OGH 4Ob512/94

OGH4Ob512/9422.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Ernst Blanke, Rechtsanwalt in Hallein, wider die beklagte Partei Peter Sch*****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Norman Dick und Dr.Michael Dick, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 597.295 sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom 30.Dezember 1993, GZ 22 R 550/93-18, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hallein vom 22. Oktober 1993, GZ 2 C 833/93 f-14, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und im Zwischenstreit über die Prozeßeinreden des Beklagten sachlich wie folgt entschieden:

Die vom Beklagten erhobenen Einreden des Mangels der inländischen Gerichtsbarkeit sowie der sachlichen und der örtlichen Unzuständigkeit werden verworfen.

Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 16.113,60 (darin enthalten S 8.056,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekurses gegen den erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit der - beim Landesgericht Salzburg eingebrachten - Klage begehrte die Klägerin vom Beklagten, einem selbständigen Handelsvertreter mit dem Sitz in der Bundesrepublik Deutschland, an restlichen Provisionen und als angemessene Entschädigung wegen vorzeitiger Vertragsauflösung die Zahlung eines Betrages von S 597.295 sA. In dem zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Handelsvertretervertrag sei "der Sitz des Klägers" als Gerichtsstand vereinbart worden. Da die Klägerin ihren Sitz in Hallein habe, sei das Landesgericht Salzburg gemäß § 104 JN zuständig; hilfsweise hat sich die Klägerin auch auf die Gerichtsstände des Vermögens und des Erfüllungsortes berufen.

Nachdem der Beklagte in seiner Klagebeantwortung die örtliche Unzuständigkeit des Landesgerichtes Salzburg eingewendet hatte, erklärte sich dieses - nach amtswegigem Aufwerfen der Frage der sachlichen Zuständigkeit - mit Beschluß vom 23.4.1993 (ON 8) für unzuständig und überwies die Rechtssache auf Antrag der Klägerin gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das nicht offenbar unzuständige Bezirksgericht Hallein. Befinde sich an dem Ort, auf den sich die Gerichtsstandsvereinbarung beziehe (wie hier: in Hallein), nur ein Bezirksgericht, werde damit auch die Unterwerfung unter seine sachliche Zuständigkeit begründet. Der angerufene Gerichtshof sei daher (sachlich) unzuständig.

In der beim Bezirksgericht Hallein durchgeführten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung erhob der Beklagte sodann die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit dieses Gerichts, hielt aber auch die auf mangelnde Bestimmtheit der Gerichtsstandsvereinbarung erhobene Einrede der örtlichen Unzuständigkeit aufrecht und führte überdies aus, daß der Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit gegeben sei.

Das Erstgericht wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Die Einrede der sachlichen Unzuständigkeit stehe mit den früheren, vor der Überweisung erhobenen Behauptungen des Beklagten nicht in Widerspruch. Der vorliegende Streitwert übersteige die bezirksgerichtliche Wertgrenze.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche, nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung auf; weiters sprach es aus, daß der Rekurs zulässig sei. Die Gerichtsstandvereinbarung "Gerichtsstand ist der Sitz des Klägers" enthalte nicht die nötige Klarstellung, ob damit auch die sachliche Zuständigkeit gemeint sei. Der Gerichtsort müsse zwar in einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht namentlich angeführt sein; es genüge, wenn er der Urkunde zweifelsfrei entnommen werden könne. Damit werde aber noch nicht die Frage gelöst, ob auch die sachliche Zuständigkeit geregelt worden sei. Bei der vorliegenden Formulierung der Gerichtsstandsvereinbarung sei in gleicher Weise denkbar, daß die Streitteile nur die örtliche oder aber auch die sachliche Zuständigkeit regeln hätten wollen. Es müsse daher mit den Parteien erörtert werden, was sie mit dieser Vereinbarung gewollt hätten. Da die verwendete Formulierung Zweifel am Parteiwillen offen lasse, müsse der Inhalt der Vereinbarung durch Auslegung ermittelt werden.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Beklagten erhobene Rekurs ist berechtigt.

