OGH 6Ob7/92

OGH6Ob7/9212.3.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der gesellschaftsrechtlichen Angelegenheit des Antragstellers Rudolf W*****, vertreten durch Dr. Johannes Schuster, Rechtsanwalt in Wien, wider den Antragsgegner Thomas K*****, vertreten durch Dr. Herwig Hirzenberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Einsicht in die Bücher der liquidierten K*****-gesellschaft mbH mit dem letzten Sitz in Wien, infolge Revisionsrekurses des Antragsgegners gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 24. Jänner 1992, AZ 6 R 117/91 (ON 45), womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 13. September 1991, GZ 7 HRB 32.596-40 idF des Berichtigungsbeschlusses vom 25. September 1991, ON 42, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht stattgegeben.

Rechtliche Beurteilung

Begründung

Die seit September 1984 im Handelsregister eingetragen gewesene Gesellschaft mbH war durch Gesellschafterbeschluß vom 29. Oktober 1987 aufgelöst worden. Der Mehrheitsgesellschafter war Liquidator, hatte sich zum Abschluß der Abwicklung durch Gesellschafterbeschluß zum Verwahrer der Bücher und Schriften der Gesellschaft bestellen lassen und hatte die Beendigung der Abwicklung zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet. Im Sinne der Eintragungsverfügung vom 31. Mai 1989 war am 1. Juni 1989 in das Handelsregister eingetragen worden, daß die Gesellschaft infolge beendeter Liquidation erloschen sei.

Der nunmehrige Antragsteller hatte am 30. Oktober 1986 klageweise gegen die Gesellschaft eine auf § 27 Abs 1 Z 1 MRG gegründete Forderung auf Zahlung eines Betrages von 65.000 S erhoben und ein mit 25. August 1989 datiertes klagsstattgebendes Urteil erwirkt.

Am 2. März 1990 brachte er beim Registergericht unter Anschluß einer mit der Bestätigung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit versehenen Urteilsausfertigung als Gesellschaftsgläubiger den Antrag ein, ihn zu ermächtigen, in alle Geschäftsunterlagen der abgewickelten Gesellschaft für die Jahre 1984 bis 1990 Einsicht zu nehmen und Abschriften herzustellen.

Der Schriftenverwahrer und ehemalige Liquidator der Gesellschaft widersprach diesem Einsichtsbegehren. Er bestritt die Gläubigereigenschaft des Antragstellers unter Hinweis darauf, daß die Gesellschaft zur Zeit der Urteilsfällung vom 28.8.1989 zufolge Löschung am 1. Juni 1989 nicht mehr existent gewesen wäre. Er stellte daher im Verfahren über die Einsichtsgewährung den formellen Antrag auf Feststellung, daß das Urteil des Prozeßgerichtes vom 25. August 1989 nichtig sei und mangels gehöriger Zustellung niemals rechtskräftig habe werden können.

Der Antragsteller ergänzte hierauf sein Vorbringen zur Darlegung seines rechtlichen Interesses an der begehrten Bucheinsicht und Abschriftennahme mit Säumnissen des Antragsgegners in dessen Eigenschaft als Liquidator und die darauf zu gründende Haftung. Gleichzeitig behauptete der Antragsteller, die von den Gesellschaftern der inzwischen abgewickelten Gesellschaft seinerzeit übernommenen Stammeinlagen seien bloß zur Hälfte einbezahlt worden, der noch einforderbare Restbetrag stelle ein Aktivvermögen der Gesellschaft dar, das einer Nachtragsliquidation unterläge. Für den Fall der Abweisung seines Antrages auf Bucheinsicht beantragte der Antragsteller die Einleitung einer solchen Nachtragsabwicklung.

Der Antragsgegner hielt seinem ausdrücklich als Zwischenfeststellungsantrag gewerteten Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit des im Rechtsstreit gegen die Gesellschaft erflossenen Urteiles aufrecht; er betrachtete den Eventualantrag auf Nachtragsliquidation wegen Ablaufes der Frist für einen Wiederaufnahmsantrag als präkludiert.

