Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 19.906,20 (darin S 3.317,70 Umsatzsteuer), der Erstnebenintervenientin die mit S 19.906,20 (darin S 3.317,70 Umsatzsteuer) und die Zweitnebenintervenientin die mit S 19.906,20 (darin S 3.317,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei hatte über Auftrag der klagenden Partei vom 4.9.1991 drei LKW-Ladungen Haselnußkerne von der Firma A*****., I-80036 Palma Campania, ***** an die Adresse ***** Korneuburg, ***** grenzüberschreitend zu transportieren. Das dafür vereinbarte Frachtpauschale betrug S 16.000,-- zuzüglich S 500,-- an Verzollungsspesen. Zusätzliche Kosten wie für Telefonate und Stehtagkosten waren in diesem Pauschale nicht inkludiert und wären der Klägerin, sofern sie angefallen wären, in Rechnung gestellt worden. Ein Auftrag der Klägerin an die Beklagte, den gegenständlichen LKW mit zwei Lenkern zu besetzen, wurde nicht erteilt. In einem solchen Fall wären ebenfalls zusätzliche Kosten entstanden. Die beklagte Partei übertrug diesen Auftrag an die Nebenintervenientin Firma T***** SpeditionsgesmbH, diese wiederum erteilte der Nebenintervenientin H***** GesmbH den Transportauftrag. Deren Chauffeur Alois G***** erreichte den Bestimmungsort am 26.9.1991 um etwa 22,30 Uhr. Am nächsten Tag verzögerte sich die Beladung. Alois G***** fuhr am 27.9.1991 gegen 18,15 Uhr mit dem mit dem Frachtgut beladenen LKW auf der Autobahn A 30 in Richtung Rom, als sich der Beifahrer eines auf gleicher Höhe auf dem linken Fahrstreifen fahrenden PKWs der Marke VW Golf aus dem geöffneten Fenster beugte, mit einer Pistole auf Alois G***** zielte und ihm bedeutete, den LKW-Zug anzuhalten. Hiebei führte der VW-Golf einen Fahrstreifenwechsel nach rechts auf die Fahrspur des LKW-Zuges durch. G*****, der sich an seinem Leben bedroht fühlte, hielt daraufhin am rechten Fahrstreifen der Autobahn den LKW-Zug an und schaltete die Warnblinkanlage ein. Der Mann, der G***** mit der Pistole bedroht hatte, sprang aus dem PKW und drang durch die nicht versperrte Beifahrertüre in das Führerhaus dem LKW-Zuges ein. Er richtete neuerlich die Waffe gegen G***** und forderte ihn auf, auf den ca. 30 m entfernten Parkplatz zuzufahren. Dort zerrte ein zweiter Mann G***** aus dem Führerhaus und trieb ihn mit vorgehaltener Pistole in ein nahegelegenes Maisfeld. Der LKW wurde inzwischen weggebracht. G***** wurde erst am Folgetag von den Banditen freigelassen. Der LKW war mit keiner Diebstahlssicherung ausgestattet. Das Funkgerät wurde von G***** infolge des schnell ablaufenden Vorganges nicht mehr verwendet. Das Frachtgut wurde der Klägerin von der Firma T*****, St.Gallen/Schweiz, verkauft. Die Firma T***** hat den Kaufpreis an den italienischen Lieferanten A***** entrichtet. Die Klägerin hat ihrem Vertragspartner T***** St.Gallen/Schweiz S 720.000,-- bezahlt. In Italien wird eine sogenannte Exportstützung an den Verkäufer von Haselnußkernen gewährt, sofern der Export an Nicht-EG-Länder geht. Diese Exportstützung kommt dem italienischen Verkäufer zugute und ist im Preis einkalkuliert. Diese Exportstützung ist durch den gegenständlichen Vorfall dem italienischen Verkäufer entgangen und wurde dann an die Firma T*****/Schweiz im Betrag von S 85.350,-- fakturiert. Diese Firma hat die Klägerin mit diesem Betrag belastet.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bezahlung von insgesamt S 805.350,-- und brachte vor, daß ihr durch den Verlust der Ware ein Schaden in dieser Höhe erwachsen sei. Hilfsweise wurde die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Betrages von S 720.000,-- (Warenwert) sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für die Exportstützung im Betrag von S 85.350,-- begehrt. Die beklagte Frachtführerin nehme zu Unrecht die Haftungsbefreiung nach Art.17 Abs.2 CMR in Anspruch. Die Gefahr von Diebstählen gesamter LKW-Ladungen im italienischen Raum sei bekannt gewesen. Der Frachtführer hätte durch entsprechende Weisungen an den Fahrer dem Rechnung tragen müssen, einen Mitfahrer einsetzen bzw. seine Leute schulen müssen, beim Vorzeigen einer Waffe nicht sofort den "Anweisungen" der Räuber Folge zu leisten.
