OGH 6Ob539/93

OGH6Ob539/9313.5.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Eheangelegenheit des Erich W*****, vertreten durch Dr.Felix und Dr.Wolfgang Winiwarter, Rechtsanwälte in Krems/Donau, und der Renate W*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Grohmann und Dr.Helmut Paul, Rechtsanwälte in Krems/Donau, wegen Scheidung im Einvernehmen gemäß § 55 a EheG, infolge Revisionsrekurses des Mannes gegen den zum Beschluß des Bezirksgerichtes Kirchberg/Wagram vom 11.Dezember 1992, GZ C 92/92 -21, ergangenen rekursgerichtlichen Beschluß des Landesgerichtes Krems/Donau vom 10.März 1993, AZ 2 R 20/93(ON 25), den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht stattgegeben.

Die Parteien haben die ihnen im Revisionsrekursverfahren erwachsenen Kosten jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Parteien hatten anfangs März 1985 die Ehe geschlossen. Der Mann hatte damals eben sein 19.Lebensjahr vollendet gehabt, die Frau war 22 Jahre alt.

Bei der Frau besteht seit ihrem zweiten Lebensjahr als Folge einer Masernerkrankung eine beidseitige Taubheit. Die Frau besuchte eine Gehörlosenschule, erlernte das Schreiben und Lesen, aber nur überaus schlecht das Sprechen. Ihre Sprachverständlichkeit ist sehr schlecht. Sie genoß durch zwei Jahre eine Ausbildung in der Haushaltsfachschule und durch weitere zwei Jahre in der Schneiderfachschule. Sie stand als Büglerin und Wäscherin im Erwerbsleben.

Die Tatsache der schlechten Sprachverständlichkeit wurde dem Gericht anläßlich eines im Jahre 1991 eingeleiteten, letztlich aber durch Antragsrückziehung beendeten Verfahrens zur einvernehmlichen Scheidung bekannt und auch in den anhängigen Rechtsstreitigkeiten über Klage und Widerklage auf Scheidung der Ehe gemäß § 49 EheG sowie in weiteren gerichtlichen Verfahren offenkundig.

In den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtsstreitigkeiten über Klage und Widerklage auf Scheidung der Ehe ist die Frau (ebenso wie der Mann) anwaltlich vertreten.

Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien im streitigen Verfahren leben sie seit Dezember 1991 voneinander getrennt. Nach dem Prozeßstandpunkt beider Parteien ist ihre Ehe unheilbar zerrüttet. Die Parteien bestreiten aber jeweils die ihnen vom anderen angelasteten Eheverfehlungen. Im streitigen Verfharen fanden mehrere Tagsatzungen zur mündlichen Streitverhandlung statt. Eine größere Zahl an Zeugen, nicht aber auch die Parteien selbst, wurden bereits vernommen. Die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 21.Mai 1992 wurde auf unbestimmte Zeit erstreckt.

Am 4.August 1992 erschienen nach vorangegangener Terminabsprache zwischen dem Ehemann und dem Richter beide Parteien um 15.30 Uhr vor Gericht und erklärten nach dem in Maschinschrift aufgenommenen Protokoll, einen Antrag auf Scheidung der Ehe im Einvernehmen gemäß § 55 a EheG zu stellen. Für den Fall der rechtskräftigen Scheidung ihrer Ehe vereinbarten die Parteien - anhand einer vom Mann vorgelegten, abgeänderten Ausfertigung des im vorangegangenen außerstreitigen Verfahren geschlossenen Vergleiches - einen wechselseitigen Unterhaltsverzicht, die alleinige Obsorge der Frau für den im Januar 1991 geborenen ehelichen Sohn, eine monatliche Unterhaltszahlung des Vaters für diesen Sohn von 1.800 S, eine Wochenendbesuchsregelung, eine Ausgleichszahlung des Mannes an die Frau zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus der nachehelichen Vermögensaufteilung im Sinne der §§ 81 ff EheG unter Vorbehalt einer außergerichtlichen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens sowie das (ewige) Ruhen eines anhängigen Rechtsstreites. Hierauf verkündete der Richter ohne jede weitere Erörterung mit den Parteien und ohne jede Beweisaufnahme den Beschluß auf "Scheidung der Ehe im Einvernehmen gemäß § 55 a EheG". Nach dem Inhalt des Protokolls erteilte der Richter "ausdrücklich Rechtsbelehrung auch dahingehend..., daß jeder Ehegatte den Antrag auf Scheidung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses zurücknehmen kann, so wie dies die Erstantragstellerin bereits einmal zu Sch 15/91 getan hat".

