OGH 4Ob2/95

OGH4Ob2/9521.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon-Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Redl, Dr.Rohrer und Dr.Pimmer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Mag.Dr.Lothar Wiltschek, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Grete P*****, vertreten durch Dr.Leonhard Lindner, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen Festsetzung eines Ersatzbetrages nach § 394 Abs 1 EO (Revisionsrekursinteresse: 140.000,-- S), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 8.November 1994, GZ 2 R 258/94-52, womit der Beschluß des Landesgerichtes Feldkirch vom 9.August 1994, GZ 8 Cg 300/92f-43, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.

Text

Begründung

Mit ihrer Klage hatte die Klägerin (nunmehr: Antragsgegnerin) den Antrag verbunden, zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches der Beklagten (nunmehr: Antragstellerin) mit einstweiliger Verfügung in Österreich im geschäftlichen Verkehr, insbesondere beim Handel mit Tee, die Verwendung von Unternehmenskennzeichen der Klägerin, insbesondere der Bezeichnung "KARADENIZ" und/oder der graphischen Darstellung eines Samowars, zur Kennzeichnung von Waren, die nicht von der Klägerin stammen, zu untersagen.

Sowohl im Hauptverfahren als auch im Provisorialverfahren schritt für die Klägerin Rechtsanwalt Dr.Helmut Krenn ein, der sich schon im Rubrum der Klage und des damit verbundenen Sicherungsantrages auf die ihm erteilte Vollmacht vom 23.4.1992 berief (§ 30 Abs 2 ZPO).

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung ohne vorherige Anhörung der Beklagten (ON 5). Die einstweilige Verfügung wurde der Beklagten am 24.9.1992 zugestellt; deren Rekurs blieb ohne Erfolg (ON 10). Den gleichzeitig erhobenen Widerspruch der Beklagten wies das Erstgericht ab und hielt damit die einstweilige Verfügung aufrecht (ON 13). Das Rekursgericht wies hingegen den Sicherungsantrag der Klägerin ab (ON 17). Mit Beschluß vom 13.7.1993, GZ 4 Ob 80/93-21 (inzwischen veröffentlicht in ÖBl 1993, 203 - Karadeniz), gab der Oberste Gerichtshof dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs der Klägerin nicht Folge. Nachdem im Hauptverfahren am 8.10.1993 noch eine mündliche Streitverhandlung abgehalten worden war, zog die Klägerin mit dem am 2.5.1994 beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz die Klage unter Verzicht auf den Anspruch zurück (ON 37). Mit Beschluß vom 13.5.1994, zugestellt an den Vertreter der Klägerin Dr.Helmut Krenn am 27.5.1994, bestimmte das Erstgericht antragsgemäß die von der Beklagten fristgerecht verzeichneten Prozeßkosten (ON 39).

Am 1.6.1994 beantragte die Beklagte beim Erstgericht, ihr gemäß § 394 EO für die durch die einstweilige Verfügung vom 21.9.1992 verursachten Vermögensnachteile eine Entschädigung von insgesamt 286.292,40 S sA zuzusprechen (ON 40). Obwohl im Rubrum dieses Schriftsatzes nur die Klägerin als Antragsgegnerin aufschien, aber kein Vertreter genannt war, verfügte das Erstgericht die Zustellung der Gleichschrift des Antrages an den bisherigen Vertreter der Klägerin Rechtsanwalt Dr.Helmut Krenn ohne von ihr zugleich eine schriftliche Äußerung zum Antrag der Beklagten abzufordern und ihr hiefür eine Frist zu bestimmen. Die Gleichschrift des Antrages der Beklagten wurde Rechtsanwalt Dr.Helmut Krenn am 8.6.1994 zugestellt.

