OGH 9ObA143/94

OGH9ObA143/9428.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Barbara Hopf und Mag.Ernst Löwe in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DDr.Karl W*****, Angestellter, ***** 1110 Wien, vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Ö***** AG, ***** vertreten durch Dr.Nikolaus Siebenaller, Rechtsanwalt in Wien, wegen 258.580,40 S brutto sA, infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8.April 1994, GZ 32 Ra 174/93-21, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23.März 1992, GZ 7 Cga 1556/90-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.

Text

Begründung

Der Kläger ist seit 1.April 1980 als Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung bei der beklagten Partei beschäftigt. Ab 1.Jänner 1981 wurde dem Kläger von der beklagten Partei Handlungsvollmacht erteilt. Zum damaligen Zeitpunkt war es bei der beklagten Partei üblich, den Abteilungsleitern etwa ein Jahr nach Bestellung Handlungsvollmacht zu erteilen. Erst später wurde aus Gründen der Sparsamkeit die Handlungsvollmacht nicht mehr grundsätzlich nach der Einarbeitungszeit allen Abteilungsleitern erteilt. Gegenwärtig sind bei der beklagten Partei 28 Abteilungsleiter mit und 6 ohne Handlungsvollmacht beschäftigt. Ab Erteilung der Handlungsvollmacht, sohin erstmals für das Jahr 1981 wurde dem Kläger - wie allen übrigen Abteilungsleitern mit Handlungsvollmacht - jeweils eine Gratifikation von 80 % des letzten Dezember-Bruttogehaltes gewährt, wobei jeweils an ihn folgende schriftliche Mitteilung erging:

"..... Es freut uns, Ihnen mitteilen zu können, daß auf Antrag des

Vorstandes der Aufsichtsrat beschlossen hat, Ihnen aus Anlaß der

Genehmigung der Bilanz.... freiwillig und ohne Präjudiz für die

Zukunft eine Gratifikation in der Höhe von brutto....zu gewähren. Wir dürfen Sie bitten, in der Gewährung dieser Gratifikation den Ausdruck der Anerkennung und des Dankes des Vorstandes für Ihre Mitarbeit zu erblicken und zeichnen...."

