OGH 1Ob12/93

OGH1Ob12/9320.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr. Friedrich Wilhelm K*****, vertreten durch Dr. Helmut Mühlgassner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Entlassung aus der Strafhaft, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 10. Dezember 1992, GZ 14 R 243/92-6, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 12. Oktober 1992, GZ 32 Cg 1027/92-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Soweit der Kläger seinen Anspruch darauf stützt, daß ihm nicht gestattet worden sei, beim Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof am 2. Juli 1986 persönlich anwesend zu sein, dort seine Rechte zu wahren, und vom Obersten Gerichtshof nach §§ 285 f StPO Beweise aufgenommen wurden, wird der angefochtene Beschluß bestätigt.

Im übrigen werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger wurde wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB mit den Urteilen des Kreisgerichtes Korneuburg vom 18. Dezember 1984, GZ 10 Vr 949/82-570, und des Obersten Gerichtshofes vom 2. Juli 1986, GZ 9 Os 76/85-27, rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Im Vorverfahren 35 Cg 9/89 des Landesgerichtes St. Pölten begehrte der Kläger, die beklagte Republik Österreich aus dem Titel des Schadenersatzes schuldig zu erkennen, ihn bei sonstiger Exekution aus der verhängten lebenslangen Freiheitstrafe zu entlassen und einen weiteren Vollzug der aufgrund der obgenannten Urteile verhängten Freiheitsstrafe zu unterlassen. Diese Freiheitsstrafe sei durch Verfahrensverstöße der mit der Verurteilung befaßten Richter in allen Stadien und allen Instanzen des Strafverfahrens (einschließlich des Obersten Gerichtshofes) sowie der an der Verurteilung beteiligten Geschwornen in verfassungswidriger und einer der MRK verletzenden Weise verhängt bzw vom Obersten Gerichtshof bestätigt worden. Das Landesgericht St. Pölten wies mit Beschluß vom 4. Juli 1989 GZ 35 Cg 9/89-2, bestätigt mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 7. November 1989, GZ 14 R 203/89-7, die Klage a limine wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die beklagte Republik Österreich aus dem Titel des Schadenersatzes im Wege der Naturalrestitution schuldig zu erkennen, ihn bei sonstiger Exekution aus der mit den beiden obgenannten Urteilen verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe zu entlassen und einen weiteren Vollzug der aufgrund dieser Urteile verhängten Freiheitsstrafe zu unterlassen. Zur Sicherung dieses Anspruches begehrt der Kläger die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, mit der die Unterlassung des weiteren Vollzuges der erwähnten Freiheitsstrafe bei sonstiger Exekution verboten werde. Gestützt wird das Begehren auf im einzelnen genannten Verfahrensverstöße der mit der Verurteilung befaßten Richter (einschließlich der des Obersten Gerichtshofes) und rechtlich auf Amtshaftungsrecht, Art 5 Abs 4 MRK iVm Art 6 Abs 1 des BVG vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 1988/684 (PersFrG), und § 1329 ABGB.

Das Erstgericht wies die Klage und den Sicherungsantrag a limine wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Die zweite Instanz bestätigte diesen Beschluß und ließ ohne Bewertungsausspruch den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Rechtlich führte das Rekursgericht im wesentlichen aus, der Kläger behaupte einen schadenersatzrechtlichen Anspruch, mit dem in unzulässiger Weise auf hoheitliches Handeln Einfluß genommen werden solle. Auch sei ein gleichlautendes Klagebegehren bereits zu AZ 35 Cg 9/89 des Landesgerichtes St. Pölten rechtskräftig wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen worden.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig und teilweise berechtigt.

