OGH 2Ob574/93

OGH2Ob574/9316.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Pflegeschaftssache des minderjährigen Patrick E*****, geboren am 27.7.1990, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wiener Neustadt, Jugendamt, als Sachwalter, wegen Gewährung von Vorschüssen nach dem UVG infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Sachwalters, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgerichtes vom 14.Mai 1993, GZ R 204/93-17, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 19.März 1993, GZ P 287/90-10, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahin abgeändert, daß dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien nicht Folge gegeben und der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Der Unterhaltssschuldner Wilhelm E***** verbüßte in der Zeit vom 25.8.1990 bis 25.2.1993 eine Haftstrafe. In der Zeit vom 1.9.1990 bis 28.2.1993 bezog der unterhaltsberechtigte Sohn Patrick E***** Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG.

Noch während der Verbüßung der Haftstrafe, nämlich am 29.10.1992, schloß der Vater mit dem Magistrat der Stadt Wiener Neustadt eine Unterhaltsvereinbarung in der er sich verpflichtete, für den minderjährigen Patrick E***** ab 1.3.1993 monatlich S 1.000,- zu bezahlen. Dem Vergleich wurde ein Nettoeinkommen von ca. S 8.000,-

bis S 10.000,- unter Einbeziehung einer weiteren Sorgepflicht für ein eheliches Kind im Alter von 13 1/2 Jahren zugrundegelegt. Dieses Einkommen wollte der Vater nach seiner Haftentlassung erzielen.

Am 17.3.1993 beantragte der Magistrat der Stadt Wiener Neustadt unter Berufung auf die genannte Unterhaltsvereinbarung dem minderjährigen Patrick E***** für die Zeit vom 1.3.1993 bis 29.2.1996 Unterhaltsvorschüsse nach § 4 Z 1 UVG in der Titelhöhe von S 1.000,-

monatlich zu gewähren, weil der Unterhaltsschuldner derzeit keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehe.

Das Erstgericht gab diesem Antrag statt.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rechtsmittel des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien Folge und änderte die Entscheidung dahingehend ab, daß der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach §§ 3, 4 Z 1 UVG abgewiesen wurde; der ordentliche Revisionsrekurs wurde nicht für zulässig erklärt.

Das Rekursgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, es bestünden im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG Bedenken, daß im Unterhaltstitel die Unterhaltspflicht zu hoch festgesetzt worden sei. Es bedürfe keiner näheren Begründung, daß für Haftentlassene nach einer länger dauernden Haftstrafe in der Regel beträchtliche Schwierigkeiten bestünden, einen Arbeitsplatz zu finden. Es sei daher in der Rechtsprechung wiederholt die Auffassung vertreten worden, daß derartige Arbeitsplatzbeschaffungsschwierigkeiten für einen Zeitraum von einigen Monaten nach der Haftentlassung im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG Bedenken dagegen rechtfertigten, daß die im Unterhaltstitel festgesetzte Unterhaltspflicht noch bestehe. Dieser Auffassung schloß sich das Rekursgericht an und wies darauf hin, daß der Unterhaltstitel zu einem Zeitpunkt geschaffen worden sei, zu dem sich der Vater noch in Strafhaft befand und nur von einem möglichen erzielbaren zukünftigen Einkommen ausgegangen werden konnte. Es sei dem Akteninhalt nicht zu entnehmen, auf welche Grundlage der inhaftierte Vater selbst die Annahme stützte, er werde in der Lage sein, dieses Einkommen sofort nach seiner Haftentlassung zu erzielen. Es seien daher offenkundige, massive Bedenken gegen die Richtigkeit des Unterhaltstitels angebracht. Dazu komme, daß der Antrag des Sachwalters auf Gewährung der Unterhaltsvorschüsse nicht einmal einen Monat nach der Haftentlassung gestellt worden sei und die Unterhaltsbevorschussung bereits am 4.Tag nach der Haftentlassung beginnen sollte. Auch der unbekannte Aufenthalt des Unterhaltsschuldners verstärke die gegen die geschlossene Unterhaltsvereinbarung obwaltenden Bedenken. Vielmehr liege der Schluß nahe, daß schon bei Abschluß der Unterhaltsvereinbarung die Überlegung, mit der Behauptung ihrer Nichterfüllung dem Minderjährigen den nahtlosen Weiterbezug der Unterhaltsvorschüsse zu sichern, eine wesentliche Rolle spielte.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde nicht zugelassen, da der Oberste Gerichtshof im Beschluß vom 31.3.1993, 7 Ob 1519/93, diese Rechtsansicht gebilligt habe.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Sachwalters mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

In dem Revisionsrekurs wird geltend gemacht, der Unterhaltsschuldner habe seit 1980 zahlreiche Haftstrafen im Gesamtausmaß von ca. 10 Jahren verbüßt. Wenn bei Unterhaltspflichtigen dieser Art nicht bereits während der Haftzeit seitens des Staates etwas unternommen werde, um ihnen nach der Haftentlassung eine Beschäftigung zu sichern (Sozialer Dienst, Haftenentlassenenhilfe), könne dies mit der Begründung mangelnder Leistungsfähigkeit des Haftentlassenen nicht zu Lasten des unterhaltsberechtigten Kindes gehen.

