Spruch:
Der Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz vom 6.April 1992, AZ 9 Bs 28,29,30/92 verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 477 StPO.
Text
Gründe:
Thomas P***** wurde mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Klagenfurt vom 27.November 1991 (in der Urteilsausfertigung irrtümlich 16.12.1991, sh. S 69), GZ 12 E Vr 1925/91-11, des Vergehens der versuchten falschen Beweisaussage vor Gericht als Bestimmungstäter nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 288 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde gemäß § 494 a Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 StPO vom Widerruf der bedingten Nachsichten der über Thomas P***** in den Strafverfahren AZ 16 E Vr 1493/88 des Kreisgerichtes Wels und AZ 31 (richtig 32, sh. ON 5) E Vr 470/88 des Landesgerichtes Salzburg verhängten Freiheitsstrafen abgesehen und die jeweiligen Probezeiten auf fünf Jahre verlängert (S 62).
Der Angeklagte erhob gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt zunächst Berufung wegen Schuld und Strafe, zog jedoch nach Ausführung der Strafberufung die Schuldberufung zurück und ließ den Beschluß über das Unterbleiben des Widerrufs der bedingten Strafnachsichten und über die Probezeitverlängerungen unangefochten.
Mit dem Urteil vom 6.April 1992, AZ 9 Bs 28,29,30/92, wies das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht die Berufung des Angeklagten wegen Strafe als unbegründet zurück (ON 17 in 12 E Vr 1925/91 des Landesgerichtes Klagenfurt) und beschloß zugleich die Bestätigung der (zum Vorteil des Angeklagten) ergangenen Entscheidung des Erstgerichtes über das Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsichten aus den Verfahren AZ 16 E Vr 1493/88 des Kreisgerichtes Wels und (richtig:) AZ 32 E Vr 470/88 des Landesgerichtes Salzburg. Die zum Nachteil des Angeklagten dabei verfügten Probezeitverlängerungen fanden im Spruch der Entscheidung keine Erwähnung.
Zur Begründung dieses Beschlusses führte das Oberlandesgericht aus, es bedürfe nicht des Widerrufs der bedingten Strafnachsichten der angeführten Verurteilungen, weil die unbedingte Freiheitsstrafe im Ausmaß von fünf Monaten genüge, um den Angeklagten und andere von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Im Rahmen der Überprüfung habe sich der Beschluß als sachgerecht erwiesen, sodaß er zu bestätigen war (S 86).
Rechtliche Beurteilung
Der bezeichnete Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz steht, wie der Generalprokurator in seiner gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zu Recht ausführt, mit der gemäß § 489 Abs. 1 StPO im Verfahren vor dem Einzelrichter des Gerichtshofes erster Instanz anzuwendenden Vorschrift des § 477 Abs. 1 StPO über die Beschränkung des Berufungsgerichtes auf den Beschwerdegegenstand nicht im Einklang. Auch ist die der Beschlußfassung zugrundeliegende Annahme einer Abänderungsbefugnis des Oberlandesgerichtes zum Nachteil des Angeklagten mit dem im § 477 Abs. 2 StPO verankerten Verschlimmerungsverbot nicht vereinbar.
Die vom Gesetz angestrebte Gesamtregelung der Straffrage hat nach ständiger Judikatur auch noch durch das Rechtsmittelgericht zu erfolgen. Erstgerichtliche Beschlüsse nach § 494 a Abs. 1 Z 1, 3 und 4 StPO sind deshalb in ihrem Bestand von der Rechtskraft der urteilsmäßigen Strafaussprüche abhängig. Derartige Beschlüsse werden auch ohne Anfechtung hinfällig, wenn der Strafausspruch der Anlaßverurteilung durch das Rechtsmittelgericht aufgehoben oder abgeändert wird (EvBl. 1988/63, EvBl. 1990/12, EvBl. 1991/186).
Ändert ein Rechtsmittelgericht den erstinstanzlichen Strafausspruch, hat es auch gemäß § 494 a StPO über einen zugleich mit dem Ersturteil ergangenen diesbezüglichen Beschluß zu entscheiden, der unabhängig von einer erfolgten oder unterbliebenen Anfechtung zu bestätigen oder abzuändern ist (so ausdrücklich der von der Judikatur für die Gesetzesauslegung herangezogene JAB z StRÄG 1987, 359 BlgNR 17.GP, 54). Gibt hingegen das Rechtsmittelgericht einer Strafberufung keine Folge, dann ist es nicht das durch Strafausspruch erkennende Gericht. In solchen Fällen besteht auch kein Anlaß, unter Einbeziehung unangefochtener erstgerichtlicher Beschlüsse nach § 494 a Abs. 1 StPO eine Gesamtregelung der Straffrage vorzunehmen.
Im konkreten Fall hat das Oberlandesgericht Graz die Berufung des Angeklagten wegen Strafe als unbegründet zurückgewiesen. Mangels Abänderung des erstinstanzlichen Strafausspruches war eine abschließende Gesamtregelung der Unrechtsfolgen somit gar nicht aktuell. Das Oberlandesgericht war deshalb auch nicht berufen, über die den erstinstanzlichen Strafausspruch ergänzende beschlußmäßige Entscheidung (Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten) zu befinden.
Es ermangelte daher schon einer Rechtsgrundlage dafür, daß das Berufungsgericht seine (dem Aktenzeichen nach als Erledigung der Anfechtung von drei verschiedenen Entscheidungen aufgefaßte) Erkenntnistätigkeit nicht im Sinne des § 477 Abs. 1 StPO auf die Zurückweisung der Strafberufung beschränkte, sondern zugleich auch auf den vom Erstgericht gefaßten Beschluß nach § 494 a Abs. 1 Z 2 StPO ausdehnte.
Darüber hinaus ist es mit dem im § 477 Abs. 2 StPO enthaltenen Verbot der reformatio in peius unvereinbar, diesen nach keiner Richtung hin angefochtenen Beschluß darauf zu überprüfen, ob nicht neben der Verhängung der bestätigten Freiheitsstrafe auch der Widerruf der betreffenden bedingten Strafnachsichten sachgerecht wäre. Das Oberlandesgericht wäre nämlich nicht befugt gewesen, aus Anlaß einer lediglich zugunsten des Angeklagten ergriffenen erfolglosen Berufung auf eine gegenüber dem Ergebnis in erster Instanz strengere Unrechtsfolge zu erkennen.
Die Vorgangsweise des Oberlandesgerichtes Graz hat sich jedoch nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt, weshalb die Gesetzesverletzung bloß festzustellen war.
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