OGH 15Os13/92-10

OGH15Os13/92-102.4.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 2.April 1992 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Brandstetter als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gzim M***** wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Schöffengericht in Jugendstrafsachen vom 6. Dezember 1991, GZ 6 Vr 237/91-30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Munk zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im freisprechenden Teil unberührt bleibt, im schuldigsprechenden Teil sowie demzufolge im Ausspruch nach § 13 Abs. 1 JGG, im Ausspruch über die Vorhaftanrechnung und im Ausspruch der Kostenersatzpflicht aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird

1. hinsichtlich der im Schuldspruch unter Punkt 1. bezeichneten Tat gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Gzim M***** wird von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 25. September 1988 in Wien den Robert E***** durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Verletzung am Körper zur Unterlassung der Verfolgung seiner Person zu nötigen versucht, indem er ein geöffnetes Taschenmesser gegen ihn richtete und sich äußerte:

"Wannst näher kommst, stech ich dich ab", und er habe hiedurch das Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen;

2. hinsichtlich der im Schuldspruch unter Punkt 2. bezeichneten Tat die Sache an das Erstgericht mit dem Auftrag zurückverwiesen, gemäß § 9 JGG zu verfahren.

II. Mit seiner Berufung und seiner Strafzumessungsrüge (§ 281 Abs. 1 Z 11 StPO) wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Der am 15.November 1971 geborene und somit zu den Tatzeiten noch jugendliche Gzim M***** - im Akt des Erstgerichtes unter Vertauschung von Vor- und Familiennamen stets irrig als "M***** GZIM" bezeichnet (s. hiezu den Auszug aus dem Geburtsregister S 101, der nach den Erklärungen des Angeklagten im Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof zutreffend ist) - wurde mit dem auch einen rechtskräftig gewordenen Teilfreispruch enthaltenden bekämpften Urteil der Vergehen (1) der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB und (2) des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien versucht,

(zu 1) am 25.September 1988 den Robert E***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zur Unterlassung der Verfolgung seiner Person zu nötigen, indem er ein geöffnetes Taschenmesser gegen ihn richtet und (sich) äußerte: "Wannst näher kommst, stech ich dich ab",

(zu 2) am 25.August 1989 eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Badehose im Wert von 298 S, Verfügungsberechtigten der Firma S***** mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Der vom Angeklagten gegen dieses Urteil erhobenen, auf § 281 Abs. 1 Z 5 a, 9 lit. a, 9 lit. b und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Zum Faktum 1:

Nach den Urteilsfeststellungen des Erstgerichtes war der Angeklagte in dem im Wiener Westbahnhof befindlichen Bufett "Schwemme" von Robert E***** im Zuge eines aus einer wörtlichen Auseinandersetzung entstandenen Handgemenges gegen eine Wand gedrückt worden, worauf er ein Taschenmesser aus der Jacke zog, es aufklappte und gegen E***** richtete, der darauf von ihm abließ. Der Angeklagte flüchtete danach in die Mariahilferstraße, E***** verfolgte ihn. Um zu bewirken, daß E***** von einer weiteren Verfolgung Abstand nehme, blieb der Angeklagte schließlich stehen und richtete abermals das geöffnete Taschenmesser gegen den Genannten und rief, um diesen in Furcht und Unruhe zu versetzen, die eingangs bezeichneten Worte. Nach weiterer Verfolgung durch E***** blieb der Angeklagte stehen, als er hörte, daß ein Taxifahrer die Polizei verständigt hatte, steckte das Messer ein und wartete auf das Eintreffen der Sicherheitswachebeamten.

Das Erstgericht verneinte das Vorliegen einer Notwehrsituation und des Rechtfertigungsgrundes des § 105 Abs. 2 StGB mit der Begründung, daß für den Angeklagten im Tatzeitpunkt kein Anlaß mehr bestanden hätte, sich zu verteidigen, weil die vorangegangene Auseinandersetzung mit E***** bereits beendet gewesen sei; zudem könne auch von einer "überlegenen körperlichen Statur" des E***** keine Rede sein.

In bezug auf den Rechtsfertigungsgrund des § 105 Abs. 2 StGB (Leukauf-Steininger Kommentar2 RN 19, Kienapfel BT I3 RN 59 a, jeweils zu § 105) ist diese Beurteilung jedoch verfehlt.

Das Erstgericht übersieht nämlich den engen sachlichen Zusammenhang zwischen der Verfolgung des Angeklagten durch E***** und dem vorangegangenen Zwischenfall, bei dem eine körperliche Überlegenheit des E***** zutage getreten war, als er den Angeklagten an die Wand gedrückt hatte. Demzufolge unterließ das Jugendschöffengericht auch eine dem § 105 Abs. 2 StGB entsprechende Überprüfung des sachlichen Zusammenhanges im Sinne einer nicht sittenwidrigen Mittel-Zweck-Beziehung zwischen der Bedrohung des E***** und dem ihm damit abverlangten Verhalten. Eine (gefährliche) Drohung ist nämlich dann nicht rechtswidrig, wenn der Täter das Übel androht, um ein tatsächliches oder vermeintliches Recht durchzusetzen und überdies ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem angedrohten Übel und dem geforderten Verhalten besteht (Leukauf-Steininger aaO RN 14, Kienapfel aaO RN 61 f).

