OGH 15Os106/92-8

OGH15Os106/92-824.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.September 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner, Dr.Kuch, Dr.Hager und Mag.Strieder als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Held als Schriftführer, in der Strafsache gegen Martin K***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 7.Juli 1992, GZ 2 b Vr 447/92-18, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiss, des Angeklagten, des Verteidigers Dr.Grubmüller, sowie der gesetzlichen Vertreter des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben, der Strafausspruch aufgehoben und stattdessen gemäß § 13 Abs. 1 JGG der Ausspruch der zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von 3 Jahren vorbehalten.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen (auch einen unbekämpft gebliebenen Freispruch enthaltenden) Urteil wurde der am 17.Juni 1976 geborene (sohin jugendliche) Schüler Martin K***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 5.August 1991 in Wien im einverständlichen Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten (am 25.November 1971 geborenen, somit erwachsenen) Eduard Pi***** dem (am 5.Mai 1975 geborenen) Rene Pä***** mit Gewalt gegen eine Person "oder" (gemeint: und) durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben dadurch, daß er ihm einen Stoß versetzte und ihn festhielt, während Eduard Pi***** äußerte: "Gib Ruh, sonst hast eine !", eine Goldkette im Wert von ca. 1.000 S mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen dieses Urteil gerichteten, auf § 281 Abs. 1 Z 5, 5 a und 9 lit. b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Der Beschwerdeführer verantwortete sich dahin, er habe am Raub nur deshalb mitgewirkt, weil er hiezu von seinem Komplizen Eduard Pi***** durch eine Drohung genötigt worden sei, bei welcher er unter dem Eindruck vorausgegangener, ihm von Pi***** (bereits vor dem Raubplan) versetzter Schläge gestanden sei (S 141 f, 159 a, 179 f).

Das Erstgericht erachtete ungeachtet dessen das Vorliegen der Voraussetzungen entschuldigenden Notstandes iS des § 10 StGB als nicht gegeben, weil der Beschwerdeführer die Möglichkeit gehabt hätte, "sich mit etwas Zivilcourage der Nähe Pi***** zu entziehen", und zwar durch Erbitten des Beistandes von Passanten oder durch Weglaufen, wie er sich denn auch in weiterer Folge einem von Pi***** vorgeschlagenen zweiten Raubüberfall auf eine Frau entziehen konnte (US 4).

Gegen den dieser (rechtlichen) Beurteilung zugrunde gelegen Sachverhalt wendet sich der Beschwerdeführer mit einer Mängelrüge (Z 5) und einer Tatsachenrüge (Z 5 a).

Der Vorwurf der Mängelrüge, im Unterbleiben einer näheren Auseinandersetzung mit einer aggressiven Persönlichkeitsartung des Eduard Pi*****, die im Beweisverfahren hervorgekommen sei, liege eine Urteilsnichtigkeit bewirkende Unvollständigkeit, ist unbegründet.

Die Feststellungen des Jugendschöffensenates, die insoweit der Verantwortung des Beschwerdeführers, wonach Pi***** vor dem Raubentschluß über eine Äußerung des Angeklagten jäh erboste und ihn durch mehrere Schläge mißhandelte (US 2), folgen, gehen ohnehin der Sache nach von einer gewalttätigen Neigung des Komplizen aus. Im Sinn des Gebotes einer gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO) bedurfte es keiner weiteren besonderen Hervorhebung dieser Charaktereigenschaften.

Im übrigen vermag der Beschwerdeführer die Erfordernisse des Schuldausschließungsgrundes des § 10 Abs. 1 StGB mit dem Hinweis auf die Gefährlichkeit des Eduard Pi***** keinesfalls darzutun, weil deren (zusätzliche) Annahme an der Rechtsrichtigkeit der vom Erstgericht (unter Zugrundelegung der Modellfigur eines rechtstreuen Menschen) dargelegten Auffassung, der Angeklagte hätte ungeachtet der vorangegangenen Attacken der möglichen Gefahr weiterer Angriffe seitens des Komplizen durch entsprechende Maßnahmen (Entfernung vom Tatort unter allfälliger Inanspruchnahme der Hilfe von Passanten - bzw. auch der Sicherheitsbehörde, s. hiezu SSt. 50/69) begegnen können (US 4), nichts zu ändern vermag.

