Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Anläßlich der Scheidung seiner Ehe am 30.4.1993 hat sich der nunmehrige Revisionsrekurswerber in einem pflegschaftsbehördlich genehmigten Vergleich verpflichtet, seinem am 19.8.1977 geborenen Sohn Wolfgang bis zu dessen Selbsterhaltungsfähigkeit einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 2.000,-- zu zahlen. Dieser Unterhaltsbemessung lag die Annahme zugrunde, daß sich das Einkommen des Revisionsrekurswerbers, den keine weiteren Sorgepflichten treffen, auf S 20.000,-- monatlich netto 14,5 mal jährlich beläuft, das Einkommen des Sohns auf S 3.340,-- 14 mal jährlich. Im Falle wesentlicher Änderungen der Verhältnisse sollte der gesetzliche Unterhalt gemäß § 140 ABGB geschuldet werden.
Am 4.5.1994 (an diesem Tag langte das betreffende Schreiben bei Gericht ein) beantragte der Revisionsrekurswerber, ihn von seiner Unterhaltspflicht zu entbinden. Als Begründung gab er an, daß der Unterhaltsanspruch seines Sohnes mit 24.2.1994 gemäß § 40 WrJWG auf das Land Wien übergegangen sei, das von ihm mindestens S 4.000,-- monatlich fordere (weil es, wie dem Akt zu entnehmen ist, dem Minderjährigen im Lehrlingsheim Augarten, 1200 Wien, Wasnergasse 33, die volle Erziehung angedeihen lasse). Diesen Betrag könne der Revisionsrekurswerber nicht aufbringen, weil er derzeit vom Krankengeld lebe und sich eine neue Existenz aufbauen müsse. Sein Sohn sei überdies als selbsterhaltungsfähig anzusehen. Er habe zwei Lehrstellen durch Entlassung verloren und habe dann eine ihm von seiner Mutter vermittelte Anstellung bei der Firma W***** mit einem monatlichen Nettoeinkommen von S 11.000,-- nach kurzer Zeit wegen mangelnder Arbeitslust wieder aufgegeben.
Bei einer mündlichen Einvernahme durch das Pflegschaftsgericht präzisierte der Revisionsrekurswerber seine Gründe für die Entlassung aus der Unterhaltspflicht noch dahingehend, daß er wegen eines Wirbelsäulenleidens seit März 1993 im Krankenstand sei und nach mehreren Operationen befürchte, in die Berufsunfähigkeitspension geschickt zu werden. Von der Gebietskrankenkasse beziehe er ein Krankengeld von S 18.000,-- monatlich.
Die Mutter, der nach wie vor das Obsorgerecht über den Minderjährigen zukommt, erklärte sich wegen der Erkrankung des Revisionsrekurswerbers und seiner angespannten finanziellen Lage mit der beantragten Unterhaltsenthebung einverstanden. Ihr Sohn gehe seit über einem Jahr keiner Beschäftigung nach. Er habe zwei Lehrstellen verloren (eine durch Entlassung, die andere noch in der Probezeit) und habe die ihm vorläufig für drei Monate verschaffte Anstellung bei der Firma W***** nach einem verletzungsbedingten Krankenstand aufgegeben, indem er nicht mehr hingegangen sei. Der Sohn sei sicherlich arbeitsfähig; Arbeitsunwilligkeit liege jedoch nicht vor.
Das Erstgericht gab dem Unterhaltsenthebungsantrag "im Hinblick auf das einvernehmliche Vorbringen der Beteiligten" statt.
Das vom Land Wien (wegen einer angeblichen Kostenbelastung von S 18.000,-- monatlich für die dem Minderjährigen gewährte volle Erziehung) angerufene Rekursgericht änderte den erstinstanzlichen Beschluß dahingehend ab, daß es den Unterhaltsenthebungsantrag des Vaters abwies. Es führte aus:
Nach ständiger Rechtsprechung sei im allgemeinen Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen, wenn ein Unterhaltsberechtigter trotz gegebener Fähigkeit sich um keine Berufsausbildung mehr bemüht oder die Berufsausbildung schuldhaft unterläßt (EFSlg 68.498ff). Andererseits werde Selbsterhaltungsfähigkeit unterstellt, wenn ein Kind mit seinen Einkünften alle Bedürfnisse abdecken kann (EFSlg 68.474).
Unterstelle man, daß der mj. Wolfgang E***** durch Einsatz seiner Arbeitskraft ein Einkommen erzielen könnte, das ihm die Abdeckung seiner Bedürfnisse ermöglicht, stehe doch außer Frage, daß er im Alter von 17 Jahren und daher ohne abgeschlossene Berufsausbildung kein Einkommen erzielen könnte, das die Höhe einer Richtsatzpension samt anteiligen Sonderzahlungen wesentlich übersteigt.
