Spruch:
Der Revision der beklagten Parteien wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Revision der klagenden Partei teilweise Folge gegeben und die angefochtene Entscheidung dahin abgeändert, daß sie insgesamt wie folgt zu lauten hat:
"Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 166.666,66 samt 4 % Zinsen aus S 100.000 vom 9.9.1989 bis 18.6.1990, aus S 133.333,33 vom 19.6.1990 bis 9.10.1990 und aus S 166.666,60 seit 10.10.1990 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Weiters wird festgestellt, daß die erst- bis drittbeklagten Parteien dem Kläger für alle zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 5.1.1987 zur ungeteilten Hand im Umfang von 2/3 ersatzpflichtig sind, wobei jedoch die Schadenersatzpflicht der drittbeklagten Partei der Höhe nach mit dem zwischen ihr und dem Zweitbeklagten als Halter des PKW mit dem Kennzeichen St ***** am 5.1.1987 vereinbart gewesenen Haftpflichtversicherungssumme begrenzt ist.
Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer S 133.333,34 samt 4 % Zinsen aus S 150.000 vom 17.7.1989 bis 8.9.1989 und 4 % staffelmäßiger Zinsen seit 9.9.1989 sowie das Feststellungsmehrbegehren betreffend die Ersatzpflicht für ein weiteres Drittel zukünftiger Schäden wird abgewiesen. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 18.387,74 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 3.064,29, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens zu ersetzen, sie haften solidarisch für 2/3 der im § 64 Abs.1 Z 1 ZPO genannten Beträge, von deren Tragung der Kläger einstweilen befreit war."
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben, die Beklagten haften insoweit solidarisch für die Hälfte der im § 64 Abs.1 Z 1 ZPO genannten Beträge, von deren Bestreitung der Kläger einstweilen befreit war.
Weiters ist die erstbeklagte Partei schuldig, dem Kläger 1/3 der mit S 10.161,63 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.693,61, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der ao. Revision zu ersetzen; alle beklagten Parteien haften solidarisch für 1/3 der dafür zu entrichtenden Pauschalgebühr, die Erstbeklagte allein für ein weiteres Drittel.
Die zweit- und drittbeklagten Parteien sind schließlich zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 5.858,10 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 976,35, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 5.1.1987 um ca. 15,10 Uhr wurde der damals 12jährige Kläger, als er mit seinem Fahrrad vom Anwesen seiner Eltern an der Einmündung des sogenannten "E*****weges" in den S*****weg von Nordwesten nach Osten einfuhr, von dem von der Erstbeklagten gelenkten PKW erfaßt und niedergestoßen, wodurch er schwere Verletzungen erlitt. Der Zweitbeklagte ist Halter dieses PKW, die drittbeklagte Partei Haftpflichtversicherer. Im Verfahren zu C 734/87 des Bezirksgerichtes Eibiswald wurde einer auf Grund dieses Unfalles erhobenen Schadenersatzklage des Klägers über 30.000 S gegen dieselben Beklagten wie im vorliegenden Verfahren in zweiter Instanz stattgegeben. Die außerordentliche Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen (2 Ob 1023/89). In diesem Verfahren ging das Berufungsgericht vom Alleinverschulden der Erstbeklagten an dem Unfall wegen Verletzung des Rechtsvorranges aus.
Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger (nach Klagsausdehnung) die Zahlung eines Schmerzengeldes von 250.000 S, einer "Verunstaltungsentschädigung" von 50.000 S sowie die Feststellung der solidarischen Ersatzpflicht der Beklagten für künftige Schäden des Klägers aus diesem Unfall. Der Kläger brachte dazu vor, die Erstbeklagte habe den Unfall allein verschuldet, da sie seinen Rechtsvorrang verletzt habe. Die Klage wurde auch auf die Bestimmungen des EKHG gestützt.
