OGH 3Ob518/93

OGH3Ob518/932.6.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Pfarrkirche S*****, 2.) Engelbert S*****, 3.) Erwin G*****, 4.) Jakob H*****, 5.) Ernst U*****, 6.) Sieglinde K*****, und

7.) Kurt U*****, der Erst- und der Drittkläger vertreten durch Dr.Christian Tschurtschenthaler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, die übrigen Kläger vertreten durch Dr.Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagten Parteien 1.) Klothilde B*****, und 2.) Dr.Karl B*****, die Erstbeklagte vertreten durch den Zweitbeklagten, wegen Feststellung des Bestehens von Dienstbarkeiten und Einwilligung in deren Einverleibung, infolge Revision des Zweitbeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes vom 27. Jänner 1993, GZ 2 R 4/93-95, womit infolge Berufung beider Beklagter das Urteil des Bezirksgerichtes Villach vom 30.September 1992, GZ 9 C 930/89z-88, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die klagenden Parteien und die Beklagten sind Eigentümer von Grundstücken, wobei das dem Fünftkläger und der Sechstklägerin gehörende Grundstück je zur Hälfte in ihrem Eigentum steht. Die Grundstücke der beiden Beklagten liegen in ost-westlicher Richtung nebeneinander.

Die klagenden Parteien begehrten die Feststellung, daß ihnen als Eigentümer der Grundstücke und ihren Rechtsnachfolgern die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes über die Grundstücke der Beklagten auf einem in einem näher bezeichneten Lageplan eingezeichneten Wegstück zustehe. Sie begehrten ferner, die Beklagten schuldig zu erkennen, in die grundbücherliche Einverleibung der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes einzuwilligen. Als Rechtsgrund wurde im wesentlichen Ersitzung geltend gemacht. Die Fünft- bis Siebentkläger behaupteten außerdem das Zustandekommen einer Vereinbarung über die Dienstbarkeit.

Das Erstgericht gab den Klagebegehren aller klagenden Parteien statt.

Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung beider Beklagten in nichtöffentlicher Sitzung das erstrichterliche Urteil in der Hauptsache und gab der Berufung nur im Kostenpunkt teilweise Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes bei jeden der klagenden Parteien und auch bei dem Fünftkläger und der Sechstklägerin gemeinsam im Verhältnis zu jeden der Beklagten 50.000 S nicht übersteigt, und daß die Revision gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig ist. Es vertrat die Auffassung, daß für die Berufung der Beklagten § 501 Abs 1 ZPO maßgebend sei, weil der Streitgegenstand, über den das Erstgericht entschieden habe, nach der bindenden Bewertung der klagenden Parteien 15.000 S nicht übersteige. Der Wert der Ansprüche der klagenden Partei sei nicht zusammenzurechnen, weil sie nun formelle Streitgenossen gemäß § 11 Z 2 ZPO seien. Selbst wenn man aber beim Fünftkläger und bei der Sechstklägerin die Streitwerte zusammenrechnete, würde der Betrag insgesamt 15.000 S nicht übersteigen. Auf die in der Berufung zur Mangelhaftigkeit des Verfahrens des Erstgerichtes und zur unrichtigen Tatsachenfeststellungen enthaltenen Ausführungen müsse nicht eingegangen werden, weil das Urteil des Erstgerichtes gemäß § 501 Abs 1 ZPO aus diesen Gründen nicht angefochten werden könne. Eine mündliche Verhandlung über die Berufung müsse trotz des entsprechenden Antrags der Beklagten nicht anberaumt werden, weil sie nicht erforderlich sei.

Die vom Zweitbeklagten gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes wegen Nichtigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobene Revision ist unzulässig.

Zur Zulässigkeit der Revision führt der Revisionswerber aus, daß der Ausspruch nach § 500 Abs 2 Z 2 ZPO weder die Parteien noch die Gerichte bindet, zur Klärung, ob eine Bagatellsache im Sinn des § 501 ZPO vorliege, stehe (immer) der volle Instanzenzug offen. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Beschränkung der Berufungsgründe im Sinn des § 501 ZPO könne vom Obersten Gerichtshof im Rahmen einer Revision überprüft werden, mit der ein Berufungsurteil bekämpft werde, das unter Berufung auf die zu Unrecht angenommene Unterschreitung der Grenze des § 501 ZPO die Bekämpfung der Tatfrage oder der Verfahrensmängel nicht behandelt habe. Es läge eine offensichtliche Unterbewertung durch die Kläger vor. Die Beeinträchtigung der Beklagten sei jedenfalls mit mindestens S 16.000,-- je Kläger gegenüber jeder der Beklagten zu bewerten, weil ja ohne eine Zufahrt die weitläufigen Waldliegenschaften der Kläger nicht bewirtschaftet werden könnten und somit wesentlichen Wertverlusten ausgesetzt wären.

