Normen
B-VG Art92 Abs1
GeO §285
JN §47 Abs1
EG JN ArtXVIII
B-VG Art92 Abs1
GeO §285
JN §47 Abs1
EG JN ArtXVIII
Spruch:
Als Verwahrschaftsgericht kann nur ein Gericht erster Instanz in Betracht kommen
Über einen Kompetenzkonflikt zwischen dem Obersten Gerichtshof und einem anderen Gericht entscheidet der Oberste Gerichtshof OGH 13. Juli 1982, 2 N 501/82
Text
Der Antragsteller begehrte mit einem beim Obersten Gerichtshof eingebrachten Antrag die Entgegennahme eines gerichtlichen Erlages gemäß § 1425 ABGB, betreffend das Sparbuch der Creditanstalt-Bankverein, Filiale Schottengasse, Nr ...., lautend auf "Überbringer", mit der Behauptung, die Zuständigkeit des OGH als "angerufenes Gericht" ergebe sich aus Art. XVIII EGJN.
Der OGH leitete die Eingabe samt Beilage (Sparbuch) iS des § 29 Abs. 1 Z 5 der Geschäftsordnung des OGH 1980 (OGH-Geo), Präs. 2360-4/80, ähnlich einem Rechtsschutzgesuch dem nach § 65 JN örtlich zuständigen BG Hietzing zur geschäftsordnungsgemäßen Behandlung weiter.
Das BG Hietzing erklärte sich mit Beschluß vom 25. 1. 1982, 3 Nc 401/82-3, für unzuständig und mittelte die Erlagssache nach Zustellung seines Beschlusses an die Erlagsparteien und Rechtskraft des Beschlusses dem OGH zurück. Nach Meinung des BG Hietzing sei der OGH gemäß Art. XVIII EGJN zur Entgegennahme des Erlages verpflichtet; auch habe er über den Erlagsantrag nicht entschieden und insbesondere nicht seine Unzuständigkeit ausgesprochen; erst nach deren Erklärung wäre gemäß § 44 JN eine Überweisung an das BG Hietzing möglich gewesen.
Der Oberste Gerichtshof erklärte sich mit Beschluß zur Empfangnahme des gerichtlichen Erlages in erster Instanz unzuständig und bestimmte das BG Hietzing als Verwahrschaftsgericht.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
I. Gemäß Art. XVIII EGJN kann die Empfangnahme eines nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes gemachten gerichtlichen Erlages "von keinem ordentlichen Gerichte aus dem Gründe der Unzuständigkeit zurückgewiesen werden". Nach dem Wortlaut des Art. XVIII EGJN wären sonach alle "ordentlichen Gerichte", das sind die im § 1 JN genannten Bezirksgerichte, Bezirksgerichte für Handelssachen, Kreis- und Landesgerichte, Handelsgerichte, Oberlandesgerichte und der OGH, zur Empfangnahme eines nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes gemachten gerichtlichen Erlages verpflichtet. Eine teleologische Auslegung (vgl. Wolff in Klang[2] I/1, 99) führt indes zu dem Ergebnis, daß die Gesetzesstelle nur auf ordentliche Gerichte der ersten Instanz anwendbar erscheint. Dies wurde schon bald nach dem Inkrafttreten des Gesetzes erkannt, da bereits in der "Fragenbeantwortung" des K.
K. Justizministeriums (S 1) ausgeführt wurde, daß ein gerichtlicher Erlag weder bei den Oberlandesgerichten noch beim OGH erfolgen könne. Damit wurde sichtlich dem Umstand Rechnung getragen, daß die Redaktoren des Gesetzes die Frage nach dem Instanzenzug in Hinterlegungssachen unberührt gelassen hatten (vgl. Mat. I 618, 619). In der Praxis war die Frage, welche Gerichte für einen Erlag zuständig seien, offenbar nie ernstlich umstritten und auch die Lehre, soweit sie auf das Problem stieß, hat keine andere Ansicht vertreten. So verweist Neumann in seinem Kommentar[4] I 22 auf die erwähnte Mitteilung in der "Fragenbeantwortung". Sperl beruft sich in seinem Lehrbuch (S 160) auf dieselbe Quelle mit den Worten, daß die Praxis mit Recht die Vorschrift als auf die Oberlandesgerichte und den OGH nicht anwendbar erklärt
abe. Diese Ansicht vertritt grundsätzlich auch Fasching (Kommentar I 36), wobei er die Zulässigkeit eines Erlages bei den Oberlandesgerichten im Hinblick auf die durch die Geschäftsordnung erfolgte Neuregelung des Erlagswesens (Einrichtung einer Verwahrungsabteilung bei den Oberlandesgerichten) offen läßt.
