OGH 10Ob501/94

OGH10Ob501/9414.4.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier, Dr.Bauer, Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** B*****, vertreten durch Dr.Manfred C. Müllauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei I***** B*****, vertreten durch Dr.Heinrich H. Rösch, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 2.700-- sA und Feststellung (Gesamtstreitwert S 99.700,--), infolge Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 28.6.1993, 44 R 2011/93-19, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 18.11.1992, GZ 1 C 142/91x-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 5.094,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahren (darin enthalten S 849,-- Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile lernten einander im Jahr 1979 kennen. Nach einer im Jahr 1980 auf Wunsch des Klägers erfolgten Abtreibung, wurde eine weitere Empfängnis der Beklagten zunächst durch Einnahme der Anti-Babypille verhindert. Aus medizinischen Gründen legte sie immer wieder Pillenpausen ein. Im Jahr 1982 wurde die Beklagte erneut schwanger. Sie teilte dies dem Kläger erst im vierten Schwangerschaftsmonat mit, weil sie vorher davon nichts bemerkt hatte. Der Kläger bekräftigte seine Abneigung gegen Kinder und legte der Beklagten einen Schwangerschaftsabbruch nahe. Er drohte sie andernfalls zu verlassen. Da für die Beklagte eine Abtreibung nicht in Frage kam, unterfertigte sie am 20.4.1982 beim damaligen Rechtsanwalt des Klägers folgende Vereinbarung:

"1.) Frau I***** K***** erklärt zur Zeit im fünften Monat Schwanger zu sein; der Vater dieses zu erwartendes Kindes sei Herr M***** B*****.

2.) Frau I***** K***** und Herr M***** B***** stellen übereinstimmend fest, daß die Zeugung dieses Kindes nicht in der Absicht des Herrn M***** B***** gelegen habe. Herr M***** B***** hat nämlich der Frau I***** K***** mehrmals und ausdrücklich erklärt, daß er die Zeugung eines gemeinsamen Kindes nicht wünsche. Frau I***** K***** erklärt, daß sie trotz dieser ausdrücklichen Erklärung des Herrn M***** B***** vorsätzlich die Zeugung des Kindes, das sie nunmehr erwartet, ermöglichte, in dem sie Herrn M***** B***** vorsätzlich verschwieg, als sie mit ihm den Geschlechtsverkehr durchführte, daß die Zeugung eines Kindes möglich ist. Frau I***** K***** erklärt ferner, daß diese Irreführung des Herrn M***** B***** vom Vorsatz erfaßt war, ein Kind zu bekommen.

3.) Frau I***** K***** erklärt, daß sie aufgrund der im Punkt 2. dargestellten Situation alles unternehmen werde, um zu verhindern, daß Herr M***** B***** zur Erfüllung von Pflichten, die ein Kindesvater hat, insbesondere zu solchen der Unterhaltungsleistung herangezogen wird.

4.) Für den Fall, daß Herr M***** B*****dennoch Pflichten eines Kindesvaters zu erfüllen hat, und insbesondere zur Zahlung von Unterhaltsleistungen verpflichtet wird, erklärt Frau I***** K*****, in einem solchen Fall Herrn M***** B***** sofort vollkommen schad- und klaglos zu stellen.

5.) Herr M***** B***** erklärt ausdrücklich, mit Abschluß dieser Vereinbarung kein wie immer geartetes Anerkenntnis der Vaterschaft des zur Zeit von Frau I***** K***** zu erwartenden Kindes abzugeben.........."

Die Streitteile sind die Eltern der mj. E*****B*****, geboren *****. Sie haben 27.6.1985 die Ehe geschlossen. Zu 1 C 62/91 g des BG Floridsdorf ist ein Scheidungsverfahren anhängig.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswirksamkeit der zwischen den Parteien am 20.4.1982 abgeschlossenen Vereinbarung sowie die Zahlung von S 2.700,-- sA (Unterhalt für Jänner 1992). Der Kläger habe ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Rechtswirksamkeit dieser Vereinbarung, weil die Beklagte vereinbarungswidrig im Zuge der Scheidungsauseinandersetzung die Feststellung der Vaterschaft des Klägers betrieben und dieser im Pflegschaftsverfahren zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 2.700,-- verpflichtet worden sei, die Beklagte sohin die Rechtsgültigkeit der Vereinbarung vom 20.4.1982 bestreite. Der Rückersatzanspruch des für Jänner 1982 bezahlten Unterhaltsbetrages werde auf diese Vereinbarung gegründet.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Unterfertigung sei unter psychischem Druck erfolgt. Die Vereinbarung sei nicht nur sittenwidrig sondern auch ungültig. Im übrigen habe der Kläger seine Unterhaltspflicht durch regelmäßige Bezahlung des Unterhaltes anerkannt, weshalb die Vereinbarung vom 20.4.1982 gegenstandslos sei. Da eine Leistungsklage möglich wäre, fehle ein rechtliches Interesse an der vom Kläger begehrten Feststellung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Vereinbarung vom 20.4.1982 sei sittenwidrig und daher nichtig. Das Gesamtbild des abgeschlossenen Rechtsgeschäftes als Erklärung einer schwangeren Frau unter psychischem Druck verstoße gegen die guten Sitten.