Rechtliche Beurteilung

Dem kann nicht gefolgt werden.

Der Oberste Gerichtshof hat zwar zu § 501 ZPO idF vor der ZVN 1983 mehrfach ausgesprochen, daß auf Grund eines Rechtsmittels, das gegen den die Berufung zurückweisenden Beschluß des Berufungsgerichtes erhoben wird, die Frage zu prüfen sei, ob eine Bagatellsache vorliegt (EvBl 1979/139; RZ 1964, 163; JBl 1958,22; EvBl 1955/123; ZBl 1929/347). Ähnlich hat er zu § 502 Abs 2 idF vor der ZVN 1983 die Meinung vertreten, daß diese Bestimmung keine Anwendung findet, wenn eine Bagatellsache irrtümlich als höherwertige Streitsache behandelt wurde (MietSlg 31.626/23; SpR 27 = SZ 10/304). Hier setzte das Berufungsgericht aber seiner Entscheidung einen Bewertungsausspruch nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO bei. Dazu war es verpflichtet, weil der Entscheidungsgegenstand nicht ausschließlich in einem Geldbetrag bestand.

Der zulässige und nicht gegen zwingende Bewertungsvorschriften verstoßende Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO bindet aber den Obersten Gerichtshof, findet doch ein Rechtsmittel gegen diesen Ausspruch gemäß § 500 Abs 4 ZPO nicht statt (SZ 63/117 mwN unter ausdrücklicher Ablehnung der Meinung Steiningers in RZ 1989, 236 ff, 258 ff ua, zuletzt 1 Ob 62/91, 5 Ob 510/91; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1862 ["absolute Revisionsbeschränkung"]; zur Unanfechtbarkeit: Jus extra 1993/1197; 1 Ob 624/91 ua; Fasching aaO Rz 1830). Erfüllt der Wertausspruch des Berufungsgerichtes diese Voraussetzungen, ist das Urteil des Berufungsgerichtes auch dann unanfechtbar, wenn die Entscheidung von einer nach § 502 Abs 1 ZPO qualifizierten Rechtsfrage abhinge (Fasching aaO Rz 1858).

Fasching aaO Rz 1858 vertritt zwar auch noch nach der Änderung der Rechtslage durch die WGN 1989 die Rechtsansicht, daß die Revision zulässig sein müsse, wenn ein Berufungsurteil deshalb bekämpft wird, weil das Berufungsgericht durch die zu Unrecht angenommene Unterschreitung der Grenze des § 501 ZPO die Bekämpfung der Tatfrage oder der Verfahrensmängel nicht behandelt hat. Diese Ansicht wurde aber bereits in der Entscheidung 1 Ob 640/92 für den Fall abgelehnt, daß der Rechtsmittelwerber behauptet, der Streitwert läge zwar über S 15.000,--, nicht aber über S 50.000,--. Gerade ein solcher Fall liegt hier vor, gingen doch die Beklagten immer davon aus, der Streitwert betrage mindestens S 16.000,-- bzw S 30.000,--. Der Ansicht Faschings könnte daher nur für den Fall beigetreten werden, daß die Berufung zurückgewiesen wurde, weil diese Entscheidung gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO mit Vollrekurs und ohne Beschränkung auf die Höhe des Streitwertes bekämpft werden könnte (RZ 1992/1, EvBl 1991/62 ua, zuletzt 1 Ob 640/92). Ein solcher Fall mag zwar dann gegeben sein, wenn die Berufung bei einem S 15.000,-- nicht übersteigenden Streitwert ausschließlich nach § 501 ZPO unzulässige Berufungsgründe geltend machte (so ausdrücklich 1 Ob 640/92, in welchem Falle die Richtigkeit der Annahme eines S 15.000,-- nicht übersteigenden Streitwert sachlich geprüft wurde), nicht jedoch wenn wie hier ohnedies zulässige Berufungsgründe geltend gemacht wurden. In einem solchen Fall ist über die Berufung sachlich zu entscheiden, sodaß sich das Berufungsgericht auch nicht in seiner Entscheidungsform vergriffen hat.