Das Registergericht wies im ersten Rechtsgang den Antrag auf Bucheinsicht und Abschriftennahme mit der Begründung zurück, daß das gegen die Gesellschaft gefällte Urteil erst nach der Löschung der Gesellschaft erflossen sei, die Gläubigereigenschaft des Antragstellers deshalb strittig geblieben wäre und die Angelegenheit nicht in das außerstreitige Verfahren gehöre.

Dem Rekurs gegen diese Entscheidung schloß der Antragsteller die Ablichtung einer am 15. Februar 1990 gegen den Antragsteller persönlich eingebrachten, auf die Liquidatorhaftung gestützten Schadenersatzklage an.

Das Rekursgericht faßte einen Aufhebungsbeschluß. Dabei legte es seine Ansicht über die Zulässigkeit des Außerstreitweges für die Verfolgung von Ansprüchen nach § 93 Abs 4 Satz 2 GmbHG im Sinne des § 102 GmbHG dar. In der Sache selbst überband es dem Registergericht die Ansicht, daß ein Gesellschaftsgläubiger seine Forderung und sein rechtliches Interesse an der begehrten Bucheinsicht nur glaubhaft machen müßte und daß dem Antragsteller eine derartige Bescheinigung mit den (in Würdigung verschiedener Beweisergebnisse erfolgten) Urteilsfeststellungen in hinlänglicher Weise unabhängig davon gelungen sei, ob das Urteil der beklagten Gesellschaft wirksam zugestellt worden und in Rechtskraft erwachsen sei; eine bindende Feststellung der vom Antragsteller behaupteten Forderung durch einen vollstreckbaren Exekutionstitel sei nicht erforderlich. Wohl aber habe ein Gesellschaftsgläubiger als Antragsteller gemäß § 93 Abs 4 Satz 2 GmbHG darzulegen, aus welchem Grunde er welche Informationen benötige, die er sich aus der begehrten Bucheinsicht zu verschaffen erhoffe, damit auch der Umfang und die Art einer zu erteilenden Ermächtigung beurteilt werden könnte.

Ein vom Antragsgegner gegen diesen rekursgerichtlichen Aufhebungsbeschluß erhobener Rekurs verfiel der Zurückweisung (6 Ob 3/91 = ON 35).

Im weiteren Verfahren ergänzte der Antragsteller sein Vorbringen über das Interesse an der begehrten Bucheinsicht mit der Aufdeckung nach wie vor vorhandenen Aktivvermögens der Gesellschaft sowie der Klärung von Vorgängen im Zuge der Abwicklung. Zur Prüfung der Richtigkeit der Liquidationseröffnungsbilanz seien die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen zurück bis in das erste Geschäftsjahr einzusehen. Die Beiziehung eines Vertreters sei für eine zielführende Bucheinsicht notwendig, weil dem Antragsteller selbst die erforderlichen Kenntnisse hiezu fehlten.

Der Antragsgegner erachtete die Ausführungen des Antragstellers zur Begründung seines rechtlichen Interesses im Sinne des rekursgerichtlichen Ergänzungsauftrages als unzureichend. Er bestritt, daß der anhängige Schadenersatzprozeß gegen ihn als ehemaligen Liquidator das Einsichtsrecht zu rechtfertigen vermöchte und wiederholte seinen Feststellungsantrag.

Hierauf präzisierte der Antragsteller sein Begehren, daß es auf Einsicht in die Eröffnungsbilanz, die Jahresabschlüsse für die Geschäftsjahre 1984 bis 1987, die entsprechenden Eingangsbücher und Fakturen sowie in die Liquidationseröffnungsbilanz, die Jahresabschlüsse in der Liquidation sowie die entsprechenden Eingangsbücher und Fakturen gerichtet sei.

