OGH 2Ob20/91

OGH2Ob20/9126.4.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner, Dr. Jelinek und Dr. Schinko als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** Gebietskrankenkasse, ***** vertreten durch Dr. Klaus Grubhofer, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagten Parteien 1.) Markus G*****, 2.) Othmar G*****, 3.) ***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** alle vertreten durch Dr. Leonhard Lindner, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen S 61.593,- sA und Feststellung infolge ao Revision der zweit- und drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. Dezember 1990, GZ 1 R 241/90-23, womit infolge Berufung der klagenden sowie der zweit- und drittbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 15.Mai 1990, GZ 10 Cg 214/89-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der ao. Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Ausspruch über das Feststellungsbegehren dahin abgeändert, daß die Haftung des Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei mit der Höhe der Haftungshöchstbeträge nach dem EKHG begrenzt ist; im übrigen werden die Urteile bestätigt oder bleiben als unbekämpft unberührt.

Der Zweitbeklagte und die drittbeklagte Partei sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.320,06 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 553,34 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 22.10.1987 ereignete sich in Bludenz bei der *****Tankstelle ***** ein Verkehrsunfall, an dem der Erstbeklagte mit dem von ihm gelenkten Kleinbus der Marke Toyota Lite Ace mit dem pol. Kennzeichen ***** und der bei der klagenden Partei sozialversicherte Werner S***** beteiligt waren. Halter des Fahrzeuges war der Zweitbeklagte, Haftpflichtversicherer die drittbeklagte Partei.

Werner S***** war als Monteur der Firma K***** gemeinsam mit dem Montageleiter Josef M***** mit Servicearbeiten bei der Tankstelle befaßt. Es sind dort drei Zapfsäulen installiert, die auf einem erhöhten Podest stehen und von beiden Seiten aus mit einem Fahrzeug erreichbar sind.

Der Erstbeklagte fuhr gegen 18,20 Uhr in die Tankstelle ein. Er sah die beiden Monteure und auch den Servicewagen der Firma K*****, dessen Heckklappe geöffnet war. Dem Erstbeklagten fiel auf, daß bei der letzten Zapfsäule die Abdeckteile entfernt wurden. Die Ausfahrt in Richtung Schruns war wegen Grabarbeiten nicht befahrbar; dies sahen weder der Erstbeklagte noch seine Mutter, die in dem PKW mitfuhr. Es war bereits dunkel. Die Tankstelle war allerdings gut ausgeleuchtet und das künstliche Licht reichte bis zur Ausfahrt in Richtung Schruns.

Der Erstbeklagte konnte nicht sogleich zur Zapfsäule vorfahren, weil ein PKW, der gerade aufgetankt wurde, die Tankstelle rückwärts fahrend verließ und die einzig befahrbare Zufahrt kurzfristig versperrte. Nachdem die Zufahrt wieder frei geworden war, fuhr der Erstbeklagte auf der linken Seite des erwähnten Podestes zur mittleren Zapfsäule und blieb dort stehen. Werner S***** nahm an, der Erstbeklagte werde bei der zu reparierenden dritten Zapfsäule tanken, und machte den Erstbeklagten darauf aufmerksam, daß diese Zapfsäule nicht funktioniere. Der Erstbeklagte tankte sein Fahrzeug bei der mittleren Zapfsäule auf, ging ins Tankstellengebäude hinein und bezahlte. Nachdem er das Gebäude verlassen hatte, ging er zwischen der mittleren und hinteren Zapfsäule um das Heck des Kleinbusses herum und stieg ein.

Inzwischen setzte Werner S***** die Reparaturarbeiten fort. Er legte sich bei der dritten Zapfsäule auf die rechte Körperseite so hin, daß der Oberkörper, das Gesäß und der rechte Oberschenkel auf dem Podest der Zapfsäulen waren. Der rechte Unterschenkel befand sich unmittelbar am Absatzrand. Das linke Bein ragte ein Stück auf die befahrbare Fläche. Eine Absperr- oder Warneinrichtung hatte Werner S***** nicht angebracht.

Der Erstbeklagte bemerkte Werner S***** weder beim Tanken noch auf dem Weg vom Tankstellengebäude zum Auto in dieser liegenden Position. Vom Fahrersitz des Kleinbusses konnte der Erstbeklagte Werner S***** nicht sehen, weil sich dieser lediglich ungefähr 1 m vor der Vorderfront des PKWs befand. Hätte sich der Erstbeklagte vorgebeugt, wäre zumindest der Kopf des Werner S***** erkennbar gewesen. Da der Erstbeklagte nicht gesehen hatte, daß die Ausfahrt in Richtung Schruns unpassierbar war, wollte er die Tankstelle auf diesem Weg verlassen. Er betätigte den Anlasser, legte den Sicherheitsgurt an und fuhr los. Die Zeitspanne zwischen dem Starten des Motors und dem Anfahren betrug ungefähr 5 Sekunden. Der Erstbeklagte fuhr dem ca. 1 m vor dem Bus liegenden Werner S***** mit dem rechten Vorderrad über dessen linken Unterschenkel.

