG siehe unten 2.).

Sachlich gerechtfertigte Gründe für eine abweichende Regelung gerade in den hier zu entscheidenden Fällen lassen sich, wie noch unten

(3.) ausgeführt werden wird, nach Meinung des Obersten Gerichtshofes nicht finden, sodaß von einem aus Art 92 Abs 1 B-VG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot, den Obersten Gerichtshof nicht als Eingangs- und einzige Instanz vorzusehen, auszugehen ist.

2.) Formal wurde die Regelung des § 54 Abs 2 bis 4 ASGG so gestaltet, daß der Oberste Gerichtshof als Gericht - und zwar in einem "streitigen Außerstreitverfahren" - entscheidet, wobei allerdings der vom Antragsteller behauptete Sachverhalt ohne weitere Prüfung zugrundezulegen ist und die Behauptung des Antragstellers, die Entscheidung sei für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung, genügt.

Die Rolle des Antragsgegners beschränkt sich materiell auf jene eines Lieferanten rechtlicher Argumente; gegen den vom Antragsteller behaupteten Sachverhalt kann der Antragsgegner nichts vorbringen, sondern höchstens seinerseits einen Antrag nach § 54 Abs 2 ASGG mit von ihm aufgestellten Sachverhaltsbehauptungen einbringen, über den der Oberste Gerichtshof dann ebenfalls, jedoch unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts, zu entscheiden hätte.

Vergleichbare gerichtliche Verfahren dieser Art gibt es nicht; auch in Verfahren, in denen vorerst gerichtliche Anordnungen nur auf Grund der Anträge und Behauptungen einer Seite erlassen werden (Zahlungsbefehl im Mahnverfahren; Übergabs- und Übernahmsauftrag bei der gerichtlichen Aufkündigung) oder zumindest erlassen werden können (einstweilige Verfügungen), entscheiden die Gerichte nicht abschließend lediglich auf Grund der unüberprüften Behauptungen einer Seite, ohne dem Gegner in irgendeinem Stadium des Verfahrens (durch Erhebung von Einspruch, Einwendungen oder Widerspruch) Gelegenheit zu geben, zu diesen auch im tatsächlichen Stellung zu nehmen.

Das in § 54 Abs 2 bis 4 ASGG vorgesehene Verfahren entspricht nach

Meinung des Obersten Gerichtshofes - unter Zugrundelegung eines heute

wohl als herrschend anzusehenden materiellen Begriffes - nicht dem

traditionellen Bild der Gerichtsbarkeit; materiell handelt es sich

vielmehr um ein vom Obersten Gerichtshof zu erstattendes

Rechtsgutachten, welches - zur Ausräumung verfassungsrechtlicher

Bedenken gegen solche nach früherem Recht (§ 16 lit f OGH-Statut,

§ 27 GewGG bzw § 27 ArbGG) zu erstattende Gutachten - in den

Mantel einer Gerichtsentscheidung gekleidet wurde.

Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob der einfache

Gesetzgeber verfassungskonform den Gerichten - und somit auch dem

Obersten Gerichtshof - über die klassische gerichtliche

Entscheidungstätigkeit und die Justizverwaltung hinaus, weitere Aufgaben zuweisen kann; keinesfalls darf eine solche Tätigkeit der Gerichtsbarkeit völlig wesensfremd sein, was bei Erstattung von abstrakten Rechtsgutachten zur Klärung von Rechtsfragen, die möglicherweise in Zukunft in gerichtlichen Verfahren entscheidungswesentlich sein könnten, aber nicht gesagt werden kann. Das war wohl auch mit ein Grund, warum der Bundesverfassungsgesetzgeber des Jahres 1929 die vorgefundene Rechtslage hinsichtlich der Gutachtenstätigkeit des Obersten Gerichtshofes stillschweigend hinnahm und auch noch das OGHG (§ 11 - Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen) dem Obersten Gerichtshof solche Tätigkeiten überträgt.

Einerseits wollte man mit der Neuregelung - allerdings in

Verkennung der geäußerten Argumente, die sich vorwiegend gegen den

positiv-rechtlich angeordneten generell-bindenden Charakter, den die

Gutachten durch die Eintragung in das Judikatenbuch bekamen

("Auslegungsjudikate"), richteten - die verfassungsrechtlichen

Bedenken gegen den früheren Rechtszustand (§ 16 lit f OGH-Statut, §

27 GewGG bzw § 27 ArbGG) umgehen (dazu Walter, Gerichtsbarkeit und

Verfassung 71, 150, 198; Sobalik, JBl 1961, 149; Gärtner,

Staatsbürger 1968/17/1 f; Jelinek, RZ 1976, 137 und Walter JBl

1988, 188 gegen Fasching in Schima-FS 1969, 133).

