OGH 9ObA224/94

OGH9ObA224/9430.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Heinrich Basalka und Franz Murmann als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Julius R*****, Versicherungsangestellter, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Korn, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei ***** VersicherungsAG, ***** vertreten durch Dr.Josef Bock, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (S 500.000,- samt Anhang), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20.April 1994, GZ 31 Ra 25/94-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19.Oktober 1993, GZ 4 Cga 123/93y-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 21.375,- (darin S 3.562,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 12.6.1942 geborene Kläger war von 1966 bis Ende 1986 Angestellter der E***** VersicherungsAG. Die beklagte Partei warb ihn von dort ab. Bei der beklagten Partei war der Kläger ab 1.1.1987 als "Landesdirektor" Leiter der Direktion für Industrie- und Großkundenbetreuung. Sein Grundgehalt entsprach dem für Prokuristen geltenden Schema (Beilage 1). Nach dem Dienstvertrag vom 22.12.1986 wurde ihm für die Berechnung der Abfertigung und der vertraglichen Ansprüche auf Ruhegenuß sowie für alle Fälle, in denen die Dauer der Dienstzeit von Bedeutung ist, eine Vordienstzeit von 18 Jahren voll angerechnet.

In § 12 dieses Vertrage wurde weiters festgehalten, daß dem Kläger nach vollendetem 10.Dienstjahr ein Ruhebezug unter anderem dann gebührt, wenn das Dienstverhältnis, ohne daß ein wichtiger Grund vorliegt, durch Kündigung seitens des Unternehmens oder einvernehmlich aufgelöst wird. Für die Beurteilung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, sollen die Grundsätze des § 27 AngG mit der Beschränkung maßgeblich sein, daß Krankheit oder Unglücksfall (§ 27 Abs 5 AngG) nicht als wichtiger Grund anzusehen ist. Gemäß § 15 des Vertrages (anderweitige Beschäftigung) nahm der Kläger zur Kenntnis, daß ihm alle Beschäftigungen und Betätigungen, welche das Interesse oder das Ansehen des Unternehmens schädigen, sowohl während des aktiven Dienstverhältnisses als auch im Ruhestand verboten sind .......... Ein Zuwiderhandeln im Ruhestand sollte seine Pensionsansprüche bzw die Pensionsanwartschaft der Angehörigen zum Erlöschen bringen. Mit Schreiben vom 23.2.1990 kündigte die beklagte Partei das Dienstverhältnis des Klägers ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes zum 30.9.1990 auf. Vom 30.9.1990 bis 31.12.1990 war der Kläger arbeitslos. In der Zeit vom 1.1. bis 30.9.1991 war der Kläger bei der Z***** VersicherungsAG in S***** als Büroleiter tätig. Seine Aufgabe bestand in der Koordination, Ausbildung und Schulung von Mitarbeitern. Dieses Dienstverhältnis endete durch Dienstgeberkündigung. Obwohl sich der Kläger bemühte, eine Beschäftigung zu finden, ist er seither wieder arbeitslos.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung, daß er ab 1.10.1991 einen Anspruch auf Auszahlung des Ruhegenusss gemäß § 12 des Dienst- und Pensionsvertrages habe. Er sei völlig grundlos gekündigt worden, obgleich es ihm gelungen sei, das Prämienaufkommen gegenüber dem Plan beträchtlich zu steigern. Ihm sei auch bis heute kein Grund für seine Enthebung bekannt gegeben worden. Auffallend sei in diesem Zusammenhang allerdings, daß die beklagte Partei mit dem Tag seiner Kündigung die Leitung der Direktion für Industrie- und Großkundenbetreuung einem ehemaligen Nationalratsabgeordneten und Schwiegersohn des amtierenden Bundespräsidenten übertragen habe, dem kein Nationalratsmandat mehr zur Verfügung gestanden sei. Diese Vorgangsweise sei auch in der Presse heftig kritisiert worden. Der Kläger habe diese Kündigung wegen Sozialwidrigkeit (Sorgepflichten für Gattin und studierenden Sohn) angefochten. Daraufhin habe die beklagte Partei die vorher unterlassene Verständigung des Betriebsrats nachgeholt und neuerlich gekündigt. Der Betriebsrat habe offensichtlich über Ersuchen der Geschäftsleitung der Kündigung zugestimmt und dem Kläger damit das Anfechtungsrecht abgeschnitten. Die beklagte Partei habe ihm nicht nur Entgeltbestandteile vorenthalten (9 ObA 19/93), sondern auch den vereinbarten Ruhegenuß und ihm die damit in Verbindung stehenden Ansprüche aus der Gruppenkrankenversicherung entzogen.

