OGH 6Ob609/91

OGH6Ob609/9125.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Alfred T*****, im Haushalt seiner obsorgeberechtigten Mutter Gertrude T*****, wegen Herabsetzung bzw Einstellung der nach § 4 Z 3 UVG gewährten Vorschüsse, infolge der Revisionsrekurse des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien, und des Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie für den 10.Bezirk als besonderen Sachwalter, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 27.Juni 1991, GZ 44 R 520/91-84, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 3.Mai 1991, GZ 6 P 511/83-75, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Minderjährigen wird nicht Folge gegeben. Dem Revisionsrekurs des Bundes wird hingegen teilweise Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

"Die dem mj. Alfred T***** gemäß § 4 Z 3 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse werden wie folgt herabgesetzt: Für die Zeit vom 1.August 1990 bis 31.Dezember 1990 auf monatlich 773 S und ab 1. Jänner 1991 auf monatlich 985 S.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen."

Die Änderung der Auszahlungsanordnung einschließlich der Beschlußfassung über die Einbehaltung des Übergenusses bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Begründung

Die Obsorge für den am 23.April 1973 ehelich geborenen Minderjährigen wurde mit Beschluß vom 30.April 1984 ON 19 seiner zwischenzeitig geschiedenen Mutter übertragen. Zuletzt wurde mit Beschluß vom 26.April 1990 ON 66 dem Minderjährigen für die Zeit vom 1.April 1990 bis einschließlich 30.April 1992 ein sogenannter Haftvorschuß - als Richtsatzvorschuß nach § 6 Abs 2 Z 3 UVG - gewährt. Der Minderjährige ist Vater eines am 15.Februar 1990 außer der Ehe geborenen Kindes und verpflichtete sich am 5. März 1990 vor dem zuständigen (szt.) Bezirksjugendamt zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 500 S an sein Kind.

Das Erstgericht hat im Hinblick auf die vom Minderjährigen seit 1. August 1990 (ab dem zweiten Lehrjahr) bezogene Lehrlingsentschädigung von monatlich durchschnittlich 4.000 S (einschließlich Sonderzahlungen) den Unterhaltsvorschuß ab dem 1. August 1990 auf monatlich 1.600 S eingeschränkt und die Einbehaltung des nicht näher bezifferten Übergenusses in monatlichen Raten von 300 S verfügt. Nach der Rechtsauffassung der ersten Instanz könne der Minderjährige mit einem Einkommen von monatlich rund 5.600 S (einschließlich Eigeneinkommen) als selbsterhaltungsfähig angesehen werden.

Das Rekursgericht gab den Rekursen des Bundes, der die gänzliche Einstellung der Vorschüsse, rückwirkend ab 1.August 1990 beantragte, und des Minderjährigen, der eine Herabsetzung des Vorschusses auf nur monatlich 2.100 S anstrebte, aber gegen die ratenweise Einbehaltung des Übergenusses keinen Einwand erhob, nicht Folge; den ordentlichen Revisionsrekurs ließ es zu. Nach seiner wesentlichen Rechtsansicht könne die eigene Unterhaltspflicht des Minderjährigen nicht zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage führen; würde man der Argumentation des Minderjährigen folgen, würde der Unterhaltsbedarf für das Kind des Minderjährigen nicht von diesem, sondern von einem Dritten und zwar so geleistet, als ob ein Sonderbedarf des Minderjährigen vorläge. Im übrigen vermindere sich gemäß § 140 Abs 3 ABGB der Unterhaltsanspruch des Kindes insoweit, als es eigene Einkünfte habe oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig sei. Der Unterhaltsanspruch des Kindes werde daher auf den Betrag gemindert, der unter Bedachtnahme auf die eigenen Einkünfte zum Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit fehle. Für jene Fälle, in welchen der geschuldete Unterhaltsbeitrag mit Rücksicht auf das Einkommen des Unterhaltspflichtigen oder dessen Sorgepflichten verhältnismäßig gering sei, könne die Mindestpensionshöhe iS des § 293 Abs 1 lit a sublit bb ASVG als Richtschnur für die Beurteilung dienen, ob Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen sei. Vorliegend erreiche der Vorschußbetrag von 1.600 S zuzüglich der Lehrlingsentschädigung von 4.000 S diesen Richtsatz nicht; der Vorschußbetrag liege auch weit unter dem Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen in der Altersgruppe des Minderjährigen iS des § 6 Abs 1 UVG, weswegen keine Bedenken gegen eine weitere Bevorschussung in der vom Erstgericht festgesetzten Höhe bestünden.