Nachdem das Erstgericht die von der Beklagten namhaft gemachte Auskunftsperson ohne Beiziehung der Parteien vernommen hatte, setzte es den von der Klägerin der Beklagten zu ersetzenden Entschädigungsbetrag mit 150.000,-- S samt 4 % Zinsen seit 9.6.1994 fest. Die Ausfertigung dieses Beschlusses wurde Rechtsanwalt Dr.Helmut Krenn am 31.8.1994 zugestellt. Dieser stellte dem Erstgericht am 16.9.1994 die Beschlußausfertigung und die Gleichschrift des Entschädigungsantrages der Beklagten mit der Bekanntgabe zurück, daß sein Mandat für die Klägerin mit Zurückziehung der Klage auftragsgemäß erloschen sei und ihm deren Geschäftsführer nach Abrechnung des Aktes erklärt habe, er solle keine weiteren Tätigkeiten mehr entfalten. Bereits am 14.9.1994 war per Telefax ein Rekurs der Klägerin eingelangt, worin sie (ua) die Bestellung eines anderen Rechtsanwaltes in der Person Dris.Lothar Wiltschek anzeigte, welcher das Rechtsmittel der Klägerin innerhalb der ihr gesetzten Frist auch durch die Beisetzung seiner Unterschrift verbessert hat.

Das Rekursgericht hob den Beschluß des Erstgerichtes auf und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die dem Rechtsanwalt Dr.Helmut Krenn von der Klägerin erteilte Prozeßvollmacht habe gemäß § 31 Abs 1 Z 1 ZPO alle Vertretungshandlungen im Haupt- und im Provisorialverfahren gedeckt. Danach sei er aber kraft Gesetzes nicht mehr ermächtigt gewesen, die Klägerin auch in einem - vom Haupt- und Provisorialverfahren losgelösten, nach herrschender Auffassung selbständigen - Verfahren eigener Art über einen Antrag nach § 394 EO zu vertreten, zumal ein solches Verfahren ja mangels Befristung einer Antragstellung auch erst Jahre später eingeleitet werden könnte. Der Klägerin sei daher der Antrag der Beklagten nach § 394 EO bisher noch nicht wirksam zugestellt worden, so daß ihr durch die beanstandete Vorgangsweise des Erstgerichtes das rechtliche Gehör entzogen worden sei. Der gerügte Verfahrensmangel führe zur Aufhebung des Beschlusses des Erstgerichtes im angefochtenen Umfang.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der Beklagten ist zwar entgegen der Meinung der Klägerin schon deshalb zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob die einem Rechtsanwalt erteilte Prozeßvollmacht kraft Gesetzes auch zur Vertretung in einem durch den Antrag auf einstweilige Verfügung veranlaßten Verfahren nach § 394 EO ermächtigt, fehlt; der Revisionsrekurs ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Ob die Zustellung der Gleichschrift des Antrages der Beklagten nach § 394 EO an den im Haupt- und Provisorialverfahren unter Berufung auf die ihm erteilte Prozeßvollmacht (§ 30 Abs 2 ZPO) für die Klägerin eingeschrittenen Rechtsanwalt wirksam war, ist zunächst nach dem auch im Exekutionsverfahren (AnwBl 1992, 673), sowie gemäß §§ 402 Abs 4, 78 EO auch im Provisorialverfahren und in einem Verfahren nach § 394 EO anzuwendenden § 93 Abs 1 ZPO zu beurteilen. Danach haben alle den Rechtsstreit betreffenden Zustellungen - solange die Beendigung des Vollmachtsverhältnisses dem Gericht nicht im Sinne des § 36 Abs 1 ZPO formgerecht angezeigt wurde, im Falle der absoluten Anwaltspflicht darüber hinaus auch noch bis zur Anzeige der Bestellung eines anderen Rechtsanwalts - an den früher namhaft gemachten Bevollmächtigten zu geschehen. Die Berechtigung zur Empfangnahme von Zustellungen bezieht sich demnach grundsätzlich nur auf jenes Verfahren, in welchem die Bevollmächtigung erteilt wurde; sie erstreckt sich jedoch auch auf die mit diesem Verfahren unmittelbar zusammenhängenden Streitigkeiten, die vom gesetzlichen Umfang der einem Rechtsanwalt erteilten Prozeßvollmacht gedeckt sind (Fasching II 574; Gitschthaler in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 93; Walter/Mayer, Das österreichische Zustellrecht 172). Demgemäß hat auch der Oberste Gerichtshof nur ausgesprochen (GlUNF 6613 = SpR 226; vgl auch SZ 13/14), daß "eine in einer bestimmten Rechtssache bei Gericht erliegende Generalprozeßvollmacht nicht die Berechtigung gewährt, in einer anderen, nicht zusammenhängenden Rechtssache der nämlichen Partei dem Bevollmächtigten die Klage wider seinen Willen zuzustellen (§§ 30, 31 und 93 ZPO)". Gemäß § 31 Abs 1 Z 1 ZPO ermächtigt aber die einem Rechtsanwalt erteilte Vollmacht zur Prozeßführung (Prozeßvollmacht) kraft Gesetzes - und insoweit unbeschränkbar (§ 32 ZPO) - zur Anbringung und Empfangnahme der Klage und zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozeßhandlungen einschließlich derjenigen, welche (ua) durch den Antrag auf einstweilige Verfügung ... veranlaßt werden.