Der Kläger sei sein ganzes Leben lang in der Versicherungsbranche tätig gewesen. Es könne ihm nicht verwehrt sein, bei einem renommierten Versicherungsunternehmen in einer Art tätig zu werden, welche weder das Ansehen noch die Interessen der beklagten Partei beeinträchtigen könne. Der Standpunkt der beklagten Partei laufe auf ein lebenslängliches absolutes Beschäftigungsverbot hinaus; ein solches Verbot sei sittenwidrig. Während der Kläger bei der beklagten Partei in der Akquisition tätig gewesen sei, sei er in S***** nur im Lokalbereich mit anderen Aufgaben betraut gewesen. Bis zum Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters müsse er noch einem Erwerb nachgehen. Ein Branchenwechsel sei bei einem Alter von 50 Jahren nicht mehr möglich.

Die beklagte Partei beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger sei bei einer anderen Versicherung in der Akquisition tätig gewesen und habe somit sowohl die Interessen der beklagten Partei geschädigt als auch gegen das Konkurrenzverbot (§ 27 AngG) verstoßen. Der Kläger habe sich die Pension bei der beklagten Partei durch seine nur 3 1/2 Jahre dauernde Tätigkeit nicht verdient, sondern sei nur zufolge der Anrechnung der Vordienstjahre in den Genuß der Pensionszusage gekommen. Bei einem Pensionsbezug von S 29.400,-

vierzehnmal jährlich, sei es dem Kläger zumutbar gewesen, das Konkurrenzverbot zu beachten. Das Pensionsübereinkommen sei daher gemäß § 15 des Vertrages zu Recht aufgelöst worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß die beklagte Partei das Dienstverhältnis des Klägers ohne wichtigen Grund aufgekündigt habe, so daß der Kläger einen Anspruch auf Ruhebezug erworben habe. Der Kläger sei nach dem Ende des Dienstverhältnisses keine Beschäftigung eingegangen, die das Ansehen oder das Interesse der beklagten Partei geschädigt habe; dieser sei lediglich als Büroleiter tätig gewesen. Hätte der Kläger selbst gekündigt, hätte er für die Dauer von 12 Monaten eine Konkurrenzklausel einhalten müssen. Für den Fall einer Dienstgeberkündigung gelte diese Klausel nicht. Die Anforderung an die Treuepflichtklausel in der Pensionsvereinbarung dürften nicht überspannt werden. Sanktionsfähig seien nur grobe Treueverstöße, die vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig ohne berechtigtes Eigeninteresse vorgenommen würden. Derartige Verstöße seien dem Kläger nicht anzulasten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte ergänzend aus, daß die Tätigkeit des Klägers bei einem Konkurrenzunternehmen in einem anderen Geschäftszweig und in einer anderen Stadt die Interessen der beklagten Partei nicht beeinträchtig habe. Hingegen seien die Eigeninteressen des Klägers berechtigt, weil er vor Erreichen des Pensionsalters bei der beklagten Partei ausgeschieden und zur Wahrung seiner gesetzlichen Pensionsansprüche auf eine Beschäftigung angewiesen sei. Auch bei Anwendung der §§ 36, 37 AngG auf die Treuepflichtklausel sei die beklagte Partei nicht zum Widerruf der Pensionsansprüche berechtigt, weil der Kläger keinen Anlaß für die Beendigung des Dienstverhältnisses gegeben und die beklagte Partei das Entgelt nicht fortgezahlt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (vgl Arb 10.742 = ZAS 1989, 171 [Binder] = DRdA 1990/33 [Resch]; DRdA 1993/58 [Eichinger] ua), ist eine Pensionsvereinbarung als entgeltliches Geschäft zu qualifizieren, bei dem der Arbeitnehmer vorgeleistet hat und nun seinem Partner gleichsam auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Schon aus diesem Grund sind nur grobe Treueverstöße sanktionsfähig; diese müssen vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig ohne ein im Vergleich zu den gefährdeten Interessen des Arbeitgebers berücksichtigungswürdiges Eigeninteresse des Arbeitnehmers vorgenommen worden sein und dem Arbeitgeber einen derart erheblichen Schaden zugefügt oder dessen betriebliche Interessen so schwer gefährdet haben, daß es ihm unzumutbar ist, noch länger an der Pensionsvereinbarung festzuhalten. Eine derart schwere Gefährdung der betrieblichen Interessen der beklagten Partei kann in der Annahme einer untergeordneten Stellung im Innendienst (Büroleiter) bei einem Konkurrenzunternehmen in S*****, in der der Kläger lediglich als Koordinator und Ausbilder tätig war, nicht erblickt werden. Daß der Kläger die beklagte Partei etwa dadurch geschädigt habe, daß er betriebsschädliche Informationen über deren Unternehmen weitergegeben hätte, wurde in erster Instanz weder behauptet noch festgestellt. Dem Kläger kann somit, soweit er überhaupt konkurrenzierend tätig wurde, nicht vorgeworfen werden, er hätte durch seine kurzfristige Beschäftigung in S***** dem Ansehen oder den Interessen der beklagten Partei Schaden zugefügt (vgl den die beklagte Partei betreffenden Fall ZAS 1989/26 [Petrovic] ua).

