Normen
ABGB §6
ABGB §7
ABGB §1311
CMR Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr Art17 Abs2
CMR Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr Art17
ABGB §6
ABGB §7
ABGB §1311
CMR Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr Art17 Abs2
CMR Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr Art17
Spruch:
Im Anwendungsbereich der CMR ist der Frachtführer von der Haftung für Verlust des Frachtgutes nur befreit, wenn es ihm auch durch Anwendung äußerster nach den Umständen des Falles möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht möglich war, den Schadenseintritt zu verhindern; der Diebstahl eines beladenen LKW-Zuges, der ohne Not durch zwei Stunden versperrt, aber unbeobachtet abgestellt wird, stellt kein solches unabwendbares Ereignis dar
OGH 16. März 1977, 1 Ob 533/77 (OLG Wien 3 R 185/76; HG Wien 19 Cg 30/76)
Text
Am 2. Oktober 1974 zwischen 12 und 14 Uhr wurde in M, Italien, in der Nähe der Via Orobia der LKW-Zug des Beklagten, bestehend aus dem Motorwagen Marke Büssing, pol. Kennzeichen W 751 568, und dem Anhänger Marke Schwarzmüller, pol. Kennzeichen O 396 922, von unbekannten Tätern gestohlen. Der Lastzug war vom Lenker Ernst P versperrt abgestellt worden und unbewacht; er war nicht mit einem Beifahrer besetzt und hatte keine Alarmanlage. Ernst P ist seit 15 Jahren bei der Beklagten als Fernfahrer beschäftigt und gilt als sehr zuverlässiger Fahrer; er hatte bisher keine Anstände. Am 2. Oktober 1974 um zirka 11.45 Uhr war Ernst P mit dem LKW-Zug am Ablieferungsort, dem Betriebsgelände der Firma C, Via Orobia 5, in M eingetroffen, um dort zu entladen. Angestellte dieser Firma erklärten, daß wegen der bevorstehenden Mittagszeit erst um 14 Uhr abgeladen werden könne, verweigerten Ernst P die Einfahrt in das Werksgelände und wiesen auch dessen Ersuchen ab, vom Büro der Firma aus nach Österreich telephonieren zu dürfen, um sein Einlangen zu melden und weitere Weisungen einzuholen. Man verwies Ernst P wegen des Telephonates der bevorstehenden Mittagspause halber an eine Gaststätte, die von den Fenstern der Betriebsräume der Firma C aus gesehen werden konnte. Da die Via Orobia eine stark frequentierte Durchzugsstraße mit Parkverbot ist, konnte Ernst P den LKW dort nicht parken, sondern lenkte diesen zirka zwei Häuserblöcke weiter und stellte ihn in einer Seitenstraße der Via Orobia ab. Er schloß alle Fenster, versperrte ordnungsgemäß die Türen des Fahrzeuges, zog alle Schlüssel ab und nahm diese mit sich. Hierauf begab er sich in die ihm gezeigte Gastwirtschaft und meldete über das Fernamt ein Gespräch mit Österreich an. Gegen 14 Uhr kam die Gesprächsverbindung zustande. In der Zwischenzeit nahm Ernst P in der Wirtschaft seine Mittagsmahlzeit ein. Als er sich gegen 14 Uhr an den Abstellplatz des LKW-Zuges begab, stellte er fest, daß dieser gestohlen worden war. Wie sich später herausstellte, hatten unbekannte Täter, die offenbar einer organisierten Bande angehörten, ein Fenster aufgebrochen und das Fahrzeug vermutlich durch Schließen des Stromkreises in Betrieb erstattete unverzüglich im Polizeipräsidium von M die Anzeige. Nach längerer Zeit wurde der LKW-Zug, abgesehen von den Einbruchsschäden, im wesentlichen intakt aufgefunden, die Ladung fehlte jedoch. Der LKW-Zug hatte u. a. 250 Rollen EDV-Papier der Firma N-AG geladen; durch den Diebstahl entstand der Firma N-AG ein Schaden, der von der Klägerin als deren Transportversicherer gedeckt wurde. Der Klägerin wurden sodann vom Verladespediteur, der Firma Geralt V, Speditionsgesellschaft m. b. H. die Ansprüche aus dem dem Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr unterliegenden Frachtvertrag gegen den Beklagten abgetreten.
Die Klägerin begehrte die Zahlung des Betrages von 102 000 S samt Anhang und brachte dazu weiters vor, es sei seit Jahren bekannt, daß es gerade in Italien zu derartigen Vorfällen komme, wobei jährlich zwischen 5000 und 8000 LKWs gestohlen würden. Deshalb sei der Beklagte verpflichtet gewesen, eine besondere Sicherung des LKW-Zuges vorzunehmen, zum Beispiel durch Einbau einer zusätzlichen Sicherungsanlage oder durch Vorsorge für eine Bewachung während der Abwesenheit des LKW-Lenkers.