Dieser Gedanke liegt bereits der Entscheidung des erkennenden Senates JBl 1985, 113 zugrunde, in der zu dem (mit § 502 Abs 2 ZPO idF der WGN 1989) vergleichbaren § 528 Abs 1 Z 5 ZPO idF der ZVN 1983 die Meinung vertreten wurde, daß diese Bestimmung die Zulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof jedenfalls und daher auch bei einem Beschluß ausschließt, mit dem das Gericht zweiter Instanz einen Rekurs gegen einen Beschluß erster Instanz gemäß § 517 ZPO idF der ZVN 1983 zurückgewiesen hat.

Soweit sich der Revisionswerber auf die Entscheidung 7 Ob 629/91 = AnwBl 1992, 694 stützt, lag ein anderer Sachverhalt vor, weil das Berufungsgericht dort einen Ausspruch nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO unterlassen hatte.

Die Ansicht des Revisionswerbers würde auch zu einem Wertungswiderspruch führen. Hat nämlich das Berufungsgericht unter Anwendung des § 501 Abs 1 letzter Satz ZPO von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung abgesehen und könnte diese Entscheidung dahin überprüft werden, ob die angeführte Bestimmung zu Recht angewendet wurde, entstünde ein Widerspruch zu dem Fall, in dem das Berufungsgericht bei einem 50.000 S nicht übersteigenden Wert des Streitgegenstandes trotz eines Antrags auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung aus einem anderen als dem im § 501 Abs 1 letzter Satz ZPO angeführten Grund, also etwa aus Versehen, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden hat. In diesem Fall könnte nämlich die Nichtigkeit nicht wahrgenommen werden, weil die Revision gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig wäre. Derselbe Widerspruch läge vor, wenn das Berufungsgericht auf Grund einer auch andere Berufungsgründe enthaltenden und damit zulässigen Berufung die Beweis- oder Mängelrüge in einem Fall unter Hinweis auf § 501 ZPO, in einem anderen Fall aber aus anderen Gründen nicht behandelt hat. Es wäre ungerechtfertigt, wenn dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung über die Berufung trotz eines 50.000 S nicht übersteigenden Wertes des Streitgegenstandes nur deshalb aufgetragen werden könnte, weil es § 501 ZPO zu Unrecht angewendet hat.

Zu prüfen bleibt allerdings noch, ob die Ansprüche der Kläger zusammenzurechnen sind. Dies würde gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN voraussetzen, daß die Parteien materielle Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind, also in Ansehung des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen Grund berechtigt oder verpflichtet sind. Eine Rechtsgemeinschaft kommt nur beim Fünftkläger und der Sechstklägerin in Betracht. Hier hat aber das Berufungsgericht ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes bei beiden gemeinsam 50.000 S nicht übersteigt. Aus demselben tatsächlichen Grund wären die Parteien nur berechtigt oder verpflichtet, wenn sich ihr Recht oder ihre Verpflichtung aus denselben rechtserzeugenden Tatsachen ergäbe (JBl 1982, 266 mwN). Dies trifft beim Klagsgrund der Ersitzung aber nicht zu, weil die Ersitzung für jeden Kläger durch ein gesondertes Verhalten herbeigeführt und von jedem Beklagten auch nur durch ein gesondertes Verhalten abgewehrt werden kann. Soweit der Fünftkläger und die Sechstklägerin einerseits und der Siebentkläger andererseits ihr Klagebegehren auch auf eine Vereinbarung mit der Rechtsvorgängerin der Erstbeklagten stützen, sind sie ebenfalls keine materiellen Streitgenossen, weil es sich um verschiedene Schenkungsverträge handelt.

Sind jedoch nur der Fünftkläger und die Sechstklägerin materielle, die übrigen Parteien aber im Verhältnis zu ihnen und untereinander nur formelle Streitgenossen im Sinne des § 11 Z 2 ZPO, so ist die Zulässigkeit der Revision jeweils gesondert zu beurteilen (MietSlg 33.671 ua). Da der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, bei keinem der formellen Streitgenossen 50.000 S übersteigt, ist die Revision des Zweitbeklagten daher gemäß § 502 Abs 2 ZPO unzulässig.

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