OGH 14Os13/94(14Os14/94)

OGH14Os13/94(14Os14/94)1.3.1994

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. März 1994 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer, Dr. Ebner, Dr. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Obergmeiner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Klaus K***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 21 U 77/93 des Bezirksgerichtes Klagenfurt, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 9. Juli 1993 (ON 14) und des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 9. November 1993, AZ 4 Bl 284/93 (= ON 22), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Weiss, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und eines Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 9. Juli 1993, GZ 21 U 77/93-14, und des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 9. November 1993, AZ 4 Bl 284/93 (= ON 22), verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 494 a Abs 3 StPO sowie in dem sich aus dem XX. Hauptstück der Strafprozeßordnung ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft ("ne bis in idem"), jener des Berufungsgerichtes auch in der Bestimmung des § 477 Abs 1 StPO.

Diese Beschlüsse werden aufgehoben.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 7. März 1990, GZ 18 U 770/89-9, wurde Klaus K***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt, deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Das Urteil erwuchs am 13. März 1990 in Rechtskraft.

Am 10. März 1993 langte die Mitteilung des Strafregisteramtes ein, daß Klaus K***** vom Bezirksgericht Klagenfurt am 22. Jänner 1993 zu AZ 21 U 33/93 wegen § 125 StGB neuerlich (zu einer Geldstrafe) verurteilt worden ist (ON 15). Nachdem der Bezirksanwalt keinen entsprechenden Antrag stellte (ON 15 verso), wurde von einem Widerruf ohne - an sich gebotene - förmliche Beschlußfassung abgesehen und sodann nach Ablauf der Probezeit mit Beschluß vom 8. April 1993 (ON 16) die Strafe endgültig nachgesehen.

Mit weiterem Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 9. Juli 1993, GZ 21 U 77/93-14, wurde Klaus K***** der innerhalb der im Urteil vom 7. März 1990 bestimmten Probezeit (nämlich am 17. Dezember 1992) begangenen Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 3 (§ 81 Z 2) StGB sowie der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 (§ 81 Z 2) StGB schuldig erkannt und über ihn unter Bedachtnahme auf die Verurteilung (Strafverfügung) des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 22. Jänner 1993 eine zusätzliche Geldstrafe verhängt. Gleichzeitig wurde mit Beschluß gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO die bedingte Strafnachsicht aus dem ersten Urteil widerrufen. Der Beschuldigte verzichtete auf Rechtsmittel (S. 83). Der Berufung des Staatsanwalts wegen Strafe gab das Landesgericht Klagenfurt mit Urteil vom 9. November 1993, AZ 4 Bl 284/93 (= ON 22), nicht Folge.

Der - von keiner Seite angefochtene - Ausspruch über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu AZ 18 U 770/89 des Bezirksgerichtes Klagenfurt wurde - offenbar in der irrigen Meinung, es sei dieser Beschluß auch bei Unterbleiben einer Änderung des Strafausspruches wegen der anzustrebenden Gesamtregelung der Straffrage zu überprüfen - mit einem von Amts wegen gefaßten, in die Urteilsausfertigung aufgenommenen Beschluß ausdrücklich bestätigt (S. 116, ON 22).

Weder dem Erstgericht noch dem Berufungsgericht lagen die Akten über die frühere Verurteilung (AZ 18 U 770/89) vor.

Zutreffend zeigt der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde folgende Gesetzesverletzungen auf:

Die Vorgangsweise des Bezirksgerichtes Klagenfurt, den Widerruf der bedingten Strafnachsicht zu beschließen, ohne zuvor in die betreffenden Akten Einsicht zu nehmen, verstößt gegen § 494 a Abs 3 StPO, der in formeller Beziehung eine solche Einsichtnahme jedenfalls dann verlangt, wenn die vom Gesetz anheimgestellte bloße Einsicht in eine Urteilsabschrift aus besonderen Gründen als Entscheidungsgrundlage nicht ausreicht, etwa deshalb, weil - was hier der Fall war - im Hinblick auf den Ablauf der Probezeit (am 13. März 1993) die durchaus naheliegende Möglichkeit besteht, daß die bedingte Nachsicht zur Zeit der zu treffenden Entscheidung (9. Juli 1993) schon endgültig geworden sein könnte.

Dieser Verfahrensmangel ist auch dem Berufungsgericht anzulasten, das zudem - da die Regelung des § 498 Abs 3 StPO nF (wonach eine zugunsten des Angeklagten ergriffene Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe auch als Beschwerde zu betrachten ist) erst durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993 eingeführt wurde - über einen nicht angefochtenen und mit Rücksicht auf seine (negative) Entscheidung über die Strafberufung auch nicht von Amts wegen zu überprüfenden Beschluß entschied, womit es aber seine durch § 477 Abs 1 StPO begrenzte Entscheidungsbefugnis überschritt (12 Os 125/92 = NRsp 1993/78).

Als Folge der Mißachtung der ersterwähnten Verfahrensvorschrift verletzen die in Rede stehenden Beschlüsse betreffend den Widerruf einer bedingten Strafnachsicht jedoch das Gesetz vor allem deshalb, weil ihnen die materielle Rechtskraft des Beschlusses des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 8. April 1993, GZ 18 U 770/89-16, entgegenstand, mit dem die Geldstrafe bereits endgültig nachgesehen worden war.

Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt haben, waren die davon betroffenen Entscheidungen ersatzlos zu kassieren (§ 292 letzter Satz StPO).

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