Vorweg ist die inländische Gerichtsbarkeit zu prüfen. Nach nunmehr herrschender Lehre und Rechtsprechung besteht die inländische Gerichtsbarkeit in Zivilsachen für alle Rechtssachen, die durch positiv-gesetzliche Anordnung, durch völkerrechtliche Regelungen oder zufolge eines durch die inländische Verfahrensordnungen anerkannten Anknüpfungspunktes an das Inland vor die österreichischen Gerichte verwiesen sind; liegt hingegen zwar ein inländischer Gerichtsstand vor, während eine hinreichende Nahebeziehung zum Inland fehlt, dann ist die inländische Gerichtsbarkeit zu verneinen. Besteht eine ausreichende Nahebeziehung, fehlt es aber an einem inländischen Gerichtsstand, dann hat § 28 JN (unter der dort in Abs 1 Z 2 genannten weiteren Voraussetzung, daß die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder zumutbar wäre) Abhilfe zu schaffen (JBl 1990, 396 [Pfersmann] mwN; JBl 1992, 330 mwN und JBl 1992, 331 = EvBl 1992/8; 4 Ob 24/92; 3 Ob 506/94; Fasching LB2 Rz 76). Wie der 6.Senat des Obersten Gerichtshofes bereits ausgesprochen hat (6 Ob 582/93), liegt in der Parteienvereinbarung auf die Prozeßführung vor einem bestimmten inländischen Gericht eine Unterwerfung unter die internationale Zuständigkeit der inländischen Gerichte, die aber nur dann anzuerkennen ist, wenn auch eine hinreichende Inlandsbeziehung des Streitgegenstandes oder der Parteien besteht; der - den allgemeinen Gerichtsstand begründende - Sitz oder Wohnort des Klägers reicht dafür aus. Die Parteieneinigung auf die Streitschlichtung durch die Behörden eines bestimmten Staates darf nur nicht zu einer Beeinträchtigung der Interessen dieses Staates durch Belastung mit Angelegenheiten führen, an deren Regelung durch sie kein einleuchtendes Interesse erkennbar ist. Ein unter Kaufleuten grundsätzlich anzuerkennender verfahrensrechtlicher Verzicht des Beklagten auf die Prozeßführung bei dem für seinen Sitz oder seinen Wohnort zuständigen Gericht ist - mangels entgegenstehender positiv-rechtlicher Regelungen - nicht unsachlich, weil es vielfach nur vom Zuvorkommen abhängt, ob ein bestimmter Streitfall von der einen oder anderen Partei zum Anlaß einer Klageführung genommen wird.

Im vorliegenden Fall ist mit dem Sitz der Klägerin in Hallein, zusätzlich aber auch mit der Vereinbarung der Streitteile, daß die Klägerin durch den Beklagten als dessen Handelsvertreterin für Österreich bestimmt wurde (vgl zu dieser Ortsgebundenheit des Streitgegenstandes als inländische Nahebeziehung JBl 1992, 331; EvBl 1993/93) eine ausreichende Nahebeziehung zum Inland gegeben. Die inländische Gerichtsbarkeit für den vorliegenden Rechtsstreit ist damit aber dann zu bejahen, wenn sich die örtliche Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Hallein aus der urkundlich nachgewiesenen Gerichtsstandsvereinbarung ergibt:

Mit dem in der Vereinbarung verwendeten Ausdruck "Gerichtsstand" wird, wenngleich durch eine Vereinbarung über die Zuständigkeit der Gerichte in den Grenzen des § 104 Abs 2 JN auch die sachliche Zuständigkeit verschoben werden kann, regelmäßig nur die örtliche Zuständigkeit, also die Zuordnung einer Rechtssache an ein örtlich bestimmtes Gericht, verstanden (Fasching, LB2 Rz 191 ff). Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung ist aber auch dann bestimmt im Sinne des § 104 Abs 1 JN, wenn zwar der Gerichtsort nicht namentlich angeführt wurde, sich dieser aus der Gesamtheit der Urkunde aber zweifelsfrei ergibt (GlUNF 6739). Die maßgeblichen örtlichen Umstände können beispielsweise auch im Rahmen der Bezeichnung der Vertragsparteien festgelegt werden (vgl ZfRV 1992/23, 233; 6 Ob 582/93). Damit sind aber sämtliche Voraussetzungen für das Vorliegen der inländischen Gerichtsbarkeit gegeben. Die - noch strittige - sachliche Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Hallein ist dafür ohne Bedeutung.

