Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Sache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Text
Begründung
Der am 21.5.1932 geborene Franz L***** wurde am 14.3.1992 in den geschlossenen Bereich des Wagner-Jauregg-Krankenhauses Linz aufgenommen. Der Abteilungsleiter und ein weiterer Facharzt hielten die Voraussetzungen für eine Unterbringung ohne Verlangen mangels anderer Betreuungsmöglichkeiten wegen Vorliegens eines fortgeschrittenen dementiellen Syndroms sowie selbst- und fremdgefährdenden Verhaltens für gegeben. Am 19.3.1992 besprachen der Erstrichter, der Patientenanwalt und der Abteilungsleiter im Beisein des Kranken noch vor Abhaltung einer förmlichen Erstanhörung die Einweisungssituation. Nachdem der Abteilungsleiter eine Überstellung des Kranken in den offenen Bereich (derselben Station A 10) befürwortet hatte, erklärten sich alle Anwesenden im Hinblick auf die bevorstehende Überstellung einverstanden, von der Abhaltung einer formellen Erstanhörung abzustehen. Noch am selben Tag meldete die Krankenanstalt dem Erstgericht die Verlegung des Kranken in den offenen Bereich; daraufhin wurde das Unterbringungsverfahren am 20.3.1992 eingestellt wurde. Franz L***** verblieb in der - an sich als geschlossener Bereich geführten - Abteilung A 10. Der Abteilungsleiter berichtete dem Erstgericht jedoch, daß in dieser Station wegen Umbauarbeiten in einem anderen Teil des Krankenhauses bis 2.4.1992 auch ein offener Bereich geführt worden sei, in welchem sich der Kranke befunden habe; er sei keinerlei Bewegungseinschränkungen unterlegen.
Am 31.3.1992 beantragte der Patientenanwalt, "die Voraussetzungen der Unterbringung des Patienten in der geschlossenen Station A 10 des Wagner-Jauregg-Krankenhauses zu überprüfen und im Zeitraum vom 19.3.1992 bis 31.3.1992 für unzulässig zu erklären". Franz L***** habe sich vom 19.3.1992 bis 31.3.1992 weiterhin in der geschlossenen Abteilung A 10 befunden und sei vom 16.3.1992 bis 29.3.1992 insgesamt acht Mal fixiert, also in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt worden. Diese Fixierungen seien dem Patientenanwalt nicht unverzüglich gemeldet worden. Mit 31.3.1992 sei Franz L***** allerdings wieder als untergebracht gemeldet worden (laut einer weiteren Mitteilung des Patientenanwaltes im Revisionsrekurs sei die Unterbringung nach mündlicher Verhandlung vom 16.14.1992 für den Zeitraum vom 31.3.1992 bis 31.6.1992 für zulässig erklärt worden).
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Franz L***** habe sich in dem vom Antrag erfaßten Zeitraum zwar in der Station A 10 befunden, welche als geschlossener Bereich geführt werde; im fraglichen Zeitraum sei darin aber auch ein offener Bereich eingerichtet gewesen, in welchem sich der Patient aufgehalten habe. Eine Unterbringung sei daher nicht vorgelegen. Die vom Patientenanwalt behaupteten Fixierungen könnten allerdings als Unterbringungsmaßnahmen angesehen werden; sie hätten aber im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr angedauert. Sei aber eine Unterbringungsmaßnahme wieder aufgehoben worden, dann sei auch eine rückwirkende gerichtliche Prüfung nicht mehr möglich.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Revisionsrekurs zulässig sei. § 20 UbG, welcher zwar - anders als § 12 Abs 3 der Regierungsvorlage - keinen ausdrücklichen Hinweis enthalte, wonach die Entscheidung nach der Erstanhörung nur über das weitere Verbleiben des Kranken in der geschlossenen Anstalt ergeht - sei dennoch dahin zu verstehen, eine Entscheidung dann nicht mehr stattzufinden habe, wenn die Unterbringung zu diesem Zeitpunkt bereits aufgehoben und der Kranke bereits entlassen wurde; in einem solchen Fall sei das Verfahren vielmehr einzustellen. Ähnliches gelte, wenn die Unterbringungsmaßnahme nach einer Erstanhörung aufgehoben wurde; eine endgültige Sachentscheidung über die Unterbringung sei dann nicht mehr zu treffen. Das gerichtliche Unterbringungsverfahren greife erst dann ein, wenn vom Gericht ein formeller Beschluß über die Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen gefaßt wurde. Werde jemand vor diesem Zeitpunkt zwangsweise untergebracht, dann liege ein Verwaltungshandeln im Vorfeld des gerichtlichen Unterbringungsverfahrens vor; in einem solchen Fall