Der OGH ist gemäß Art. 92 Abs. 1 B-VG oberste Instanz in Zivil- und Strafsachen. Die Wirksamkeit dieser jeder einfach gesetzlichen Regelung vorgehenden Verfassungsbestimmung (vgl. Klecatsky, Das österr. Bundesverfassungsrecht, MGA[3] Anm. 2 zu Art. 92 Abs. 1 B-VG) stellt klar, daß der OGH - anders als in den Fällen des § 532 ZPO betreffend Rechtsmittelklagen - jedenfalls nicht in solchen Zivil- und Strafsachen als erste Instanz tätig werden kann, in denen seine Zuständigkeit auch in letzter Instanz in Betracht kommt. Folgerichtig enthält daher auch das OGH-Gesetz (Bundesgesetz vom 19. Juni 1968, BGBl. 328, über den Obersten Gerichtshof) keine Bestimmungen über den gerichtlichen Erlag.
Im Rahmen der von Fasching zitierten Neuregelung des Gerichtserlagswesens durch die Geschäftsordnung für die Gerichte erster und zweiter Instanz (Geo), Dienstbuch der Geo nach dem Erlasse JABl. 1952/9, bestimmt § 285 Abs. 1 Z 1, daß der gerichtliche Erlag ua. "bei der Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht für alle Gerichte des Oberlandesgerichtssprengels" stattfindet. In Verbindung mit § 285 Abs. 3 Geo wird aber deutlich, daß damit die Oberlandesgerichte nicht "Verwahrschaftsgerichte" werden, sondern die Verwahrungsabteilung beim Oberlandesgericht für das Verwahrnis "dem jeweiligen Verwahrschaftsgericht untergeordnet ist und dessen Aufträge zu vollziehen hat". Somit wurde durch die Geschäftsordnung keine verfahrensrechtliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte begrundet (wozu es im übrigen einer gesetzlichen Regelung bedürfte), sondern es wurden lediglich Vorschriften für die technische Handhabung des Erlagswesens geschaffen.
Bei notwendiger Bedachtnahme auf Wesen und Funktion des Rechtszuges in den Zivilrechtsangelegenheiten - dies auch in Berücksichtigung der Forderung nach einem lückenlosen Rechtsschutzsystem (vgl. Fasching II 899 ff.) und nach Befriedigung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses (vgl. Fasching III 67) - ergibt sich also, daß als Verwahrschaftsgericht kein - obschon ordentliches - Gericht zweiter oder dritter Instanz tätig werden kann, sondern nur ein Gericht erster Instanz in Frage kommt. Erfolgt dennoch ein Erlag bei einem unzuständigen Gericht, hat dieses iS des § 44 JN vorzugehen.
II. Da sich das BG Hietzing mit rechtskräftigem Beschluß für unzuständig erklärt hat und der OGH aus den dargelegten Gründen unzuständig ist, liegt ein Kompetenzkonflikt in einer nichtstreitigen Angelegenheit vor, der unter Anwendung der Grundsätze des § 47 Abs. 1 ZPO zu lösen ist (vgl. Fasching I 290 unter c und d). Dieser Zuständigkeitsstreit kann in Ermangelung eines dem OGH und dem BG Hietzing "zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gerichtes" nur durch den OGH entschieden werden (vgl. Fasching I 292 "... sonst der Oberste Gerichtshof").
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