OGH 13Ns13/92

OGH13Ns13/9216.9.1992

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. September 1992 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch, Dr. Markel und Mag. Strieder als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schützenhofer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Hermann H* und Dr. Loran G* wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 und Abs 4, zweiter Fall (§ 81 Z 1) StGB, AZ 29 E Vr 876/87 des Landesgerichtes Linz, über die Ablehnung (der Richter) des Oberlandesgerichtes Linz durch die Privatbeteiligte Gertrude R* nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1992:0130NS00013.9200007.0916.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Ablehnung der Richter des Oberlandesgerichtes Linz ist gerechtfertigt.

Gemäß dem § 74 Abs 3 StPO wird das Verfahren über die Rechtsmittel gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 4. Februar 1992, GZ 29 E Vr 876/87‑111, dem Oberlandesgericht Wien übertragen.

 

Begründung:

In der oben bezeichneten Strafsache lehnt die Privatbeteiligte Gertrude R* in der Gegenausführung zu den Berufungen der Beschuldigten und in einer gesonderten Eingabe das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht wegen Befangenheit ab.

Nach dem Bericht des Oberlandesgerichtes Linz vom 25. August 1992 ist der Richter des Oberlandesgerichtes Dr. S* Schwiegersohn des Beschuldigten Dr. H*, womit der Ausschließungsgrund des § 67 StPO gegeben ist; der Senatspräsident des Oberlandesgerichtes Dr. F* sieht hinsichtlich seiner Person den Schein einer Befangenheit gegeben, der Richter des Oberlandesgerichtes Dr. A* fühlt sich befangen; die weiteren Mitglieder des Oberlandesgerichtes Linz erklären, sich nicht befangen zu fühlen (eine Stellungnahme eines für längere Zeit erkrankten Richters wurde nicht eingeholt).

Rechtliche Beurteilung

Der Ablehnungsantrag ist im Ergebnis gerechtfertigt.

Befangenheit liegt vor, wenn ein Richter an eine Rechtssache nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit herantritt (11 Ns 14/90, 11 Ns 3/88, 14 Os 141/87, 11 Ns 20/86 ua), somit eine Hemmung zu unparteiischer Entscheidung durch sachfremde psychologische Motive gegeben ist (Mayerhofer-Rieder StPO3 § 72 E 5; JBl 1990, 122; RZ 1989/110; EvBl 1988/153; EvBl 1988/43 ua).

Den unmittelbaren Zugang zur Erkenntnis eines solchen inneren Zustandes hat naturgemäß der betreffende Richter selbst (11 Ns 14/90, 8 Ob 546/82, 6 Ob 549/78). Es kommt jedoch nicht nur darauf an, ob er sich befangen fühlt oder nicht, es genügt grundsätzlich schon der Anschein einer Befangenheit, wofür freilich zureichende Anhaltspunkte gegeben sein müssen, die geeignet sind, bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler die volle Unbefangenheit des Richters in Zweifel zu ziehen (s. erneut EvBl 1988/153; 11 Ns 14/90; vgl auch Pfeiffer im Karlsruher Kommentar zur dStPO2 § 24 RN 3 und Loewe-Rosenberg dStPO24 § 24 RN 5 f).

Auf der Basis dieser Überlegungen können allerdings die breiten Ausführungen der Privatbeteiligten über Richter des Landesgerichtes Linz und staatsanwaltschaftliche Beamte keineswegs dazu dienen, eine Befangenheit der Richter des Oberlandesgerichtes Linz darzutun. Es ist nicht einsichtig, inwiefern Vorgänge bei anderen Gerichten und bei Anklagebehörden eine Befangenheit der Richter des Gerichtshofes zweiter Instanz auslösen sollten.

Daraus, daß ein Richter in einer von ihm getroffenen Entscheidung eine Auffassung vertritt, die sich nicht mit jenen einer Verfahrenspartei deckt, kann nicht auf eine Befangenheit des Richters geschlossen werden (EvBl 1988/153, JBl 1954, 286, 11 Ns 4/89, 9 Os 76/85, 11 Ns 13/85, 12 Ns 4/84); ebensowenig aus einer Beteiligung eines Richters an einer früheren Entscheidung die nicht den Intentionen des Ablehnungswerbers entsprach (15 Ns 11/90, 15 Ns 21/87 ua).

Demzufolge ist auch das Vorbringen, der Präsident des Oberlandesgerichtes Linz habe entgegen den Intentionen des Vaters der Privatbeteiligten nicht die Einleitung von Disziplinarverfahren gegen Richter veranlaßt, sowie die Bezugnahme auf einen durch das Oberlandesgericht Linz gefällten Freispruch in der Strafsache gegen Dr. Felix W* keine taugliche Grundlage für die Annahme einer Befangenheit der Richter des Oberlandesgerichtes Linz.

Wohl aber bietet der exzeptionelle Umstand, daß ein Richter dieses Gerichtshofes Angehöriger eines der beiden Beschuldigten ist, einen zureichenden Anhaltspunkt dafür, daß auch bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler der Anschein einer Befangenheit der Richter dieses Gerichtshofes entstehen kann. Dabei ist in Rechnung zu stellen, daß der richterliche Personalstand des Oberlandesgerichtes Linz nicht allzu groß ist und dieser Gerichtshof grundsätzlich in Senaten zu judizieren hat, sodaß notwendigerweise eine Vielzahl beruflicher Kontakte zwischen den Richtern gegeben ist.

Der besondere Umstand des andauernden kollegialen Kontaktes mit einem Richter, der Angehöriger eines der beiden Beschuldigten ist, läßt somit den Anschein zu, es könnten die zur Erledigung der Rechtsmittel zuständigen Richter des Oberlandesgerichtes Linz aus psychologischen Motiven heraus nicht mit voller Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit an die Sache herantreten.

Es war somit aus dem zuletzt dargelegten Grund die Ablehnung der Richter des Oberlandesgerichtes Linz als gerechtfertigt zu erkennen und daher gemäß dem § 74 Abs 3 StPO das Berufungsverfahren einem anderen Oberlandesgericht zu übertragen; hiebei erschien es zweckmäßig, das Oberlandesgericht Wien zu bestimmen, weil hier eine größere Zahl von Richtern tätig ist.

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