OGH 15Os60/93

OGH15Os60/9315.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.April 1993 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner und Dr.Kuch als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kirschbichler als Schriftführerin, in der bei dem Landesgericht Linz zum AZ 33 Vr 1786/92 anhängigen Strafsache gegen Rustem P***** wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 sowie § 15 StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Rustem P***** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 11. März 1993, AZ 8 Bs 71/93, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Durch den angefochtenen Beschluß wurde Rustem P***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem - im Strafausspruch nicht rechtskräftigen - Urteil des Landesgerichtes Linz vom 11.Jänner 1993, GZ 33 Vr 1786/92-39, wurde Rustem P***** des Verbrechens des teils (in drei Fällen) vollendeten, teils (in einem Fall) versuchten schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 sowie § 15 StGB schuldig erkannt und hiefür nach § 129 StGB zu zwölf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Seine gegen dieses Urteil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde mit dem Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 11.März 1993, GZ 15 Os 29/93-6, zurückgewiesen. Über seine Berufung wird das Oberlandesgericht Linz zu entscheiden haben.

P***** wurde auf Grund eines richterlichen Haftbefehls am 25. August 1992 in Haft genommen. Die sodann über ihn verhängte Untersuchungshaft wurde in der Zeit vom 11.Jänner 1993, 9.00 Uhr, bis 1. Februar 1993, 9.50 Uhr, zur Verbüßung einer Verwaltungsstrafe unterbrochen (S 203 a) und im Anschluß daran neuerlich verhängt (S 211).

Die Ratskammer des Landesgerichtes Linz sprach mit dem Beschluß vom 10. Februar 1993, GZ 33 Vr 1786/92-48, auf Grund einer Haftbeschwerde des Angeklagten aus, daß die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 1, Abs 2 Z 3 lit b und c StPO aufrecht bleibt. Das Oberlandesgericht Linz als Beschwerdegericht gab mit dem - mit Grundrechtsbeschwerde bekämpften - Beschluß vom 11.März 1993, AZ 8 Bs 71/93, der Beschwerde des Angeklagten gegen den genannten Ratskammerbeschluß nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Der Grundrechtsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Soweit in ihr ohne die gemäß § 3 Abs 1 GRBG erforderliche nähere Begründung behauptet wird, der Tatverdacht in Ansehung von drei Urteilsfakten sei "nicht mehr gegeben", und hiezu auf den Inhalt der Nichtigkeitsbeschwerde verwiesen wird, ist das Vorbringen unbeachtlich, weil es nur eine Ausführung der Grundrechtsbeschwerde gibt und es unzulässig ist, den Inhalt früherer Schriftsätze gleichsam zum Inhalt einer Grundrechtsbeschwerde zu machen (so bereits - zur Grundrechtsbeschwerde - 11 Os 44/93). Dies ganz abgesehen davon, daß der Schuldspruch in allen vier Urteilsfakten mittlerweile rechtskräftig ist.

Zum angenommenen Weiterbestehen einer Tatbegehungsgefahr bringt der Beschwerdeführer vor, er habe zu den Tatzeiten wegen eines über ihn verhängten Aufenthaltsverbotes, das seiner Staatenlosigkeit zufolge nicht durchgesetzt werden konnte, keine Arbeitsstelle finden können und vom Linzer Wohlfahrtsamt nur die Kosten für eine Wohnungsmiete und ein geringfügiges Taschengeld erhalten, was zum Lebensunterhalt nicht ausgereicht habe; kurz vor der Verhaftung sei jedoch die Zuerkennung einer Notstandshilfe erreicht worden, sodaß nunmehr der Lebensunterhalt gesichert sei; eine "abstrakte Rückfallsgefahr aufgrund der Vorstrafen" reiche für die Annahme dieses Haftgrundes nicht aus.

Dieses Vorbringen versagt.

