OGH 8Ob527/92

OGH8Ob527/9217.12.1992

Der Oberste Gerichtshof hat

I. durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.‑Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B* A*, vertreten durch Dr.Johannes Hock sen. und Dr.Johannes Hock jun., Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1. I* Gesellschaft mbH, und 2. G* R*, vertreten durch Dr.Adolf Lientscher, Rechtsanwalt in St.Pölten, wegen Rechnungslegung (Streitwert S 51.000) infolge Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 3.Oktober 1991, GZ 2 R 138/91‑40, womit das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Handelsgerichtes vom 22.Mai 1991, GZ 16 Cg 155/90‑32, abgeändert wurde, beschlossen:

Es liegen die Voraussetzungen des õ 8 Abs 1 Z 1 erster Fall OGHG vor; zur Entscheidung über die Revision ist deshalb ein verstärkter Senat berufen.

II. durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.‑Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.‑Prof.Dr.Petrasch, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl, Dr.Resch, Hon.‑Prof.Dr.Kuderna, Dr.Kralik, Dr.Schubert sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:0080OB00527.92.1217.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Verstärkter Senat

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.783,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 797,28 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Zu I.:

Seit Jahrzehnten verweigert der Oberste Gerichtshof dem selbständigen Handelsvertreter das Klagerecht auf Vorlage einer zur Ermittlung der Provisionsansprüche bestimmten Abrechnung durch Mitteilung eines Buchauszuges mit nachfolgend konkretisiertem Leistungsbegehren in Form einer Stufenklage nach Art XLII EGZPO; vielmehr gewährt er dem selbständigen Handelsvertreter nur den im außerstreitigen Verfahren durchsetzbaren Anspruch auf Bucheinsicht. Hingegen räumt er seit langem dem provisionsberechtigten Angestellten und nunmehr auch dem sog. "freien Handelsvertreter" ein Klagerecht nach Art XLII EGZPO ein.

Der nunmehr mit dem Rechnungslegungsanspruch eines selbständigen Handelsvertreters befaßte Senat beabsichtigt, von der bisherigen ständigen Rechtsprechung abzugehen; er ist nämlich der Meinung, daß - wie noch zu zeigen sein wird ‑ auch dem selbständigen Handelsvertreter ein Klagerecht nach Art XLII EGZPO zu gewähren ist. Da dieser Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung nicht abgesprochen werden kann, liegen die Voraussetzungen des õ 8 Abs 1 Z 1 erster Fall OGHG vor, weshalb die Verstärkung des Senates zur Entscheidung über die Revision auszusprechen ist.

Zu II.:

Die Klägerin arbeitete für die erstbeklagte GmbH, deren Geschäftsführer der Zweitbeklagte ist, als selbständige Handelsvertreterin. Sie begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung restlicher Provisionen samt stufenweiser Zinsen, Vorlage eines Buchauszuges und Zahlung des sich dann aus der Rechnungslegung ergebenden Betrages.

Im Revisionsverfahren sind nur mehr das Rechnungslegungs- und das sich daraus ergebende Zahlungsbegehren gegenüber der erstbeklagten Partei strittig.

Das Erstgericht wies diese Begehren ab. Es sei einhellige oberstgerichtliche Rechtsprechung, daß einem selbständigen Handelsvertreter zur Ermittlung seiner Provisionsansprüche weder eine Klage auf Ausfolgung eines Buchauszuges noch eine Stufenklage nach Art XLII EGZPO zustehe. Ihm stehe gemäß õ 15 Abs 2 HVG ein dem Offenbarungsanspruch nach Art XLII EGZPO ähnlicher Anspruch zur Verfügung. Dies gelte auch noch für die Zeit nach Beendigung des Vertreterverhältnisses. Es seien daher sowohl das Manifestationsbegehren als auch das damit verbundene unbestimmte Zahlungsbegehren unzulässig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin statt und sprach die erstbeklagte Partei schuldig, ihr binnen 14 Tagen die Buchauszüge quartalsmäßig bezüglich der Jahre 1989 und 1990 hinsichtlich der mit bestimmten Lagerhäusern getätigten Umsätze sowie eine Aufstellung der am Ende des Vertreterverhältnisses noch unerledigt gebliebenen Aufträge zu übergeben und binnen weiterer 14 Tage den Betrag zu bezahlen, der sich aufgrund der Rechnungslegung als Provisionsanspruch über das Leistungsbegehren hinaus ergebe. Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige S 50.000; die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Entscheidung in der erheblichen Rechtsfrage, ob auch dem selbständigen Handelsvertreter ein Anspruch auf Vorlage eines Buchauszuges und auf Leistung in Form einer Stufenklage zustehe, von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgehe.