Bei Prüfung dieser Kriterien aus der Sicht eines mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Durchschnittsmenschen kann es nicht zweifelhaft sein, daß der Angeklagte grundsätzlich berechtigt war, den - eingestandenermaßen

alkoholisierten - E*****, der sich bereits kurz zuvor als körperlich überlegen und aggressiv erwiesen hatte und den Angeklagten trotz sofortiger Flucht auch noch ohne Rechtsgrund (ein solcher wird vom Erstgericht auch gar nicht festgestellt) verfolgte, wirksam von sich fern zu halten, um weiteren mit Grund zu vermutenden Angriffen zumindest auf seine Bewegungsfreiheit, wenn nicht gar auf seine körperliche Integrität zu entgehen. Damit ist aber sowohl der Zweck als auch die vom Angeklagten zur Durchsetzung seines Rechtes auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit angewendete gefährliche Drohung bei Anlegung eines nicht überhöhten Maßstabes mit den Erfordernissen sozialer Adäquanz in Einklang zu bringen (Leukauf-Steininger aaO RN 17, Kienapfel aaO RN 62, Schwaighofer im WK Rz 87 zu § 105).

Dem Angeklagten kommt sohin der Rechtfertigungsgrund des § 105 Abs. 2 StGB zugute.

Der erstgerichtliche Schuldspruch war daher zu kassieren und der Angeklagte insoweit sogleich gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen, ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen zu diesem Faktum bedurft hätte.

Zum Faktum 2:

Soweit der Beschwerdeführer die Auffassung vertritt, es liege hinsichtlich des von ihm verübten Diebstahls einer Badehose mangelnde Strafwürdigkeit der Tat im Sinn des § 42 StGB vor (Z 9 lit. b), kann ihm allerdings nicht gefolgt werden. Hiezu wäre eine der kumulativ erforderlichen Voraussetzungen, daß die Schuld des Täters gering ist (§ 42 Z 1 StGB), also daß das Gewicht der Einzeltat hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Schuld- und Unrechtsgehalt erheblich zurückbleibt (SSt. 47/55, RZ 1990/34 uvam). Davon kann aber vorliegend bei der doch gezielten Vorgangsweise (vgl. die Schilderung des Warenhausdetektivs S 65) und dem auf die Durchsetzung eines Vergnügens gerichteten Motiv keine Rede sein.

Nicht beigetreten kann auch dem Begehren des Angeklagten, den festgestellten Sachverhalt als versuchte Entwendung nach §§ 15, 141 Abs. 1 StGB zu beurteilen (der Sache nach Z 10). Denn seinem Vorbringen zuwider kann nicht angenommen werden, die Tat sei bloß aus Unbesonnenheit verübt worden. Dem steht seine eigene Verantwortung über das Tatmotiv (S 110), aber auch die zielstrebige Art der Tatausführung (S 65) entgegen.

Der Beschwerdeführer ist jedoch insoweit im Recht, als er die vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 9 JGG reklamiert (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO iVm § 32 Abs. 1 JGG).

Die vorläufige Einstellung des Strafverfahrens nach dieser Bestimmung setzt kumulativ voraus, daß - was vorliegend nicht in Zweifel zu ziehen ist - der Sachverhalt hinreichend geklärt ist, daß die Schuld nicht als schwer anzusehen ist - womit hier anders als nach § 42 Z 1 StGB nicht das Vorliegen einer geringen Schuld gefordert wird (RV zum JGG 1988, 486 BlgNR 17.GP, S 26) - und daß eine Bestrafung nicht geboten wäre, um den Beschuldigten (Angeklagten) von strafbaren Handlungen abzuhalten.

Ob die Schuld des Täters als schwer anzusehen ist oder nicht, ist nach Strafzumessungsgrundsätzen (§ 32 StGB) zu beurteilen (15 Os 105/90, 15 Os 148/90).

Ausgehend davon ist in Betracht zu ziehen, daß der diebische Angriff aus der damaligen völligen Mittellosigkeit des Angeklagten resultierte, er sich vorbehaltslos geständig und ohne jegliche Bagatellisierungsversuche einsichtsvoll verantwortete und - wie aus den vom Obersten Gerichtshof unter beiden Namensvarianten eingeholten Strafregisterauskünften hervorgeht - bisher unbescholten ist.

Die Verübung eines Fahrraddiebstahls im Jahr 1988, der nicht zu einer gerichtlichen Verfolgung führte, und die aus Hunger vorgenommene Wegnahme einiger Semmeln in einem Selbstbedienungsladen, die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung aus freien Stücken eingestanden worden war (S 110) und bis dahin unentdeckt geblieben war, fallen den aufgezeigten, für den Angeklagten sprechenden Aspekten demgegenüber kaum ins Gewicht.

Mithin ist der gegenständliche versuchte Diebstahl noch nicht als schwer im Sinn des § 9 Abs. 1 JGG einzustufen.

Im Hinblick auf die vom Dienst- und Quartiergeber des Angeklagten bekundete mittlerweilige völlige soziale Integrierung des Angeklagten (S 111 f) ist eine Bestrafung aus spezialpräventiver Sicht nicht erforderlich.

Es war somit auch der Schuldspruch wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB aufzuheben, weil die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 JGG gegeben sind. Dies bedingt die Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht in diesem Umfang, weil eine vorläufige Verfahrenseinstellung gemäß § 9 Abs. 3 JGG nur bis zum Schluß der Hauptverhandlung möglich ist (RV zum JGG 1988, aaO, S 29 und 35); daher wird das Erstgericht auf der Basis des Vorliegens der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 JGG die weiteren Entscheidungen zu treffen haben.

Mit seiner Strafzumessungsrüge (Z 11) - die im übrigen den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund verfehlt, weil die Nichtanwendung der §§ 8 und 12 JGG als Ermessensentscheidung nur mit Berufung bekämpfbar ist (12 Os 43/89) - sowie mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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