Zu den Aufgaben des Klägers als Leiter der volkswirtschaftlichen Abteilung gehört unter anderem die Verfassung von als Information bezeichneten Schriften an die Unternehmensleitung, in denen auf aktuelle Probleme der Energiegewinnung und -verteilung in Österreich im Zusammenhang mit volkswirtschaftlichen Fragen Stellung zu nehmen ist. Im Jahre 1986 verfaßte der Kläger die Informationen 23/86 und 36/86. In der erstgenannten Information nahm der Kläger kritisch zu der von der beklagten Partei im Vertrag mit Ungarn über den Strombezug aus den Kraftwerk Nagymaros getroffenen Preisvereinbarung Stellung, ging aber davon aus, daß sich die Vor- und Nachteile des Vertrages für die österreichische Volkswirtschaft allenfalls egalisieren könnten. In der zweitgenannten Information wies der Kläger auf wiederholte Warnungen der volkswirtschaftlichen Abteilung vor einem Liquidationsantrag der beklagten Partei - um doch noch eine Zustimmung zur Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf zu erwirken - hin, zitierte mit den Worten "Sollte es schiefgehen, wäre es (die gewählte Vorgangsweise) ein schwerer unternehmenspolitischer Fehler" offenbar aus diesen früheren Stellungnahmen, um zu konstatieren "nun ist es schiefgegangen" und charakterisierte nach Hinweisen auf die durch den vorzeitigen Liquidationsbeschluß verpaßte Chance, ein Abklingen der durch den Unfall von Tschernobyl ausgelösten Erschütterungen abzuwarten, die dadurch geschaffene Lage mit den Worten "so aber haben wir den Scherben auf". Es sehe zwar nicht danach aus, daß noch etwas gerettet werden könnte, aber die dem Unternehmen obliegende Verantwortung gebiete es, alles nur Mögliche zu versuchen. Als neues Ergebnis habe sich herausgestellt, daß der Verwertungserlös für das Kernkraftwerk (exklusive Brennstoff) Null wäre, während man sich vorher der Illusion hingegeben habe, einige Milliarden Schilling erzielen zu können. Der Wiederherstellungswert des Kernkraftwerkes betrage 15 Milliarden Schilling; selbst Konservierungskosten von 50 Millionen Schilling jährlich bedeuteten nur 3 %o p.a. Danach folgen Ausführungen über die Bedeutung der Kernenergie als Primärenergieform des 21.Jahrhunderts und die mangelnde Vergleichbarkeit des Tschernobyl-Reaktors mit dem von Zwentendorf. Der Vorstand solle diese Argumentation in einem Memorandum an den Eigentümer Republik Österreich zusammenfassen und damit einen Antrag an die Hauptversammlung begründen, den Abbruch von Zwentendorf zumindest solange zurückzustellen, bis allenfalls auch in vergleichbaren Nachbarländern (BRD, Schweiz) der Ausstieg aus der Kernenergie beschlossene Sache sei. Es solle aber nicht so sein, daß die beklagte Partei wider besseres Wissen einen wie immer gearteten Antrag auf Verkauf des Kraftwerkes stelle und sich diese Vorgangsweise vom Eigentümer absegnen lasse. Sie solle vielmehr aufgrund ihres Fachwissens die oben skizzierte Vorgangsweise beantragen und sich diesen Antrag vom Eigentümer ablehnen lassen. Der Eigentümer hätte dann (wider die offiziell geäußerte Fachmeinung der Unternehmensleitung) offiziell in dem dazu zuständigen Gremium (Hauptversammlung) einen prinzipiellen Verwertungsauftrag (Nicht-Konservierung) zu erteilen, dem natürlich dann (wenn auch gegen die eigene, deutlich geäußerte Meinung) entsprochen werden müßte. Die Verantwortlichkeit für diesen folgenschweren Schritt wäre dann aber eindeutig.

Aufgrund dieser beiden Schreiben, die nicht nur an den Vorstandsdirektor, sondern auch an dessen Stellvertreter und einige andere Hauptabteilungsleiter gingen, setzte der Vorstand der beklagten Partei einen Untersuchungsausschuß ein, der den Kläger mündlich zur Stellungnahme zu diesen beiden Denkschriften, die insbesondere dem Vorstandsdirektor der beklagten Partei mißfielen, aufforderte. Der Kläger lehnte eine solche Stellungnahme in mündlicher Form ab und bestand darauf, die Fragen der Ausschußmitglieder schriftlich formuliert zu erhalten. Dem Verlangen des Klägers wurde nicht Rechnung getragen und es kam zu keiner Erörterung der beiden Denkschriften. Mit Schreiben vom 5.März 1987 teilte die beklagte Partei dem Kläger mit, daß sie die ihm erteilte Handlungsvollmacht ab sofort auf unbestimmte Zeit sistiere. Ab diesem Zeitpunkt wurden an den Kläger keine Gratifikationen mehr ausgezahlt (auch nicht für das vorangegangene Jahr 1986).