Bei der Klägerin handle es sich nicht - wie in dem der E SZ 63/118 zugrundeliegenden Fall - um einen freien, sondern um einen selbständigen Handelsvertreter; sie sei nicht wirtschaftlich von der Erstbeklagten abhängig. Ihr könne daher nicht wegen der Schutzbedürftigkeit und der somit gleichen Interessenlage mit dem provisionsberechtigten Angestellten ein Klageanspruch auf Vorlage einer Abrechnung in Form eines Buchauszuges und Leistung in Form einer Stufenklage eingeräumt werden. Jabornegg (HVG 392 ff, 402, 408 f) habe zu Recht darauf hingewiesen, daß die Möglichkeit der Bucheinsicht kein echter Ersatz für den vom Geschäftsherrn auf eigene Kosten zu erstellenden Buchauszug sei. Die Verweigerung der Klage auf Vorlage eines richtigen und vollständigen Buchauszuges und der Stufenklage schränke die Auskunfts- und Kontrollrechte des Handelsvertreters wesentlich ein. Es sei nicht überzeugend, daß diese Einschränkung nur dann nicht gelten solle, wenn es sich um einen vom Geschäftsherrn wirtschaftlich abhängigen Handelsvertreter handle. Die Möglichkeit, auf Vorlage eines richtigen und vollständigen Buchauszuges zu klagen und die Provisionsansprüche in Form einer Stufenklage geltend zu machen, sei der im õ 15 Abs 2 HVG vorgesehenen Bucheinsicht und der Klage auf einen bestimmten Provisionbetrag auch nicht nur deshalb überlegen, weil sie kostengünstiger sei; sie sei in der Regel auch der wirksamere Weg, dem Handelsvertreter die notwendigen Informationen zu verschaffen. Daß der selbständige Handelsvertreter von all diesen Vorteilen ausgeschlossen bleiben solle, könne nicht mit seiner wirtschaftlichen Selbständigkeit begründet werden. Daraus folge, daß die Klägerin auch dann einen Klageanspruch auf Vorlage eines Buchauszuges habe und ihr die Möglichkeit einer Stufenklage offenstehe, wenn sie selbständige Handelsvertreterin sei.

Dagegen richtet sich die Revision der erstbeklagten Partei. Sie beantragt, das Urteil hinsichtlich der Verpflichtung zur Vorlage einer Abrechnung in Form eines Buchauszuges und Leistung in Form einer Stufenklage dahin abzuändern, daß das erstgerichtliche Urteil zur Gänze wiederhergestellt werde; hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt.

Die erstbeklagte Partei macht im wesentlichen nur geltend, es bestehe keine Notwendigkeit, von der bisherigen einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (SZ 26/25; EvBl 1977/4; zuletzt ‑ unter ausdrücklicher Ablehnung der Ausführungen Jaborneggs - SZ 61/165) abzugehen. Die Möglichkeit, die dem selbständigen Handelsvertreter in õ 15 Abs 2 HVG eingeräumt werde, sei ausreichend.