Mit seinem im zweiten Rechtsgang gefaßten Beschluß erteilte das Registergericht die beantragte Ermächtigung zur Bucheinsicht und Abschriftennahme.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Dazu sprach es aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt. Weiters sprach das Rekursgericht aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. (Bei der Berichtigung des erstinstanzlichen Spruches in Form einer "Maßgabe-Bestätigung" unterlilef bei der Wiedergabe der Firma der abgewickelten Gesellschaft ein offensichtlicher Irrtum, der vom Rekursgericht zum Anlaß einer Berichtigung zu nehmen sein wird.)

Der Revisionsrekurs des Antragsgegners ist wegen des Fehlens einer alle bei Erledigung des Antrages zu lösenden Rechtsfragen klarstellenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zulässig.

Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Der angefochtenen Rekursentscheidung haftet die ihr in Analogie zu § 477 Abs 1 Z 9 ZPO angelastete Nichtigkeit nicht an, weil dafür, daß die vom Antragsteller gegen die Gesellschaft behauptete Forderung als glaubhaft angenommen wurde, eine nachvollziehbare, in sich schlüssige Begründung ausgeführt wurde, was nicht zuletzt schon daraus hervorgeht, daß sie der Rekurswerber zum Gegenstand einer inhaltlichen Gegenargumentation zu nehmen vermochte.

Die angefochtene Rekursentscheidung beruht auch nicht deshalb auf einem mit wesentlichen Mängeln behafteten Verfahren, weil es das Rekursgericht unterlassen hat, die Nichtstattgebung des Antrages auf Feststellung der Nichtigkeit des bezirksgerichtlichen Urteiles aufzugreifen. Der Antrag wäre zurückzuweisen gewesen. Das Unterbleiben einer formellen Entscheidung stellt aber keinen für die Entscheidungsfindung erheblichen Mangel dar. Es bedarf keiner Erörterung über die Zulässigkeit eines Zwischenfeststellungsantrages analog der §§ 236, 259 ZPO im allgemeinen Außerstreitverfahren, weil der angerufene Außerstreitrichter zur spruchmäßigen Feststellung der Nichtigkeit des in einem Zivilprozeß gefällten Urteiles keinesfalls zuständig sein kann, da es sich bei der Nichtigkeit einer Gerichtsentscheidung um einen rein verfahrensrechtlichen Umstand handelt, der nur mit den nach der jeweiligen Verfahrensordnung vorgesehenen Behelfen zum Gegenstand einer Entscheidung gemacht werden kann.

Auch die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor, weil es im Sinn der noch darzulegenden Behauptungslast darauf ankommt, daß der Antragsgegner zur allfälligen Beschränkung des Einsichtsrechtes konkrete Umstände geltend machte, aus denen ein überwiegendes Interesse an der gänzlichen oder teilweisen Verweigerung der begehrten Einsichtnahme abgeleitet werden könnte. Derartiges hat aber der Antragsgegner nicht vorgebracht. Ausführungen darüber, daß keine Verpflichtung zur Herstellung oder weiteren Aufbewahrung gewisser Urkunden bestanden hätte, sind insoweit unschlüssig, als sich die Einsichtsgewährung auf alle tatsächlich verwahrten Bücher und Schriften erstrecken kann, ohne Rücksicht darauf, ob eine Rechtspflicht zur Aufbewahrung besteht.

Der materielle Einwand, daß sich das Interesse des Antragstellers an der von ihm begehrten Einsichtnahme darauf beschränken müsse, was für die Verfolgung und Befriedigung des behaupteten Anspruches von Belang sein könnte, trifft zwar zu; verfehlt ist aber die Ansicht, der Antragsteller hätte seine Forderung oder doch seinen Anspruch auf Bucheinsicht verloren, weil er seine Forderung nicht im Zuge der Abwicklung geltend gemacht habe. Abgesehen davon, daß die Klage gegen die Gesellschaft schon ein Jahr vor dem Auflösungsbeschluß der Gesellschaft anhängig gemacht worden war, ist das Einsichtsrecht eines Gesellschaftsgläubigers nicht davon abhängig, daß er seine Forderung im Zuge der Liquidation geltend gemacht hätte.