Die Beklagten wendeten ein, den Kläger treffe das Alleinverschulden am Unfall, da er den Vorrang der Erstbeklagten mißachtet habe. Der Unfall habe sich im Bereiche der Einmündung des "E*****weges" ereignet, dabei handle es sich um einen Feldweg, sohin um eine untergeordnete Verkehrsfläche. Überdies sei der Kläger mit seinem Fahrrad aus der Zufahrt zum Anwesen seiner Eltern in die nach S***** führende Gemeindestraße eingefahren. Bei dieser Zufahrt handle es sich ebenfalls um eine untergeordnete Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs.6 StVO. Ein Verschulden des Klägers sei auch deshalb gegeben, weil er bei Heranfahrt an die spätere Unfallsstelle eine extrem gefahrgeneigte Fahrlinie insoferne eingehalten habe, als er den Einmündungstrichter des "E*****weges" unter einem Winkel von 45 Grad durchschnitten habe. Wäre der Kläger vorschriftsmäßig nach links eingebogen, wäre die gegenseitige Sicht früher eingetreten und wären unfallsverhindernde Maßnahmen möglich gewesen. Ein Verschulden des Klägers liege schließlich auch deshalb vor, weil er bei erster Sicht auf den mit 40 bis 45 km/h herannahenden PKW der Erstbeklagten noch so weit von der nach S***** führenden Straße entfernt war, daß er jederzeit anhalten hätte können, wozu er auch verpflichtet gewesen wäre. Hinsichtlich des Begehrens auf Zahlung einer Verunstaltungsentschädigung erhoben die Beklagten die Einrede der Verjährung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren kostenpflichtig ab.
Über den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt hinausgehend traf es folgende Feststellungen:
Der Unfall ereignete sich auf der Kreuzung der Gemeindestraßen S*****weg-E*****weg vor dem Anwesen S***** Nr.16 im Gemeindegebiet von G*****. Der mit 7 % ansteigende S*****weg verläuft annähernd in Ost-West-Richtung. In dieser Richtung ergibt sich eine ganz leichte Rechtskurve. Am nördlichen Fahrbahnrand ist eine sichtbehindernde Böschung in der Höhe von durchschnittlich 2 m. 20 m östlich der Bezugslinie, welche mit einer Normalen zum S*****weg auf der Höhe eines im Kreuzungszwickel liegenden Kanaldeckels festgelegt wurde, beträgt die Apshaltbreite 3,70 m, die Begrenzung ist äußerst unregelmäßig. Ab einer Position von 30 m östlich der Bezugslinie ist erkennbar, daß sich nördlich ein asphaltierter Einmündungstrichter befindet, wohin dieser letztendlich führt, ist nicht erkennbar. Ab dieser Position ist auch das Haus westlich der Bezugslinie nördlich der Fahrbahn erkennbar. Ab 16 m östlich der Bezugslinie sieht man deutlich, daß der Einmündungstrichter zu einer Garage bzw. zu einem Haus führt. Ab 13 m nördlich (gemeint wohl: östlich; siehe AS 198) der Bezugslinie sieht man, daß der Einmündungstrichter nicht nur zur Garage führt, sondern daß auch noch ein Straßenzweig, welcher asphaltiert ist, in Richtung Norden führt. 19 m nördlich der nördlichen Verschneidungslinie des Einmündungstrichters endet der asphaltierte Teil des E*****weges. In diesem Bereich beträgt die Breite der Straße 2,20 m. Der E*****weg führt in der Folge in Richtung Norden zu einem einzigen Anwesen, wobei sich in der Straßenmitte bereits ein durchgehender Rasenstreifen befindet. Für den Unfall relevante Verkehrszeichen sind nicht vorhanden. Der Asphaltstreifen des E*****weges ist durch einen geringen Bitumenanteil und eine starke Schotterkörnung andersartig als der Asphalt auf dem S*****weg. 2,6 m westlich der Bezugslinie beträgt die Asphaltbreite des S*****weges nur mehr 2,6 m. Beim E*****weg handelt es sich um eine Hofzufahrt und um einen Wirtschaftsweg, er wird ausschließlich von den Anrainern Sophie K*****, und Peter N*****, benutzt. Obwohl der Weg nur mehr privater Nutzung dient, scheint er noch immer als öffentliches Gut auf.