Dazu ist zu erwägen:

 

Rechtliche Beurteilung

Zunächst hatte der Oberste Gerichtshof in den E Rsp 1929/160 (mit zust Anm von Mayer‑Mallenau) und SZ 23/190 (unter Berufung auf Neumann, Komm4 376 f, Pollak, ZPR2 376) dem Handelsagenten gleich einem Gesellschafter nach bürgerlichem Recht einen Klageanspruch auf Vorlage einer Abrechnung und Leistung in Form einer Stufenklage gewährt und lediglich den Antrag auf Eidesleistung abgewiesen. In der E SZ 26/25 änderte er (ohne Auseinandersetzung mit den gegenteiligen Vorentscheidungen) diese Ansicht und wies unter Hinweis darauf, daß die Abrechnungspflicht des Geschäftsherrn gegenüber dem Handelsvertreter keine förmliche Rechnungslegung beinhalte und deshalb ein Unterschied gemacht werden müsse, das Klagebegehren eines Handelsagenten auf "Abrechnung" ab; es sei auch, wenn der Kläger dies mit seinem Begehren gemeint haben sollte, das Klagebegehren auf Erteilung eines Buchauszuges über die provisionspflichtigen Geschäfte im Sinn des õ 15 Abs 1 HVG abzuweisen, weil der Beklagte die Provisionspflicht bestreite, und in einem solchen Fall der Handelsagent nur nach õ 15 Abs 2 HVG vorgehen oder sofort auf Zahlung der ihm zustehenden Provision klagen könne. Näher begründet wurde diese Ansicht aber nicht. Seither lehnte der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung ein Recht des selbständigen Handelsvertreters, Abrechnung und Leistung in Form einer Stufenklage zu verlangen, ab. Er begründet dies insbesondere damit (EvBl 1977/4; SZ 61/165), daß eine Stufenklage als Ausnahmetatbestand zum Erfordernis der Bestimmtheit des Klagebegehrens nur dann zulässig sei, wenn keine andere Möglichkeit zur Eruierung der Höhe der Forderung zur Verfügung stehe; dem selbständigen Handelsvertreter stehe aber die Möglichkeit der Bucheinsicht nach õ 15 Abs 2 HVG zu, sodaß auf den durch Art XLII EGZPO "ausnahmsweise geschaffenen Notbehelf" (so ohne nähere Begründung SZ 61/165) nicht zurückgegriffen werden dürfe. Hingegen gewährte der Oberste Gerichtshof in 3 Ob 59/73 dem Gelegenheitsvermittler eine Stufenklage zur Durchsetzung seiner Provisionsansprüche, weil ihm ein anderer Anspruch nicht zustehe.

In der Literatur sind die Meinungen geteilt: Während Holzhammer (ZPR2 182), Hämmerle‑Wünsch (HR I4 304) und Jabornegg (HVG 392 ff, 408 f mit ausführlicher Begründung) dem selbständigen Handelsvertreter eine Abrechnungsklage nach õ 14 Abs 1 bzw eine Klage auf Buchauszug nach õ 15 Abs 1 HVG in Form einer Stufenklage gewähren wollen, lehnen Fasching (Komm II 92) und Feil (GesRZ 1986, 142), der eben zitierten Judikatur auch in der Begründung folgend, eine solche für den selbständigen Handelsvertreter ab. Faschings Kommentar (aaO 90 f) ist lediglich zusätzlich zu entnehmen, daß er die Frage, ob sich die Verpflichtung zur Vermögensangabe und Rechnungslegung unmittelbar aus einer Norm des bürgerlichen Rechtes (zB der Rechnungslegungspflicht des Gesellschafters einer bürgerlichen Erwerbsgesellschaft aus õ 1198 ABGB) oder aus einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen den Parteien (so bei vertragsmäßiger Pflicht zur Rechnungslegung) ableitet, insoweit als erheblich ansieht, als die auf das Gesetz gegründete Rechnungslegungspflicht sich ausdrücklich aus der zugrundeliegenden Norm selbst ergeben müsse, während bei einer von den Parteien abgeschlossenen privatrechtlichen Verpflichtung die ausdrückliche Vereinbarung einer Rechnungslegungspflicht dann nicht unbedingt erforderlich sein solle, wenn sich der Anspruch auf Auskunftserteilung über das Vermögen aus Rechtsverhältnissen ableite, deren Wesen es mit sich bringe, daß der Berechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen und den Umfang des Vermögens im Ungewissen, der Verpflichtete aber in der Lage sei, unschwer eine solche Auskunft zu erteilen, und diese Auskunft dem Verpflichteten nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auch zugemutet werden könne.