Der Kläger begehrt die Zahlung von 258.580,40 S brutto sA an Gratifikationen für die Jahre 1986 bis 1990 und brachte vor, daß die Gratifikation durch die regelmäßige Auszahlung zum Gehaltsbestandteil geworden sei. Aufgrund der an den Vorstand gerichteten kritischen Stellungnahmen sei es zu Unstimmigkeiten gekommen. Der Vorstand habe ohne arbeitsverfassungsrechtliche Grundlage eine "Disziplinarkommission" zur Klärung der Vorwürfe eingesetzt. Im März 1987 habe der Vorstand die Handlungsvollmacht sistiert. Ab diesem Zeitpunkt sei auch die Gratifikation nicht mehr ausgezahlt worden, was gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wandte ein, daß nicht allen Abteilungsleitern eine Handlungsvollmacht eingeräumt werde. Zudem sei eine Handlungsvollmacht jederzeit ohne Angabe von Gründen widerruflich. Die jährliche Gratifikation werde nicht automatisch gewährt, sondern in jedem Jahr vom Aufsichtsrat gesondert beschlossen, wobei die Auszahlung ausdrücklich "freiwillig und ohne Präjudiz für die Zukunft" erfolge. Der Kläger habe daher keinen Anspruch darauf erworben. Im übrigen habe der Vorstand das Vertrauen zum Kläger verloren, weil dieser zwei als Information bezeichnete Denkschriften betreffend die Liquidation des Kernkraftwerkes Zwentendorf bzw die Preisgestaltung im Strombezugsvertrag mit Ungarn verfaßt und darin unrichtige, unsachliche und unqualifizierte Vorwürfe gegen das Unternehmen und dessen Führung erhoben habe. Schließlich wandte die beklagte Partei auch Verjährung eines Teiles der geltend gemachten Ansprüche ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die beklagte Partei habe die Gratifikation unter ausdrücklichem Hinweis auf die Freiwilligkeit und Unpräjudizialität gewährt, so daß sie nicht Teil des sich aus dem Dienstvertrag ergebenden Entgeltanspruches geworden sei. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt worden, weil bereits während des Zeitraumes, in dem dem Kläger noch Gratifikationen ausgezahlt worden seien, nicht mehr allen - neu bestellten - Abteilungsleitern auch "automatisch" die Handlungsvollmacht erteilt worden sei. Zudem habe der Kläger in seinen Denkschriften Formulierungen verwendet, die einer Schmähung zumindest sehr nahe kämen und über die dem Kläger zustehenden Kritikbefugnisse weit hinausgingen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die Schlechterstellung des Klägers sei sachlich gerechtfertigt, da die in den Denkschriften zum Ausdruck gebrachte Kritik an der Unternehmensleitung und Unternehmenspolitik ein allenfalls berechtigtes Ausmaß überschreite und Formulierungen enthalte, die persönliche Angriffe auf leitende Manager der beklagten Partei darstellten. Aus diesem Grund sei der Widerruf der Handlungsvollmacht (und der damit verbundene Entzug der jährlichen Gratifikation) zulässig. Es handle sich um den Entzug einer freiwilligen Leistung, den der Kläger durch sein Verhalten verschuldet habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gerade auf freiwillige Leistungen, auf die die Arbeitnehmer keinen