stehe dem Betroffenen eine Beschwerde an die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern gemäß Art 129 a Abs 1 Z 2 B-VG zur Verfügung, mit welcher er überprüfen lassen könne, ob die vorgenommene Zwangsmaßnahme gesetzwidrig war. Im vorliegenden Fall stünden die vom Antrag erfaßten Maßnahmen bloß im Vorfeld eines gerichtlichen Unterbringungsverfahrens. Es habe nicht einmal eine Erstanhörung stattgefunden; der Abteilungsleiter habe vielmehr vorgeschlagen, den Patienten in den offenen Bereich zu verlegen. Sollte das unterblieben sein, dann wäre dem Patienten oder dem Patientenanwalt die Möglichkeit offen gestanden, diese Maßnahme durch einen unabhängigen Verwaltungssenat prüfen zu lassen. Da das Unterbringungsverfahren noch vor einer Erstanhörung eingestellt worden sei, sei die behauptete Zwangsmaßnahme als Verwaltungshandlung zu beurteilen, über welche das Unterbringungsgericht nicht zu befinden habe. Die gleichen Erwägungen müßten auch für die behaupteten Fixierungen des Patienten gelten. Wohl laute § 33 Abs 3 UbG dahin, daß das Gericht auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters über die Zulässigkeit einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit zu entscheiden habe; § 21 Abs 4 der Regierungsvorlage habe dagegen vorgesehen, daß das Gericht über die Aufrechterhaltung von Beschränkungen zu entscheiden habe. Diese auf die Zukunftsorientierung der Entscheidung abstellende Formulierung enthalte das Gesetz nicht, doch sei auch in einem solchen Fall immer nur "pro futuro" zu entscheiden, ob ein noch andauernder Zustand aufrechterhalten werden soll. Sei die Bewegungsbeschränkung zum Zeitpunkt des Einschreitens des Gerichtes nicht mehr aufrecht, dann habe darüber auch keine Entscheidung im Unterbringungsverfahren stattzufinden. Eine solche - bereits abgeschlossene - Maßnahme eines Abteilungsleiters könne ebenfalls nur von einem in den Ländern eingerichteten Verwaltungssenat überprüft werden; ein gerichtliches Prüfungsverfahren sei in einem solchen Fall nicht vorgesehen.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen vom Patientenanwalt, welcher gemäß § 14 Abs 1 UbG kraft Gesetzes Vertreter des Kranken für das im Unterbringungsgesetz vorgesehene gerichtliche Verfahrenist, erhobene - einseitige (§ 16 Abs 3 AußStrG) - Revisionsrekurs, auf welchen die Vorschriften der §§ 13 ff AußStrG anzuwenden sind (RV 464 BlgNR 17.GP 27), ist berechtigt. Der Ansicht des Rekursgerichtes, daß das gerichtliche Unterbringungsverfahren erst ab jenem Zeitpunkt eingreife, in dem ein "formeller Beschluß über Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen durch einen Richter" gefaßt wird, ist entgegenzutreten; auch trifft es nicht zu, daß nur eine noch aufrechte Beschränkung des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit zum Gegenstand eines Verfahrens gemäß § 38 Abs 1 UbG gemacht werden kann. Hingegen ist der Auffassung des Revisionsrekurses beizupflichten, daß dem Gericht eine Unterbringung iS des § 2 UbG gemeldet wurde:
Gemäß § 2 UbG gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes für Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden. Beide Anwendungsfälle werden nach dem Klammerausdruck in § 2 UbG unter dem Begriff der "Unterbringung" zusammengefaßt. Unterliegt demnach ein Patient Bewegungseinschränkungen, dann ist er im Sinne des UbG "untergebracht", unabhängig davon, ob er sich in einem geschlossenen Bereich befindet oder nicht (Kopetzki, UbG Rz 21). Aus dem Zusammenhang zwischen § 2 UbG und § 33 UbG - wonach Beschränkungen des Kranken in seiner Bewegungsfreiheit nach Art, Umfang und Dauer nur insoweit zulässig sind, als sie im Einzelfall zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des § 3 Z 1 UbG sowie zur ärztlichen Behandlung oder Betreuung unerläßlich sind und zu ihrem Zweck nicht außer Verhältnis stehen - ergibt sich, daß sämtliche der in § 33 UbG erwähnten Formen von Beschränkungen auch zum Vorliegen einer "Unterbringung" im Sinne des § 2 UbG führen. Eine besondere "Erheblichkeitsschwelle" hinsichtlich Dauer und Ausmaß der Beschränkung sieht das Gesetz nicht vor; therapeutische und pflegerische Beweggründe können die Qualifikation einer solchen Maßnahme als Unterbringung nicht verhindern (Kopetzki aaO Rz 32).