Indessen räumt der Oberste Gerichtshof in seiner arbeitsrechtlichen Rechtsprechung dem provisionsberechtigten Angestellten (õ 10 AngG) schon seit langem ein Klagerecht nach Art XLII EGZPO ein, um ihn in die Lage zu versetzen, seinen Provisionsanspruch zu konkretisieren (SZ 35/108; 46/112 ua). Der arbeitsrechtliche Senat hielt zwar auch in diesen Entscheidungen an der einschränkenden Auslegung des Art XLII Abs 1 EGZPO fest, wonach dadurch kein neuer materiellrechtlicher Anspruch auf Vermögensangabe, Rechnungslegung oder Auskunftserteilung begründet werde; eine solche Verpflichtung ergebe sich entweder aus einer Norm des bürgerlichen Rechts oder aus einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien (SZ 46/112 uva). Auch ohne ausdrückliche zusätzliche Absprache enthielten solche Provisionsvereinbarungen aber die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Rechnungslegung bzw Bekanntgabe der Umsätze. Ein Anspruch des provisionsberechtigten Arbeitnehmers ergebe sich als ein Hilfsanspruch aus der Natur der für die Vertragsparteien geltenden privatrechtlichen Bestimmungen und der zwischen ihnen getroffenen Vereinbarungen sowie aus der dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflicht. Der provisionsberechtigte Arbeitnehmer müsse durch eine Klage gemäß Art XLII EGZPO in die Lage versetzt werden, seinen Entgeltanspruch gegenüber dem Arbeitgeber zu konkretisieren, und zwar durch Bekanntgabe des für die Berechnung seines Provisionsanspruches maßgebenden Umsatzes. Dies habe durch Mitteilung eines Buchauszuges zu erfolgen. Der Anspruch darauf diene allgemein der Feststellung einer der Höhe nach noch nicht ziffernmäßig bestimmbaren Provisionsforderung aus der Umsatzbeteiligung. Es widerspreche der Vertragstreue und der dem Arbeitgeber obliegenden Fürsorgepflicht, dem Angestellten eine vom Umsatz abhängige Leistung zuzusagen, ohne die für deren Höhe maßgebenden Auskünfte zu geben. Werden daher solche Auskünfte nicht oder unvollständig gegeben, könne der Angestellte mit einer Klage nach Art XLII EGZPO die Bekanntgabe der vom Arbeitgeber erzielten Umsätze erzwingen.

In der genannten E SZ 63/118 hat der 9. (arbeitsrechtliche) Senat diese Rechte auch dem sog. "freien Handelsvertreter" (zu diesem in der Literatur umstrittenen Begriff siehe G.Schima in RdW 1987, 16 ff und Jabornegg in RdA 1985, 85 ff, insbes. 89‑92) eingeräumt und sie vor allem mit seiner durch wirtschaftliche Abhängigkeit bedingten arbeitnehmerähnlichen Stellung (vgl SZ 54/30 und Arb 10.025) begründet: zu den aus den privatrechtlichen Bestimmungen sich ergebenden Abrechnungsansprüchen komme die einen solchen Anspruch noch unterstützende Fürsorgepflicht des insofern dienstgeberähnlichen Geschäftsherrn.

Diese Begründung ist freilich vorwiegend auf arbeitsrechtliche Erwägungen abgestellt. Das dort hervorgehobene Argument der Fürsorgepflicht rechtfertigt keine abweichende Auslegung. Die Interessenlage beim selbständigen Handelsvertreter ist völlig identisch. Es darf nämlich nicht übersehen werden, daß nach den Regeln des redlichen Verkehrs auch zwischen dem Geschäftsherrn und dem selbständigen Handelsvertreter wechselseitige Schutz‑ und Sorgfaltspflichten bestehen, die sich aus den allgemeinen Pflichten der Vertragspartner dieses Dauerschuldverhältnisses ableiten und in der Abrechnungsfrage dem Zweck der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers durchaus gleichwertig sind.

Der Oberste Gerichtshof ist nach neuerlicher Prüfung der Rechtslage zu der Überzeugung gelangt, daß ein solcher Rechnungslegungsanspruch auch dem selbständigen Handelsvertreter zu gewähren ist.