Vorweg ist zu prüfen, ob das Rekursgericht den vom ihm unterlassenen Bewertungsausspruch iS der §§ 526 Abs 3, 500 Abs 2 Z 1 ZPO nachzutragen haben werde. Diese Frage ist indes zu verneinen: Zwar ist nach § 528 Abs 2 Z 1 ZPO der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert 50.000 S nicht übersteigt, auch fehlt für das Revisionsrekursverfahren eine dem § 502 Abs 3 ZPO (betreffend das Revisionsverfahren) entsprechende Ausnahmebestimmung, wonach für gewisse Streitsachen der sonst vorgesehene unbedingte Ausschluß eines Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof bei einem 50.000 S nicht übersteigenden Wert des Entscheidungsgegenstandes nicht gilt. Für Personenstandssachen wurde bereits entschieden, daß auf sie, weil sie keinen Geldeswert haben, die auf einen solchen abstellende Bestimmung des § 528 Abs 2 Z 1 ZPO nicht anwendbar ist, sodaß die Zulässigkeit des Revisionsrekurses nur vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iS des § 528 Abs 1 ZPO abhängt (ÖA 1991, 148; 1 Ob 543/91, insoweit nicht veröffentlicht in Jus extra 1991, 901; 5 Ob 530/91 ua; Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989 in ÖJZ 1989, 751), soweit nicht der - hier zweifellos nicht gegebene - Rechtsmittelausschluß nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO, der auch für die a limine Zurückweisung von Sicherungsanträgen nicht gilt (ÖBl 1991, 127), vorliegt. Gleiches hat zu gelten, wenn wie hier vom Kläger zum Gegenstand des Verfahrens das in Geld nicht meßbare Grundrecht des Menschen auf persönliche Freiheit gemacht wird. Zutreffend unterließ somit das Gericht zweiter Instanz einen Bewertungsausspruch.

Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges sind in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagssachverhalt (die Klagebehauptungen) maßgebend. Entscheidend ist die Natur, das Wesen des geltend gemachten Anspruches, wofür wiederum der geltend gemachte Rechtsgrund von ausschlaggebender Bedeutung ist. Es kommt nur darauf an, ob ein privatrechtlicher Anspruch iS des § JN nach dem Inhalt der Klage erhoben wird, über den die Zivilgerichte im streitigen Verfahren zu entscheiden haben (ÖBl 1991, 127 = MR 1991, 66; SZ 61/88 = JBl 1988, 594; SZ 58/156; Fasching I 62 f und Lehrbuch2 Rz 101). Der Kläger stützt seinen Anspruch auf § 1329 ABG, Art 5 MRG iVm Art 6 Abs 1 PersFrG und Amtshaftung, sodaß die Vorinstanzen die Klage nicht wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückweisen durften. Fehlt es materiell an den Voraussetzungen zur Stattgebung des erhobenen Begehrens, müßte dies zur Klagsabweisung führen (vgl ÖBl 1991, 127 mwN).

Allerdings hat die zweite Instanz (von Amts wegen) auch auf das Prozeßhindernis der Rechtskraft hingewiesen. Gemäß § 411 Abs 1 erster Satz ZPO sind durch ein Rechtsmittel nicht mehr anfechtbare Urteile der Rechtskraft insoweit teilhaft, als in dem Urteile über einen durch Klage oder Widerklage geltend gemachten Anspruch ... entschieden ist. Obwohl § 411 ZPO nur von Urteilen spricht, sind nach herrschender Auffassung auch Beschlüsse, die über Rechtsschutzansprüche entscheiden, der materiellen Rechtskraft fähig (SZ 30/48; 8 Ob 534/88, insoweit nicht veröffentlicht in MietSlg 41.365; 1 Ob 548/80, insoweit nicht veröffentlicht in EFSlg 36.921, 36.968; ÖBl 1983, 16 ua; Fasching III 697; Heller-Berger-Stix EO4 I 160). Die materielle Rechtskraft soll die Einheitlichkeit der Entscheidung von Rechtsschutzansprüchen sichern. Dabei ist nicht nach der Entscheidungsform, sondern danach zu unterscheiden, ob die gerichtliche Entscheidung über ein Rechtsschutzbegehren der Partei erkennt oder nicht. Darum finden die Vorschriften des § 411 ZPO auf Beschlüsse, mit denen die Entscheidung über einen Rechtsschutzanspruch verweigert wird (Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges) Anwendung (Fasching III 697 unter Hinweis auf GH 1934, 95). Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Maßgeblichkeit der gerichtlichen Entscheidung, durch die eine Wiederholung desselben Rechtsstreites ausgeschlossen wird und Gerichte und Parteien an die Entscheidung gebunden werden (EvBl 1987/18; 1 Ob 561/92; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1497) nicht nur die hier unbestritten vorliegende Identität (Nämlichkeit) der Parteien (RZ 1989/96; SZ 48/142 uva; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1524) notwendig, sondern nach der herrschenden zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie, daß der Anspruch, somit sowohl der Entscheidungsantrag (Sachantrag) als auch die zu seiner Begründung vorgetragenen rechtserzeugenden Tatsachen (Sachverhalt) identisch sind (EvBl 1987/18; SZ 59/14; 1 Ob 561/92 uva; Fasching III 700 und Lehrbuch2 Rz 1155 ff). Der „geltend gemachte Anspruch“ iS des § 411 ZPO ist das vom Gericht rechtlich qualifizierte Sachbegehren, das durch den festgestellten - bei einer a limine Zurückweisung wie hier den behaupteten - Sachverhalt individualisiert wird. Die rechtliche Qualifikation ist dagegen Sache des Gerichtes und daher für den Anspruchsbegriff des § 411 ZPO nur die vom Gericht in der Entscheidung vorgenommene rechtliche Qualifikation maßgebend (1 Ob 561/92 ua; Fasching III 701 f). Die Nämlichkeit des Rechtsgrundes ist dann nicht gegeben, wenn der neue Anspruch auf einem anderen Rechtsgrund (Klagegrund) oder neuen rechtserzeugenden Tatsachen beruht.