Gleichermaßen sind die Argumente des Beschwerdeführers zur Tatsachenrüge (Z 5 a), die unter Wiederholung seiner (vom Erstgericht ohnehin gewürdigten, allerdings nicht zu seinen Gunsten verwerteten) Verantwortung ebenfalls darauf abzielt, seine Handlungsweise nach § 10 StGB zu entschuldigen, im Lichte der gesamten Aktenlage nicht geeignet, gegen die Richtigkeit der darauf bezogenen Tatsachenannahmen des Schöffensenates erhebliche Bedenken aufzuzeigen. Die Beschwerdeausführungen laufen der Sache nach vielmehr bloß auf den Versuch hinaus, die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer (im Rechtsmittelverfahren gegen kollegialgerichtliche Urteile nach wie vor nicht zulässigen) Schuldberufung zu kritisieren, ohne aktenkundige Beweisergebnisse anzuführen, die nach Gesetzen logischen Denkens oder nach allgemeiner menschlicher Erfahrung, also intersubjektiv, gravierende Zweifel an der Richtigkeit der Urteilsfeststellungen tatsächlicher Natur erwecken könnten. Der Umstand, daß auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlüsse hätten gezogen werden können, ist für sich allein nicht geeignet, jene schwerwiegenden Bedenken darzutun, auf die der angerufene Nichtigkeitsgrund abstellt.

Davon abgesehen übersieht der Beschwerdeführer, daß das in § 10 Abs. 1 zweiter Halbsatz StGB statuierte Kriterium der Unzumutbarkeit anderen Verhaltens nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen ist; das heißt, daß der Entschuldigungsgrund nur dann vorliegt, wenn das Delikt unter den gegebenen Umständen und Motiven auch von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen aus dem Gesellschaftskreis des Täters begangen worden wäre, wogegen das subjektive Empfinden und/oder die individuelle Eigenart der Täterpersönlichkeit außer Betracht zu bleiben haben. Die auf die spezifische Furcht des Angeklagten vor möglichen (weiteren) Angriffen des Komplizen abstellenden Beschwerdeausführungen gehen demnach fehl (vgl. Mayerhofer-Rieder StGB3 Anm. 4, 5 und E 2; Leukauf-Steininger Komm.3 RN 17 ff, jeweils zu § 10). Das Erstgericht verneinte daher rechtsrichtig die Voraussetzungen entschuldigenden Notstands.

Aber auch der Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO (iVm § 32 Abs. 1 JGG), den der Angeklagte im Unterbleiben der Anwendung des § 9 JGG erblickt, ist nicht gegeben.

Zu den - kumulativ geforderten - Voraussetzungen einer vorläufigen Verfahrenseinstellung auf Probe nach § 9 JGG zählt (unter anderem), daß die Schuld des Täters nicht als schwer anzusehen ist. Ob dies zutrifft, ist nach Strafbemessungsgrundsätzen (§ 32 StGB) zu beurteilen, wobei schwere Schuld iS der in Rede stehenden Gesetzesstelle keineswegs ein Überwiegen der Erschwerungsumstände voraussetzt (JBl. 1992, 197; 15 Os 13/92; 15 Os 105/90).

Vorliegend fehlt es (schon) am Erfordernis einer nicht als schwer anzusehenden Schuld.

Die anzuwendende Sanktion hat sich zunächst an der gesetzlichen Strafdrohung zu orientieren, in welcher der Gesetzgeber die generelle Vorbewertung des Unrechts- und Schuldgehalts des betreffenden Deliktstyps zum Ausdruck bringt (vgl. Leukauf-Steininger Komm.3 § 32 RN 12). Die im § 142 StGB (und zwar sowohl in bezug auf Abs. 1 wie auch auf Abs. 2) vorgesehene Strafdrohung zeigt die entsprechend massive Einstufung des Unwerts von Raubtaten durch den Gesetzgeber. Dazu kommt, daß der vorliegende Überfall auf einen 16-jährigen Passanten aus dem Bekanntenkreis der beiden Täter aus bloßem Mutwillen (als "Mutprobe") inszeniert wurde, sodaß - neben dem Handlungsunwert - auch der Gesinnungsunwert der Tat entsprechend hoch zu veranschlagen ist, wobei überdies zu beachten ist, daß die Täter gezielt nur Schmuck des Opfers aus echtem Gold an sich nahmen.

