OGH 7Ob31/94

OGH7Ob31/9423.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Laszlo T*****, vertreten durch Dr.Johann Fontanesi, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** Versicherung AG, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Eisenberger und Dr.Jörg Herzog, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 2,000.000,--, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 22.Juli 1994, GZ 2 R 146/94-15, womit das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 20.Mai 1994, GZ 18 Cg 9/94-8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 94.607,40 (darin enthalten S 7.767,90 USt und S 48.000,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger, ein ungarischer Staatsbürger, hat mit der beklagten Partei eine Unfallversicherung abgeschlossen, wonach er bei einer zumindest 50 %igen Invalidität infolge eines Unfalles die Versicherungssumme von S 2,000.000,-- erhält. Am 8.11.1991 wurde der Kläger als Beifahrer in einem PKW bei einem Unfall in Ungarn verletzt. Er begehrte von der klagenden Partei die Auszahlung der Versicherungssumme mit Fälligkeitstermin 1.8.1992. Die beklagte Partei lehnte diese Forderung mit Schreiben vom 3.8.1992 ab, weil der Invaliditätsgrad bei 38,5 % liege. Der Kläger wurde in diesem Schreiben darauf hingewiesen, daß er innerhalb von 6 Monaten nach Erhalt des Schreibens seinen vermeintlichen Deckungsanspruch gerichtlich geltend machen müsse, um diesen nicht schon allein aus formalrechtlichen Gründen zu verlieren. Überdies wurde auch die Bestimmung des § 12 Abs 3 VersVG wörtlich wiedergegeben.

Ein weiteres Schreiben des Klägers vom 14.8.1992 wurde seitens der beklagten Partei am 21.9.1992 dahin beantwortet, daß die Leistung weiterhin dem Grunde nach zur Gänze abgelehnt werde, weil sich aus den vom Kläger zur Verfügung gestellten ärztlichen Unterlagen lediglich eine Bewegungsbeeinträchtigung des linken Ellbogens im Ausmaß von 55 % ergebe und der festgestellte Invaliditätsgrad somit deutlich unter 50 % liege. Dabei wurde auch auf das Instrument der Ärztekommission verwiesen. Mit Brief vom 29.1.1993 bekräftigte die beklagte Partei ihren ablehnenden Standpunkt, verneinte eine Bindung an das vom Kläger vorgelegte Gutachten und führte aus, daß der Invaliditätsgrad selbst unter Berücksichtigung des vom Kläger reklamierten Gehörleidens nach den Berechnungen der beklagten Partei unter 50 % liege. Mit Schreiben vom 28.6.1993 machte der anwaltliche Vertreter der klagenden Partei den Anspruch auf Auszahlung der Versicherungssumme unter Hinweis auf ein vorgelegtes Privatgutachten, welches von einer Gesamtinvalidität von 51 % ausging, geltend und drohte unter Setzung einer 14 tägigen Leistungsfrist mit Klage. Hierauf erwiderte die beklagte Partei mit Schreiben vom 20.7.1993, daß sie außerstande sei, eine Leistung an den Kläger zu erbringen. Unabhängig davon sei sie berechtigt, den Kläger auf ihre Kosten von einem ärztlichen Sachverständigen ihrer Wahl untersuchen zu lassen. Von dieser Möglichkeit wolle sie Gebrauch machen. Ein diesbezüglicher Termin werde bekanntgegeben. Der Inhalt dieses Schreibens wurde dem Kläger von seinem Vertreter mit Schreiben vom 28.7.1993 mitgeteilt. Mit Schreiben vom 15.9.1993 bestätigte der Vertreter des Klägers der Beklagten gegenüber, daß der Kläger mit der vorgeschlagenen Vorgangsweise einverstanden sei. Mit weiterem Schreiben vom 16.12.1993 bekräftigte die beklagte Partei neuerlich, zu keiner Leistung bereit zu sein, und wies darauf hin, daß der Anspruch des Klägers verfristet sei. Daran vermöge auch ihr Vorschlag, den Kläger durch einen von ihr ausgewählten Sachverständigen untersuchen zu lassen, nichts zu ändern, weil ein derartiges Gutachten ausschließlich zur Aktenvervollständigung und zur Klarstellung des Ausmaßes der unfallkausalen Invalidität des Klägers dienen habe sollen.