Andererseits wollte man dadurch (sonst wäre das Verfahren ja an

sich zwecklos) diesen "Entscheidungen" - ohne die früher angeordnete

bedenkliche Bindungswirkung über die Verfahrensparteien hinaus wieder

einzuführen (AB 527 BlgNR 16.GP, 7) - die Bedeutung einer "echten"

oberstgerichtlichen Entscheidung verschaffen (vgl Schwarz -

Löschnigg, Arbeitsrecht 741; Schrank, RdW 1985, 5). Als Gutachten

wäre es nicht geeignet, Grundlage ständiger Rechtsprechung iSd § 502

Abs 1 ZPO bzw § 8 OGHG zu werden; dies wäre - dogmatisch gesehen

- erst dann der Fall, wenn diese Ansicht aus Anlaß bestimmter

Rechtsfälle aufgegriffen und zur ständigen Rechtsprechung gemacht

werden würde (vgl Jelinek, RZ 1976, 137 ff, insb 147). Um nicht nur

auf die de-facto-Autorität überzeugend begründeter Gutachten des

Obersten Gerichtshofes vertrauen zu müssen und das gewünschte

Ergebnis (Schaffung von Leitjudikatur) zu erreichen, wählte der

Gesetzgeber das äußere Gewand einer gerichtlichen Entscheidung, ohne

allerdings diesem "Verfahren" den einem echten gerichtlichen

Verfahren wesentlichen Inhalt zu geben.

Eine solche vom Gesetzgeber bewußt gewählte (vgl AB 7 f) formale Ausgestaltung als "Entscheidung", um dem Rechtsgutachten die gewünschte Präjudizwirkung zu verleihen, hält der Oberste Gerichtshof

für einen Mißbrauch der rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten und für verfassungsrechtlich bedenklich, sodaß er seinen Anfechtungsantrag auch hierauf stützt, was notwendigerweise ebenfalls zur Aufhebung des gesamten Normenkomplexes zwingen würde.

3.) Bedenklich ist die Regelung auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Fasching in Fasching - FS II, Vortrag Richterwoche 1992, 22).

Der Gleichheitsgrundsatz wird heute als umfassendes Willkürverbot verstanden, das nicht nur die Vollziehung, sondern auch den Gesetzgeber bindet. Nach nunmehr ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes gebietet der Gleichheitsgrundsatz dem Gesetzgeber, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln; das bedeutet, daß Differenzierungen nur dann vorgenommen werden dürfen, wenn sie sachlich gerechtfertigt sind. Die Frage, wann dies der Fall ist, ist allerdings im Einzelfall schwierig zu lösen. Abgesehen von eindeutig feststellbaren Sachunterschieden muß auch auf vorausgesetzte Wertungen zurückgegriffen werden. Soweit es für den Obersten Gerichtshof überschaubar ist, hat sich die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs in den letzten Jahren in Richtung einer strengeren Prüfung der Sachlichkeit von gesetzlichen Regelungen entwickelt (siehe die Zusammenfassung der von ihm entwickelten Formeln, die er zur Prüfung des Gleichheitsgrundsatzes heranzieht, zB in VfSlg 8.457 mwN; Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht3 380 ff; Walter - Mayer aaO 473 ff; Mayer, MKK B-VG 366 ff).

Mit der in § 54 Abs 2 bis 4 ASGG getroffenen Sonderregelung, die nur bestimmten Parteien zugute kommt, hat der Gesetzgeber das Sachlichkeitsgebot verletzt.

Im früheren Recht (§ 16 lit f OGH-Statut und § 27 ArbGG bzw

dessen Vorläufer § 27 GewGG) stand nur dem Bundesministerium für

Justiz die Kompetenz zu, dem Obersten Gerichtshof die Erstattung

eines in das Judikatenbuch einzutragenden Gutachtens aufzutragen;

dieses Recht war jedoch nach § 16 lit f OGH-Statut nicht auf

bestimmte Materien beschränkt und so gesehen wesentlich unproblematischer als die jetzige Regelung.