Die dem Angeklagten zugute kommenden Milderungsgründe (der untergeordnete Tatbeitrag, seine Bestimmung zur Tat durch den Mittäter und seine bisherige Unbescholtenheit) vermögen den hohen sozialen Störwert des in Rede stehenden Raubes an einer - opferbezogen betrachtet - nicht geringwertigen Sache (die Unterstellung der Tat unter die Privilegierung des § 142 Abs. 2 StGB unterblieb daher im Ergebnis zu Recht) nicht aufzuwiegen (vgl. erneut JBl. 1992, 197). Außerdem ist in diesem Zusammenhang auch die vom Schöffengericht insoweit abgelehnte Verantwortung des Beschwerdeführers in Betracht zu ziehen, mit der er seinen Tatbeitrag auf einen einzigen kurzen Stoß gegen das Opfer zu minimieren trachtete, bei dem er (noch) gar nichts von einem Raubvorhaben seines Komplizen gewußt haben will (S 180 f); zeigt sich doch daraus eine Verharmlosungstendenz, die es aus spezialpräventiver Sicht erforderlich macht, dem Angeklagten das Verbotene seines Tuns durch einen Schuldspruch vor Augen zu führen (11 Os 74/90).

Das ins Treffen geführte jugendliche Alter des Angeklagten bestimmt bereits die Einschränkung der Strafdrohung nach § 5 Z 4 JGG und kann daher nicht gesondert als mildernd zugerechnet werden.

Ins Leere geht schließlich die (unter dem Gesichtspunkt der Z 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO jedenfalls verfehlte) Rüge des Angeklagten, das Erstgericht hätte (zumindest) mit Schuldspruch ohne Strafe nach § 12 JGG vorgehen müssen; handelt es sich bei der Nichtanwendung des § 12 JGG doch grundsätzlich um eine nur mit Berufung bekämpfbare Ermessensentscheidung (vgl. 12 Os 43/89, 15 Os 13/92). Da dem bezüglichen Vorbringen auch unter dem Gesichtspunkt des § 281 Abs. 1 Z 11 StPO eine deutliche und bestimmte Bezeichnung (§ 285 Abs. 1 und § 285 a Z 2 StPO) jener tatsächlichen oder gesetzlichen Gegebenheiten fehlt, aus welchen eine Nichtigkeit begründende unrichtige Rechtsanwendung resultieren soll, wird insoweit bloß ein Berufungsgrund behauptet, auf den noch eingegangen wird.

Die teils unbegründete, teils nicht der Prozeßordnung gemäß ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Jugendschöffengericht verurteilte den Angeklagten nach § 142 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu sechs Monaten Freiheitsstrafe, die es unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah.

Es wertete bei der Strafbemessung keinen Umstand als erschwerend, dagegen den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten, die Zustandebringung der Raubbeute, die Tatverübung unter der Einwirkung eines Dritten, einen gewissen Beitrag zur Wahrheitsfindung und ein längeres Wohlverhalten seit der Tat als mildernd.

Der Angeklagte strebt - wie erwähnt der Sache nach im Rahmen einer Berufung - einen Schuldspruch ohne Strafe nach § 12 JGG und (demzufolge hilfsweise) die Herabsetzung des Strafausmaßes an.

Dem ersterwähnten Begehren stehen eben jene Erwägungen der Spezialprävention entgegen, die auch zur Versagung der Anwendung des § 9 JGG führten.

Ein Berufungsantrag in der Richtung eines Schuldspruches unter Vorbehalt der Strafe nach § 13 Abs. 1 JGG wurde vom Angeklagten zwar nicht gestellt. Im Hinblick auf die nunmehr in Geltung stehende Fassung des § 294 Abs. 2 StPO ist jedoch dem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnet, abgesehen vom Verschlimmerungsverbot auch solche Modifikationen des bekämpften Strafausspruches vorzunehmen, die nicht vom Berufungswerber beantragt wurden (Foregger-Kodek StPO5 § 294 Erl. V); der Oberste Gerichtshof konnte mithin in die Erwägung eintreten, ob von der Bestimmung des § 13 Abs. 1 JGG Gebrauch zu machen sei.

Die vom Erstgericht festgestellten Strafzumessungsgründe bedürfen zwar insofern einer Korrektur, als der Milderungsgrund des § 34 Z 18 StGB zu entfallen hat. Von einem als mildernd zu wertenden längeren Wohlverhalten seit der Tat kann nämlich erst dann die Rede sein, wenn dieser Zeitraum etwa der Rückfallsverjährungsfrist entspricht (Leukauf-Steininger Komm.3 § 34 RN 27).

Die verbleibenden Strafzumessungsgründe rechtfertigen jedoch - auch in Verbindung mit den positiven Jugenderhebungen (S 173, 175) - die Annahme, daß der Schuldspruch wegen Raubes, der als solcher auf einen Jugendlichen nachhaltig wirken kann, und die Androhung eines Strafausspruches genügen werden, um den Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Aus den angeführten Gründen war daher der Berufung dahin Folge zu geben, daß der bekämpfte Strafausspruch aufzuheben und stattdessen gemäß § 13 Abs. 1 JGG der Ausspruch der zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorzubehalten war.

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