OGH 8Ob532/94

OGH8Ob532/9431.8.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 28. Mai 1985 geborenen mj.Nicole R*****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie 20.Bezirk, wegen Unterhaltsvorschuß infolge Rekurses der Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 1. Dezember 1993, GZ 44 R 874/93-18, mit dem der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 1.Oktober 1993, GZ 3 P 284/87-9, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

In Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird der erstgerichtliche Beschluß wiederhergestellt.

Text

Begründung

Mit dem pflegschaftsbehördlich genehmigten Scheidungsvergleich vom 27.7.1987 verpflichtete sich der Vater für die Minderjährige ab 1.8.1987 bis auf weiteres einen Unterhaltsbetrag von S 2.500,-

monatlich zu bezahlen. Eine Bemessungsgrundlage ist im Scheidungsvergleich nicht angeführt, der Beruf des Vaters, der italienischer Staatsbürger ist, wurde mit "selbständiger Kaufmann" angegeben. Im übrigen enthalten die Akten keinerlei Hinweise über die Berufsausbildung und berufliche Erfahrung des Vaters, sowie seine Lebens- und wirtschaftlichen Verhältnisse.

In der Zeit vom 15.7.1992 bis 31.8.1993 befand sich der Vater wegen eines Betrugsdeliktes in Untersuchungs- und anschließend in Strafhaft. Von dort wurde er am 31.8.1993 in Schubhaft entlassen und in sein Heimatland Italien abgeschoben.

Mit Beschluß vom 26.8.1992 bewilligte das Erstgericht dem Kind für die Zeit vom 1.8.1992 bis 31.7.1995 Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG in Richtsatzhöhe. Infolge der Haftentlassung wurde diese Bevorschussung mit Beschluß vom 1.10.1993 ab 1.9.1993 eingestellt.

Am 9.9.1993 beantragte die Minderjährige die Gewährung von Titelunterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von S 2.500,-

monatlich mit der Begründung, die Führung einer Exekution erscheine aussichtslos, weil der Unterhaltspflichtige aus Österreich nach Italien abgeschoben worden und seither unbekannten Aufenthaltes sei. Es bestehe weder ein Kontakt zur Kindesmutter, noch leiste er freiwillig Zahlungen.

Das Erstgericht gewährte dem Kind antragsgemäß Titelunterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von S 2.500,- monatlich für die Zeit vom 1.9.1993 bis 31.8.1996.

Infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, änderte das Rekursgericht den Beschluß dahingehend ab, daß der Antrag der Minderjährigen auf Gewährung von Titelunterhaltsvorschüssen nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG abgewiesen wurde.

In seiner Entscheidungsbegründung führte es aus:

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG habe das Gericht Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit begründete Bedenken bestünden, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht noch bestehe oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt sei. Einem aus der Haft entlassenen Unterhaltspflichtigen müsse eine angemessene Zeit für eine erfolgreiche Arbeitsplatzsuche zugebilligt werden; bis dorthin sei anzunehmen, daß er die im Unterhaltstitel festgesetzten Unterhaltsleistungen nicht erbringen könne. Der zuzubilligende Zeitraum für die Wiedereingliederung in das Berufsleben richte sich nach der Haftdauer, dem Lebensalter, der beruflichen Qualifikation und der Arbeitsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und nach der Arbeitsmarktsituation. Im vorliegenden Fall seien die berufliche Qualifikation und die Lebens- und wirtschaftlichen Verhältnisse des Vaters unbekannt; bekannt sei nur, daß er im Scheidungsvergleich und Scheidungsbeschluß als "selbständiger Kaufmann" bezeichnet werde und nach Verbüßung der Haftstrafe nach Italien abgeschoben worden sei und sich daher in einem anderem Land jedenfalls erst eine neue wirtschaftliche Existenz aufbauen müsse. Eine Gewährung von Titelvorschüssen werde erst nach Ablauf einer angemessenen Frist zum Aufbau einer solchen in Frage kommen; im Zweifelsfall würden entsprechende Erhebungen durchzuführen sein. Den Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Rekursgericht nicht zu.

