OGH 9ObA223/93

OGH9ObA223/9322.12.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer und Alfred Schätz

als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Klaus N*****, Schweißmeister, ***** vertreten durch Dr.Gerhard Hiebler, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Herwig P*****, Fahrzeugproduzent, ***** vertreten durch Dr.Heimo Schaffer, Rechtsanwalt in Bruck/Mur, wegen Anfechtung einer Entlassung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13.Mai 1993, GZ 8 Ra 140/92-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 25.Juni 1992, GZ 23 Cga 143/91-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden mit der Maßgabe bestätigt, daß sie zu lauten haben:

"Die vom Beklagten gegenüber dem Kläger am 12.November 1991 ausgesprochene Entlassung wird für rechtsunwirksam erklärt."

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 3.623,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 603,84 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Betrieb des Beklagten, in dem mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind, werden PKW-Anhänger hergestellt. Der Kläger war nach Beginn seines Arbeitsverhältnisses am 1.Oktober 1991 ab 20. Oktober 1991 als Schweißmeister am Schweißroboter damit beschäftigt, an den Bordwänden der Anhänger Profilrohre anzuschweißen. Der Roboter arbeitet automatisch nach einem Programm an zwei Arbeitstischen im Wechsel. Wenn der Roboter an einem Tisch arbeitet, hat der ihn bedienende Arbeitnehmer am anderen Tisch das Werkstück zu wechseln. Um das Programm zu optimieren, ist es notwendig, daß der Arbeitnehmer sich in den Gefahrenbereich des Roboters begibt. Hiebei wird der Arbeitnehmer durch zahlreiche Sicherungsvorkehrungen geschützt. Für eine gefahrlose Arbeit mit dem Schweißroboter ist eine Einschulung in den Bereichen Sicherheitstechnik und Programmoptimierung erforderlich. Die beiden Söhne des Beklagten und die Arbeitnehmer Friedrich R***** und Jörg R***** wurden von dem Roboterhersteller jeweils vier Tage eingeschult. Dem Beklagten wurde vom Arbeitsinspektorat die Auflage erteilt, daß die am Schweißroboter beschäftigten Arbeitnehmer nachweislich vom Hersteller des Roboters einzuschulen und zu unterweisen sind. Der Schweißroboter befand sich in der Nähe eines bis 17 Uhr besetzten Büros, in dem sich insbesondere der Beklagte, seine Söhne und die Sekretärin aufhielten. Danach in den Abendstunden erfolgten im Abstand von zwei Stunden Kontrollgänge. Das Wohngebäude des Beklagten war 50 m vom Arbeitsplatz am Schweißroboter entfernt.

Der Kläger wurde ab 20.Oktober 1991 am Schweißroboter durch Friedrich R***** im Zuge der gemeinsamen Arbeit laufend eingeschult. Am 11. November 1991 - zu diesem Zeitpunkt war die Einschulung des Klägers noch nicht abgeschlossen - war der Kläger gemeinsam mit Jörg R***** zur Nachmittagsschicht von 14 bis 22 Uhr am Schweißroboter eingeteilt. Da Jörg R***** krank war, hätte der Kläger den Schweißroboter alleine bedienen müssen. Der Kläger teilte dem Beklagten mit, daß er sich bei der Arbeiterkammer erkundigt habe, daß er nicht allein am Schweißroboter arbeiten müsse. Daraufhin vereinbarten die Streitteile für diesen Tag Urlaub. Nachdem der Beklagte von der Handelskammer die Auskunft erhalten hatte, daß das Arbeiten am Schweißroboter durch einen Arbeitnehmer allein nicht grundsätzlich verboten sei, rief er den Kläger am 12.November 1991 zu sich ins Büro und erklärte ihm, es gebe ein Problem, weil sich der Kläger bei der Arbeiterkammer erkundigt habe. Daraufhin äußerte der Kläger: "Sagen Sie gleich, ich bin entlassen." Der Beklagte antwortete: "Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund." Der Kläger erkundigte sich dann noch, ob er weiterarbeiten solle. Der Beklagte erklärte ihm, er könne dies tun, aber auch gleich gehen, worauf der Kläger den Betrieb verließ.

Der Beklagte sprach die Entlassung aus, weil er die Erkundigung des Klägers bei der Arbeiterkammer als Vertrauensbruch auffaßte.

Der Kläger begehrt den Ausspruch der Rechtsunwirksamkeit der Entlassung und die Feststellung des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses über den 12.November 1991 hinaus, in eventu die Unwirksamerklärung der Kündigung.

Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei auf ein verpöntes Motiv im Sinne des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG iVm § 106 ArbVG zurückzuführen. Der Kläger sei vom Beklagten aufgefordert worden, von 14 Uhr bis 22 Uhr alleine am Schweißroboter zu arbeiten. Da es sich um eine besonders gefahrgeneigte Tätigkeit gehandelt habe, habe der Kläger vom Beklagten verlangt, einen weiteren Arbeitnehmer gleichzeitig in Rufnähe zu beschäftigen. Darüber hinaus habe das Arbeitsinspektorat mit Bescheid verfügt, daß die am Schweißroboter beschäftigten Arbeitnehmer nachweislich einer Unterweisung bzw Einschulung durch die Herstellerfirma zu unterziehen seien. Auch dies habe der Beklagte mißachtet. Der Kläger habe daher zu Recht die Arbeit am Schweißroboter in der Nachmittagsschicht abgelehnt.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Dienstverhältnis habe nicht durch Entlassung, sondern durch Kündigung durch den Beklagten geendet. Am 11.November 1991 sei der Kläger mit einem anderen Mitarbeiter für die Nachmittagsschicht eingeteilt gewesen. Dieser Mitarbeiter sei jedoch kurzfristig erkrankt. Da der Kläger nicht alleine habe arbeiten wollen, sei für diesen Tag Urlaub vereinbart worden, um die Rechtssituation zu klären. Dabei habe sich ergeben, daß keine generelle Norm die Bedienung des Schweißroboters durch nur einen Arbeiter verbiete; auch das Arbeitsinspektorat habe nichts derartiges angeordnet. Bei dem Gespräch am 12.November 1991 habe der Kläger darauf beharrt, nicht alleine zu arbeiten. Der Kläger sei speziell für die Arbeit am Schweißroboter aufgenommen worden; durch die Weigerung, allein zu arbeiten, sei eine entsprechende Diensteinteilung mit wirtschaftlicher Einsatzzeit des Gerätes nicht mehr möglich gewesen.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt. Gemäß § 6 Abs 4 ASchG dürften zu Arbeiten, die mit einer besonderen Gefahr für die damit beschäftigten oder andere Arbeitnehmer verbunden seien, nur Arbeitnehmer herangezogen werden, die die erforderliche körperliche und geistige Eignung sowie die vom Standpunkt des Arbeitnehmerschutzes für notwendig befundenen Fachkenntnisse und Berufserfahrungen für eine sichere Durchführung der Arbeiten besäßen; soweit Arbeitnehmer über die geforderten Kenntnisse und Erfahrungen noch nicht verfügten, dürften sie zu derartigen Arbeiten erst nach entsprechender Unterweisung herangezogen werden. Die Weigerung des nicht eingeschulten Klägers sei daher berechtigt gewesen. Das Einholen einer Auskunft der Arbeiterkammer könne nicht als Vertrauensbruch gewertet werden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Erstrurteil. Als Anspruch im Sinne des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG sei die Berechtigung zu verstehen, von einer anderen Person ein Tun oder Unterlassen zu fordern. Unter Geltendmachung sei jedes Verhalten des Arbeitnehmers zu verstehen, das der Realisierung eines derartigen Anspruches diene; das gelte auch für die auf eine vertretbare Rechtsansicht gestützte Weigerung des Arbeitnehmers, einer erteilten Weisung nachzukommen. § 6 Abs 4 ASchG enthalte keine taxative Aufzählung und sei auch auf die gefährliche Arbeit am Schweißroboter anzuwenden. Da die Einschulung des Klägers noch nicht abgeschlossen gewesen sei, sei eine Beaufsichtigung durch Kontrollgänge am Abend im Abstand von zwei Stunden und die Überwachung vom 50 m von der Arbeitsstätte entfernten Wohngebäude des Beklagten aus nicht ausreichend gewesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Zu Unrecht wendet sich der Revisionswerber gegen die Auffassung der Vorinstanzen, daß das Dienstverhältnis durch Entlassung beendet worden sei. Eine Entlassungserklärung kann auch konkludent erfolgen, doch muß sie die ernsthafte und zweifelsfreie Absicht, das Arbeitsverhältnis sofort für die Zukunft zu beenden, erkennbar zum Ausdruck bringen (s Martinek-M. u. W.Schwarz AngG7, 547 mwH). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen rief der Beklagte den Kläger am 12. November 1991 in sein Büro und erklärte ihm, es gebe ein Problem, weil sich der Kläger bei der Arbeiterkammer erkundigt habe. Damit deutete der Beklagte dem Kläger gegenüber an, daß er den Besuch bei der Arbeiterkammer mißbilligte, ohne sich klar zum weiteren Schicksal des Arbeitsverhältnisses zu äußern. Wenn der Kläger in dieser vom Arbeitgeber herbeigeführten unklaren Situation mit den Worten "Sagen Sie gleich, ich bin entlassen" eine Klarstellung herbeiführen wollte, kann dies entgegen der Auffassung des Revisionswerbers nicht als Austritt gewertet werden. Mit der Erklärung: "Sie nehmen mir die Worte aus dem Mund" stellte der Beklagte daraufhin klar, daß der Kläger die vorangegangene Erklärung des Beklagten richtig als Entlassung aufgefaßt habe. Dies verdeutlichte der Beklagte noch, indem er auf die weitere Frage des Klägers, ob er noch weiter arbeiten solle, erklärte, er könne dies, könne aber auch gleich gehen.