Der Beklagte bestritt dieses Vorbringen der Klägerin und brachte vor, die von ihr angegebenen Zahlen seien nicht richtig. Die Diebstahlswelle in Italien habe erst 1974 begonnen und sei ihm zum Zeitpunkt des Vorfalles noch nicht bekannt gewesen. Es sei dem Transportunternehmer wirtschaftlich nicht zumutbar, Fahrzeuge auf kurzen Strecken mit zwei Personen zu besetzen; Bedienstete lehnten die Bewachung von Fahrzeugen ab, da sie befürchteten, sich im Falle eines Diebstahles in Lebensgefahr zu befinden; die Bewachung durch eigene Sicherheitsbeamte sei wirtschaftlich nicht zumutbar.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der Haftungsbefreiungsgrund des Art. 17 Abs. 2 CMR vorliege.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der klagenden Partei keine Folge. Es übernahm die Feststellungen des angefochtenen Urteils und billigte die Rechtsansicht des Erstrichters.
Über Revision der klagenden Partei änderte der Oberste Gerichtshof die Urteile der Untergerichte dahin ab, daß er den Beklagten zur Bezahlung des Klagebetrages an die klagende Partei verurteilte.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Entscheidend ist im Revisionsverfahren nur noch die Frage, ob im vorliegenden Fall die Haftung des Frachtführers gemäß Art. 17 Abs. 2 CMR ausgeschlossen ist.
Der Revisionswerber vertritt den Standpunkt, daß die Fassung des Art. 17 Abs. 2 CMR, wonach der Frachtführer von der Haftung befreit ist, wenn der Verlust durch Umstände verursacht worden ist, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte, den Begriff der höheren Gewalt umschreibe. Es sei dies nach der Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang sowie nach der Absicht des Gesetzgebers anzunehmen. Auch Art. 27 § 2 CIM werde in diesem Sinne ausgelegt. Der Diebstahl eines Fahrzeuges könne aber nicht als höhere Gewalt qualifiziert werden.
Der Rechtsansicht der Revisionswerber kann jedoch nicht gefolgt werden. Unter höherer Gewalt versteht man nach österreichischer Lehre und Rechtsprechung ein von außen her auf den Betrieb - hier auf den Beförderungsbetrieb - einwirkendes außergewöhnliches Ereignis, das nicht in einer gewissen Häufigkeit und Regelmäßigkeit vorkommt und zu erwarten ist und durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann (vgl. Gschnitzer, Lehrbuch, Besonderer Teil und Schadenersatz, 150; Ehrenzweig, System[2] II/1, 643; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, 457; Geigel, Der Haftpflichtprozeß[16], 666; SZ 24/52; SZ 26/139). Höhere Gewalt liegt daher schon dann nicht vor, wenn ein Ereignis nicht außergewöhnlich ist. So erblickt etwa die Entscheidung SZ 24/52 in einem Hochwasser, das schon öfter eingetreten ist, keine höhere Gewalt (vgl. auch Gschnitzer a. a. O., 151). Da auch Diebstähle von Fahrzeugen nicht außergewöhnlich sind, käme eine Haftungsbefreiung des Frachtführers dann nicht in Betracht, wenn Art. 17 Abs. 2 CMR - wie der Revisionswerber meint - die Haftung des Frachtführers nur im Falle der höheren Gewalt entfallen ließe. Für diese Ansicht können freilich die Materialien ins Treffen geführt werden. In den Erläuternden Bemerkungen (166 BlgNr, IX. GP) wird ausgeführt, es handle sich beim in Rede stehenden Haftungsausschlußgrund "um den Versuch einer Formulierung des Begriffes höhere Gewalt". Nun ist aber bei der Auslegung eines Gesetzes grundsätzlich nur der in gehhöriger Form kundgemachte Wille des Gesetzgebers zu beachten; ein Rechtssatz, der im kundgemachten Gesetz keinen Anhaltspunkt findet, kann nicht den Erläuternden Bemerkungen entnommen werden (vgl. SZ 40/16 u. a.). Es ist aber darüber hinaus davon auszugehen, daß bei der Auslegung internationaler Abkommen, die privatrechtlichen Beziehungen der Angehörigen der Vertragsstaaten regeln, innerstaatliche Rechtsbegriffe nicht unbesehen als dem Abkommen zugrunde liegend angesehen werden dürfen, da sonst das Ziel einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung in den Vertragsstaaten nicht gesichert wäre. Es kommt deshalb vor allem wegen der Schwierigkeit, den wahren Willen der vertragschließenden Staaten zu erforschen, dem kundgemachten Wortlaut bei der Auslegung besondere Bedeutung zu. Geht man aber von der Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang (§ 6 ABGB) aus, wie dies der Revisionswerber postuliert, gelangt man zum Ergebnis, daß Art. 17 Abs. 2 CMR die Haftung des Frachtführers nicht nur bei höherer Gewalt ausschließt. Hiefür spricht zunächst der Umstand, daß es