Im Anschluß an diese Erklärung des Richters ist die Parteienerklärung protokolliert:

"Beide Antragsteller verzichten auf Rechtsmittel."

Die Parteien unterfertigten das Protokoll über die nach der Beurkundung um 15.55 Uhr beendete Tagsatzung, nachdem die Frau das Protokoll durchgelesen, sich mehrmals mit dem Manne besprochen und auf die Frage des Richters, ob alles stimme und ob sie das Protokoll so wolle, genickt hatte und hierauf vom Richter zur Unterschriftsleistung aufgefordert worden war.

Den Parteien wurde noch am 4.August 1992 jeweils eine Ausfertigung des Scheidungsbeschlusses unmittelbar bei Gericht ausgefolgt.

Am 18.August 1992 brachte die Frau einen anwaltlich verfaßten Schriftsatz zur Postaufgabe an das Gericht, mit dem sie die Rücknahme des Antrages auf Scheidung im Einvernehmen erklärte und hilfsweise Rekurs gegen den Scheidungsbeschluß erhob.

Das Gericht erster Instanz sprach hierauf beschlußmäßig aus, daß der Scheidungsbeschluß ungeachtet der Zurücknahme des Scheidungsantrages nicht wirkungslos werde.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es die Wirksamkeit der Zurücknahme des Scheidungsantrages aussprach. Dazu sprach das Rekursgericht aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Der Mann ficht die abändernde Rekursentscheidung mit einem auf Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses zielenden Abänderungsantrag an.

Die Frau strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Frau ist taub und keiner allgemein verständlichen sprachlichen Ausdrucksweise fähig. Sie ist als taubstumm anzusehen.

Die durch das Volljährigkeitsgesetz BGBl 1973 Nr.108 (Art I Z 13) aufgehobene Regelung des § 275 ABGB hatte die Empfehlung ausgesprochen, daß Taubstumme "vor Gericht nie ohne einen Sachwalter erscheinen" sollten. § 185 ZPO schreibt dem Prozeßrichter vor, eine ohne Bevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung erschienene Partei, die der mündlichen Verhandlung nicht fähig ist, anzuweisen, zu der hiezu zu erstreckenden Tagsatzung "unter Vertretung eines geeigneten Bevollmächtigten" zu erscheinen. Diesen Bestimmungen liegt die augenscheinliche Erwägung zugrunde, daß mündliche Verfahrenserklärungen einer zur mündlichen Verständigung insbesondere in der Gerichtssprache nicht zureichend befähigten Partei nicht als wirksam anerkannt werden können.

Diese Erwägung gilt allgemein für alle gerichtlichen Verfahren, nicht nur für den Zivilprozeß (vgl Dolinar, Außerstreitrecht AT 60), mögen auch die angemessenen verfahrensrechtlichen Folgen je nach dem Verfahrensgegenstand (privatautonom regelbar, insbesondere verzichtbarer Anspruch oder nicht) unterschiedlich sein (was gegen die unmittelbare Anlehnung des § 7 des Kommissionsentwurfes zur Neuordnung des Außerstreitverfahrens an § 185 ZPO eingewendet werden mag).

Die - im Gegensatz zu den Fällen eines positivrechtlich angeordneten Vertretungszwanges hier als "natürliche" bezeichnete - Postulationsunfähigkeit eines Verfahrensbeteiligten ist in jedem gerichtlichen Verfahren in dem Sinne erheblich, daß sie, soweit sie reicht, die Wirksamkeit von Verfahrenserklärungen der betroffenen Person ausschließt.