Die beklagte Partei und die auf ihrer Seite beigetretenen Nebenintervenienten beantragten die Klagsabweisung und wendeten ein, die Rechte und Pflichten eines Frachtführers nach § 413 HGB kämen nicht zur Anwendung, weil ein bestimmter Satz der Beförderungskosten nicht vereinbart worden sei. Darüber hinaus sei die beklagte Partei als Frachtführer gemäß Art.17 Abs.2 CMR von der Haftung befreit, weil der Verlust des LKWs und seiner Ladung durch nicht vermeidbare Umstände verursacht worden sei.
Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Die beklagte Partei treffe die Frachtführerhaftung, weil ein Fahrpreispauschale vereinbart worden sei. Ihr komme jedoch der Haftungsausschluß nach Art.17 Abs.2 CMR zugute, weil der Schaden durch einen schweren Raub verursacht worden sei, den sie nicht habe vermeiden können. Der Entschluß zur Nachtfahrt begründe keine Sorgfaltswidrigkeit, weil sich die Beladung aus vom LKW-Fahrer nicht zu vertretenden Gründen bis um 18,15 Uhr verzögert habe. Auch der Umstand, daß die Türen zum Fahrerhaus des LKWs nicht versperrt gewesen seien, stelle keine Sorgfaltswidrigkeit dar.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und erklärte die Revision für zulässig. Der vorliegende Raub sei ein unabwendbares Ereignis gewesen, das die Erstnebenintervenientin durch vernünftiger Weise noch zumutbare Sorgfaltsmaßnahmen nicht hätte verhindern können. Die von der Klägerin geforderte Ausstattung des Fahrzeuges gehe weit über die von einem Frachtführer vernünftigerweise zu fordernde Sorgfalt hinaus. Die Nachtfahrt G***** sei durch den Verladevorgang bedingt gewesen, das Nichtverschlossenhalten der Beifahrertüre sei nicht kausal für das Gelingen des Raubes gewesen, weil das Leben G***** schon zuvor bedroht gewesen sei und er sich den Drohungen der Räuber beugen hätte müssen. Auch ein Beifahrer hätte wegen der gleichermaßen gegen ihn wirksamen Bedrohung mit einer Waffe nichts genützt. Der Raub sei derart schnell erfolgt, daß G***** zwischen dem Anhalten des PKW VW-Golf vor seinem Fahrzeug und dem Einsteigen eines der Täter keine Zeit geblieben sei, weiterzufahren.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Nicht mehr revisionsgegenständlich ist die ursprünglich bestrittene Frachtführerhaftung der Beklagten bzw. der zwei Nebenintervenienten nach CMR. Gemäß Art.17 Z 1 CMR haftet der Frachtführer unter anderem für den gänzlichen oder teilweisen Verlust und für die Beschädigung des Gutes, sofern der Verlust oder die Beschädigung zwischen dem Zeitpunkt der Übernahme des Gutes und dem seiner Ablieferung eintritt. Von dieser Haftung ist der Frachtführer nach Z 2 dieser Bestimmung nur dann befreit, wenn der Verlust oder die Beschädigung durch ein Verschulden des Verfügungsberechtigten, durch eine nicht vom Frachtführer verschuldete Weisung des Verfügungsberechtigten oder durch Umstände verursacht worden ist, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Für Personen, deren sich der Frachtführer bei der Ausführung der Beförderung bedient, haftet er wie für eigene Handlungen und Unterlassungen, wenn diese Personen in Ausübung ihrer Verrichtungen handelten (Art.3 CMR). Der Frachtführer haftet somit, ohne daß ihm ein Verschulden nachgewiesen werden müßte; er hat aber die Möglichkeit, die ihn belastende Verschuldensvermutung durch den Nachweis eines Haftungsausschlußtatbestandes zu entkräften (SZ 50/43; RdW 1983, 42). Der Entlastungsgrund, daß Umstände vorliegen, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte, wird in der österreichischen und deutschen Rechtsprechung restriktiv ausgelegt (vgl. Csoklich, Einführung in das Transportrecht, 185 mwN). Zur Auslegung des Art.17 Z 2 CMR haben sich in Lehre und Rechtsprechung verschiedene Ansichten gebildet, weil der Gesetzeswortlaut nicht erkennen läßt, ob es auf angemessene Anstrengungen, den Schaden zu vermeiden, ankommt oder ob die Entlastung des Frachtführers erst eintritt, wenn die Schadensverhütung nur mit ganz außergewöhnlichen Mitteln oder gar nur mit absurdem Aufwand möglich war; gleiches gilt für die Abwendung der Folgen der Schadensursache (vgl. Koller, Transportrecht2, 755 mwN). Loewe (ETR 1976, 503„ 554 f) zufolge umschreibt Art.17 Abs.2 letzter Fall CMR den dem Begriff der höheren Gewalt sehr nahestehenden Begriff des unabwendbaren Ereignisses. Im Hinblick auf die Vermeidbarkeit von Diebstählen spricht Loewe (aaO) davon, daß der Frachtführer entlastet werde, wenn der Diebstahl selbst mit Aufwendung äußerster Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen wäre.