Selbst für den Fall einer ordnungsgemäßen Berufsausübung könnte der Minderjährige daher nur seine Grundbedürfnisse durch ein Arbeitseinkommen abdecken. Da er sich aber in voller Erziehung des Landes Wien im Lehrlingsheim Augarten befinde, welcher Umstand ihm nicht als schuldhaft zugerechnet werden könne, bestehe ein Sonderbedarf zumindest in der Höhe der Hälfte der Heimkosten von monatlich S 18.000,--, zu dessen Ersatz gemäß § 39 Abs 1 WrJWG auch der Minderjährige selbst heranzuziehen sei.
Die Eltern hätten diesen Sonderbedarf auch neben einem allenfalls vom Minderjährigen selbst erzielten Einkommen entsprechend ihren Lebensverhältnissen zu ersetzen (47 R 213/93). Der Sonderbedarf begründe keinen eigenen Unterhaltsanspruch, sondern erhöhe nur das Ausmaß der Unterhaltsverpflichtung, sodaß ein bestehender Unterhaltstitel, wenn ein Sonderbedarf neben die Erzielung eines Eigeneinkommens eines unterhaltsberechtigten Kindes träte ohne deshalb die Anspruchshöhe zu ändern, der Titel weiter gelte. Angewandt auf den vorliegenden Fall bedeute dies, daß die Eltern auch unter der Annahme der Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb des Heimes den durch die Heimkosten entstehenden Sonderbedarf abzudecken hätten. Da dieser Sonderbedarf einschließlich der Lebenshaltungskosten S 18.000,-- betrage, sei der auf die Heimunterbringung allein zurückzuführende Bedarf zumindest mit der Hälfte dieses Betrages anzusetzen, wogegen die andere Hälfte auch außerhalb des Heimes erforderlich wäre. Da der Vater nach seinen eigenen Angaben Krankengeld von rund S 18.000,-- monatlich beziehe, keine krankheitsbedingten Mehraufwendungen geltend mache und auch nicht von weiteren Sorgepflichten betroffen sei, sei ihm die Leistung des bisher festgelegten Unterhaltsbeitrages von S 2.000,-- monatich weiterhin zumutbar. Trotz außerhalb des Heimes anzunehmender Selbsterhaltungsfähigkeit beruhe der Anspruch nun auf dem Sonderbedarf des Sohnes. Da dieser Anspruch auf das Land Wien übergegangen sei, sei dessen Abänderungsbegehren zu behandeln und auch materiell berechtigt.
Die Entscheidung des Rekursgerichtes enthält den Ausspruch, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Begründet wurde dies damit, daß zur Selbsterhaltungsfähigkeit eines Jugendlichen im Zusammenhang mit einer Erziehungsgewährung durch den Jugendwohlfahrtsträger noch keine höchstgerichtliche Judikatur vorhanden sei.
Im nunmehr vorliegenden Revisionsrekurs, der erkennbar darauf abzielt, den erstinstanzlichen Beschluß wieder herzustellen, macht der Revisionsrekurswerber geltend, daß die (offenbar bereits beendete) Heimunterbringung seines Sohnes sehr wohl von diesem selbst (durch eine Verwüstung der elterlichen Wohnung mit Gewaltanwendung gegen die Mutter) verschuldet worden sei. Während er selbst seit März 1993 nur ein Krankengeld von S 18.000,-- 12 mal jährlich beziehe und davon neben Kreditrückzahlungsraten von monatlich S 3.900,-- die Kosten einer Haushalts- und Einkaufshilfe bestreiten müsse (wegen seiner drei Operationen an der Wirbelsäule) könnte sein Sohn, wenn er sich in die normale Arbeitswelt integrieren ließe, ein Einkommen von S 15.000,-- (monatlich) erzielen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Zunächst ist festzuhalten, daß sich der Revisionsrekurswerber mit seinen Behauptungen, der Minderjährige habe die Kosten der Erziehungshilfe durch das Land Wien selbst verschuldet und könnte überdies bei entsprechender Arbeitswilligkeit ein Erwerbseinkommen von S 15.000,-- monatlich erzielen, von den Entscheidungsgrundlagen der Vorinstanzen entfernt. Derartige Neuerungen sind im Revisionsrekursverfahren unbeachtlich (vgl 5 Ob 65/93 = JUS 1380 ua). Auch die jetzt behaupteten finanziellen Aufwendungen für eine Haushalts- und Einkaufshilfe des Revisionsrekurswerbers waren für die Vorinstanzen nicht aktenkundig. Was schließlich die Belastung des Revisionsrekurswerbers durch Darlehensrückzahlungen betrifft (von denen im übrigen gar nicht feststeht, ob sie die Unterhaltsbemessungsgrundlage schmälern könnten: vgl ÖA 1991, 137 ua, zuletzt 3 Ob 548/93 = JUS 1488), verschweigt er, daß ihn seine Gattin dafür bei den Unterhaltsforderungen des Sohnes (gemeint ist offensichtlich bei unverhältnismäßiger Inanspruchnahme durch Unterhaltsleistungen) schadlos zu halten hat (Punkt III. Abs 2 des Vergleiches vom 30.4.1993). Die Leistungsfähigkeit des Revisionsrekurswerbers bietet somit keinen Anhaltspunkt für eine Korrektur der angefochtenen Entscheidung. Ob dem Unterhaltsenthebungsantrag des Revisionsrekurswerbers stattgegeben werde kann, hängt allein am Maß der Selbsterhaltungsfähigkeit des Minderjährigen.
