OGH 15Os134/91 (15Os135/91)

OGH15Os134/91 (15Os135/91)5.12.1991

Der Oberste Gerichtshof hat am 5.Dezember 1991 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Reisenleitner, Dr. Lachner, Dr. Kuch und Dr. Hager als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Prokisch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Reinhold W***** wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (§§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall) StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 24.Juli 1991, GZ 20 u Vr 8014/90-89, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gemeinsam mit dem Urteil gemäß § 494 a Abs. 1 StPO ergangenen Beschluß auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, und des Verteidigers Dr. Freund, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf zwei Jahre herabgesetzt; im übrigen wird ihr nicht Folge gegeben.

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten Reinhold W***** auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch andere Entscheidungen enthält, wurde Reinhold W***** auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (§§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall) StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er sich in der Nacht zum 30.Juli 1990 in Wien durch den Genuß von Alkohol und Medikamenten in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und im Rausch dadurch mit Gewalt gegen eine Person einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, daß er Wilhelm W***** niederschlug und ihm die Geldbörse mit etwa 4.000 S Bargeld entriß, wobei der Genannte durch die ausgeübte Gewalt einen Nasenbeinbruch mit Verschiebung der Bruchstücke, ein Brillenhaematom am rechten Auge, Rißquetschwunden am rechten Ober- und Unterlid sowie eine Prellung des rechten Brustkorbes und des rechten Ellbogens erlitt und somit an sich schwer verletzt wurde, mithin eine Handlung begangen, die ihm außer diesem Zustand als Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall StGB zugerechnet würde.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs. 1 Z 6, 9, 10 a und 12 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Die Geschworenen hatten (jeweils stimmeneinhellig) die

1. Hauptfrage in Richtung des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall StGB betreffend den Mitangeklagten Wolfgang W***** verneint, die 2. Hauptfrage in Richtung des Vergehens einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (§§ 142 Abs. 1, 143 dritter Fall) StGB betreffend den Beschwerdeführer hingegen bejaht.

Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) erblickt der Nichtigkeitswerber in dem Umstand, daß es der Schwurgerichtshof unterlassen hat, den Geschworenen eine Eventualfrage in Richtung des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 StGB mit Beziehung auf das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu stellen.

Die Rüge versagt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 314 Abs. 1 StPO sind vom Anklagevorwurf abweichende Schuldfragen (Eventualfragen) an die Geschworenen dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung entsprechende Tatsachen vorgebracht wurden. Diese Voraussetzung liegt nach Lage des Falls nicht vor. Denn der Rechtsmittelwerber hat in der Hauptverhandlung bloß die Möglichkeit eingeräumt, zur Tatzeit am Tatort anwesend gewesen zu sein (S 375), sich aber im übrigen - wie schon im Vorverfahren (S 113, 121; 131 f in ON 51) - dahin verantwortet, daß er sich an nichts erinnern könne (S 377). Damit fehlt es aber an einem tatsächlichen Substrat als Grundlage für die Stellung der vom Angeklagten reklamierten Eventualfrage, dient doch die Fragestellung an die Geschworenen nicht dazu, über Mutmaßungen, nämlich die abstrakt denkbare Möglichkeit, der Beschwerdeführer habe nicht mit dem ihm vorgeworfenen Bereicherungsvorsatz, sondern allenfalls nur mit Verletzungsvorsatz gehandelt, einen Wahrspruch einzuholen, der seinem Wesen nach eine Tatsachenfeststellung bedeuten würde, obwohl hiefür eine entsprechende Feststellungsgrundlage gar nicht vorhanden wäre (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO3 E 22 zu § 314). Daran vermag auch der Hinweis des Nichtigkeitswerbers nichts zu ändern, daß ihn keiner der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen bei der Sachwegnahme beobachtet hat. Denn dieser Umstand sagt nichts darüber aus, ob der Rechtsmittelwerber dem Attackierten die Brieftasche tatsächlich weggenommen hat oder nicht und mit welcher inneren Einstellung er bei seinem Angriff vorgegangen ist.