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der außerordentliche Rekurs der Minderjährigen wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zulässig und berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin meint, vom Verpflichteten müßten nach der Haftentlassung Schritte gesetzt werden, die dessen Resozialisierung erst ermöglichen könnten. Setze dieser keine Maßnahmen zur Erlangung einer "normalen" Existenz, so sei prinzipiell von seiner Leistungsfähigkeit auszugehen. Zwischenzeitliche Erhebungen, insbesondere ein Telefonat am 31.1.1994 zwischen dem Unterhaltsschuldner und dem Amt für Jugend und Familie hätten ergeben, daß dieser in der Deutschland offensichtlich ein Unternehmen betreibe.

Zwar handelt es sich bei dem zuletzt genannten Vorbringen der Rechtsmittelwerberin über die wiedererlangte Leistungsfähigkeit des Vaters um ein dem Neuerungsverbot widersprechendes und daher unbeachtliches Vorbringen, doch ist der Rekurs aus den von ihr eingangs angeführten Gründen zulässig und berechtigt, weil die Rechtsansicht des Rekursgerichtes der oberstgerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere der E vom 16.9.1993, 2 Ob 574/93, die sich mit dieser Frage eingehend befaßt hat, widerspricht.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht Unterhaltsvorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Der Versagungsgrund nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat nicht eine erwiesene oder bescheinigte materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsansprüche zur Voraussetzung, sondern knüpft die Rechtsfolge der Versagung (Herabsetzung oder Einstellung) an das Bestehen begründeter Bedenken gegen den aufrechten materiellen Bestand des zu bevorschussenden gesetzlichen Unterhaltsanspruchs im titelmäßigen Ausmaß. Bloß objektiv gerechtfertigte Zweifel reichen zur Versagung nicht hin, vielmehr müßte schon eine zur Zeit der Schaffung des Exekutionstitels bestandene oder durch Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlage inzwischen eingetretene Unangemessenheit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung nach den bei der Entscheidung über den Vorschußantrag zu berücksichtigenden Tatumständen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein (EvBl 1993/34). Eine derart hohe Wahrscheinlichkeit der materiellen Unrichtigkeit des titelmäßigen Unterhaltsanspruches ist im Fall einer Haftentlassung nicht gegeben, weil nicht in jedem Fall gesagt werden kann, daß die Haftentlassung auch zu einer längeren Arbeitslosigkeit führt. Die Zeit, die der aus der Haft entlassene Unterhaltspflichtige für eine erfolgreiche Arbeitsplatzsuche benötigt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa Haftdauer, Alter, Arbeitsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, erlernter Beruf, Arbeitsmarktsituation und ähnlichen. Es kann aber keinesfalls generell gesagt werden, daß jeder, der aus der Haft entlassen wird, einige Monate benötigt, um wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Hatte er etwa einen "Mangelberuf" erlernt und hat die verbüßte Haftstrafe mit seiner beruflichen Qualifikation nichts zu tun, so wird er ohne weiteres in der Lage sein, in kürzester Zeit wieder einen Arbeitsplatz zu finden (2 Ob 574/93). Gleiches gilt auch für selbständige erwerbstätige Kaufleute: Es kann nicht generell gesagt werden, daß jeder selbständige Kaufmann, der wegen Betruges eine etwas mehr als einjährige Haftstrafe zu verbüßen hatte, einige Monate benötigt, um seiner Unterhaltsverpflichtung in der bisherigen (hier ohnedies bescheidenen) Höhe wieder nachzukommen. Die zur Versagung nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit des Unterhaltstitels ist daher allein auf Grund der Haftentlassung nicht gegeben (2 Ob 574/93).

Hieraus folgt, daß der erstgerichtliche Beschluß wiederherzustellen ist. Dem steht auch nicht entgegen, daß die Revisionsrekurswerberin nur einen Aufhebungs- und keinen Abänderungsantrag gestellt hat, weil an die Rechtsmittelerfordernisse im Außerstreitverfahren weniger strenge Anforderungen als im Rechtsmittelverfahren nach der ZPO zu stellen sind und das Rechtsmittel überhaupt keinen bestimmten Rekursantrag enthalten muß; es muß nur erkennen lassen, daß und inwieweit die Entscheidung der Vorinstanzen angefochten wird (8 Ob 155/72; 5 Ob 136/73; 8 Ob 46/74 uva; zuletzt etwa 3 Ob 11/94).

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