Die klagende Partei erbrachte für Werner S***** die der Höhe nach unbestrittenen Aufwendungen von insgesamt S 61.593,-- und begehrte deren Ersatz von den drei Beklagten; außerdem stellte sie ein entsprechendes Feststellungsbegehren.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (Leistungs- und Feststellungsbegehren) gegen den Zweitbeklagten und die drittbeklagte Partei (Halter und Haftpflichtversicherer) zur Hälfte statt und wies das Mehrbegehren gegen diese sowie das gesamte Klagebegehren gegen den Erstbeklagten (Lenker) ab. Es erachtete den dem Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei obliegenden Entlastungsbeweis nach § 9 Abs.2 EKHG nicht als erbracht, berücksichtigte aber ein Mitverschulden des Werner S***** zur Hälfte.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei und jener des Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteigt und ließ die Revision nicht zu. In dem hier maßgeblichen Belang vertrat es ebenso wie das Erstgericht die Auffassung, daß dem Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen sei. Wenn auch die Sorgfaltspflicht im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG nicht überspannt werden dürfe, weil vom Gesetzgeber eine Erfolgshaftung nicht gewollt ist (ZVR 1984/150, 332; 1985/51), sei darunter doch die nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt zu verstehen, wobei nicht eine rückblickende Beurteilung vorzunehmen sei, sondern geprüft werden müsse, ob der Kraftfahrer in dieser Lage die äußerste, nach den Umständen zumutbare Verkehrssorgfalt beobachtet hat (ZVR 1984/327; 1985/25 ua). Dabei müsse der Fahrzeuglenker auch auf eine durch die Umstände nahegelegte Möglichkeit eines unrichtigen oder ungeschickten Verhaltens anderer Rücksicht nehmen (ZVR 1976/80). Der Erstbeklagte habe ausreichend Hinweise dafür gehabt, daß er nicht nur mit dem normalen Benutzerkreis einer Tankstelle rechnen mußte, sondern darüberhinaus auch noch darauf Bedacht zu nehmen hätte, daß Reparaturarbeiten im Bereich der Tankstelle durchgeführt wurden. Der Erstbeklagte habe mit Servicemonteuren im Bereich der Tankstelle rechnen müssen, insbesondere auch bei jener Zapfsäule, die sich räumlich unmittelbar vor seinem Fahrzeug befand. Da er mit den Arbeitsvorgängen einer derartigen Reparatur nicht vertraut gewesen sei, wäre er im Sinne der Sorgfaltspflicht des § 9 Abs 2 EKHG verpflichtet gewesen, auf die Möglichkeit Bedacht zu nehmen, daß in deren Bereich objektiv gefährliche Situationen entstehen konnten. Reparaturarbeiten bei Tankstellen in Positionen wie Knien oder Bücken seien keinesfalls ungewöhnlich. Daher müsse entgegen der Rechtsmeinung des Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei damit gerechnet werden, daß sich bei vorzunehmenden Reparaturen eine Person in einer anderen Position als in "aufrechter Körperhaltung" im Bereich einer Tankstelle aufhält.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die ao Revision des Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei mit dem Antrag, diese zuzulassen und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren auch ihnen gegenüber zur Gänze abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, deren Erstattung ihr anheimgestellt worden war, der Revision nicht Folge zu geben.

Die ao Revision ist zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Ausführungen des Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei über die Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 9 Abs.2 EKHG sind nicht stichhältig. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß der Erstbeklagte nicht jede nach den Umständen des Falles erforderliche Sorgfalt zur Vermeidung des Unfalles aufgewendet hat. Gemäß § 510 Abs 3 ZPO kann diesbezüglich auf die Richtigkeit der berufungsgerichtlichen Beurteilung verwiesen werden.

Die Vorinstanzen haben aber - von der ao Revision mit Recht gerügt - übersehen, daß der Zweitbeklagte als Halter des Kleinbusses und die drittbeklagte Partei als dessen Haftpflichtversicherer (vgl § 22 Abs 1 KHVG) nur nach den gesetzlichen Haftungshöchstbeträgen des § 15 EKHG haften. Die Beklagten haben im Verfahren erster und zweiter Instanz jeweils die Abweisung des Klagebegehrens begehrt; darin ist jedenfalls auch ein Antrag auf Einschränkung ihrer Haftung auf die Haftungshöchstbeträge des EKHG inbegriffen. Diese Beschränkung ist im Spruch der Entscheidung über das Feststellungsbegehren entsprechend zum Ausdruck zu bringen (8 Ob 13/77; 8 Ob 10/80; ZVR 1987/22 ua).

Der Revision war somit insoweit Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in den übrigen Teilen unberührt blieben oder zu bestätigen waren, mußten im Feststellungsausspruch entsprechend abgeändert werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 2, 50 ZPO; der geringfügige Rechtsmittelerfolg des Zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei hatte auf den Kostenausspruch keinen Einfluß.

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