OGH 10ObS28/95

OGH10ObS28/9514.2.1995

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Josef Fellner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Stöcklmayer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rosa Maria W*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl und Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Pflegegeldes infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. November 1994, GZ 8 Rs 126/94-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 4.Mai 1994, GZ 33 Cgs 257/93b-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 10.7.1913 geborene Klägerin wohnt allein in einer Parterrewohnung mit Fließwasser und WC, jedoch ohne Bad oder Dusche. Sie besitzt ua einen E-Herd und einen Kühlschrank und heizt mit einem Elektroradiator. Der nächste Kaufmann ist etwa 200 m, die nächste Bushaltestelle etwa 300 m entfernt. Infolge der vom Erstgericht im einzelnen festgestellten Leiden kann sich die Klägerin seit der Antragstellung nur erschwert an- und auskleiden; sie kann nämlich die Arme nur bis in Schulterhöhe heben, der Kreuzgriff ist erschwert. Sie kann die tägliche Körperpflege vornehmen, nicht jedoch ihren Rücken waschen. Sie kann sich täglich einmal eine einfache, aber ausgewogene, zur Gesunderhaltung ausreichende Mahlzeit zubereiten, allenfalls im Sitzen. Bei der Einnahme von Nahrung und Medikamenten und bei der Verrichtung der Notdurft bestehen keine Einschränkungen. Mobilitätshilfe ieS ist nicht erforderlich. Für die Herbeischaffung von Nahrungsmitteln, sonstigen Bedarfsgütern des täglichen Lebens und Medikamenten, für die Reinigung der Wohnung und für die Pflege der Leib- und Bettwäsche benötigt die Klägerin Hilfe. Arztbesuche sind nur mit dem sogenannten "Behindertentaxi" zumutbar.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab 29.7.1993 das Pflegegeld der Stufe 1 zu gewähren.

Es errechnete einen ständigen Pflegebedarf von durchschnittlich 55 Stunden monatlich. Dabei veranschlagte es für den Betreuungsaufwand beim Rückenwaschen zwölf Stunden und beim An- und Auskleiden drei Stunden. Für die Hilfsverrichtungen - mit Ausnahme der Beheizung der Wohnung - nahm es insgesamt 40 Stunden an.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehen ab.

Es teilte die Rechtsansicht der Berufungswerberin, daß das Reinigen und Abtrocknen des Rückens - abgesehen von Einzelfällen, in denen dies aus medizinischen Gründen täglich erforderlich sei - nicht der "täglichen Körperpflege" iS des § 1 Abs 4 Einstufungsverordnung zum Bundespflegegeldgesetz (EVBPGG) zuzuordnen sei. Diese Körperpartie stelle keinen hygenischen Problembereich dar, so daß etwa zwei diebezügliche Reinigungen pro Woche im Zusammenhang mit einer gründlichen Ganzkörperreinigung ausreichten. Dafür wäre ein zeitlicher Betreuungsaufwand von etwa 3,5 bis 4 Stunden monatlich anzunehmen. Dazu komme noch der Teilbetreuungsaufwand im Zusammenhang mit dem An- und Auskleiden im von der Berufungswerberin nicht bekämpften Ausmaß von drei Stunden monatlich. Der Pflegeaufwand betrage daher durchschittlich nicht mehr als 50 Stunden monatlich. Deshalb gebühre der Klägerin kein Pflegegeld.

In der Revision macht die Klägerin Mangelhaftigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung (der Sache) geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG in der gemäß Art X § 2 Z 7 Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz-Novelle 1994 BGBl 624 hier noch anzuwendenden alten Fassung zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit (§ 503 Z 2 ZPO) liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 leg cit).

Die rechtliche Beurteilung des ausreichend festgestellten Sachverhaltes durch das Berufungsgerich ist im wesentlichen richtig. Hinsichtlich des zeitlichen Betreuungsaufwandes beim An- und Auskleiden ist zu berücksichtigen, daß der Klägerin beim Überkopfziehen von Kleidungsstücken und beim An- und ablegen eines (am Rücken zu schließenden) Büstenhalters geholfen werden muß. Selbst wenn sie täglich auch Kleidungsstücke trüge, die nur auf diese Weise an- und ausgezogen werden können, müßte ihr nur beim An- und Ausziehen dieses Teiles ihrer Bekleidung geholfen werden. Dazu wären nur einige kurze Handgriffe erforderlich, für die - auf den Tag bezogen - ein Richtwert von 2 mal 5 Minuten ausreichend erscheint. Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher zeitlicher Betreuungsaufwand von etwa 5 Stunden monatlich (so zB 28.6.1994, 10 Ob S 105/94).

Dazu kommt noch der zeitliche Betreuungsaufwand im Zusammenhang mit der Körperpflege. Dem Berufungsgericht ist zunächst zuzustimmen, daß ein pflegebedürftiger Mensch in der Regel nicht der Verwahrlosung ausgesetzt ist, wenn er sich nicht täglich den Rücken waschen kann. Anders ist es nur, wenn die tägliche Reinigung dieser Körperpartie aus gesundheitlichen Gründen erforderlich ist; dafür gibt es hier jedoch keinen Hinweis. Die Reinigung des Rückens zählt daher ähnlich wie ein Wannenvollbad in der Regel nicht zur täglichen Körperpflege iS des § 1 Abs 4 EVBPGG. Dies gilt auch für das Waschen und Fönen der Haare. Der mit dem nicht täglich notwendigen Waschen und Abtrocknen des Rückens und dem nur in größeren Abständen erforderlichen Waschen und Fönen der Haare erforderliche zeitliche Betreuungsaufwand übersteigt nicht den vom Berufungsgericht zutreffend in Ablehnung an den vom Revisionsgericht für zwei wöchentliche Wannenvollbäder angenommenen Zeitwert von etwa 3,5 bis 4 Stunden monatlich (zB 28.6.1994, 10 Ob S 143/94).

Insoweit die Rechtsrüge einen weiteren Betreuungsaufwand im Zusammenhang mit der Zubereitung von Mahlzeiten geltend macht, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Daß die Klägerin beim Zubereiten der Mahlzeiten fallweise sitzen muß, macht ihr diese Verrichtung nicht iS des § 3 Abs 1 EVBPGG unzumutbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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