Zu Unrecht hat das Rekursgericht dem Erstgericht im Rahmen der Prüfung der sachlichen Zuständigkeit eine Verfahrensergänzung aufgetragen. Gemäß § 104 Abs 1 JN können sich die Parteien - für einen bestimmten Rechtsstreit oder für die aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringenden Rechtsstreitigkeiten (§ 104 Abs 2 JN) - einem oder mehreren Gerichten erster Instanz namentlich angeführter Orte durch ausdrückliche Vereinbarung unterwerfen; die Vereinbarung muß urkundlich nachgewiesen werden. Der zweite Satz des § 104 Abs 1 JN ist durch Art IX Z 6 der WGN 1989 gegenüber der früheren Rechtslage insoweit neu gefaßt worden, als nunmehr der urkundliche Nachweis der Gerichtsstandsvereinbarung nicht schon in der Klage erbracht werden muß. Aus § 104 Abs 1 Satz 2 JN hat die vor dieser Novelle ergangene Rechtsprechung (ZBl 1930/226; SZ 17/95; EvBl 1957/386; EvBl 1963/488; EvBl 1972/6 ua) abgeleitet, daß die Vernehmung von Zeugen und Parteien zur Feststellung oder Auslegung des Inhaltes einer Gerichtsstandsvereinbarung unzulässig ist; eine mit den Mitteln der Urkundenauslegung nicht behebbare Unklarheit geht vielmehr zu Lasten der Partei, die sich auf die beurkundete Vereinbarung beruft (WBl 1987, 17). Durch den Wegfall des Erfordernisses, die Gerichtsstandsvereinbarung schon in der Klage urkundlich nachweisen zu müssen, hat sich an diesem Beweisverbot nichts geändert. Auch der geltende Wortlaut der Bestimmung, wonach die Gerichtsstandsvereinbarung "urkundlich nachgewiesen werden" muß, dient dem Gesetzeszweck, Einwendungen und verfahrensaufwendige Beweisaufnahmen im Zuständigkeitsrecht aus Gründen der Prozeßökonomie nach Tunlichkeit auszuschließen (vgl zu diesem Gesetzeszweck: WBl 1987, 17; Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen im österreichischen und internationalen Zivilprozeßrecht [1967] 52). Die Zuständigkeitsvereinbarung ist kein materiellrechtlicher Vertrag, sondern eine Prozeßhandlung, deren Wirksamkeit sich allein nach den Regeln des Prozeßrechtes bestimmt (WBl 1987, 17; SZ 63/188; Fasching, LB2 Rz 196; Matscher aaO 21 ff). Eine Auslegung des von den Parteien geschaffenen Kompetenztatbestandes durch Heranziehen von Beweisen, die - unter Anwendung der materiellrechtlichen Bestimmungen der §§ 914 f ABGB - über den Wortlaut der Urkunde hinausgehen, kommt daher weiterhin nicht in Betracht (5 Ob 503/93). Ugeachtet der Frage, ob die Streitteile mit der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung auch die sachliche Zuständigkeit verschieben wollten, ergibt sich die sachliche Zuständigkeit des Erstgerichtes schon aus folgendem:

Das ursprünglich angerufene Landesgericht Salzburg hat - nach amtswegigem Aufwerfen der Frage der sachlichen Zuständigkeit - seine sachliche Unzuständigkeit verneint und die Rechtssache gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das Bezirksgericht Hallein überwiesen. Eine solche Prozeßüberweisung ist für den Beklagten ebenso wie für das Gericht, an das die Sache überwiesen wurde, insoweit bindend, als sie zwar grundsätzlich weder eine neuerliche Unzuständigkeitseinrede des Beklagten noch eine neuerliche amtswegige Zuständigkeitsprüfung durch das Gericht ausschließt, diese beiden Möglichkeiten aber dahin beschränkt, daß ein abermaliger Ausspruch der Unzuständigkeit nicht auf Tatsachen gestützt werden darf, aus denen sich die Zuständigkeit des überweisenden Gerichtes ergeben würde (Fasching III 218; SZ 47/101; JBl 1988, 386). Diese Bindung an eine rechtskräftige Entscheidung über die Zuständigkeit und an den Überweisungsbeschluß besteht auch dann, wenn er vielleicht unrichtig war; die Vorschriften über die Bindung an solche rechtskräftige Entscheidungen, wie sie etwa in § 46 Abs 1 JN, Art XXIV EGZPO, § 261 Abs 6 ZPO, § 474 Abs 1 ZPO iVm § 499 ZPO enthalten sind, haben den Zweck, Kompetenzkonflikte nach Möglichkeit von vornherein auszuschließen, wobei der Gesetzgeber in Kauf nimmt, daß allenfalls auch ein an sich unzuständiges Gericht durch eine unrichtige Entscheidung gebunden wird (EvBl 1980/123; MietSlg 34.290/4). Die Verneinung der sachlichen Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Hallein würde aber im vorliegenden Fall dazu führen, daß die sachliche Zuständigkeit des Landesgerichtes Salzburg bejaht werden müßte. Eine solche "Rücküberweisung" der Sache an das überweisende Gericht widerspricht aber der bindenden Wirkung des Überweisungsbeschlusses (SZ 47/101). Damit ist aber die sachliche Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Hallein zu bejahen.

In Aufhebung des Beschlusses des Rekursgerichtes war daher auszusprechen, daß die vom Beklagten erhobenen Einreden der mangelnden inländischen Gerichtsbarkeit und der sachlichen und der örtlichen Unzuständigkeit verworfen werden.

Kosten für den Rekurs an den Obersten Gerichtshof konnten wegen des bloßen Formalerfolges dem Beklagten nicht zugesprochen werden. Der bloße Formalerfolg des Rechtsmittelwerbers führte aber dazu, daß die Klägerin im Zwischenstreit durchgedrungen ist (§§ 41, 50, 52 Abs 1 ZPO). Kosten des erstinstanzlichen Zuständigkeitsstreites gebühren ihr aber nicht, weil sie diese Kosten erst verspätet in ihrem Rekurs gegen den erstgerichtlichen Zurückweisungsbeschluß verzeichnet hat. Die Kosten des Verfahrens über ihren Rekurs gegen den Beschluß des Erstgerichtes waren ihr aber zuzusprechen.

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