Die diesbezüglichen Entscheidungsgrundlagen besagen, daß der Minderjährige, der erst 17 Jahre alt ist und über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, bei Anspannung seiner Kräfte und Fähigkeiten ein Einkommen in der Höhe der Richtsatzpension (gemeint ist offensichtlich in der Höhe des Richtsatzes für die Gewährung der Ausgleichszulage) erzielen könnte, aber auch nicht wesentlich mehr. Ein solches Einkommen kann zwar nach der Judikatur bei einfachsten Lebensverhältnissen als ausreichend angesehen werden, um die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Jugendlichen anzunehmen (vgl SZ 63/101; ÖA 1992, 109 ua), stellt jedoch, wie das Rekursgericht zutreffend bemerkt, die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes dann nicht sicher, wenn besondere Bedürfnisse bestehen, die aus dem Eigeneinkommen nicht zu decken sind.
Solche Bedürfnisse können darin liegen, daß ein Kind weiterhin auf elterliche Betreuung oder auf spezielle Erziehungshilfen angewiesen ist. Auch die Betreuungsleistungen der Eltern stellen nämlich gemäß § 140 Abs 2 ABGB einen Teil des dem Kind zustehenden Unterhalts dar (5 Ob 511/91, tw veröffentlicht in Purtscheller - Salzmann, Unterhaltsbemessung, Rz 46 E 11). Selbsterhaltungsfähig ist daher ein Kind nur dann, wenn es - auf sich allein gestellt - mit seinen Einkünften alle Lebensbedürfnisse, also auch den fiktiven Geldaufwand zur Erlangung notwendiger Pflege- und Erziehungsleistungen decken könnte (EFSlg 68.475 ua). Reichen die eigenen Einkünfte des Kindes zur vollen Deckung seiner Bedürfnisse in diesem Sinn nicht aus, dann kommt gemäß § 140 Abs 3 erster Halbsatz ABGB nur eine Minderung der Unterhaltsverpflichtung in Frage (SZ 63/101 ua; siehe die weiteren Nachweise bei Purtscheller - Salzmann aaO, Rz 46 E 4).
Bezogen auf den konkreten Fall bedeutet dies, daß von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Mj.Wolfgang E***** selbst dann keine Rede sein kann, wenn er - wie ihm das Rekursgericht unterstellte - den Abbruch seiner Berufsausbildung selbst verschuldete und bei einem deshalb zu fordernden sofortigen Eintritt in das Erwerbsleben in der Lage wäre, ein Einkommen in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes zu erzielen. Offensichtlich bedarf er nämlich noch immer intensiver Pflege und Erziehung, die ihm im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt vom Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger gewährt wurde. Vom enormen Kostenaufwand, den diese Betreuung verursachte, wäre jedenfalls - in Geld bewertet - ein so großer Teil auch im Haushalt der noch immer obsorgepflichtigen Mutter aufgelaufen, daß bei entsprechender Entlastung beider unterhaltspflichtiger Elternteile durch das fiktive Eigeneinkommmen des Minderjährigen (siehe dazu Purtscheller - Salzmann aaO, Rz 46 E 2 ff) ein erheblicher, vom Vater zu deckender Restbedarf bleibt.
Die Bemessung dieses restlichen Geldunterhalts mit S 2.000,-- monatlich stößt angesichts der bereits angesprochenen besonderen Intensität der dem Minderjährigen noch zu erbringenden Betreuungsleistungen auf keine Bedenken. Daß er beim festgestellten Sachverhalt auch die finanzielle Leistungsfähigkeit des Revisionsrekurswerbers nicht überspannt, wurde bereits gesagt.
Die angefochtene Entscheidung war daher zu bestätigen, ohne noch näher auf die Frage eingehen zu müssen, ob die Anspannung des Minderjährigen auf ein fiktives Erwerbseinkommen überhaupt gerechtfertigt war und ob alle durch die Heimunterbringung des Minderjährigen (gegenüber der Betreuung im mütterlichen Haushalt) verursachten Mehrkosten einen Sonderbedarf begründen, der vom Vater zu decken wäre (vgl RZ 1993, 280/94 ua). Ein möglicherweise bestehendes Erziehungsdefizit beim Minderjährigen wäre jedenfalls für sich allein kein Grund, den Vater von seiner Unterhaltspflicht zu befreien (vgl SZ 42/24).
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