Das Gericht der zweiten Instanz gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es komme auf die Feststellung, daß der Kläger psychischen Druck auf die Beklagte ausgeübt habe, nicht an, denn die Vereinbarung sei bereits nach ihrem Inhalt sittenwidrig. Die Rechtsprechung bejahe zwar die Gültigkeit der Erklärung eines Elternteils gegenüber dem anderen, ihn für Unterhaltszahlungen an ein gemeinsames Kind schad- und klaglos zu halten, weil sie den Unterhaltsanspruch des Kindes nicht berühre, jedoch gehe die von den Streitteilen getroffene Vereinbarung über den Inhalt einer derartigen bloßen Erfüllungsübernahme hinaus. Die Beklagte habe ohne vermögenswerte Gegenleistung zugesagt, den Kläger für Unterhaltsleistungen an das gemeinsame Kind schad- und klaglos zu stellen. Sie habe nach dem Inhalt der Vereinbarung diese Erklärung als Anerkenntnis einer Schadenersatzverpflichtung abgegeben, weil sie den Kläger vorsätzlich über die Einnahme der Pille getäuscht habe. Der Intimbereich zweier volljähriger Partner, die beim freiwilligen Geschlechtsverkehr nicht nur ihr sexuelles Bedürfnis befriedigen, sondern gemeinsam das Entstehen von Leben verantworten, unterliege im Falle der Geburt eines Kindes grundsätzlich auch dann nicht dem vom Ausgleichsgedanken bestimmten Deliktsrecht, wenn der eine Partner den anderen über die Anwendung empfängnisverhütender Maßnahmen getäuscht habe. Intimbeziehungen seien keiner Vereinbarung im Rechtssinn zugänglich. Ein Ersatzanspruch wegen Täuschung über die Verwendung von Antikonzeptiva und eine darüber abgeschlossene Vereinbarung widersprächen den guten Sitten. Die Vereinbarung sei daher nichtig.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung abzuändern und dem Klagebegehren vollinhaltlich, in eventu teilweise, jedenfalls hinsichtlich der Feststellung der Schad- und Klagloshaltung stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, dem Rechtsmittel des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits einmal ausgesprochen, daß die Verpflichtung der Mutter, den außerehelichen Vater schadlos zu halten, wenn er zur Unterhaltsleistung herangezogen würde, gegen die guten Sitten verstößt und nichtig ist (1 Ob 160/52). Er hat weiters erkannt, daß wegen Sittenwidrigkeit das, was zwecks Aufnahme oder Fortsetzung eines ehebrecherischen Verhältnisses geleistet wurde, nicht zurückverlangt, der Ersatz dessen, was zur Finanzierung eines ehebrecherischen Verhältnisses aufgewendet wurde, nicht begehrt und die Einhaltung eines diesbezüglichen Leistungs- oder Aufwandersatzes nicht verlangt werden könne (SZ 26/52, 5 Ob 729/82 mwN). Er hat auch die Ansicht vertreten, daß eine vertragliche Zuwendung sittenwidrig sei, wenn sie nichts anderes als das Entgelt für die bereits erfolgte oder erst angestrebte geschlechtliche Hingabe darstellt, während der Sittenwidrigkeitsvorwurf entfalle, wenn neben dem Wunsch, die geschlechtliche Hingabe zu belohnen, auch andere (achtenswerte) Motive und Zwecksetzungen in nicht unwesentlichem Maß für das Rechtsgeschäft mitursächlich waren. Der bloße Konnex des Rechtsgeschäftes zu einer ehebrecherischen Beziehung reiche zur Annahme der Sittenwidrigkeit nicht aus. Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäftes sei das Gesamtbild entscheidend, das sich aus Inhalt, Zweck, Beweggrund und Begleitumständen des Rechtsgeschäftes ergibt. An Umständen außerhalb der Sexualsphäre seien insbesondere Ausbeutung, Freiheitsbeschränkung, Äquivalenzstörung, übermäßige Benachteiligung oder Belastung der Angehörigen oder dergleichen zu berücksichtigen. Die das Geschlechts- und Familienleben beherrschenden Grundsätze seien im Rahmen des Schutzes anerkannter Ordnungen eines von mehreren Elementen eines beweglichen Systems (5 Ob 729/82 mwN). Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte hat eine Vereinbarung, im Falle einer Konzeption eine ungewünschte Schwangerschaft abbrechen zu lassen und eine Schadenersatzklage wegen Nichteinhaltung einer solchen Vereinbarung als rechts- und sittenwidrig angesehen (AnwBl 1991/3981). Andererseits wurden Vereinbarungen, wonach sich ein Elternteil dem anderen gegenüber verpflichtet, für den Unterhalt des Kindes allein aufzukommen und den anderen für den Fall der Inanspruchnahme schad- und klaglos zu halten, als zulässig und dem anderen Elternteil gegenüber wirksam erachtet, soferne nicht diese Vereinbarung in rechtlich geschützte Interessen minderjähriger Kinder eingreift (Krejci in Rummel ABGB2 Rz 160 zu § 879; Rz 1991/64 sowie Instanzentscheidungen ÖA 1984, 69; EFSlg 42.748, 45.039, 50.414, 63.154, 65.123).