Mit seiner am 17.1.1994 eingebrachten Klage begehrte der Kläger S 2,000.000,-- sA, weil er aufgrund des Unfalles zu mehr als 50 % invalid sei. Die Frist des § 12 Abs 3 VersVG sei durch Vergleichsverhandlungen gehemmt worden. Die beklagte Partei habe auf den Einwand der Verfristung zumindest konkludent verzichtet, wie sich insbesondere aus ihrem Schreiben vom 20.7.1993 ergebe, mit dem der Kläger aufgefordert worden sei, sich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Eine dauernde Invalidität von zumindest 50 % sei nicht eingetreten. Unabhängig davon sei die Klage gemäß § 12 Abs 3 VersVG verfristet. Es seien weder Vergleichsverhandlungen geführt, noch sei auf den Verfristungseinwand verzichtet worden. Die beklagte Partei habe im Schreiben vom 20.7.1993 ausdrücklich ihren ablehnenden Standpunkt bekräftigt. Sie habe den Kläger nur deshalb von einem Sachverständigen ihrer Wahl in Österreich untersuchen lassen wollen, um sich ein Bild über die tatsächliche gesundheitliche Situation des Klägers, insbesondere im Hinblick auf einen allfälligen Prozeß, zu verschaffen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Auf den vorliegenden Rechtsstreit sei gemäß § 38 Abs 2 IPRG österreichisches Recht anzuwenden. Das Ablehnungsschreiben vom 3.8.1992 habe eine entsprechend klare Belehrung über die 6-monatige Frist zur Klagseinbringung enthalten. Die Präklusivfrist des § 12 Abs 3 VersVG sei daher Anfang Februar 1993 abgelaufen. Eine Hemmung des Ablaufes dieser Frist durch Vergleichsverhandlungen sei schon deshalb nicht erfolgt, weil es hiezu konkreter wechselseitiger Vergleichsvorschläge bedurft hätte, während die beklagte Partei Leistungen aus der Unfallversicherung ständig abgelehnt habe. Aus dem Schreiben vom 20.7.1993 sei weder ein ausdrücklicher noch ein stillschweigender Verzicht der beklagten Partei auf den Einwand der Verfristung abzuleiten. Die beklagte Partei sei nach den Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung berechtigt gewesen, den Kläger von einem ärztlichen Sachverständigen ihrer Wahl untersuchen zu lassen. Sie habe auch ausdrücklich darauf hingewiesen, außerstande zu sein, eine Leistung an den Kläger zu erbringen.

Das Gericht zweiter Instanz hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Es vertrat die Ansicht, daß der Kläger nach dem Inhalt des Schreibens vom 20.7.1993 nach allgemeiner Verkehrsauffassung davon ausgehen habe dürfen, daß die beklagte Partei seine Ansprüche durch Beiziehung eines von ihr ausgewählten ärztlichen Sachverständigen überprüfen und hievon ihre Entscheidung abhängig machen wolle. Das Schreiben habe keinen Hinweis auf den Ablauf der Frist des § 12 Abs 3 VersVG enthalten. Der Standpunkt, daß die in Aussicht gestellte Untersuchung nur zur Klarstellung des Invaliditätsgrades gedient habe, sei nicht nachvollziehbar. Das Angebot einer ärztlichen Untersuchung könne vielmehr nur dahin verstanden werden, daß sich die beklagte Partei auf eine (weitere) inhaltliche Prüfung der Ansprüche des Klägers einlassen wolle. Die Berufung der beklagten Partei auf den Ablauf der Präklusivfrist des § 12 Abs 3 VersVG verstoße daher gegen Treu und Glauben. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil zur Frage, unter welchen Umständen eine Berufung auf diese Frist gegen Treu und Glauben verstoße, keine gesicherte Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der beklagten Partei ist zulässig und berechtigt.