Über ein Sicherungsbegehren wurde im Vorverfahren nicht entschieden. In Ansehung des Urteilsbegehrens ist der Entscheidungsantrag (Sachantrag) „Entlassung des Klägers aus der verhängten lebenslangen Freiheitstrafe und Unterlassung eines weiteren Vollzuges derselben“ im Vorverfahren und im hier zu beurteilenden Verfahren ident, sodaß nur die Frage bleibt, ob auch die zu seiner Begründung vorgetragenen rechtserzeugenden Tatsachen ident sind. Von der materiellen Rechtskraft wird ein anderes Sachverhaltsvorbringen als es dem Gericht im Vorprozeß vorlag, nicht erfaßt (SZ 48/113; ImmZ 1959, 237; 1 Ob 561/92 ua). In beiden Verfahren behauptet der Kläger Rechtsverletzungen von Organen des beklagten Rechtsträgers, im Vorverfahren waren dies: Mitwirkung zweier ausgeschlossener und befangener Richter im Strafverfahren erster Instanz (Punkt 3.1.), rechtswidrige Zusammensetzung der Geschwornenbank (Punkt 3.2.), Ausschluß des Klägers von der Rechtsbelehrung der Geschwornen durch den Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes (Punkt 3.3.), rechtswidrige, weil sich über wesentliche, zugunsten des Klägers sprechende Ergebnisse hinwegsetzende, dem Wahrspruch der Geschwornen zugrunde gelegte Beweiswürdigung durch die Geschwornen (Punkt 3.4.) und Ausschluß des Klägers vom Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof, insbesondere Durchführung des Gerichtstages vom 2. Juli 1986 in seiner Abwesenheit und Beweisaufnahme durch den Obersten Gerichtshof (Punkt 3.5.). Im vorliegende Verfahren macht der Kläger - unter anderem - neuerlich geltend, daß ihm nicht gestattet worden sei, persönlich beim Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof am 2.Juli 1986 anwesend zu sein und dort seine Rechte zu wahren (Punkt 4.1.) und stützt sich nun auch auf § 1329 ABGB und Art 6 Abs 1 PersFrG iVm Art 5 Abs 4 MRK. Am Rechtsgrund, dem behaupteten rechtswidrigen Handeln von Organen des Rechtsträgers, änderte sich aber damit nichts. Über das aus dem Ausschluß des Klägers vom persönlichen Erscheinen beim Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof im Strafverfahren am 2. Juli 1986 abgeleitete Begehren wurde somit bereits rechtskräftig abgesprochen. Über die urteilsmäßig verfolgten Ansprüche, soweit sie aus behaupteten anderen Rechtsverletzungen von Organen des Rechtsträgers abgeleitet werden, und über das Sicherungsbegehren wurde aber noch nicht rechtskräftig entschieden. Insoweit sind die Entscheidungen beider Vorinstanzen daher aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen. Der Kostenvorbehalt beruht auf §§ 50, 52 ZPO, auch iVm §§ 78, 402 EO.

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