Entgegen der Meinung des Rekursgerichtes steht der Ersatzanspruch des Gegners der gefährdeten Partei nach § 394 EO in einem so engen Sachzusammenhang mit der erlassenen einstweiligen Verfügung, die sich letztlich als ungerechtfertigt erwiesen hat, daß auch ein Verfahren über einen solchen Anspruch jedenfalls durch die Einbringung der Klage und des Sicherungsantrages veranlaßt worden ist. Mag auch die Festsetzung des Ersatzbetrages nach § 394 EO in ein formloses, selbständiges Verfahren eigener Art (SZ 19/285; EvBl 1951/425; JBl 1957, 564; ÖBl 1979, 28; JBl 1993, 733 = RdW 1993, 245) verwiesen sein, so ist dieses doch der vom Gesetzgeber dem Gegner der gefährdeten Partei zur Verfügung gestellte Ausgleich für diejenigen Nachteile, die er durch die einstweilige Verfügung erleiden mußte, welche sich aber nachträglich als ungerechtfertigt erwiesen hat (Kininger, Einstweilige Verfügungen zur Sicherung von Rechtsverhältnissen 117 f; König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren Rz 208). Der im § 394 EO bezeichnete Beschluß gehört daher zu denjenigen Verfügungen, die das Sicherungsgericht nur aus Anlaß und im Zusammenhang mit einer einstweiligen Verfügung unter den dort angegebenen Voraussetzungen zu fassen hat (SZ 7/57). Das Verfahren nach § 394 EO steht demnach - ebenso wie die anderen im § 31 Abs 1 Z 1 ZPO angeführten Streitigkeiten (Widerklage, Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklage, Sicherungsantrag und Hauptintervention) - in unmittelbarem Sachzusammenhang mit dem Hauptverfahren, für welches die Klägerin Rechtsanwalt Dr.Helmut Krenn Prozeßvollmacht erteilt hatte. Dagegen spricht es auch nicht, daß der unbefristete Antrag nach § 394 EO erst nach Beendigung des Hauptverfahrens, ja sogar noch Jahre danach gestellt werden könnte, trifft dies doch auf die anderen in § 31 Abs 1 Z 1 ZPO genannten Streitigkeiten (insb Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage) überwiegend gleichermaßen zu. Ebensowenig sprechen die vom Rekursgericht angeführten Entscheidungen EvBl 1963/429 und EvBl 1970/10 gegen eine solche Auffassung, betreffen diese doch nur den gesetzlichen Umfang einer Prozeßvollmacht nach § 31 Abs 1 Z 3 ZPO. Daraus folgt aber, daß die Zustellung der Gleichschrift des Antrages der Beklagten gemäß § 394 EO an Rechtsanwalt Dr.Helmut Krenn kraft der ihm von der Klägerin für das Hauptverfahren erteilten Prozeßvollmacht wirksam war.