Über die Provisionsansprüche eines selbständigen Handelsvertreters ist nach õ 14 Abs 1 HVG - wie über die eines provisionsberechtigten Angestellten (õ 10 Abs 4 AngG) - grundsätzlich mit Ende jeden Kalenderviertels abzurechnen. Nur für den Fall der Vertragsauflösung vor Ablauf eines Kalenderviertels besteht insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts der Abrechnung eine geringfügig abweichende Regelung. Nach õ 15 Abs 1 HVG kann der selbständige Handelsvertreter - so wie der provisionsberechtigte Angestellte (õ 10 Abs 5 AngG) - die Mitteilung eines Buchauszuges über die provisionspflichtigen Geschäfte verlangen. In den Absätzen 2 bis 5 des õ 15 HVG ist näher geregelt, ob, unter welchen Voraussetzungen und auf welche Weise der Handelsvertreter Bucheinsicht vor Gericht verlangen kann, wenn er glaubhaft macht, daß der Buchauszug unrichtig oder unvollständig ist oder ihm die Mitteilung eines Buchauszuges verweigert wird. Auch das Angestelltengesetz geht in õ 10 Abs 5 von einem solchen Recht des provisionsberechtigten Angestellten aus, regelt das Recht auf Vorlage der Bücher jedoch nicht näher, sondern verweist auf "andere gesetzliche Vorschriften"; als solche kommen als nächstverwandte Norm der õ 15 Abs 2 bis 5 HVG, ferner die õõ 213 f HGB und õõ 303 ff ZPO in Betracht.

Sowohl õ 10 Abs 4 AngG als auch õ 14 Abs 1 HVG sind Normen des bürgerlichen Rechts und enthalten eine Pflicht zur Abrechnung, die nach õ 10 Abs 5 AngG bzw õ 15 Abs 1 HVG in der sachlich gerechtfertigten eingeschränkten Form der Mitteilung eines Buchauszuges zu erfolgen hat (Jabornegg, aaO, will offensichtlich ein Recht auf Abrechnung und ein davon verschiedenes Recht auf Mitteilung eines Buchauszuges gewähren). Schon im Hinblick auf die von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zum Klagerecht des provisionsberechtigten Angestellten und des freien Handelsvertreters zutreffend entwickelten, oben dargelegten Grundsätze ist nicht einsichtig, weshalb ein selbständiger Handelsvertreter trotz gleicher Rechts- und Interessenlage kein Klagerecht auf Abrechnung gegenüber seinem Geschäftsherrn und kein Recht haben sollte, sein Leistungsbegehren zunächst noch nicht ziffernmäßig zu fassen, nur weil er - im übrigen gleich dem provisionsberechtigten Angestellten - auch das Recht auf Bucheinsicht hat. Der Hinweis in der herrschenden Rechtsprechung und bei Fasching (aaO 92), daß die Abrechnungspflicht des Geschäftsherrn gegenüber dem Handelsvertreter - ebenso wie des Dienstgebers gegen seinen provisionsberechtigten Dienstnehmer - keine förmliche Rechnungslegung beinhalte und deshalb ein Unterschied gemacht werden müsse, kann nicht überzeugen. Die Pflicht des Geschäftsherrn zur Rechnungslegung gegenüber dem Handelsvertreter ist lediglich zweckbestimmt eingeschränkt; am Charakter des Rechnungslegungsanspruches ändert dies nichts.

Zu Recht weist Jabornegg (HVG 392 ff) darauf hin, daß auch hier ein gleichartiges Problem bestehe, nämlich daß vor der Abrechnung ein im Sinn des õ 226 Abs 1 ZPO bestimmtes Klagebegehren erhebliche Schwierigkeiten bereitet und eine materiellrechtliche Pflicht des Geschäftsherrn besteht, diese Schwierigkeiten des Handelsvertreters durch ordnungsgemäße Abrechnung zu beseitigen.