Zur Schaffung des Unterhaltstitels sei es dadurch gekommen, daß der Unterhaltsschuldner aus der Strafhaft das Jugendamt der Stadt Wiener Neustadt angerufen und mitgeteilt habe, daß er mit einer Verpflichtung von S 1.000,- monatlich ab 1.3.1993 einverstanden sei, man möge ihm einen Vergleich zu Unterfertigung senden. Er habe bei diesem Gespräch angegeben, derzeit in der Anstaltsküche als Hilfskoch tätig zu sein, er möchte diese Beschäftigung auch nach der Haftentlassung ausüben, er sei sicher, eine entsprechende Beschäftigung zu finden. Der gewünschte Vergleich sei daraufhin an die Leitung der Strafanstalt mit der Bitte um Unterfertigung durch den Unterhaltsschuldner übermittelt worden; dies sei auch geschehen.

Am 4.3.1993 sei der Unterhaltsschuldner vom Sachwalter schriftlich aufgefordert worden, sich zwecks Regelung seiner Unterhaltszahlungen mit dem Jugendamt in Verbindung zu setzen. Da er sich bis 15.3.1993 nicht gemeldet hatte, sei ein Nachbar des Unterhaltsschuldners befragt worden; dieser habe mitgeteilt, daß sich der Unterhaltsschuldner in Tschechien aufhalte und bei einer Frau, die er während eines Hafturlaubes kennengelernt hatte, wohne. Auf Grund der glaubwürdigen Angaben des Nachbarn sei am 17.3.1993 ein Antrag auf Bevorschussung ab 1.3.1993 mit der Begründung gestellt worden, daß der Unterhaltsschuldner keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehe, da auch laut Rücksprache mit dem Arbeitsamt Wiener Neustadt der Unterhaltsschuldner weder Notstandshilfe bezog noch arbeitssuchend vorgemerkt war.

Ende März 1993 habe der Unterhaltsschuldner im Jugendamt vorgesprochen und erklärt, er werde sich weiterhin in Tschechien bei seiner Bekannten aufhalten. Die Empfehlung, sich als arbeitssuchend zu melden, habe er mit der Begründung abgelehnt, er werde sicher eine Stelle als Hilfskoch finden.

Eine Nachfrage beim Vermieter der vom Unterhaltsschuldner gemieteten Wohnung habe ergeben, daß die Miete pünktlich bezahlt werde. Das im Vergleich vom 29.10.1992 angeführte Einkommen wäre vom Unterhaltsschuldner sicher zu erzielen, doch sei er offensichtlich nicht bereit, sich mit einer entsprechenden Beschäftigung seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil zu der hier zu beurteilenden Frage eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliegt. In der vom Rekursgericht zitierten Entscheidung 7 Ob 519/93 wurde der außerordentliche Revisionsrekurs des Sachwalters ohne Begründung zurückgewiesen. Im übrigen ist die Rechtsprechung der Rekursgerichte zur Frage, ob die Entlassung aus einer mehrjährigen Freiheitsstrafe für sich allein bereits Bedenken an der materiellen Richtigkeit der Unterhaltsfestsetzung rechtfertigt, unterschiedlich (bejahend etwa EFSlg 66.650 und 66.652; verneinend etwa EFSlg 63.699). Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht Unterhaltsvorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 UVG begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt ist. Der Versagungsgrund nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat nicht eine erwiesene oder bescheinigte materielle Unrichtigkeit der titelmäßigen Unterhaltsansprüche zur Voraussetzung, sondern knüpft die Rechtsfolge der Versagung (Herabsetzung oder Einstellung) an das Bestehen begründeter Bedenken gegen den aufrechten materiellen Bestand des zu bevorschussenden gesetzlichen Unterhaltsanspruches im titelmäßigen Ausmaß. Bloß objektiv gerechtfertigte Zweifel reichen zur Versagung nicht hin, vielmehr müßte schon eine zur Zeit der Schaffung des Exekutionstitels bestandene oder durch Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlagen inzwischen eingetretene Unangemessenheit der titelmäßigen Unterhaltsfestsetzung nach den bei der Entscheidung über einen Vorschußantrag zu berücksichtigenden Tatumständen mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein (EvBl 1993/34). Eine derartige hohe Wahrscheinlichkeit der materiellen Unrichtigkeit des titelmäßigen Unterhaltsanspruches ist nach Ansicht des erkennenden Senates im vorliegenden Fall aber nicht gegeben, weil nicht in jedem Fall gesagt werden kann, daß die Haftentlassung auch zu einer längeren Arbeitslosigkeit führt. Die Zeit, die der aus der Haft entlassene Unterhaltspflichtige für eine erfolgreiche Arbeitsplatzsuche benötigt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa Haftdauer, Alter, Arbeitsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, erlernter Beruf, Arbeitsmarktsituation und ähnlichem. Es kann aber keinesfalls generell gesagt werden, daß jeder, der aus der Haft entlassen wird, einige Monate benötigt, um wieder einen Arbeitsplatz zufinden. Hat er etwa einen Mangelberuf erlernt und hat die verbüßte Haftstrafe mit seiner beruflichen Tätigkeit nichts tun, so wird er ohne weiters in der Lage sein, in kürzester Zeit wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Ähnliches gilt auch wohl dann, wenn er sich bereits während der Haft - allenfalls mit Unterstützung öffentlicher Stellen - bereits um einen Arbeitsplatz bemüht hat. Die zur Versagung nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit des Unterhaltstitels ist daher allein auf Grund der Haftentlassung nicht gegeben.

Es kann dem Unterhaltssachwalter aber auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, daß er sich noch während der Haft darum bemüht hat, einen Unterhaltstitel für den Unterhaltsberechtigten zu schaffen, und kann aus diesem Umstand nicht der Verdacht der Manipulation abgeleitet werden.

Da sohin die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG nicht gegeben sind, war dem Revisionsrekurs Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Stichworte