Im vorliegenden Fall wurden dem Erstgericht mit dem Antrag des Patientenanwaltes Unterbringungsmaßnahmen in beiden Richtungen gemeldet. Für die Frage, ob ein geschlossener Bereich vorliegt, ist nur entscheidend, ob der Bereich dauernd geschlossen gehalten wird. Selbst dann, wenn einem in einem solchen gesperrten Bereich Untergebrachten auf Verlangen geöffnet wird und er die Station verlassen kann, liegt eine Unterbringung in einem geschlossenen Bereich vor (EvBl 1992/101). Eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Die ständige Abhängigkeit der freien Aufenthaltsveränderung vom Willen eines anderen ist bereits eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Wie sich die festgestellte "Öffnung" des an sich geschlossenen Bereiches, in welchem sich der Betroffene befunden hat, ausgewirkt hat, läßt sich den Feststellungen nicht entnehmen; damit kann aber auch die Frage nicht beantwortet werden, ob eine Unterbringung in einem geschlossenen Bereich vorgelegen ist. In jedem Fall fallen aber die behaupteten Beschränkungen der Bewegungsfreiheit durch Festbinden ("Fixierungen"), über die noch überhaupt keine Feststellungen vorliegen, in den Anwendungsbereich des UbG. Da somit dem Erstgericht eine in den Geltungsbereich des UbG fallende Unterbringung gemeldet wurde, hängt die Entscheidung auch nicht bloß von der Frage ab, wie weit im Zuge von Unterbringungsverfahren gesetzte Anstaltsmaßnahmen - als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt - gemäß Art 129 a Abs 1 Z 2 B-VG bei den unabhängigen Verwaltungssenaten angefochten werden können. Eine solche Anfechtbarkeit scheidet nämlich immer dann aus, wenn ein Rechtsmittel an das Unterbringungsgericht zur Verfügung steht (Kopetzki aaO Rz 554 mwN). Das Unterbringungsverfahren ist aber immer dann von Amts wegen einzuleiten, wenn das Gericht von einer Unterbringungsmaßnahme - egal von wem - erfährt (EvBl 1992/101). Im vorliegenden Fall geht es somit nicht bloß um die Bekämpfung der Unterlassung der Entlassung des Betroffenen am 19.3.1992 aus dem geschlossenen Bereich, sondern um die in die Gerichtszuständigkeit fallende Beurteilung der Zulässigkeit der Unterbringung ab diesem Zeitpunkt.
Das gerichtliche Unterbringungsverfahren, also die gerichtliche Kontrolle der Unterbringungsvoraussetzungen, wirkt zwar grundsätzlich nur pro futuro; daraus läßt sich aber nicht ableiten, daß es sich niemals auf den davorliegenden Zeitraum erstrecken könnte. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit im Sinne des § 33 Abs 3 UbG, welche in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu beurkunden und unverzüglich dem Vertreter des Kranken mitzuteilen sind, unterliegen jedenfalls einer nachträglichen Kontrolle, weil das Gericht erst auf Verlangen des Kranken oder seines Vertreters zu entscheiden hat (§ 33 Abs 3 letzter Satz UbG; Kopetzki aaO Rz 538 unter Berufung auf 1202 BlgNR 17. GP 12 und Rz 540). Nur durch eine so verstandene Kontrolle können Manipulationen zur Umgehung der Gerichtszuständigkeit vermieden werden. Aber auch die Entscheidung über die Unterbringung in einem geschlosssenen Bereich ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht in allen Fällen auf die Zulässigkeit für die Zukunft beschränkt. § 26 Abs 1 UbG lautet nur dahin, daß das Gericht "über die Zulässigkeit der Unterbringung zu entscheiden" hat. Wohl wird im Normalfall nach Schluß der mündlichen Verhandlung, wenn sich der Betroffene noch im geschlossenen Bereich befindet, nur über die weitere Zulässigkeit der Unterbringung entschieden, nicht aber auch über den vorangegangenen Zeitraum, welcher allerdings von der Entscheidung mitumfaßt wird, weil ja erfahrungsgemäß die Voraussetzungen für eine Unterbringung, wird sie für zulässig erklärt, bereits im Zeitpunkt der Einweisung vorliegen. Dennoch ist aber ausnahmsweise - etwa im Fall der Aufhebung der Unterbringung während des Rekursverfahrens (Kopetzki aaO Rz 484) - im Hinblick auf den Eingriff in die persönliche Freiheit des Betroffenen durch eine Gerichtsentscheidung (SZ 39/83; SZ 60/12; ÖAV 1988, 109; 1 Ob 549/91; 7 Ob 585/91) auch darüber zu entscheiden, ob die bereits beendete Maßnahme zulässig war. Eine solche Ausnahme liegt auch hier vor: Über den fraglichen Zeitraum ist zwar eine gerichtliche Entscheidung noch nicht ergangen; das Erstgericht hat bloß die Einleitung eines Unterbringungsverfahrens abgelehnt. Nach der Aktenlage ist aber die Unterbringung bis heute nicht beendet worden. Nur dann aber, wenn die Unterbringung noch vor der Erstanhörung aufgehoben und der Kranke sogleich entlassen wurde, unterbleibt eine Entscheidung nach § 20 UbG, also die nach der Erstanhörung zu fällende vorläufige Entscheidung bis zur Verhandlung, ob die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen (Kopetzki aaO Rz 383). Der hier behauptete Fall von Unterbringungsmaßnahmen unterliegt somit der nachträglichen Überprüfung durch das Unterbringungsgericht (vgl dazu Kopetzki aaO Rz 443 am Ende).
Das Erstgericht wird daher zu prüfen haben, ob sich der Betroffene im fraglichen Zeitraum in einem geschlossenen Bereich befunden hat und ob er auch Einschränkungen seiner persönlichen Bewegungsfreiheit unterlegen war; bejahendenfalls sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen für derartige Unterbringungsmaßnahmen zu prüfen.
Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben.
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