Die herrschende Rechtsprechung und ihr folgend Fasching (aaO) wollen die Stufenklage als Ausnahmetatbestand zum Erfordernis der Bestimmtheit des Klagebegehrens verstanden wissen und sie daher nur dann gewähren, wenn keine andere Möglichkeit zur Ermittlung der Höhe der Forderung zur Verfügung stehe. Das sei hier wegen der Möglichkeit der Bucheinsicht nach õ 15 Abs 2 HVG, der einen dem Offenbarungsanspruch nach Art XLII EGZPO ähnlichen Anspruch gewähre, nicht der Fall, sodaß nicht auf den "ausnahmsweise geschaffenen Notbehelf" des Art XLII EGZPO zurückgegriffen werden dürfe.

Der durch Art XLII EGZPO gewährte Anspruch ist aber kein "Notbehelf": er steht vielmehr grundsätzlich jedem zu, der gegen einen ihm materiellrechtlich zur Auskunftserteilung Verpflichteten ein bestimmtes Leistungsklagebegehren nur mit erheblichen Schwierigkeiten, die durch eine solche Abrechnung beseitigt werden können, erheben kann, wenn dem Verpflichteten diese Auskunft nach redlicher Verkehrsübung zumutbar ist.

Es ist in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung ‑ abgesehen vom Rechnungslegungsanspruch des selbständigen Handelsvertreters ‑ heute allgemein anerkannt, daß in einem solchen Fall der Abrechnungsberechtigte, selbst wenn sich die Abrechnungspflicht nur als ein Hilfsanspruch aus der Natur des zwischen den Parteien bestehenden Verhältnisses ergibt, die Abrechnungspflicht klageweise durchsetzen und seinen Leistungsanspruch erst nach Bekanntgabe der Abrechnung präzisieren kann. So hat der Oberste Gerichtshof unter Berufung auf den seinerzeit zwischen dem Gemeinschuldner und der Bank geschlossenen Kreditvertrag einen Rechnungslegungsanspruch des Masseverwalters über das abgewickelte Kreditverhältnis anerkannt (SZ 59/143 ua). Ein derartiges Klagerecht wird sogar bei Fehlen einer Vertragsbeziehung und einer ausdrücklichen gesetzlichen Rechnungslegungspflicht anerkannt: etwa bei Ansprüchen auf Herausgabe der Bereicherung nach õ 148 PatG (EvBl 1972/86 ua) oder des entgangenen Gewinns nach õ 87 Abs 4 UrhG aF (SZ 40 /69; 43/207). In der grundlegenden E SZ 49/63 wurde in Distanzierung zur gegenteiligen Ansicht Faschings (aaO 93) wegen Vorliegens der Voraussetzungen der sogenannten "unechten Geschäftsführung" ein Rechnungslegungsanspruch in analoger Anwendung des õ 1039 ABGB bei das Ausschließlichkeitsrecht an einer Marke beeinträchtigenden Verletzungen im Sinn des õ 9 UWG gewährt. Faschings Ausführungen zur Stufenklage (Komm II 88 ff) sind heute überholt.

Eine mangelnde Einklagbarkeit des materiell unbestreitbar vorhandenen Rechtes des selbständigen Handelsvertreters auf Abrechnung in Form der Mitteilung eines Buchauszuges wäre daher eine Ausnahme von den heute allgemein anerkannten Grundsätzen. Für eine solche Ausnahme müßten gewichtige Gründe sprechen, die aber nicht vorliegen. Solche liegen jedoch nicht vor. Den Erläuterungen (RV 23 , 220 BlgNR) zur RV des Gesetzes BGBl 1921/348 ist nur zu entnehmen, daß sich der Handelsvertreter nicht mit der Erstellung eines Buchauszuges begnügen muß, sondern daß er unter gewissen Voraussetzungen, die glaubhaft zu machen sind, auch das Recht hat, unter gerichtlicher Kontrolle im Außerstreitverfahren unmittelbar in die Bücher des Geschäftsherrn Einsicht zu nehmen, um hernach wirkungsvoll seine Leistungsklage anbringen zu können. Es geht jedoch weder aus dem Gesetz noch aus den Erläuterungen zur RV hervor, daß die Regelung des õ 15 Abs 2 - 5 HVG eine ausschließliche und damit das Recht auf Abrechnung in Form der Mitteilung eines Buchauszuges unklagbar sein sollte.