Der Revisionsrekurs des Minderjährigen, der beantragt, "seinem Rekursbegehren stattzugeben", ist nicht, der des Bundes, der die gänzliche Einstellung der Unterhaltsvorschüsse ab 1.August 1990 anstrebt, hingegen teilsweise gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 4 Z 3 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn dem Unterhaltsschuldner auf Grund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren länger als einen Monat im Inland die Freiheit entzogen wird und er deshalb seine Unterhaltspflicht nicht erfüllen kann. Gemäß § 6 Abs 2 Z 3 UVG sind in diesem Fall vorbehaltlich des § 7 UVG einem Kind ab Vollendung des 14. Lebensjahres drei Viertel des in § 6 Abs 1 UVG festgesetzten Höchstbetrages (Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen nach § 293 Abs 1 lit c sublit bb erster Fall ASVG, vervielfacht mit dem jeweiligen Anpassungsfaktur, §§ 108 f ASVG) zu gewähren. Dieser feste Pauschalbetrag nach § 6 Abs 2 Z 3 UVG betrug ab 1. Juli 1990 2.773 S (JABl 1990/24) und ab 1.Jänner 1991 2.985 S (JABl 1990/57). Gemäß § 7 Abs 1 Z 2 UVG sind die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.

Da Wortlaut, Zweck und Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Z 1 UVG mit dem des § 7 Abs 1 Z 2 UVG nicht ident sind und beide Bestimmungen von unterschiedlichen Vorschußkonzepten ausgehen (EvBl 1992/16, 6 Ob 515/92 ua), können die Regelungen des § 7 Abs 1 Z 1 und 2 UVG auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (6 Ob 515/92). Die (unterschiedliche) Rechtsprechung zu § 7 Abs 1 Z 1 UVG, auf die das Rekursgericht verweist (siehe dazu vor allem EvBl 1992/16), ist damit für die Lösung des hier vorliegenden Falles eines Haftvorschusses unanwendbar (7 Ob 512/92) und bedeutungslos. Es besteht entgegen der Anregung des Bundes auch keine Veranlassung zur Befassung eines verstärkten Senates (§ 8 OGHG). Nach einhelliger Rechtsprechung zu § 7 Abs 1 Z 2 UVG ist der Richtsatzvorschuß um eigene Einkünfte des Lehrlings - die Lehrlingsentschädigung ist Einkommen des Kindes, soweit sie nicht Ausgleich für hier weder behaupteten noch festgestellten berufsbedingten Mehraufwand außer Betracht bleibt (RZ 1992/3; SZ 63/101; 8 Ob 623/91 ua; Pichler in Rummel2, Rz 11a zu § 140 ABGB; Schlemmer/Schwimann in Schwimann, Rz 96 zu § 140 ABGB) - zu kürzen (6 Ob 515/92, 8 Ob 623/91). Die Formulierung des § 7 Abs 1 Z 2 UVG entspricht jener des § 140 Abs 3 ABGB und enthält nicht zwei einander gegenüberzustellende Tatbestände, sondern lediglich eine zweifache Umschreibung des fehlenden Unterhaltsbedarfes (6 Ob 515/92).

Der Minderjährige strebt inhaltlich mit seinem Rechtsmittel einen Abzug seiner Unterhaltsverpflichtung von monatlich 500 S von seinem mit rund 4.000 S festgestellten eigenen Einkommen an. Bei der Prüfung der (teilweisen) Selbsterhaltungsfähigkeit nach § 7 Abs 1 Z 2 UVG sind die Lebensverhältnisse des Kindes zu berücksichtigen. Eine Alimentationsverpflichtung des Vorschußempfängers kann aber dabei deshalb nicht Berücksichtigung finden, weil sie nicht den maßgeblichen eigenen Bedarf des Vorschußempfängers, sondern den eines Dritten betrifft.

Eigene Einkünfte des Kindes sind iS der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (EFSlg 62.644 = ÖA 1991, 77; ÖA 1991, 53

ua) auf die von beiden Elternteilen gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen und daher auch auf die vom obsorgenden Elternteil in natura erbrachten Betreuungsleistungen anzurechnen. Mangels hier nicht behaupteter und auch nicht zu vermutender besonderer Umstände kann von einer Gleichwertigkeit der (hypothetischen) Geldleistungen einerseits und der Betreuungsleistungen andererseits ausgegangen werden. Dieser Grundsatz ist auch bei der Gewährung von Vorschüssen nach § 4 Z 3 UVG zu berücksichtigen (7 Ob 512/92, 6 Ob 515/92, 8 Ob 623/91). Vom monatlichen Durchschnittseinkommen des Minderjährigen aus der Lehrlingsentschädigung im zweiten Lehrjahr, das ist ab 1.August 1990, von 4.000 S sind ihm somit nur 2.000 S anzurechnen. Die Differenz auf den in § 6 Abs 2 Z 3 UVG genannten Pauschalbetrag betrug vom 1.August 1990 bis zum 31.Dezember 1990 773 S und ab dem 1.Jänner 1991 985 S. Auf diese Beträge ist der Unterhaltsvorschuß herabzusetzen.

Demgemäß ist dem Rechtsmittel des Minderjährigen nicht und dem des Bundes teilweise Folge zu geben. Die entsprechenden weiteren Anordnungen, auch in Ansehung eines Übergenusses, wird das Erstgericht zu treffen haben.

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