Gegen die guten Sitten iSd § 879 ABGB verstößt, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, di aller billig- und gerecht Denkenden widerspricht. Sittenwidrig ist daher, was zwar nicht einen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz, wohl aber gegen oberste Rechtsgrundsätze bedeutet, also nicht gesetz- aber grob rechtswidrig ist (ZAS 1991/9 mwN). Die guten Sitten sind der Inbegriff der zwar im Gesetz nicht ausdrücklich normierten, sich aber aus der Gesamtbetrachtung der rechtlichen Interessen ergebenden Rechte. Die Wertentscheidungen und Grundprinzipien der Rechtsordnung sind für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit maßgeblich (ÖBA 1992, 1113; Wbl 1992, 333). Die Sittenwidrigkeit kann sich - wie bereits dargestellt - nicht nur aus dem Inhalt sondern auch aus dem Gesamtcharakter der Vereinbarung im Sinne einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck ergeben, sodaß bei deren Beurteilung insbesondere auch alle Umstände zu berücksichtigen sind, unter denen das Rechtsgeschäft geschlossen wurde (MietSlg XXXVIII/22; Wbl 1992, 333). Die vom Richter vorzunehmende Interessenabwägung muß eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Mißverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergeben (ZAS 1992/15; 8 Ob 531/93). Ein solches Mißverhältnis liegt hier vor:

Das Verschweigen der Empfängnismöglichkeit durch die Beklagte berührt zunächst allein den engsten persönlichen Freiheitsbereich der Frau, die in ihrer Willensentscheidung, ob sie zur Vermeidung einer Schwangerschaft empfängnisverhütende Mittel anwendet, freibleiben muß, weil es zu ihrer personalen Würde und zur Willensfreiheit einer Frau gehört, sich immer wieder neu und frei für ein Kind entscheiden zu können (Selb in (d) JZ 1971, 201 [207 f], FamRZ 1986, 773). Fehlen auch im österreichischen Bundesverfassungsrecht den Art 1 und 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland entsprechende Bestimmungen, die die Würde des Menschen und das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit ausdrücklich schützen, so kann davon ausgegangen werden, daß die diesen Bestimmungen zugrundeliegenden Wertvorstellungen der österreichischen Rechtsordnung immanent sind und in den angeborenen Rechten des Menschen (§ 16 ABGB) ihren positiv rechtlichen Ausdruck finden (Aicher in Rummel ABGB2 Rz 11 zu § 16).

Intimbeziehungen zwischen Mann und Frau, ob sie verheiratet sind oder nicht, sind somit, weil sie in den engsten persönlichen Freiheitsbereich eingreifen, einer Vereinbarung im Rechtssinn nicht zugänglich. Die Rechtsprechung verneint ja auch im vergleichbaren Familienrecht die Anwendbarkeit des Dispositionsrechtes im schuldrechtlichen Sinn (AnwBl 1991/3981).

Berücksichtigt man das Drängen des Klägers auf einen Schwangerschaftsabbruch als einen Eingriff in den Persönlichkeitsbereich der Klägerin, der aber zu der Zeit, als sie die Schwangerschaft bemerkt hatte, nicht mehr zulässig war (§ 97 Abs 1 Z 1 StGB) und für sie auch persönlich nicht in Frage kam, dann ist die über Veranlassung des Klägers zustandegekommene Vereinbarung in ihrem wesentlichen Gehalt eine völlige Abwälzung jeder Verantwortung und jeden Risikos aus den Folgen der intimen Partnerschaft und der ungewünschten Schwangerschaft auf die Frau. Sie stellt sich als eine selbstherrliche Pönalisierung des für eine Frau selbstverständlichen und natürlichen Wunsches dar, aus der nicht nur vorübergehenden Partnerschaft ein Kind zu empfangen. Dies käme einer Degradierung der Frau zu einer reinen Sexualpartnerin gleich, die für alle nachteiligen Folgen einer einseitig vom Kläger unerwünschten Schwangerschaft aufzukommen habe. Die getroffene Vereinbarung bewirkte daher unter zusammenfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine extreme ungleiche Belastung der Beklagten, der nur die unter dem Druck der abzuschließenden Vereinbarung gewährte Aufrechterhaltung der Gemeinschaft gegenüberstand (ZAS 1991/9); sie ist schon aus diesem Grunde sittenwidrig, weshalb die Beklagte an die abgeschlossene Vereinbarung, auf die sich der Kläger zur Geltendmachung seiner Ansprüche stützt, nicht gebunden ist.

Der Revision war ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich § 41, 50 ZPO.

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