Zum Unfallszeitpunkt herrschten normale Sichtverhältnisse, die Fahrbahn war trocken.
Die Erstbeklagte fuhr mit einem PKW Marke Toyota Corolla auf dem S*****weg mit einer Geschwindigkeit von rund 40 km/h. Zur selben Zeit fuhr der Kläger vom Garagenbereich des Hauses seines Vaters mit seinem Fahrrad bergab in Richtung Osten bzw. Südosten. Die nördliche Verschneidungslinie zum S*****weg passierte er ca. 3,5 m östlich der Bezugslinie. Als Radfahrer erhält man 2 m nördlich der nördlichen Verschneidungslinie und 3 m östlich der Bezugslinie eine Sicht nach Osten auf 30 m östlich der Bezugslinie. Die Einfahr- oder Annäherungsgeschwindigkeit des Klägers an die Verschneidungslinie betrug rund 10 km/h. Der Bremsweg in dieser Situation wäre 1 m lang gewesen. Im Kreuzungsbereich kam es im Bereich von 6 m östlich der Bezugslinie zur Kollision zwischen dem von der Erstbeklagten gelenkten PKW und dem Fahrrad des Klägers. Das Fahrrad des Klägers prallte, noch in Schrägfahrt befindlich, gegen die vordere Stoßstange des von der Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuges. Die Erstbeklagte hat nach der Kollision ihr Fahrzeug vor Schreck nicht gebremst, sondern auslaufen lassen. Der Auslaufweg endete bei einer Position von 22,5 m westlich der Bezugslinie. Die Primäranprallstelle des Fahrrades war in der Frontmitte der vorderen Stoßstange des PKW. Während das Fahrrad des Klägers rückläufig auf den nördlichen Straßenrand geschleudert wurde, blieb der Kläger auf der Motorhaube liegen. Bei der Einfahrposition des Klägers 3,5 m ostwärts der Bezugslinie betrug die Fahrstrecke des Klägers unter einem Winkel von etwa 25 Grad 4,50 m; die Fahrzeit für diese Strecke betrug unter Berücksichtigung einer Geschwindigkeit von 13 km/h 1,4 Sekunden. In dieser Zeit legte das von der Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug 15,4 m zurück. Bei einer Geschwindigkeit des PKW von 40 km/h ergibt sich bei einer Reaktionssekunde (incl. Bremsansprechzeit) ein Reaktionsweg von 11 m, wobei bei der Steigung eine Verzögerung von 8,7 m/sec2 erzielbar ist; bei einer Vollbremsung hätte der reine Bremsweg 6,9 m betragen, der Gesamtanhalteweg 18 m. Ausgehend von einer möglichen Sichtposition von 15,4 m vor der Unfallsstelle verbleibt ein Manko von 2,6 m und verbliebe eine Anprallgeschwindigkeit von 24 km/h.
Bei einem Erkennen der Annäherung des Fahrrades schon 1 m vor der Verschneidungslinie hätte der erkennbare Weg zum Kollisionsort 5,5 m betragen, die mögliche Fahrzeit 1,5 bis 1,7 Sekunden. In 0,5 Teilbremssekunden ist eine Geschwindigkeitsverminderung um 15,6 km/h und in 0,7 Sekunden eine solche von 22 km/h durchführbar. Unter Zugrundelegung einer Verzögerung von 7,5 m/sec2 ergibt sich in einer halben Bremssekunde eine Geschwindigkeitsverminderung von 13,5 km/h, in
0,7 Teilbremssekunden eine solche von 18,9 km/h. Bei einer Teilbremsung der Erstbeklagten hätte sich der Unfallsort weiter nach Osten verlagert, dabei hätte sich die Geschwindigkeit des Klägers aber vergrößert und wäre die Summenendgeschwindigkeit etwa gleich geblieben.