Zu Recht hat sich der Kläger auch auf den Anfechtungsgrund nach § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG iVm § 106 ArbVG berufen. Nach dem mit der ArbVG-Nov 1986 neu eingeführten Tatbestand des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ist die Kündigung anfechtbar, wenn sie wegen der offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer erfolgt ist. Wie Eypeltauer (Gedanken zum Kündigungsanfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG, DRdA 1988, 435 ff [436]) zutreffend darlegt, ist mangels entsprechenden Materials eine historische Interpretation nicht möglich. Der Ausschußbericht (1062 BlgNR 16.GP) enthält nur die wörtliche Wiedergabe der Erläuterungen des Initiativantrages, die sich im wesentlichen in einer Wiederholung des beantragten Gesetzestextes erschöpfen. Ziel dieser Bestimmung ist es, dem Arbeitnehmer die Rechtsdurchsetzung im aufrechten Arbeitsverhältnis zu ermöglichen (Floretta in Floretta-Spielbüchler-Strasser Arbeitsrecht3 I 280). Weder dem Wortlaut des Gesetzes "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" noch dem Zweck dieser Bestimmung, die arbeitsrechtliche Stellung des Arbeitnehmers zu schützen (s Eypeltauer aaO 436) läßt sich entnehmen, daß davon nur Ansprüche des Arbeitnehmers auf Leistungen, insbesondere Geldleistungen des Arbeitgebers umfaßt sind. Der Arbeitnehmer beruft sich auch auf seine Rechtsposition, wenn er die Befolgung einer Weisung des Arbeitgebers mit der Begründung verweigert, diese verstoße gegen das Gesetz oder den Arbeitsvertrag; geht man vom Gesetzeszweck aus, die arbeitsrechtliche Stellung des Arbeitnehmers insgesamt zu schützen, dann ist unter "Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis" auch der Anspruch des Arbeitnehmers zu verstehen, zur Erfüllung seiner Hauptleistung nur in den durch Gesetz und Arbeitsvertrag gezogenen Grenzen herangezogen zu werden und Arbeitsleistungen, die unter Mißachtung dieser Grenzen angeordnet werden, zu unterlassen (siehe auch Cerny, Arbeitsverfassungsgesetz8, 480; Eypeltauer aaO 444 f; B.Schwarz, eine umstrittene betriebliche Arbeitszeiteinteilung DRdA 1988, 152 ff [159]). Mit der Weigerung, trotz unzureichender Einschulung den Schweißautomaten allein zu bedienen, machte der Kläger daher offenbar nicht unberechtigte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geltend. Hiebei ist es nicht erforderlich, daß der Arbeitnehmer seine (wahrscheinlichen) Ansprüche gerichtlich geltend macht; es genügt mündliche oder konkludente Geltendmachung, etwa die Nichtbefolgung einer Weisung des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer unter ausdrücklicher (oder konkludenter) Berufung auf seine Rechtsposition (s Eypeltauer aaO 445; Cerny aaO 480). Unter Geltendmachung sind aber auch vorbereitende Erkundigungen des Arbeitnehmers zB bei seiner Interessenvertretung zu verstehen (siehe Floretta aaO 280 f).

Nicht nur mit seiner Weigerung, allein den Schweißautomaten zu bedienen, sondern auch mit der Einholung einer diesbezüglichen Auskunft der Arbeiterkammer machte der Kläger daher Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des zitierten Anfechtungstatbestandes geltend. Die Entlassung ist wegen dieser Geltendmachung ausgesprochen worden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Da die Anfechtung einer Kündigung bzw Entlassung durch ein Rechtsgestaltungsbegehren zu erfolgen hat (9 Ob A 74/88; 9 Ob A 103/93) entsprach nur das auf Unwirksamerklärung der Entlassung gerichtete Klagebegehren diesem Rechtsschutzziel. Der Oberste Gerichtshof hatte dem Spruch daher eine entsprechende Fassung zu geben (s 9 Ob A 229/92).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 58 Abs 1 Satz 1 ASGG und 41, 50 ZPO. Mangels Bewertung durch den Kläger war hiebei gemäß § 56 Abs 2 JN iVm § 4 RATG von einem Streitwert von 30.000 S auszugehen.

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