Unter höherer Gewalt versteht man nach der österreichischen Lehre und Rechtsprechung ein von außen her auf den Betrieb - hier auf den Beförderungsbetrieb - einwirkendes außergewöhnliches Ereignis, das nicht in einer gewissen Häufigkeit und Regelmäßigkeit vorkommt und zu erwarten ist und durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann. Höhere Gewalt liegt daher nicht vor, wenn ein Ereignis nicht außergewöhnlich ist (SZ 50/40 mwN).
Wie der Oberste Gerichtshof in SZ 50/40 eingehend darlegte, kommt es bei der (von der beklagten Partei als Frachtführer angestrebten) Haftungsbefreiung nach Art.17 Z 2 CMR nicht darauf an, ob der Schaden durch höhere Gewalt verursacht wurde; die Fassung der Haftungsbefreiungsbestimmung knüpft vielmehr an den Begriff des unabwendbaren Ereignisses an, wie er insbesondere auch im § 9 Abs.2 EKHG verwendet wird. Danach ist aber auch im hier zu entscheidenden Zusammenhang davon auszugehen, daß "Umstände, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte", nur dann vorliegen, wenn es auch durch Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falles möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht möglich war, den Schadenseintritt zu verhindern. Unabwendbarkeit des Ereignisses bedeutet nicht dessen absolute Unvermeidbarkeit.
Sieht ein Teil der Lehre in der Figur der "äußersten Sorgfalt" nur eine Leerformel (vgl. Koller aaO, 757), ist dies wegen der schwierigen Abgrenzung dieses Begriffes gewiß nicht ganz unberechtigt. Der Begriff der "äußersten Sorgfalt" geht über den Standard der "verkehrserforderlichen Sorgfalt" jedenfalls hinaus; er findet aber seine Grenze in der äußersten wirtschaftlichen Zumutbarkeit der vom Frachtführer zu fordernden Maßnahmen. Schäden, die nur mit absurden Maßnahmen hätten verhütet werden können, sind unvermeidbar (vgl. Koller aaO 758 f). Richtig ist, daß Diebstähle und Raubüberfälle zumindest im südlichen Bereich Italiens, insbesondere in Raum von Neapel, geradezu tägliche und deshalb keine
außergewöhnlichen Ereignisse sind (vgl. 8 Ob 620/90 = JBl. 1992, 124
= RdW 1991, 46). Doch muß auch hier unterschieden werden; denn
entscheidend ist, ob auch ein besonders gewissenhafter Frachtführer bzw. Fahrer bei Anwendung äußerster, ihm vernünftigerweise noch zumutbarer Sorgfalt den konkreten Schadensablauf nicht vermeiden hätte können (vgl. 8 Ob 620/90 mwN).
Es mag der zu fordernden "äußersten Sorgfalt" im dargestellten Sinn nicht entsprechen, daß ein Transport mit wertvoller Ladung durch das Stadtgebiet von Neapel ohne jegliche Sicherung des Führerhauses, nämlich ohne dessen Türen versperrt zu halten, durchgeführt wurde, sodaß es beim Stehenbleiben bei einer ampelgeregelten Kreuzung wegen Rotlichts geschehen konnte, daß bewaffnete Männer durch die unversperrte Beifahrertüre eindrangen und den Fahrer unter Androhung von Waffengewalt zum Aussteigen zwangen (8 Ob 620/90). Im vorliegenden Fall aber geschah der Überfall während der Fahrt auf der Autobahn (vgl. hiezu die bei Koller aaO 761 angeführten Entscheidungen). Durch die an sich wirtschaftlich zumutbare Besetzung des Lastkraftwagens mit einem Beifahrer und durch ein Versperrthalten der Tüen des Führerhauses wäre der konkrete Raubüberfall nach den Umständen - worauf schon das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - nicht vermieden worden. Das festgestellte brutale Vorgehen der Räuber war professionell geplant; auch ein Ausweichen und Weiterfahren wäre - soweit es technisch überhaupt durchführbar gewesen sein sollte, was nach den Feststellungen zu bezweifeln ist - im Ergebnis sinnlos gewesen, da dies nur zu einer Wiederholung des zum Stehenbleiben ausgeübten Zwanges in verschärfter Weise geführt hätte. Eine Erörterung der Frage aber, ob besondere, im konkreten Fall unterbliebene Sicherheitsmaßnahmen sich bei anderen Eventualitäten während der Weiterfahrt nachteilig hätten auswirken und diese allenfalls hätten verhindern können, ist entbehrlich, weil die Vermeidbarkeit des konkreten Geschehensablaufes zu beurteilen war.
Diese aber war nach der zu fordernden Sorgfalt nicht gegeben. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Revisionskosten gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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