Der Kläger erlitt durch den Unfall ein schweres Schädel-Hirm-Trauma mit Schädelbasisbruch links, eine Blutung in der rechten Gehirnseite sowie Stammhirnblutungen, einen Oberschenkelbruch links, einen offenen Unterschenkelbruch links, Rißquetschwunden an Stirn und Hüfte, einen Bruch des linken Oberarmes, eine Halbseitenlähmung links sowie eine inkomplette Lähmung des Augenmuskelbewegers und eine neurogene Blasenentleerungsstörung. Weiters kam es zu einem Ausriß der Platte am linken Unterschenkel. Unfallskausal ist auch das Auftreten von Augenflackerbewegungen links sowie eine Blickabweichungstendenz des rechten Auges und Sprechstörungen.
Als Dauerfolgen traten auf: Spreiztendenz der linken Finger mit Streckungstendenz des Zeigefingers, Blickwendungsneigung des rechten Auges, Abhebung des linken Schulterblattes um 2 cm von der Rückenoberfläche gegenüber rechts, auffälliges Gangbild aufgrund einer Achsenfehlstellung in der Heilung der Brüche des linken Beines, kelloidartige Narben am linken Oberschenkel, Narben an der Stirn-Haargrenze links, mäßiges jedoch auffallendes geändertes Sprechen gegenüber der Durchschnittsbevölkerung, Wetterfühligkeit, erhöhte Neigung zu Jähzorn, Abbau der Konzentrationsfähigkeit gegenüber der Durchschnittsbevölkerung, erhöhtes Schlafbedürfnis, leichte Neigung zu Schwindel und neurogene Blasenentleerungsstörungen. Als vom Kläger erlittene Schmerzen ergeben sich 14 Tage quälende Schmerzen, 10 Tage starke Schmerzen, 30 Tage mittlere Schmerzen und 30 Tage leichte Schmerzen. Für die Zukunft ist aufgrund der psychischen Veränderungen eine Einbuße der Lebensqualität auf emotionaler Seite gegeben.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, der Kläger habe den Unfall durch Verletzung des Vorranges der Erstbeklagten allein verschuldet. Der vom Kläger befahrene E*****weg sei von untergeordneter Bedeutung, der Kläger habe daher den Vorrang des im "fließenden Hauptverkehr" befindlichen Fahrzeuges der Erstbeklagten verletzt. Es sei der Erstbeklagten nicht als Mitverschulden zuzurechnen, daß sie bei einer an sich nicht überhöhten Annäherungsgeschwindigkeit von rund 40 km/h nicht optimal reagiert habe. Auch wenn sich die Erstbeklagte zu einer Vollbremsung entschlossen hätte, als der Radfahrer die Verschneidungslinie des Einmündungstrichters erreichte, wäre durch das beschleunigende Weiterfahren des Klägers die Summenendgeschwindigkeit annähernd gleichgeblieben. Selbst ein minimales Fehlverhalten der Erstbeklagten müsse als Mitverschulden vernachlässigt werden.
Der Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht teilweise Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß die Zweit- und Drittbeklagten zur ungeteilten Hand für schuldig erklärt wurden, dem Kläger einen Betrag von S 83.333,33 samt Zinsen zu bezahlen. Weiters wurde festgestellt, daß die zweit- und drittbeklagten Parteien dem Kläger für alle zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 5.1.1987 zur ungeteilten Hand im Umfang von 1/3 ersatzpflichtig sind, wobei jedoch die Schadenersatzpflicht der drittbeklagten Partei betraglich mit der für den PKW St ***** vereinbart gewesenen Haftpflichtversicherungssumme begrenzt wurde. Hinsichtlich der Abweisung des Mehrbegehrens auf Zahlung weiterer S 216.666,67 samt Zinsen und auf Feststellung betreffend die Ersatzpflicht für weitere 2/3 zukünftiger Schäden, soweit es gegen die zweit- und drittbeklagten Parteien gerichtet ist, sowie hinsichtlich der Abweisung des gesamten Klagebegehrens, soweit es gegen die Erstbeklagte gerichtet ist, wurde das Ersturteil bestätigt. Die ordentliche Revision wurde nicht für zulässig erklärt.
Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, beim E*****weg handle es sich um eine Hofzufahrt und somit um eine nachrangige Verkehrsfläche. Selbst wenn aber nach den maßgeblichen objektiven Kriterien der E*****weg nicht zweifelsfrei von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidbar gewesen wäre, könnte dies den Standpunkt des Klägers nicht stützen. Der Kläger sei nämlich mit dem Rad vom Platz vor der Garage des Elternhauses, einer Verkehrsfläche, die ohne Zweifel der Bestimmung des § 19 Abs.6 StVO zu unterstellen sei, in den Kreuzungsbereich gelangt; um in den S*****weg einzufahren, habe er den Einmündungstrichter des E*****weges lediglich auf kurzem Weg und in kurzer Zeit "geschnitten". Der Kläger sei daher gegenüber dem im Fließverkehr befindlichen Beklagtenfahrzeug benachrangt und gemäß § 19 Abs.7 StVO wartepflichtig gewesen.
Eine geringfügige Reaktionsverzögerung sei der Erstbeklagten gegenüber der schwerwiegenden Vorrangverletzung des Klägers nicht als Mitverschulden anzulasten. Die Zweit- und Drittbeklagten treffe daher keine Haftung aus dem Verschulden der Erstbeklagten, diese hafte selbst überhaupt nicht.
Der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs.2 EKHG sei den Beklagten aber nicht gelungen. Durch eine, besonders umsichtigen Fahrzeuglenkern durchaus mögliche und auch zumutbare, Bremsreaktion wäre die Verletzungsfolgen beim Kläger unter Umständen in geringerem Maße eingetreten. Die zweit- und drittbeklagte Partei hafteten daher nach den Bestimmungen des EKHG für die Betriebsgefahr des Fahrzeuges. In Abwägung der Gefährdungshaftung des Schädigers und des Eigenverschuldens des Geschädigten, welches nach § 7 EKHG berücksichtigt werden müsse, sei eine Schadensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Klägers gerechtfertigt, zumal es sich beim Kläger um einen noch unmündigen, wenngleich berechtigten radfahrenden Minderjährigen handle, dessen Verschulden geringer einzustufen sei, als das eines Erwachsenen.
Ausgehend von den Feststellungen des Erstgerichtes sei der Schmerzengeldanspruch des Klägers mit dem von ihm zuletzt begehrten Betrag von 250.000 S auszumessen. Eine "Verunstaltungsentschädigung" (Entschädigung wegen Verhinderung besseren Fortkommens nach § 1326 ABGB) könne dem Kläger nicht zugesprochen werden, da er diesen Anspruch erst am 9.10.1990, sohin nach Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB, gerichtlich geltend gemacht habe. Der Verjährungseinrede der Beklagten komme insoweit Berechtigung zu.
Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes insoweit, als es nicht, ausgehend vom Alleinverschulden der Erstbeklagten am Zustandekommen des Verkehrsunfalles, dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgab. Aus dem Revisionsantrag ergibt sich aber, daß der Kläger die Abweisung des Begehrens auf Zahlung einer "Verunstaltungsentschädigung" nicht bekämpft.
Die zweit- und drittbeklagten Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes insoweit, als dem Klagebegehren stattgegeben wurde.