Die kurz vor der Inhaftnahme gewährte (S 150) Notstandshilfe beträgt nach den Angaben des Angeklagten 4.800 S (S 10, 55). Wenngleich aus diesen Angaben nicht hervorgeht, für welche Zeitspanne die Hilfe jeweils gewährt wird, stehen ihr jedenfalls Sorgepflichten für drei Kinder gegenüber, die der Angeklagte selbst mit 5.400 S monatlich (S 10) bzw. 4.800 S monatlich (S 55) beziffert. Selbst wenn dies beschlußmäßig oder in Vergleichen festgesetzte Unterhaltsbeträge sein sollten, die wegen geminderter Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nicht mehr voll aktuell sein sollten, kommt ihnen ein den eigenen Lebensunterhalt des Beschwerdeführers beeinträchtigendes Gewicht zu, das bei seiner durch vier Vorstrafen wegen Diebstahls gekennzeichneten erhöhten Bereitschaft zur Vermögensdelinquenz in hohem Maße Tatbegehungsgefahr indiziert.

Außerdem ergibt sich aus den dem Obersten Gerichtshof anläßlich der Nichtigkeitsbeschwerde mit vorgelegten Vorstrafakten, daß der Beschwerdeführer auch dann Diebstähle beging, als er als Hilfsabreiter in Arbeit stand und ausreichenden Verdienst hatte (AZ 10 E Vr 9679/84 und AZ 3 b E Vr 8082/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) oder eine Sozialhilfe von 6.000 S "wöchentlich" bezog (AZ 20 U 8/92 des Bezirksgerichtes Linz).

Es zeigt sich mithin, daß der Hinweis auf die nunmehrige Notstandshilfe die angenommene Tatbegehungsgefahr nicht in Frage zu stellen vermag.

Die Dauer der Haft ist aber auch nicht, wie dies der Beschwerdeführer (gestützt auf Schneider, Die "offenbar unangemessen" lange Untersuchungshaft, AnwBl 1990, 223 ff) behauptet, offenbar unangemessen.

Wohl kann die Strafdauer vorliegend zufolge des Verschlimmerungsverbotes zwölf Monate nicht übersteigen. Der Oberste Gerichtshof vermag sich jedoch der von Schneider (aaO, insb S 225) vertretenen und vom Beschwerdeführer übernommenen schematischen Betrachtungsweise, wonach die Untersuchungshaft dann wegen unangemessen langer Dauer aufzuheben sei, wenn sie "bereits ca. 75 Prozent der Untergrenze der zu erwartenden Strafe vorweggenommen hat", nicht anzuschließen. Abzustellen ist vielmehr auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles. Für eine gleichsam generelle Anwendung eines derartigen "Prozentsatzes", ab welchem (stets) von einer unangemessenen Haftdauer ausgegangen werden müsse, bietet das Gesetz keine Anhaltspunkte.

Offenbar unangemessen im Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe ist die Dauer der Untersuchungshaft dann, wenn sie das in concreto (nach den Grundsätzen für die Strafbemessung) zu erwartende Strafausmaß zweifelsfrei erreicht hat (Foregger-Kodek MKK StPO5, Anm I zu § 193; vgl. demgegenüber die Formulierung in Foregger-Serini MTA StPO7 Anm I zu § 193: "zweifelsfrei und nicht unbeträchtlich überschreitet"; in letzterem Sinn auch 12 Os 15/93). Davon kann vorliegend keine Rede sein.

Wenngleich die Entscheidung über die Berufung und damit über den endgültigen Strafausspruch allein dem Oberlandesgericht obliegt, dem der Oberste Gerichtshof bei der Erledigung einer Grundrechtsbeschwerde in keiner Weise vorzugreifen befugt ist, so ergibt doch eine - für die Entscheidung über die Grundrechtsbeschwerde unabdingbare - globale Beurteilung aller im gegebenen Fall relevanten Strafzumessungstatsachen aufgrund des Beschwerdevorbringens und der Aktenlage, daß das vom Erstgericht gefundene Strafausmaß - ausgehend von einer gesetzlichen Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren - keineswegs als offenkundig beträchtlich überhöht angesehen werden kann, ebensowenig wie davon ausgegangen werden kann, es lägen die Voraussetzungen für die Gewährung bedingter Strafnachsicht auf der Hand.

Damit ist aber die (bisherige) Dauer der Untersuchungshaft nicht offenbar - d.h. gemessen an der herrschenden Strafzumessungspraxis unter Beachtung aller fallbezogenen Elemente - unangemessen.

Der Grundrechtsbeschwerde war somit ein Erfolg zu versagen.

Damit entfällt auch eine Entscheidung über das Kostenbegehren.

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