Rechtsanspruch haben, wie die Gewährung einer Gratifikation ist der

Gleichbehandlungsgrundsatz anzuwenden. Bei Gewährung derartiger

Leistungen darf der Arbeitgeber die von ihm zugrundegelegten

Kriterien - bei deren Bestimmung er allerdings frei ist - nicht im

Einzelfall willkürlich und ohne sachlichen Grund verlassen und einem

einzelnen Arbeitnehmer das vorenthalten, was er den anderen

zubilligt. Der solcherart diskriminierte Arbeitnehmer hat in diesem

Fall Anspruch auf gleichartige Behandlung; der Arbeitgeber muß ihm

die den übrigen Arbeitnehmern zugewendeten Vorteile gleichfalls

gewähren (siehe DRdA 1992/44 [zust Eichinger] mwH). Da auch den

übrigen Abteilungsleitern nach der üblichen Einarbeitungszeit

Handlungsvollmacht erteilt und ab diesem Zeitpunkt die Gratifikation

gewährt wurde, war der Arbeitgeber nach dem

Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet, auch dem zum

Abteilungsleiter bestellten Kläger diese Gratifikation nach der

üblichen Einarbeitungszeit ebenso wie den übrigen Abteilungsleitern

zu gewähren. Nimmt man bei Auslegung des in den Mitteilungen des

Arbeitgebers über die Gewährung der Gratifikation enthaltenen

Widerrufsvorbehaltes auf diese Rechtslage Bedacht und berücksichtigt

auch noch die Bezugnahme auf die letzte Bilanz, dann konnte der

Kläger als Erklärungsempfänger nur davon ausgehen, daß sich der

Arbeitgeber den Widerruf lediglich aus unternehmensbezogenen Gründen

- insbesondere für den Fall der Verschlechterung des

Betriebsergebnisses - vorbehielt (vgl Welser, Widerrufsvorbehalt und

Teilkündigungsvereinbarung bei entgeltwerten Leistungen des

Arbeitgebers, DRdA 1991, 1 ff [6, 8]). Damit, daß die beklagte Partei

später zu Abteilungsleitern bestellten Angestellten nicht mehr in

jedem Fall Handlungsvollmacht erteilte und die Gratifikation

gewährte, hat sie in zulässiger Weise zeitlich differenziert (siehe

Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser Arbeitsrecht3 I 242;

Arb 9625; Arb 10.241 = DRdA 1985/16 [zust Binder] = ZAS 1984/14 [zu dieser Frage nicht Stellung nehmend Holzer]; ARD 4246/26/91); dies wirkte sich aber nicht zu Ungunsten des Klägers aus, weil er vor dem für die zeitliche Differenzierung maßgeblichen Stichzeitpunkt bereits die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der Gratifikation erfüllt hatte. Nahm daher die beklagte Partei die - im übrigen bei näherer Prüfung trotz der vielleicht nicht ganz glücklichen Wortwahl nicht als unsachlich oder beleidigend zu wertenden und auch konstruktive Vorschläge enthaltenden - Stellungnahmen des Klägers zum Anlaß, ihm nicht nur die - unbeschadet des Anspruches auf Vergütung jederzeit widerrufliche (siehe DRdA 1987/20 [zust Wachter]) - Handlungsvollmacht, sondern auch die bis dahin gewährte Gratifikation zu entziehen, dann war diese Vorgangsweise durch den anläßlich der Gewährung der Gratifikation jeweils gesetzten Vorbehalt nicht gedeckt und ist daher als vom Arbeitgeber einseitig verfügte Entgeltkürzung ohne Rechtsgrundlage zu qualifizieren (vgl Arb 9854 = EvBl 1980/117; WBl 1993, 223; 8 Ob A 208/94).

Da im vorliegenden Fall im Hinblick auf den unveränderten Aufgabenbereich des Klägers auch nach Wegfall der Handlungsvollmacht schon die Vereinbarung einer Teilkündigung unzulässig gewesen wäre (vgl Arb 10.038 = ZAS 1982/29 [zust Mayer-Maly]; DRdA 1989/8 [zust Beck-Mannagetta]) und darüber hinaus eine derartige Kündigungsmöglichkeit hier auch nicht vereinbart wurde (vgl Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser Arbeitsrecht3 I 262), erübrigt sich eine weitere Erörterung dieser hier gar nicht in Frage kommenden Möglichkeit zur einseitigen Änderung des Arbeitsvertrages. Auch die Erörterung der Frage, ob es sich bei einer Entgeltkürzung um eine zulässige Disziplinarmaßnahme handelt, kann unterbleiben, weil die in den §§ 96 Abs 1 Z 1 und 102 ArbVG genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit von disziplinären Maßnahmen - insbesondere Festlegung der Disziplinarmaßnahmen in einem Kollektivvertrag oder einer Betriebsvereinbarung und Entscheidung einer mit Zustimmung des Betriebsrates eingerichteten Stelle oder Zustimmung des Betriebsrates zur Maßnahme - nicht einmal behauptet wurden.

Die beklagte Partei ist daher zur Weitergewährung der Gratifikationen an den Kläger verpflichtet.

Da die Vorinstanzen, ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung, zur Abweisung des Klagebegehrens gelangten und daher weder die Höhe des - diesbezüglich nicht mehr unbestrittenen - ausgedehnten Klagebegehrens geprüft noch sich mit dem von der beklagten Partei in der Tagsatzung vom 11.Dezember 1991 erhobenen Verjährungseinwand auseinandergesetzt haben, ist diesbezüglich eine Ergänzung des Verfahrens erster Instanz erforderlich.

Der Revision war daher im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrages Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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