Die beklagten Parteien beantragten in der ihnen freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel des Klägers als unzulässig zurückzuweisen bzw. als unbegründet abzuweisen. Der Kläger beantragte in der ihm ebenfalls freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision der zweit- und drittbeklagten Parteien keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Zur Revision des Klägers:
Die Revision des Klägers ist zulässig, da im Verfahren zu 7 C 734/87 des Bezirksgerichtes Eibiswald einem Teilschadenersatzbegehren des Klägers von S 30.000 aus demselben Unfall Folge gegeben worden war. In diesem Verfahren wurde vom Berufungsgericht ausgeführt, die Erstbeklagte treffe das Alleinverschulden am Unfall, da sie den Rechtsvorrang des Klägers verletzt habe. Die ao. Revision der Beklagten wurde vom Obersten Gerichtshof zurückgewiesen. Wird aber ein und derselbe Sachverhalt von verschiedenen Gerichten (ausgenommen im Instanzenzug) in rechtlicher Hinsicht verschieden beurteilt, liegt eine Rechtsfrage vor, der zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt (§ 502 Abs.1 ZPO).
Das Rechtsmittel des Klägers ist auch teilweise berechtigt.
Der Kläger wendet sich unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gegen die Ansicht, der E*****weg stelle eine untergeordnete Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs.6 StVO dar. Die Beurteilung der Frage, ob eine Verkehrsfläche den im § 19 Abs.6 StVO angeführten Flächen gleichzuhalten sei, habe nach objektiven Kriterien zu erfolgen. Bei der Lösung dieser Frage komme es nicht auf die jeweilige subjektive Betrachtungsweise der beteiligten Lenker an, sondern darauf, ob sich die betreffende Verkehrsfläche in ihrer gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheide, sohin einer untergeordneten Verkehrsfläche gleichzuhalten sei. Im Zweifelsfall sei der Rechtsvorrang als gegeben anzusehen. Aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergebe sich, daß der Kläger eine Gemeindestraße befuhr, die in dem für die Erstbeklagte einsehbaren Abschnitt asphaltiert ist und hinsichtlich deren Asphaltierung keine erkennbaren Unterschiede bestehen. Ein sich der Unfallsstelle nähernder Fahrzeuglenker könne nicht erkennen, wohin der E*****weg führe und wieviele Liegenschaften dadurch erschlossen werden. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, daß der S*****weg nur eine Breite von 3-4 m aufweise, im eigentlichen Kreuzungsbereich jedoch eine breitere Asphaltfläche eröffnet werde, sodaß der E*****weg einen Einmündungstrichter in einer Länge von 18 m habe. Die vom Kläger befahrene Verkehrsfläche könne daher keinesfalls zweifelsfrei von sonstigen öffentlichen Straßen unterschieden werden.
Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend.
Gemäß § 19 Abs.6 StVO haben Fahrzeuge im fließenden Verkehr gegenüber Fahrzeugen den Vorrang, die von Nebenfahrbahnen, von Fußgängerzonen, von Wohnstraßen, von Haus- oder Grundstücksausfahrten, von Garagen, von Parkplätzen, von Tankstellen, von Feldwegen odgl. kommen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist die Beurteilung der Frage, ob eine Fläche unter § 19 Abs.6 StVO fällt, nach objektiven Kriterien vorzunehmen (ZVR 1974/4; ZVR 1984/289 uva). Dabei kommt es immer auf die konkreten Umstände des Falles an (ZVR 1971/92; ZVR 1985/76 uva). Maßgebend ist, ob sich die in Betracht kommende Verkehrsfläche in ihrer gesamten Anlage deutlich von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet (ZVR 1976/67, ZVR 1985/40 ua). Die Verkehrsbedeutung und Frequenz ist dabei nicht entscheidend (ZVR 1975/215 ua). Demzufolge wurden auch Sackgassen, die sich in ihrer Anlage von anderen öffentlichen Straßen nicht deutlich unterscheiden, nicht als im Sinne des § 19 Abs.6 StVO nachrangige Verkehrsfläche behandelt (ZVR 1975/154; vgl. ZVR 1990/145). Es ist auf die Beschaffenheit der zu beurteilenden Verkehrsfläche in ihrer Gesamtheit abzustellen. Würde den Verhältnissen im Einmündungs-, also Kreuzungsbereich allein schon das entscheidende Gewicht zukommen, so könnten die Vorrangsverhältnisse durch den großzügigen Ausbau des unmittelbaren Kreuzungsbereiches willkürlich gestaltet werden. Der Oberste Gerichtshof hat daher im Einzelfall auch immer untersucht, ob nach den gesamten Verhältnissen die Qualifikation als Verkehrsfläche nach § 19 Abs.6 StVO gerechtfertigt ist. Entscheidend ist, ob sich die Verkehrsfläche für die Benützer der beiden Straßen während der Fahrt nach objektiven Kriterien - ohne Rücksicht auf deren Ortskenntnisse - in ihrer gesamten Anlage eindeutig von sonstigen öffentlichen Straßen unterscheidet (ZVR 1984/289; ZVR 1985/76; 2 Ob 101/88). Im Zweifelsfall ist immer der Rechtsvorrang als gegeben anzunehmen (ZVR 1985/76; ZVR 1990/146 uva). Im vorliegenden Fall ist nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes aus einer Position 30 m östlich der Bezugslinie erkennbar, daß sich nördlich ein asphaltierter Einmündungstrichter befindet, wobei aber noch nicht erkennbar ist, wohin dieser letztlich führt. Aus einer Position 16 m östlich der Bezugslinie sieht man deutlich, daß der Einmündungstrichter zu einer Garage bzw. zu einem Haus führt und aus einer Position 13 m östlich der Bezugslinie sieht man, daß der Einmündungstrichter nicht nur zur Garage führt, sondern daß auch noch ein Straßenzweig, welcher asphaltiert ist, in Richtung Norden führt. Für die den S*****weg benutzende Erstbeklagte hat sich sohin der E*****weg während der Fahrt keineswegs zweifelsfrei in seiner gesamten Anlage eindeutig von sonstigen öffentlichen Straßen unterschieden, sodaß entgegen der Ansicht der Vorinstanzen dem Kläger der Rechtsvorrang zukam. Dagegen vermag der Umstand, daß der E*****weg lediglich im Einmündungstrichter asphaltiert ist und danach eine teilweise mit Gras bewachsene, teilweise beschotterte Oberfläche aufweist, nichts zu ändern. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes endet nämlich der apshaltierte Teil des E*****weges erst 19 m nördlich der nördlichen Verschneidungslinie des Einmündungstrichters, dieser Umstand ist aber für den Benutzer des S*****weges während der Fahrt nicht eindeutig erkennbar. Der Sachverhalt der in der Revisionsbeantwortung der beklagten Parteien zitierten Entscheidung ZVR 1988/92 unterscheidet sich von dem hier zu entscheidenden grundlegend. In dieser Entscheidung war nämlich zu beurteilen, ob es sich bei einem Zufahrtsweg, der nach seiner gesamten äußeren Erscheinung den Eindruck eines Forst- bzw. Waldweges erweckte, um eine Verkehrsfläche nach § 19 Abs.6 StVO handelt. Auch die den Rechtsvorrang des Klägers mißachtende Erstbeklagte hatte die Eigenschaft dieses Weges als Verkehrsfläche nach § 19 Abs 6 StVO erkannt. Im vorliegenden Fall unterscheidet sich aber die Verkehrsfläche des E*****weges für den Benutzer des S*****weges während der Fahrt in ihrer gesamten Anlage nicht eindeutig von sonstigen öffentlichen Straßen.