Es entspricht zwar der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß der Versicherer dadurch, daß er sich auf den Ablauf einer Ausschlußfrist beruft, gegen Treu und Glauben verstoßen kann. Ein solcher Verstoß wird insbesondere dann angenommen, wenn das Verstreichen der Frist in irgendeiner Weise durch das Verhalten des Versicherers verursacht worden ist. So kann die Berufung auf den Fristablauf treuwidrig sein, wenn sich der Versicherer nach Fristablauf noch auf Verhandlungen einläßt und neue Gutachten anfordert (VR 1990, 88; VersE 1448 je mwN). Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung auf die Erhebung des Verjährungseinwandes nach eingetretener Verjährung (außer für den hier nicht vorliegenden Fall, daß dem Versicherer der Ablauf der Verjährungsfrist unbekannt war) verzichtet werden (SZ 63/29 mwN; JBl 1992, 245; Schubert in Rummel2 II Rz 1, 2 zu § 1502 ABGB mwN). Die Annahme eines stillschweigenden Verzichtes auf den Verfristungseinwand ist jedoch insbesondere auch unter dem Aspekt des Verstoßes gegen Treu und Glauben (vgl Schubert aaO Rz 6 zu § 1451 ABGB) an entsprechend strenge Anforderungen geknüpft (vgl Prölss-Martin VVG25, 173 f).

Anders als in dem der Entscheidung 7 Ob 34/89 = VersE 1448 zugrundeliegenden Fall ließ die beklagte Partei hier von vorneherein keinen Zweifel daran, daß sie sich mit dem Kläger trotz der von diesem vorgelegten Unterlagen auf keine Verhandlungen einlassen wolle. Sie hat auch eindeutig klargelegt, daß sie mit einer Verlängerung der Frist des § 12 Abs 3 VersVG nicht einverstanden sei und auf den Verfristungseinwand nicht verzichten wolle. Sie wies vielmehr den Kläger mehrfach auf den drohenden Anspruchsverlust durch Verfristung hin. Wenn auch das Schreiben vom 20.7.1993 keinen (ausdrücklichen) Hinweis auf die bereits eingetretene Verfristung enthält, sondern - wie auch schon in der vor der Verfristung geführten Korrespondenz - die (abermalige) Ablehnung mit der unter 50 % liegenden Invalidität des Klägers begründet wurde, kann darin trotz der in Aussicht gestellten ärztlichen Untersuchung des Klägers kein Verzicht auf die Verfristungseinrede abgeleitet werden (vgl auch JBl 1992, 245, wonach ein solcher Verzicht in der bloßen Aufforderung, Belege zur Prüfung einer geltend gemachten Forderung zu übermitteln, nicht zu erblicken ist). Seit dem Ablauf der Frist war im Zeitpunkt dieses Schreibens fast ein halbes Jahr verstrichen, ohne daß die Korrespondenz weiter geführt worden wäre. Aus dem Schreiben ergibt sich keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß die beklagte Partei nun ungeachtet der längst verstrichenen Klagefrist und im Gegensatz zu ihrem bisher mehrfach deutlich zum Ausdruck gebrachten Standpunkt allenfalls zu einer Zahlung bereit sein werde. Das Schreiben bot für sich allein auch keinen Anlaß, den Kläger trotz Verfristung zur Klagsführung zu ermutigen. Umso weniger ließ das nachfolgende Verhalten der beklagten Partei eine Bereitschaft erkennen, ihren Standpunkt doch noch zu überdenken, weil der Kläger in der Folge zu keinem Arzt bestellt wurde, sondern ein weiteres ablehnendes Schreiben erhielt. Die beklagte Partei hat es in keiner Weise zu vertreten, daß der Kläger erst ein Jahr nach Ablauf der Frist die Klage einbrachte. Sie hat durch ihr nach der Verfristung an den Tag gelegtes Verhalten auch keine schutzwürdigen Interessen des Beklagten verletzt. In ihrer nunmehrigen Berufung auf die Verfristung, auf die sie im Schreiben vom 20.7.1993 - aus welchem Grund immer - nicht ausdrücklich hingewiesen hat, kann daher unter den gegebenen Umständen kein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben erblickt werden.

Hinsichtlich des anzuwendenden österreichischen Rechtes und des Fehlens von fristverlängernden Vergleichsverhandlungen ist im übrigen auf die zutreffenden Ausführungen des Gerichtes erster Instanz zu verweisen.

Wegen Spruchreife war somit der Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz aufzuheben und in der Sache selbst im Sinne einer Wiederherstellung des Urteiles erster Instanz zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte