Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Klägerin beendete nach dem Hauptschulbesuch eine Lehre als Industriekaufmann. Sie begann das Arbeitsverhältnis bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Hilfsarbeiterin am 15.1.1969. Am 1.10.1970 wurde sie in das Angestelltenverhältnis übernommen. Sie war bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten bis zu ihrer Kündigung wegen Betriebsstillegung zum 30.9.1980 und sodann nach Betriebsübernahme wiederum ab 1.4.1981 tätig. Die Fusionierung mit der nunmehrigen Beklagten am 1.1.1987 ließ das Arbeitsverhältnis der Klägerin unberührt. Am 1.4.1987 wurde die Klägerin zum Einzelprokuristen bestellt. Mit 30.6.1990 wurde das Dienstverhältnis einvernehmlich beendet. Das Angestelltenverhältnis der Klägerin unterlag den Bestimmungen des Kollektivvertrages für Angestellte des Gewerbes.
Mit ihrer am 28.5.1990 beim Erstgericht zu Protokoll gegebenen Klage begehrt die Klägerin (zuletzt) die Zahlung eines Betrages von S 401.317,15 brutto sA und brachte hiezu vor: Sie sei von der Beklagten zu Unrecht mit einem zu geringen Mindestgrundgehalt entlohnt worden. Nach der Art der von ihr ausgeübten Tätigkeit, die nahezu die gesamte Betriebsführung, insbesondere das Personalwesen, die Buchhaltung, die Auftragsbearbeitung, die Fakturierung, die Kundenbetreuung und den Verkauf alleinverantwortlich umfaßt habe, sowie unter Berücksichtigung der im Jahre 1987 erteilten Prokura wäre sie spätestens seit 1.4.1987 in die Verwendungsgruppe V des Kollektivvertrages nach 16 Verwendungsgruppenjahren einzureihen gewesen. Sie begehre die sich daraus seit 1.5.1987 ergebende Differenz zu den tatsächlich erfolgten Gehaltszahlungen, der Urlaubsentschädigung und Abfertigung sowie die Kündigungsentschädigung in Höhe eines Monatsgehalts.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte dessen Abweisung mit der Begründung, die Klägerin habe überwiegend in einem Kleinbetrieb Routinearbeiten verrichtet und sei hiefür richtig in die Verwendungsgruppe IV des Kollektivvertrages eingestuft gewesen.
Das Gericht erster Instanz gab dem Klagebegehren statt. In seiner Entscheidungsbegründung führte es aus: Die Klägerin habe zahlreiche besonders verantwortungsvolle Arbeiten selbständig ausgeführt, wozu überdurchschnittliche Berufskenntnisse und mehrjährige praktische Erfahrung erforderlich gewesen seien. Sie sei für die Kassaführung, die Buchhaltung, das Personalwesen und für sämtliche Betriebsbereiche zuständig gewesen; es sei ihr Prokura erteilt worden. Demzufolge wäre sie richtigerweise in die Verwendungsgruppe V des Kollektivvertrages einzureihen gewesen, obwohl sie, bedingt durch die Gegebenheiten eines Kleinbetriebes, auch weniger qualifizierte Arbeiten habe verrichten müssen. Der Klägerin seien die Vordienstzeiten seit 1.10.1970 anzurechnen, da gemäß § 17 Abs.9 des Kollektivvertrages das dem Angestellten gebührende monatliche Mindestgrundgehalt innerhalb einer Verwendungsgruppe durch die Zahl der anrechenbaren Praxis- bzw. Verwendungsgruppenjahre bestimmt werde. Praxisjahre seien alle jene Zeiten, die ein Dienstnehmer als Angestellter im Sinne des Angestelltengesetzes, gleichgültig mit welcher Art der Verwendung, verbracht habe. Der Klägerin stehe daher ab 1.4.1987 der Mindestgrundgehalt der Verwendungsgruppe V nach 16 Dienstjahren zu.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß gerade die Vielfalt der Tätigkeiten, selbst wenn diese auch solche von geringerer Wertigkeit enthalten haben, die relativ hohe Einstufung der Klägerin rechtfertige. Die Prokuraerteilung zeige die besondere Verantwortlichkeit der Tätigkeit der Klägerin. Eine Unterscheidung von Verwendungsgruppen- und Praxisjahren habe nicht zu erfolgen, da § 17 Abs.9 des Kollektivvertrages beide Zeiten gleichwertig behandle.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das berufungsgerichtliche Urteil erhobene Revision der Beklagten ist berechtigt.
Maßgebend für die Einreihung nach dem Kollektivvertrag ist die Art der tatsächlich überwiegend geleisteten Tätigkeit (Floretta/Spielbüchler/Strasser3 I 187; Arb 10.313; 9 ObA 310/89; 9 ObA 104/93; 9 ObA 347/93). Für die Einstufung des Dienstnehmers ist daher nur von Bedeutung, inwieweit seine Dienstleistung unter die im Kollektivvertrag genannten Tätigkeitsmerkmale subsumiert werden kann. Der Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes in der für den Tätigkeitszeitraum der Klägerin jeweils geltenden Fassung nennt im wesentlichen als Voraussetzung für die Einstufung in die Verwendungsgruppe V, daß der Angestellte Arbeiten erledigt, die besonders verantwortungsvoll und selbständig ausgeführt werden müssen, wozu umfangreiche überdurchschnittliche Berufskenntnisse und mehrjährige praktische Erfahrungen erforderlich sind; ferner die regelmäßige und dauernde Betrauung mit der verantwortlichen Führung, Unterweisung und Beaufsichtigung von größeren Angestelltengruppen (über fünf Angestellte, von denen entweder einer der Verwendungsgrupe IV oder mehrere der Verwendungsgruppe III angehören müssen). Als Beispiele für den kaufmännischen und administrativen Bereich werden genannt die Tätigkeiten als Bilanzbuchhalter, Stellvertreter von Angestellten der Verwendungsgruppe VI, Leiter des Personalbüros, Einkäufer, die mit dem selbständigen Ankauf der wesentlichen Vormaterialien (zB Rohstoffe) beauftragt sind, soweit diese Tätigkeit eine Qualifikation im Sinne der genannten Tätigkeitsmerkmale erfordert, Angestellte im Verkauf, die mit der weitgehend abschlußreifen Vermittlung bzw dem Abschluß von Geschäften beauftragt sind, welche aufgrund ihres Schwierigkeitsgrades sowie aufgrund ihrer Bedeutung für das Unternehmen besondere Qualifikation im Sinne der genannten Tätigkeitsmerkmale erfordern, Leiter der EDV, Programmierer, Analytiker und Betriebsärzte.
Nach den Feststellungen des Erstgerichtes war die Klägerin zumindest in den letzten Jahren die einzige Büroangestellte. Sie erledigte neben der Buchhaltung alle anfallenden Büroarbeiten und führte selbständig die Korrespondenz. Sie machte die Lohnverrechnung samt Jahresausgleich und Lohnexekution und kontrollierte teilweise die Endfertigung. Sie wickelte allein den gesamten Versand ab. Ab Mitte des Jahres 1986 führte sie die gesamte Auftragsbearbeitung durch, d. h. sie nahm die Bestellungen auf, legte Laufkarten an, bestellte das erforderliche Material, erteilte den Produktionsauftrag und nahm schließlich Fakturierung und Versand vor. Die Klägerin kontrollierte die Anwesenheit der zehn im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter, bearbeitete die Krankenstände und konnte nach Rücksprache mit dem Geschäftsführer deren Urlaube einteilen sowie Mitarbeiter kündigen oder aufnehmen. Sie führte die Kassa und war auf dem Firmenkonto zeichnungsberechtigt. Die Klägerin war für die finanziellen Belange allein zuständig, veranlaßte alle Lohn- und Gehaltsauszahlungen sowie die Überweisungen sämtlicher Lieferantenrechnungen. Sie bewertete die jährliche Inventuraufnahme, kalkulierte in geringerem Ausmaß und erstellte mit Ausnahme der letzten beiden Jahre die Bilanz gemeinsam mit dem Geschäftsführer. Ab April 1987 war die Klägerin zur Einzelprokuristin des Unternehmens bestellt.
Diese Feststellungen des Erstgerichtes zeigen, daß der Klägerin Arbeiten oblagen, die ein hohes Maß an Verantwortungsbewußtsein und weit überdurchschnittliche Berufskenntnisse und praktische Erfahrungen erforderten. Durch den ihr zugewiesenen Wirkungsbereich erhielt sie eine das Unternehmen stark beeinflussende Stellung, sodaß die Prokura nicht nur als Erteilung der gesetzlich umschriebenen Formalvollmacht, sondern als adäquater Ausdruck der Bedeutung ihrer Position gesehen werden muß. Durch die Vertrauensposition der Klägerin und ihr Weisungsrecht gegenüber den Arbeitern sowie das Verrichten der für die Aufrechterhaltung des Betriebes maßgeblichen kaufmännischen Arbeiten wurde der reibungslose Ablauf des Betriebes garantiert. Es kann daher nicht schaden, wenn die Klägerin auch geringwertigere Arbeiten wie etwa Reinigungsarbeiten verrichtet hat. Es kommt nämlich unter diesen Umständen nicht auf das zeitliche Überwiegen der nicht qualifizierten Tätigkeit an, weil die anderen Arbeiten der Klägerin für ihren Dienstgeber von wesentlicher Bedeutung waren (DRdA 1994, 69).