Berücksichtigt man bei der Auslegung des § 879 ABGB die in den §§ 36 f AngG zum Ausdruck kommenden Wertungen, ist vorerst festzuhalten, daß die Erwerbsfreiheit eines Arbeitnehmers nur in einem geringen Ausmaß einer vertraglichen Beschränkung unterworfen werden darf. Dazu kommt die Bewertung der konkreten Situation des Klägers, dem die beklagte Partei Führungsqualitäten bescheinigt, gegenüber den betrieblichen Interessen der beklagten Partei. Der nunmehr 52 Jahre alte Kläger wurde von der beklagten Partei von einem Versicherungsunternehmen abgeworben, in dem er rund 20 Jahre tätig gewesen ist. Die beklagte Partei kann sich somit nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der Kläger sich seine Pensionsansprüche bei ihr gar nicht "erdient" habe. Der Kläger verlor nämlich durch seine Kündigung beim vormaligen Arbeitgeber und den Arbeitsplatzwechsel seine dort erworbenen Ansprüche, so daß die Anrechnung einer Vordienstzeit von 18 Jahren nur ein Äquivalent darstellt, das die beklagte Partei in ihrem eigenen Interesse (Abwerbung) vorgenommen hat. Der Kläger hat sich durch den Arbeitsplatzwechsel ebenso "auf Gedeih und Verderb" der beklagten Partei ausgeliefert, als ob er die 18 Jahre im Betrieb der beklagten Partei gearbeitet hätte. Die beklagte Partei kündigte den Kläger ohne wichtigen Grund. Sie hatte es einseitig in der Hand, die Dienste des Klägers weiter in Anspruch zu nehmen oder ihn vor Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters in eine andere Beschäftigung zu zwingen (9 ObA 197/94), wobei die Möglichkeiten des Klägers zu einer beruflichen Veränderung schon auf Grund seines höheren Alters und seines bisherigen Berufslebens von vorneherein mehr als eingeschränkt waren (9 ObA 50/87). Andererseits mußte der Kläger, wie das Berufungsgericht richtig erkannte, schon deshalb wieder einer Beschäftigung nachgehen, weil er auch für seine gesetzlichen Pensionsansprüche (Versicherungszeiten) vorzusorgen hat. Die beklagte Partei verweigerte ihm überdies die Zahlung berechtiger Entgeltansprüche für die Zeit der Kündigungsfrist; deren Zuspruch mußte er sich erst durch ein Gerichtsverfahren erstreiten (9 ObA 19/93). Es trifft daher nicht zu, daß der Kläger durch seine Betriebspension allein bereits sozial so abgesichert gewesen wäre, daß er bis zu seinem gesetzlichen Pensionsalter keiner anderweitigen Beschäftigung mehr hätte nachgehen brauchen.

Die nach der Beendigung des Dienstverhältnisses eingetretene und nach der kurzfristigen Beschäftigung bei einem anderen Versicherungsunternehmen andauernde Arbeitslosigkeit des Klägers zeigt hinreichend deutlich, daß es sich der Kläger bei der Suche nach einer anderen (nicht konkurrenzierenden) Tätigkeit nicht leicht gemacht hat. Die Arbeitslosigkeit indiziert geradezu die Schwierigkeiten, die der Kläger auf Grund seines Alters und Berufsbildes bei der Arbeitssuche hat und haben muß. Es stellt sich daher die Frage, ob sich die beklagte Partei durch die Treuepflichtklausel in Verbindung mit der grundlosen Kündigung überhaupt das Recht erkaufen konnte, den Kläger für sein weiteres noch viele Jahre dauerndes Erwerbsleben von einem für ihn allenfalls noch hoffnungsträchtigen Teil des Arbeitsmarktes, insbesondere von der Ausübung einer konkurrenzierenden Tätigkeit, fernzuhalten (vgl Schima, Zulässigkeit von Treuepflichtklauseln in Pensionsverträgen, JBl 1993, 430 ff, 436). Die von der beklagten Partei geforderte Treue und Loyalität läuft insoferne auf eine grobe Äquivalenzstörung zu Lasten des Klägers hinaus, welche im konkreten Fall die Unwirksamkeit der Treuepflichtklausel wegen Sittenwidrigkeit zur Folge haben muß (vgl ZAS 1973/16 [Holzer] ua).

Die durch den Gesetzgeber in Art V Abs 4 Z 3 BPG anerkannte Widerrufsmöglichkeit wegen eines Verstoßes gegen eine bestehende Konkurrenzklausel führt entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht zur absoluten Gültigkeit solcher Klauseln, sondern nur dazu, daß diese Vereinbarungen prinzipiell beachtlich bleiben. Ob sie im Einzelfall wirksam sind, ist aber nach wie vor durch eine Abwägung zwischen den geschützten Arbeitgeberinteressen und den beeinträchtigten Arbeitnehmerinteressen zu ermitteln (vgl Resch, Treuepflichtklauseln in Betriebspensionsvereinbarungen, ecolex 1991, 551 ff, 631 ff, 552; Schima aaO, 436 f; ZAS 1973/16 [Holzer]; DRdA 1993/58 [Eichinger, insbesondere 495] ua).

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.

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