Damit ist aber für die Beklagte noch nichts gewonnen, weil der Klägerin das rechtliche Gehör aus einem anderen Grund genommen worden ist, der eine Nichtigkeit des erstgerichtlichen Beschlusses (im angefochtenen Umfang) nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO und nicht bloß - wie vom Rekursgericht angenommen - einen Verfahrensmangel zur Folge hat:

Obwohl es im Falle eines Antrages nach § 394 EO sehr leicht um große Beträge gehen kann, das Verfahren aber dennoch extrem summarisch ist (Graff in ecolex 1994, 764) und ungeachtet dessen über den Anspruch endgültig erkannt wird, ist infolge § 55 Abs 1 EO eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich, weil sie nicht - wie etwa beim Aufhebungsantrag nach § 399 Abs 2 EO - ausdrücklich angeordnet ist. Dem Antragsgegner (der früheren gefährdeten Partei) muß daher bei verfassungsgemäßer Auslegung des § 394 EO bereits in erster Instanz rechtliches Gehör gewährt werden (König aaO Rz 247; JBl 1993, 733 = RdW 1993, 245). In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof deshalb auch ausgesprochen, daß es zur Wahrung des durch Art 6 Abs 1 MRK garantierten rechtlichen Gehörs notwendig ist, die in § 55 Abs 2 EO normierte Befugnis des Gerichtes zur schriftlichen Einvernehmung des Antragsgegners zur bindenden Verpflichtung zu machen, um ihm so nicht nur die Gelegenheit zur Stellungnahme, sondern auch zum angriffsweisen Vorbringen für ihn vorteilhafter Tatsachen und Beweismitteln zu geben (ebenso jüngst EvBl 1994/150 = RdW 1995, 18, zum Verfahren über einen Antrag auf Aufschiebung der Exekution gemäß § 34a Abs 2 MRG).

Die Einvernehmung als exekutionsrechtliche Form des rechtlichen Gehörs (Heller/Berger/Stix 625 f) geschieht aber nicht schon durch eine bloße Zustellung der Antragsgleichschrift an den Antragsgegner, das Gericht hat vielmehr darüber hinaus von diesem unter Setzung einer Frist eine schriftliche Äußerung abzuverlangen (Heller/Berger/Stix 627). Ohne eine solche Aufforderung kann nämlich der Antragsgegner damit rechnen, daß ihm das Gericht noch eine Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen und nicht sofort über den Antrag entscheiden wird.

Die Beschlußfassung über den Ersatzanspruch nach § 394 EO ohne vorherige Einvernehmung der Klägerin erfüllt daher den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO, weshalb der Aufhebungsbeschluß des Rekursgerichtes im Ergebnis zu bestätigen ist.

Diese Erwägungen führen aber auch dazu, daß die Revisionsrekursbeantwortung der Klägerin entgegen der noch in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13.2.1985, 3 Ob 504, 505/85, geäußerten Ansicht nicht zurückzuweisen war, hat doch der Gesetzgeber der ZVN 1983 bei der Neufassung des § 402 Abs 1 EO übersehen, daß die von ihm angeführten Gründe für die Einführung der Zweiseitigkeit des Revisionsrekursverfahrens (669 BlgNR 15.GP, 59 f und 73) in bestimmten Fällen aus den oben erwähnten verfassungsrechtlichen Erwägungen auch auf die Festsetzung eines Entschädigungsbetrages nach § 394 EO, die "materiell" eine Entscheidung über eine "Hauptsache" ist, zutreffen. Diese Gesetzeslücke ist daher im Wege der Analogie dahin zu schließen, daß § 521a ZPO auch auf Rekurse gegen solche Entscheidungen sinngemäß anzuwenden ist (König aaO Rz 253).

Der Vorbehalt über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf §§ 402 Abs 4, 78 EO und § 52 Abs 1 ZPO.

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