Einen inneren Widerspruch des Wahrspruchs (Z 9) erblickt der Angeklagte darin, daß die Geschworenen die den Mitangeklagten Wolfgang W***** betreffende 1. Hauptfrage, ob dieser "in Gesellschaft des Reinhold Balthasar W*****" den von der Anklage beiden Angeklagten zur Last gelegten schweren Raub begangen habe, verneinten, während sie die ihn betreffende 2. Hauptfrage, ob er sich, wenn auch nur fahrlässig, in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rausch versetzt und in diesem Zustand "in Gesellschaft des Wolfgang W***** als Beteiligten" den in Rede stehenden Raubüberfall begangen hat, ohne Einschränkung (§ 330 Abs. 2 StPO) bejahten. Es trifft zwar zu, daß dieser Wahrspruch fallbezogen (Verneinung der 1. Hauptfrage) "mangels an Beweisen"; vgl. die Niederschrift der Geschworenen) in Ansehung des Mitangeklagten Wolfgang W***** in sich widersprüchlich ist, was der Schwurgerichtshof von Amts wegen zum Anlaß für die Einleitung des Moniturverfahrens hätte nehmen sollen (§ 332 Abs. 4 StPO) und allenfalls vom Staatsanwalt als Nichtigkeit in bezug auf den Freispruch des Angeklagten Wolfgang W***** hätte geltend gemacht werden können. Der Angeklagte Reinhold W***** aber kann daraus aber keine ihn treffende Beschwer ableiten (§§ 344, 282 Abs. 1 StPO), zumal der Wahrspruch betreffend seine Schuld keinen Zweifel offen läßt und das Geschworenengericht darüber hinaus im Schuldspruch den Wahrspruch in seiner Gesamtheit - unbeschadet der insoweit (seit dem StRÄG 1987) unrichtigen Rechtsbelehrung (§ 345 Abs. 1 Z 8 StPO), wonach ein schwerer Raub nach § 143 StGB unter anderem dann vorliege, wenn der Raub in Gesellschaft eines oder mehrerer Beteiligter begangen wurde, was allerdings vom Beschwerdeführer nicht aufgegriffen wurde und als formeller Nichtigkeitsgrund auch nicht von Amts wegen wahrzunehmen ist - ohne Nachteil für den Nichtigkeitswerber dahin interpretierte, daß dieser den Raub ohne Mitwirkung eines Beteiligten begangen hat (vgl. den Wortlaut des Schuldspruches).

Die Tatsachenrüge (Z 10 a) schließlich, mit welcher versucht wird, die Glaubwürdigkeit der Zeugen Wilhelm W***** und Manfred F***** zu erschüttern, erschöpft sich in einer unzulässigen Bekämpfung der allein den Geschworenen vorbehaltenen Beweiswürdigung. Aktenkundige Beweisergebnisse, die den von den Laienrichtern im Wahrspruch zur 2. Hauptfrage festgestellten entscheidenden Tatsachen allenfalls entgegenstünden, werden damit nicht aufgezeigt, zumal der Rechtsmittelwerber selbst einräumt, daß es sich bezüglich der Tätowierungen an seinen Armen um einen Protokollierungsfehler handelt, was dem - den Geschworenen bei ihrer Beratung und Abstimmung im übrigen nicht

vorliegenden - Hauptverhandlungsprotokoll klar zu entnehmen ist (S 377, 378).

Die (nur) ziffernmäßig geltend gemachte Subsumtionsrüge (Z 12) wurde nicht ausgeführt, so daß sich ein Eingehen darauf erübrigt.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verurteilte Reinhold W***** nach § 287 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren. Bei der Strafbemessung wertete es als erschwerend die einschlägigen empfindlichen Vorstrafen sowie den raschen Rückfall, als mildernd das Tatsachengeständnis.

Zugleich mit dem Urteil faßte das Geschworenengericht den Beschluß auf Widerruf der dem Genannten mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25.August 1989, AZ 1 d Vr 6605/89, gemäß § 43 a Abs. 3 StGB gewährten bedingten Nachsicht eines Teiles (im Ausmaß von acht Monaten) der über ihn verhängten 12-monatigen Freiheitsstrafe.

Mit seiner Berufung begehrt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe und (oder) die Gewährung bedingter Nachsicht eines Teiles derselben; seine Beschwerde zielt auf ein Absehen vom Widerruf.

Der Berufung kommt teilweise Berechtigung zu.

Zutreffend macht der Berufungswerber geltend, daß das Erstgericht zu Unrecht den Erschwerungsgrund des raschen Rückfalls angenommen hat. Denn die letzte Vorverurteilung des Angeklagten erfolgte am 25. August 1989, die gegenständliche Tat wurde am 30.Juli 1990 begangen. Da zwischen diesen beiden Zeitpunkten ein Zeitraum von mehr als elf Monaten liegt, kann von einem raschen Rückfall nicht mehr gesprochen werden (vgl. 12 Os 57/81 und 12 Os 191/81: Auch in den diesen Urteilen zugrundeliegenden Fällen wurden entsprechende Intervalle von neun und zehn Monate nicht als rascher Rückfall gewertet).