Zutreffend ist allerdings der Einwand der Beklagten, daß auch der Kläger gegen die StVO verstoßen hat, da er den Einmündungstrichter des E*****weges "geschnitten" hat. Dies führt allerdings nicht zum Verlust seines Rechtsvorranges, der Verstoß gegen die Bestimmung des § 13 Abs.1 StVO stellt aber ein Mitverschulden dar. Nach ständiger Rechtsprechung wiegt zwar eine Vorrangverletzung bei der Verschuldensabwägung in der Regel schwerer als andere Verkehrswidrigkeiten, doch wäre an sich im vorliegenden Fall ein gleichteiliges Verschulden anzunehmen, weil der Verstoß des Klägers gegen § 13 Abs.1 StVO in krasser Weise erfolgte (vgl. ZVR 1984/27). Allerdings ist mit Rücksicht auf das Alter des Klägers dessen Mitverschulden milder zu beurteilen, als unter sonst gleichen Umständen das Verschulden Erwachsener (vgl. ZVR 1976/9; EFSlg.38.562 = ZVR 1982/132), wenngleich vom Kläger an sich ein verkehrsgerechtes Verhalten als Radfahrer bis zur allfälligen Wahrnehmung des Gegenteils erwartet werden durfte (vgl. ZVR 1979/173 ua). Nach Ansicht des erkennenden Senates ist sohin eine Schadensteilung von 2 : 1 zugunsten des Klägers angemessen.
Zur Revision der zweit- und drittbeklagten Parteien:
Auch diese ist zulässig, da das Berufungsgericht die Beschränkung auf die Haftungshöchstbeträge des EKHG im Spruch der Entscheidung über das Feststellungsbegehren nicht entsprechend zum Ausdruck gebracht hat (vgl. 2 Ob 20/91). Das Berufungsgericht hat lediglich die Haftung der drittbeklagten Partei mit der Versicherungssumme begrenzt, es hat damit eine Rechtsfrage, der zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt, unrichtig gelöst. Da allerdings der Berufung des Klägers Folge zu geben war und eine Verschuldenshaftung der Erstbeklagten angenommen wurde, hat die Aufnahme einer entsprechenden Beschränkung in den Spruch der nunmehr getroffenen Entscheidung zu unterbleiben. Aus diesem Grunde erübrigt es sich auch, auf die weiteren Ausführungen der ao. Revision der zweit- und drittbeklagten Parteien, die sich mit der Frage der erhöhten Sorgfaltspflicht nach § 9 Abs.2 EKHG befassen, einzugehen.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf die §§ 41, 43 Abs.1 und 50 ZPO. Bis zur Ausdehnung des Klagebegehrens um die "Verunstaltungsentschädigung" ist der Kläger zu 2/3 durchgedrungen, die beklagten Parteien haben ihm sohin 1/3 seiner Kosten zu ersetzen. In der Folge (einschließlich des Berufungsverfahrens) ist er nur annähernd zur Hälfte durchgedrungen, sodaß die Kosten aufzuheben waren. Im Revisionsverfahren blieb die Abweisung des Begehrens auf Zahlung von S 50.000 unbekämpft. Der Kläger ist in diesem Verfahrensabschnitt der Erstbeklagten gegenüber zu 2/3 durchgedrungen (ihr gegenüber war das Klagebegehren durch das Berufungsgericht zur Gänze abgewiesen worden), gegenüber den zweit- und drittbeklagten Parteien ist er nur zur Hälfte obsiegt (1/3 war bereits durch das Berufungsgericht zugesprochen worden, ein weiteres durch das Revisionsgericht, 1/3 des Klagebegehrens wurde abgewiesen). Die Revision der Zweit- und Drittbeklagten blieb erfolglos, sodaß dem Kläger die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen sind.
Gemäß § 70 ZPO bedurfte es eines Ausspruches über die im § 64 Abs.1 Z 1 ZPO genannten Beträge, wobei auch § 43 Abs.1 letzter Satz ZPO zu berücksichtigen war.
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