Es würde vielmehr dem Zweck dieser Regelung widersprechen, wenn man diese vom Gesetzgeber zusätzlich gegebenen Kontrollbefugnis durch eine das primäre Recht auf Abrechnung und Buchauszug einschränkende Interpretation die Klagbarkeit abspräche, wie es die höchstgerichtliche Rechtsprechung nach Abkehr von der ursprünglich in Rsp 1929/160 geäußerten Ansicht bis zuletzt getan hat. Der Entstehungsgeschichte des jetzigen HVG (ursprünglich HAG) ist deutlich zu entnehmen, daß dem österreichischen Gesetzesverfasser ‑ im Gegensatz zur damaligen deutschen Gesetzgebung ‑ die oft bestehende wirtschaftlich schwächere Position des Handelsvertreters (damals Handelsagenten) ein berücksichtigungswürdiges Anliegen war (vgl Jabornegg aaO, Einleitung XXVII), weshalb normative Regelungselemente für unselbständige Vertretertätigkeit aus dem Handlungsgehilfenrecht übernommen wurden (derselbe aaO XXV). Es darf deshalb mit gutem Grund die besondere Regelung der Vorbereitung eines Rechtsstreites, der doch regelmäßig mit mehr oder weniger großem Kostenrisiko verbunden ist, zur Geltendmachung von Provisionszahlungsansprüchen durch Gewährung eines im äußerst kostensparenden und deshalb wenig kostenriskanten außerstreitigen Verfahren verfolgbaren Auskunftsrechtes als eine den Handelsvertreter begünstigende Maßnahme angesehen werden, die ihm aber deshalb nicht das unabhängig davon bestehende Klagerecht nach Art XLII EGZPO nehmen will. Sieht man die ihm aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen eingeräumte Möglichkeit der Inanspruchnahme des außerstreitigen Auskunftsverfahrens als Begünstigung für den Handelsvertreter an, so bleibt rechtsdogmatisch kein Raum für die Annahme, der Gesetzgeber habe damit das streitige Verfahren nach Art XLII EGZPO ausschließen wollen.

Diese Einsicht führt aber zur Rückkehr zur ursprünglichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, wie sie durch die E RSpr 1929/160 vorgezeichnet worden war. Dem selbständigen Handelsvertreter soll deshalb künftig die freie Wahl zwischen dem Klagerecht nach Art XLII EGZPO und dem außerstreitigen Anspruch nach õ 15 Abs 2 - 5 HVG zustehen.

Mit der wahlweisen Gewährung beider Möglichkeiten wird im übrigen auch dem Umstand Rechnung getragen, daß es Fälle gibt, in denen der Geschäftsherr entweder keine Bücher führen muß oder sie faktisch nicht ordnungsgemäß geführt hat, und daher ein klageweise durchzusetzender Abrechnungsanspruch die einzige Informationsquelle des Handelsvertreters darstellt (so Jabornegg aaO 393); der Oberste Gerichtshof hat dies in der zuletzt ergangenen Entscheidung SZ 61/165 auch erkannt, meinte aber dort, auf dieses Argument nicht eingehen zu müssen, weil das Vorliegen derartiger Voraussetzungen im konkreten Fall nicht behauptet worden war.

Zusammenfassend kommt daher der erkennende Senat zum Ergebnis, daß die vom arbeitsrechtlichen Senat entwickelte Rechtsprechung der heutigen Grundtendenz der Rechtsprechung zu Art XLII EGZPO entspricht, wegen ähnlicher Gesetzes- und gleicher Interessenlage auch auf den selbständigen Handelsvertreter auszudehnen und diesem das klageweise durchzusetzende Recht auf Vorlage einer Abrechnung durch Mitteilung eines Buchauszuges mit nachfolgender Konkretisierung des Leistungsbegehrens in Form einer Stufenklage nach Art XLII EGZPO neben dem im außerstreitigen Verfahren durchzusetzenden Anspruch auf Bucheinsicht zu gewähren ist.

Das berufungsgerichtliche Urteil ist daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den õõ 41, 50 ZPO.

 

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