Taubstumme sind nicht fähig, in einer mündlichen Verhandlung ihre Interessen selbst - ohne Dolmetsch - zu verfolgen. Ihren schriftlichen Erklärungen ist allerdings aus dem Grund ihrer körperlichen Behinderung die verfahrensrechtliche Wirksamkeit in keiner Weise abzusprechen.

Das gilt aus den dargelegten allgemeinen verfahrensrechtlichen Erwägungen - ungeachtet der durch § 222 Abs 1 AußStrG nur teilweise angeordneten Anwendung von Regelungen der Zivilprozeßordnung, unter denen sich § 185 ZPO nicht befindet - auch für das Verfahren in außerstreitigen Eheangelegenheiten gemäß §§ 220 ff AußStrG.

Unabhängig von der Frage einer verfahrensrechtlich wirksamen Antragstellung der Frau auf Scheidung ihrer Ehe im Einvernehmen und von den Wirkungen eines Scheidungsbeschlusses ohne wirksame Antragstellung (anfechtbare oder "Nicht"-Entscheidung) hängt die Entscheidung über die Zulässigkeit und Wirkung der von der Frau nach der Verkündung des Scheidungsbeschlusses unter Ausfolgung einer schriftlichen Ausfertigung dieser Entscheidung erhobene Rücknahme des Scheidungsantrages von dem im Verhandlungsprotokoll beurkundeten Rechtsmittelverzicht ab.

Der Form nach handelte es sich um die Protokollierung einer mündlichen Verfahrenserklärung im Zuge der gerichtlichen Tagsatzung. Zur Abgabe mündlicher Verfahrenserklärungen war aber die Frau selbst (ohne Dolmetsch oder Verfahrensbevollmächtigten) nicht fähig. Ihr Ehemann wäre ungeeignet gewesen, für sie Erklärungen abzugeben oder ihre Erklärungen zu übersetzen, weil ungeachtet der notwendigerweise übereinstimmenden Antragstellung die materiellrechtlichen Interessen der Ehegatten (wie das anhängige streitige Verfahren zeigt) in Widerspruch geraten könnten. Bloße Zeichen, wie Kopfnicken, wären aber nicht als zulässiges Ausdrucksmittel einer mündlichen Verfahrenserklärung anzuerkennen.

In dieser Betrachtungsweise lag keine wirksame Rechtsmittelverzichtserklärung der Frau vor.

Das Protokoll über die mündliche Verhandlung darf aber auch nicht in eine schriftliche Verfahrenserklärung umgedeutet werden, zu welcher die Frau ohne Einschränkungen imstande gewesen wäre.

Die Erklärung zu gerichtlichem Protokoll könnte eine schriftliche Verfahrenserklärung nur unter der Voraussetzung der Fähigkeit zur mündlichen Verhandlung ersetzen. Für den Inhalt einer Schriftsatzerklärung trägt auch der taubstumme Verfahrensbeteiligte das volle Risiko des Erklärungsinhaltes. Mit der Unterschrift unter ein Verhandlungsprotokoll anerkennt der Verfahrensbeteiligte aber nur die - trotzdem widerlegbare - Richtigkeit der beurkundeten Verfahrensvorgänge. Damit wird aber eine in mündlicher Form (unwirksam) abgegebene Verfahrenserklärung noch nicht zu einer schriftlichen.

Aus diesen Erwägungen war dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen, ohne daß damit allerdings auch über die materiellrechtliche Wirksamkeit des für den Fall der rechtskräftigen Scheidung der Ehe geschlossenen Vergleiches eine präjudizielle Entscheidung getroffen wäre.

Die Kostenregelung des § 234 AußStrG gilt nur für die Eheangelegenheiten nach §§ 229 ff, nicht auch für die Verfahren über die Scheidung einer Ehe nach § 55 a EheG. Das folgt aus der systematischen Einordnung der Regelungen nach den §§ 220 bis 228 einerseits und jener der §§ 229 bis 235 AußStrG andererseits. Die Anträge auf Zuspruch von Kosten für das Revisionsrekursverfahren waren aus diesem Grund abzusweisen.

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