Der Einwand einer Unmöglichkeit der Leistung trifft insofern nicht zu, als dem Antragsteller die Ermächtigung zur Einsicht in sämtliche tatsächlich aufbewahrten Bücher und Urkunden aus den angegebenen Geschäftsjahren erteilt wurde. Diese Ermächtigung kann sich immer nur auf die tatsächlich vorhandene Urkunden beziehen. Mit der zeitlichen Umschreibung von 1984 bis 1990 wurde lediglich klargestellt, daß sämtliche Urkunden seit der Gründung der Gesellschaft und der Aufnahme ihres Geschäftsbetriebes bis zur Beendigung der Abwicklung und etwa noch nach diesem Zeitpunkt zu den verwahrten Büchern und Schriften genommenen Schriftstücke der Einsichtnahme unterliegen sollen.

Der Antragsteller hat sein Interesse mit der Verfolgung und Befriedigung einer gegen die Gesellschaft klageweise erhobenen Forderung auf Rückzahlung bestimmter im Sinne des § 27 MRG unzulässiger Ablösen begründet. Dadurch, daß ein Gericht nach Durchführung eines Beweisverfahrens in seinen Entscheidungsgründen dargelegt hat, warum es den Anspruch für gerechtfertigt erachte, waren die Tatumstände bescheinigt, aufgrund deren der aufrechte Bestand der behaupteten Forderung zu beurteilen war. Dabei unterlief den Vorinstanzen kein Rechtsirrtum.

Das Interesse an der Befriedigung dieses hinlänglich glaubhaft gemachten Anspruches beschränkt sich nicht auf die Ausforschung möglicherweise noch vorhandenen Vermögens der Gesellschaft, das im Wege der Nachtragsliquidation oder unmittelbar im Wege der Zwangsvollstreckung zur Anspruchsbefriedigung herangezogen werden könnte, sondern umfaßt darüber hinaus auch die Klärung von Haftungstatbeständen, um die Forderung etwa bei ehemaligen Gesellschaftern oder Geschäftsführern/Liquidatoren hereinzubringen.

Der Antragsteller hat nach seinem Wissensstand als Außenstehender dargetan, daß er sein Einsichtsrecht nicht auf bestimmte Gruppen von Unterlagen der Art oder Zeit nach weiter beschränken könne.

Sache des Antragsgegners wäre es gewesen, nach seiner Kenntnis über die vorhandenen Urkunden sowie über die allenfalls gegenüber Dritten zu wahrenden Verschwiegenheitspflichten konkret darzutun, welche bestimmten Teile der von ihm verwahrten Bücher und Schriften von der Einsichtnahme ausgenommen werden sollten, weil sie für die vom Antragsteller betriebene Anspruchsverfolgung keinesfalls Aufschlüsse zu geben geeigneet wären oder weil höherwertige Interessen der Einsichtnahme schlechthin oder doch ohne Zwischenschaltung einer zur Verschwiegenheit verpflichteten Mittelsperson entgegenstünden. Dies ist unterblieben.

Deshalb unterblieb auch eine derartige Beschränkung der Ermächtigung des Antragstellers zur Bucheinsicht und Abschriftennahme zu Recht.

Ein Verstoß gegen die Bindung des Rekursgerichtes an seinen eigenen Verfahrensergänzungsauftrag unterlief bei dieser Verfahrenslage in keiner Weise.

Dem allgemeinen Bedenken des Rechtsmittelwerbers, daß sich der Antragsteller durch die Einsichtnahme Beweisvorteile für einen Rechtsstreit verschaffen könnte, die ihm vor Abschluß der Liquidation verwehrt blieben, ist der allgemeine Gedanke entgegenzuhalten, daß die Gesellschaft nach ihrer Löschung keine Organe mehr besitzt, die im Exekutionsfall letztlich zur Leistung des Offenbarungseides verhalten werden könnten, so daß die Bucheinsicht als legitimer Ausgleich dafür anzusehen wäre.

Dem Revisionsrekurs war aus diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen.

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