Nunmehr räumt § 54 Abs 2 ASGG bestimmten Interessenvertretungen,

nämlich den kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber

und der Arbeitnehmer, ein solches Antragsrecht zur Entscheidung einer

Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem gesamten Gebiet der

Arbeitsrechtssachen ein. Anderen Interessenvertretungen, nämlich den

in § 14 UWG und §§ 28 ff KschG genannten sowie den in § 54 Abs 1 ASGG

erwähnten parteifähigen Organen der Arbeitnehmer, die aus allgemein

als gerechtfertigt anerkannten Gründen zur Durchsetzung von

Ansprüchen ihrer Mitglieder oder zur erleichterten Führung von

Testprozessen ohne das Prozeß- und Kostenrisiko einer

Einzelrechtsverfolgung "Verbandsklagen" einbringen können, wurde

dieses Privileg nicht zuteil (dazu für alle Fasching, Lehrbuch2 Rz

338, 642, 2288, 2295). Ihnen steht nur das allgemeine

Gerichtsverfahren zur Verfügung; sie müssen ihre Klage in erster

Instanz einbringen, den behaupteten Sachverhalt beweisen und

allenfalls ihr Recht im Instanzenzug wahren.

Es fehlt daher jede sachliche Rechtfertigung, gerade kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine solche Sonderstellung einzuräumen, zumal diese solche Anträge in allen arbeitsrechtlichen Fragen des materiellen Rechtes, auch über ihre Regelungsbefugnis (Abschluß von Kollektivverträgen) hinaus, stellen können.

Derart gravierende verfahrensrechtliche Begünstigungen bestimmter Parteien sind wegen der jeweils erfaßten identen Sachverhalte gleichheitswidrig (vgl VfSlg 7.786 betreffend das wohl dem ORF, nicht aber dem Beschwerdeführer eingeräumte Beschwerderecht an den Verwaltungsgerichtshof gegen Entscheidungen der Rundfunkkommission).

Hieraus folgt, daß die im Erkenntnis vom 19.6.1993, G 233/92, vom

Verfassungsgerichtshof für die Anerkennung der sachlichen

Rechtfertigung der Sonderbehandlung des Kostenersatzanspruches nach §

58 ASGG für betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten nach § 50

Abs 2 ASGG genannten Argumente jedenfalls für alle

Rechtsstreitigkeiten nicht herangezogen werden können, die über den

sachlichen Regelungsbereich der kollektivvertragsfähigen

Körperschaften hinausgehen; dazu gehören jedenfalls

Arbeitsrechtsstreitigkeiten, in denen die Auslegung von

Kollektivverträgen keine Rolle spielt, sowie

betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten nach § 50 Abs 2 ASGG.

4.) Der Oberste Gerichtshof hält auch das Antragsrecht der

kollektivvertragsfähigen Köperschaften der Arbeitgeber und

Arbeitnehmer nach § 54 Abs 2 ASGG in dem Bereich, in dem diesen

eine Regelungsbefugnis zum Abschluß von Kollektivverträgen zukommt und es um deren Auslegung geht, für verfassungsrechtlich bedenklich. Wollte man nämlich die Sonderstellung damit rechtfertigen, daß der Oberste Gerichtshof die Kollektivverträge "authentisch" interpretieren soll - worauf viele Anträge tatsächlich hinauslaufen

-, wäre ein solches Vorhaben erst recht verfassungsrechtlich bedenklich, weil eine solche Interpretation nur durch den Normenerlasser erfolgen darf, dh ein Gesetz ist nur durch den Gesetzgeber, eine Verordnung durch den Verordnungsgeber und ein Kollektivvertrag nur durch eine neue Vereinbarung der Kollektivvertragspartner "authentisch interpretierbar".

Sähe § 54 Abs 2 ASGG tatsächlich eine derartige Kompetenz für den

Obersten Gerichtshof in bezug auf Kollektivverträge vor, wäre dies

aus dem genannten Grund verfassungsrechtlich bedenklich. Tatsächlich

ordnet § 54 Abs 2 ASGG jedoch nicht an, daß die vom Obersten

Gerichtshof erzielten Auslegungsergebnisse normativer Inhalt des Kollektivvertrages werden oder irgend jemanden über die Grenzen des Anlaßfalles hinaus generell-abstrakt binden sollen.

Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes wäre der Verfassungsgerichtshof selbst dann, wenn er die besonderen Antragsbefugnisse der kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach § 54 Abs 2 ASGG im Rahmen ihrer Regelungsbefugnis für verfassungsrechtlich unbedenklich hielte, nicht befugt, die dann zu weit gefaßte Wortfolge in Abs 2 "auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50" durch eine engere zu ersetzen, und der Entfall der gesamten Passage würde zu einem verfassungsrechtlich zweifellos noch weniger zu rechtfertigenden uferlosen Antragsrecht der genannten Institutionen führen. Aus diesem Grund erübrigt es sich, für diesen Fall einen Eventualantrag zu stellen.

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