Während somit grundsätzlich die Einstufung der Klägerin in die Verwendungsgruppe V des Kollektivvertrages zu bejahen ist, hätte das Erstgericht bei Berechnung der zustehenden Entlohnungsdifferenz nicht blindlings dem Vorbringen der Klägerin folgen dürfen. Wie die Beklagte in ihrer Berufung zu Recht gerügt hat, sind nämlich entgegen der Ansicht der Vorinstanzen bei Berechnung des monatlichen Mindestgrundgehalts Praxis- und Verwendungsgruppenjahre nicht gleichzusetzen. Gemäß § 17 Abs.9 des Kollektivvertrages ist innerhalb einer Verwendungsgruppe das dem Angestellten gebührende monatliche Mindestgrundgehalt durch die Zahl der anrechenbaren Praxis- bzw. Verwendungsgruppenjahre bestimmt. Als Praxisjahre gelten jene Zeiten, die ein Dienstnehmer gleichgültig in welcher Art der Verwendung als Angestellter im Sinne des Angestelltengesetzes, als Verwendungsgruppenjahre jene Zeiten, die ein Dienstnehmer in einer bestimmten Verwendungsgruppe verbracht hat. Die Formulierung dieser Gesetzesstelle bedeutet aber keinesfalls, daß Praxis- und Verwendungsgruppenjahre bei der Einstufung innerhalb einer Verwendungsgruppe undifferenziert als anspruchsbegründend herangezogen werden können. Wie sich aus der Teil des Kollektivvertrages bildenden Gehaltstafel ergibt, ist nämlich für die Vorrückung innerhalb der Verwendungsgruppe ausschließlich die in dieser verbrachte Zeit ausschlaggebend. Die Praxis - im Falle der Verwendungsgruppe V bei Fehlen sonstiger Ausbildung 42 Monate - liegt hingegen vor der Verwendung in der bestimmten Gruppe und bildet die Voraussetzung für die Einstufung in dieselbe. Dies ergibt sich klar aus § 17 Abs.11 des Kollektivvertrages, welcher normiert, daß ein Angestellter, der bei seiner Einreihung in eine Verwendungsgruppe noch nicht die vorgeschriebene Praxis aufweist, bis zur Erreichung dieser Zeit 90 % (früher: 80 %) des Mindestgrundgehaltes der in Betracht kommenden Verwendungsgruppe zu erhalten hat, jedoch nicht weniger als das Mindestgrundgehalt, das ihm in der nächstniedrigeren Verwendungsgruppe aufgrund der dort anzurechnenden Praxis- bzw. Verwendungsgruppenjahre zustehen würde. In diesem Falle beginnen die Verwendungsgruppenjahre gleichzeitig mit den Praxisjahren zu laufen. Im Falle ausreichend vorliegender Praxisjahre hat die Vorrückung jedoch ausschließlich nach § 17 Abs.7 zu erfolgen, wonach in der höheren Verwendungsgruppe das den bisher erreichten Mindestgrundgehalt nächsthöhere Mindestgrundgehalt der neuen Verwendungsgruppe gebührt. Dabei darf das jeweilige Mindestgrundgehalt des Angestellten jedoch jenes Mindestgrundgehalt nicht unterschreiten, das er beim Verbleiben in der bisherigen Verwendungsgruppe durch Zeitvorrückung erreichen würde.
Um somit das zustehende monatliche Mindestgrundgehalt in der Verwendungsgruppe V ermitteln zu können, bedarf es Feststellungen darüber, ab welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine entsprechende Einstufung vorlagen und in welcher Verwendungsgruppe, dort in welchem Verwendungsgruppenjahr, sich die Klägerin davor befand. Durch Vergleich des in der ursprünglichen Verwendungsgruppe bezogenen Mindestgrundgehalts wird sodann die Einstufung in der Verwendungsgruppe V mit dem nächsthöheren Mindestgrundgehalt festzustellen und ab dem zu ermittelnden Zeitpunkt der Tätigkeit in der Verwendungsgruppe V sodann ausgehend von dieser Stufe je nach Anzahl der Verwendungsgruppenjahre weiterzurechnen sein.
Dem Obersten Gerichtshof ist es verwehrt, diese Berechnungen selbst anzustellen, da sich aus den Feststellungen des Erstgerichtes der Zeitpunkt, ab wann die Tätigkeit der Klägerin der Verwendungsgruppe V zu unterstellen ist, nicht mit Sicherheit ergibt und auch keine Anhaltspunkte vorliegen, in welchem Zeitraum davor die Klägerin in welche Verwendungsgruppen einzustufen wäre. Im fortgesetzten Verfahren wird es daher erforderlich sein, ein Leistungsprofil der Klägerin für die gesamte Zeit ihrer anrechenbaren Tätigkeit bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zu erstellen, wozu zweifelsohne auch die Vernehmung der von der Revisionswerberin beantragten Zeugen notwendig sein wird.
Es war daher der Revision im Sinne der Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs.1 ZPO.
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