Der Berufungswerber wurde wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung verurteilt, wobei er im Rausch einen Raub beging. Zwar trifft zu, daß der Angeklagte nach dem Inhalt der ihn betreffenden Strafregisterauskunft bis jetzt noch nicht wegen des Vergehens nach § 287 StGB schuldig erkannt worden ist. Allerdings war er auch bei Begehung jener Straftaten, wegen welcher er zu den AZ 3 c E Vr 11926/87 und 1 d Vr 6605/89, je des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, verurteilt worden ist, alkoholisiert, so daß sowohl die den eben erwähnten Verurteilungen zugrundeliegenden strafbaren Handlungen als auch die verfahrensgegenständliche Tat auf dem gleichen Charaktermangel, nämlich Alkoholmißbrauch beruhen (vgl. SSt. 49/19).

Dazu kommt, daß Reinhold W***** bisher schon mehrmals wegen strafbarer Handlungen gegen fremdes Vermögen und auch wegen Gewalttätigkeitsdelikten (§§ 83 Abs. 1, 105 Abs. 1 und 107 Abs. 1 StGB) verurteilt wurde. Bei Rauschtaten sind auch die verdeckten Taten (Grunddelikte) für die Beurteilung maßgebend, ob Vorverurteilungen, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhen, gegeben sind (13 Os 55/80, 12 Os 140/82). Da eine Raubtat sowohl ein Vermögens-, als auch ein Gewalttätigkeitsdelikt darstellt, hat das Erstgericht zutreffend "einschlägige Vorstrafen" als Erschwerungsgrund gewertet.

Die Verurteilung des Berufungswerbers zu AZ 1 d Vr 6605/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (wegen §§ 105 Abs. 1, 127, 146 f StGB) stellt, unbeschadet dessen, daß die gewährte teilbedingte Strafnachsicht unter einem widerrufen wurde, eine Vorverurteilung dar, die gemäß § 33 Z 2 StGB erschwerend ist. Soweit sich die Berufung in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung ÖJZ-LSK 1975/263 (richtig: 1976/263) bezieht, übersieht sie, daß das Erstgericht (zu Recht) die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit ohnedies nicht als erschwerend gewertet hat.

Das Beweisverfahren hat keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, daß der Angeklagte sich aus Unbesonnenheit in den Rauschzustand versetzt hat. In bezug auf das Grunddelikt fehlt dem Rauschtäter begrifflich die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit (Mayerhofer-Rieder, StGB3 ENr. 10 a zu § 287); er handelt demnach bezugnehmend auf die verdeckte Tat zwar auf Grund einer Willensreaktion, aber ohne Schuld. Daher sind schuldmildernde Umstände hinsichtlich des im Rausch begangenen Deliktes, wie etwa Begehung der Rauschtat aus Unbesonnenheit oder durch eine besonders verlockende Gelegenheit verleitet, keine für die Strafzumessung entscheidenden Kriterien.

Die von der Berufung ins Treffen geführten (weiteren) Milderungsgründe liegen somit nicht vor.

Der Entfall des gewiß nicht unbedeutenden erschwerenden Umstands des raschen Rückfalls - der allerdings zumindest teilweise dadurch aufgewogen wird, daß ein bloßes Tatsachengeständnis kein Milderungsgrund ist - läßt aber (dennoch) bei Bedachtnahme auf die gesetzliche Strafdrohung des § 287 StGB, die sich nach Lage des Falles auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren erstreckt, und auf die allgemeinen Grundsätze für die Strafbemessung eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe auf zwei Jahre geboten erscheinen, denn dieses Strafmaß wird sowohl dem Verschulden des Berufungswerbers, als auch dem Unrechtsgehalt seines deliktischen Verhaltens gerecht.

Dem Begehren, abermals teilbedingte Strafnachsicht zu gewähren, konnte hingegen nicht nähergetreten werden. Denn das belastete Vorleben des Angeklagten gebietet aus spezialpräventiven Erwägungen den tatsächlichen Vollzug der gesamten über ihn verhängten Freiheitsstrafe.

Aus eben denselben Erwägungen ist - dies in Erledigung der Beschwerde - der Widerruf der dem Beschwerdeführer gewährten (teil-)bedingten Strafnachsicht im Verfahren 1 d Vr 6605/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien geboten. In Anbetracht der neuerlichen Verurteilung wegen einer innerhalb der Probezeit verübten strafbaren Handlung und der Wirkungslosigkeit vorangegangener Abstrafungen, wobei in zwei Fällen die gewährte bedingte Strafnachsicht jeweils widerrufen werden mußte (siehe Punkte 1 und 2 der Strafregisterauskunft), ist es erforderlich, die (abermals) gewährte bedingte Strafnachsicht zu widerrufen und den Vollzug des bedingt nachgesehenen Strafteiles anzuordnen, um den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs. 1 StGB).

Der Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Es war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

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