bei anderer Auffassung nicht erforderlich gewesen wäre, in Art. 17 Abs. 3 CMR zu normieren, daß die Berufung auf ein innerbetriebliches Ereignis, nämlich die Mängel des für die Beförderung verwendeten Fahrzeuges, nicht zulässig sei, wenn ein solches Ereignis niemals höhere Gewalt darstellen könnte, die Haftung des Frachtführers also ohnehin gegeben wäre. Würde daher die Haftung des Frachtführers nur durch höhere Gewalt ausgeschlossen, wäre Art. 17 Abs. 3 CMR überflüssig. Es ist aber auch Art. 17 Abs. 2 CMR nicht zu entnehmen, daß die Haftung des Frachtführers nur bei Vorliegen eines außergewöhnlichen Ereignisses entfallen sollte, wie dies dem Begriff der höheren Gewalt entsprechen würde. Nach dem Wortlaut der vorgenannten Bestimmung ist die Haftungsbefreiung nur daran geknüpft, daß ein Ereignis vorliegt, das der Frachtführer nicht vermeiden und dessen Folgen er nicht abwenden konnte. Der Wortlaut der vorgenannten Bestimmung sagt somit nichts darüber aus, ob es sich dabei im einzelnen um Umstände handelt, die mehr oder weniger häufig auftreten oder um solche, denen außergewöhnlicher Charakter zukommt. Bei dieser Sachlage ist aber davon auszugehen, daß der Versuch des Gesetzgebers, mit der Formulierung des Art. 17 Abs. 2 CMR den Begriff der höheren Gewalt als Haftungsbefreiungsgrund einzuführen, mißlungen ist. Die Fassung der Haftungsbefreiungsbestimmung knüpft vielmehr an den Begriff des unabwendbaren Ereignisses an, wie er insbesondere auch im § 9 EKHG verwendet wird. Danach ist aber auch im hier zu entscheidenden Zusammenhang davon auszugehen, daß "Umstände, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte", dann vorliegen, wenn es auch durch Anwendung äußerster, nach den Umständen des Falles möglicher und vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt nicht möglich war, den Schadenseintritt zu hindern (vgl. Veit, Das EKHG[3], § 9/I/4, 5). Unabwendbarkeit des Ereignisses bedeutet nicht dessen absolute Unvermeidbarkeit (Geigel a. a. O., 705; Veit a. a. O., § 9 I/8). Auch in der deutschen Lehre und Rechtsprechung wird - wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat - die Auffassung vertreten, daß zur Haftungsbefreiung nach dem 4. Haftungsausschlußgrund des Art. 17 Abs. 2 CMR das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses im vorhin dargestellten Sinn genüge (Precht - Endrigkeit, CMR-Handbuch[3] 88; Muth, Leitfaden zur CMR, 75; Heuer, Die Haftung des Frachtführers nach der CMR, 91; BGH 28. Feber 1975; NJW 1975, 1597). Entscheidend ist demnach aber, ob auch ein besonders gewissenhafter Fahrer bei Anwendung äußerster, ihm vernünftigerweise zumutbarer Sorgfalt den Schaden nichtvermieden hätte. Geht man von diesem Maßstab aus, so ist die Haftung des Frachtführers im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht der Vorinstanzen zu bejahen. Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß der Lenker des Fahrzeuges nicht damit rechnen mußte, daß die Entgegennahme der Fracht am Bestimmungsort wegen einer erst etwa 15 Minuten später beginnenden Mittagspause verweigert werden und daß ihm darüber hinaus nicht einmal die Einfahrt in das Werksgelände gestattet werden wird. Es mag auch zutreffen, daß dem Kraftfahrer in dieser Situation im Hinblick auf die verkehrsmäßigen Gegebenheiten praktisch keine andere Möglichkeit blieb, als den LKW-Zug in der Nähe abzustellen. Wenn der Lenker dann aber das Fahrzeug durch zirka zwei Stunden unbeaufsichtigt ließ, um in der Nähe, jedenfalls aber ohne Möglichkeit, den LKW-Zug im Auge zu behalten, das Mittagessen einzunehmen und telefonischen Kontakt mit seinem Dienstgeber aufzunehmen, so kann nicht gesagt werden, daß damit jene Sorgfalt angewendet worden wäre, die auch ein besonders gewissenhafter Fahrer bei Anwendung äußerster Sorgfalt beobachten würde. Vor allem bestand gar keine zwingende Notwendigkeit, das Fahrzeug längere Zeit unbeaufsichtigt zu lassen, zumal der Fahrzeuglenker auch in der Lage gewesen wäre, im Fahrzeug selbst allenfalls eine kalte Mahlzeit einzunehmen. Eine besondere Dringlichkeit des Telefonats mit dem Dienstgeber wurde nicht einmal behauptet. Es mag zutreffen, daß sich Lastkraftwagenfahrer üblicherweise nicht anders verhalten, die äußerste mögliche und auch zumutbare Sorgfalt wird dann eben aber nicht beobachtet. Nur bei Anwendung dieser Sorgfalt wäre ein dennoch eingetretener Verlust durch ein unabwendbares Ereignis veranlaßt.
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