OGH 1Ob612/91

OGH1Ob612/9130.10.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj.Michaela S*****, geboren am 15.April 1977, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien (Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie für den 21. Bezirk) als besonderer Sachwalter, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Kindes gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 7.August 1991, GZ 44 R 670/91-101, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 24.Juni 1991, GZ 3 P 252/87-96, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem ao Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die Entscheidung des Erstgerichtes wieder hergestellt.

Text

Begründung

Der am 19.April 1950 in Ägypten geborene, österr.Staatsbürger Mansour S***** ist der eheliche Vater der am 15.April 1977 geborenen, einkommen- und vermögenslosen mj.Michaela, die sich in der Obsorge ihrer als Sachbearbeiterin tätigen Mutter befindet. Die Ehe der Eltern wurde mit Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 10.Februar 1986 geschieden. Der Vater wurde unter Anwendung der Anspannungstheorie mit Beschluß des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 27.April 1987 (ON 44) ab 15. Jänner 1986 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung an das Kind von 2.000 S verpflichtet. Er war damals nur für dieses Kind sorgepflichtig und bezog bis 20.August 1985 als Metallschleifer ein monatliches Nettoeinkommen von 10.636 S. Vorher war er als Fußballer, Zeitungskolporteur und Hilfsarbeiter beschäftigt. Vom 17. September 1985 bis 14.Jänner 1986 bezog der Vater Krankengeld von monatlich durchschnittlich 5.355,20 S; mit welchen Mitteln er ab 15.Jänner 1986 seinen Lebensunterhalt bestreitet, ist unbekannt. Er ist seit 1986 unbekannten Aufenthaltes und geht seither in Österreich keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nach.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater ab 1.Juni 1990 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 2.340 S; den Antrag des für den Vater bestellten Abwesenheitskurators "dessen Unterhaltsverpflichtung mangels eines konkreten Einkommensnachweises des Verpflichteten bzw überhaupt mangels eines Nachweises, daß dieser noch am Leben ist, vorläufig als nicht bestehend festzulegen", wies es rechtskräftig ab. Nach der Auffassung der ersten Instanz könnte derzeit der Vater unter Berücksichtigung einer 10 %-igen Einkommensteigerung seit 1985 ein monatliches Nettoeinkommen von 11.700 S verdienen. Angesichts der geringen Inflation könne eine nominelle Erhöhung der Einkünfte von 3 % zum Ausgleich der Geldwertverdünnung pro Jahr angenommen werden. Dem unterhaltsberechtigten Kind stünde unter Berücksichtigung eines erzielbaren Einkommens des Vaters von monatlich 11.700 S ein Anteil von 20 % daran zu. Der dem Vater auferlegte Unterhaltsbeitrag liege weit unter den Durchschnittbedarfsätzen für Kinder gleicher Altersgruppe.

Das Rekursgericht wies über Rekurs des Abwesenheitskurators des Vaters das Erhöhungsbegehren des Kindes ab. Wenn der Unterhaltspflichtige längere Zeit unbekannten Aufenthaltes sei (hier fehle von ihm seit sechs Jahren jedes Lebenszeichen) und die maßgeblichen Umstände für die Unterhaltsfestsetzung daher nicht feststellbar seien, habe eine Antragsabweisung zu erfolgen. Ein Rückgriff auf frühere Verhältnisse sei hier nicht mehr möglich. Sämtliche Vermutungen des Erstgerichtes über mögliche Einkommensquellen des Vaters und deren Höhe seien als rein hypothetisch nicht geeignet, den fehlenden Nachweis der Leistungsfähigkeit des Vaters durch eine Anspannung zu umgehen.

Der ao Revisionsrekurs des Kindes ist wegen der Abweichung des Rekursgerichtes von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Da die Eltern zur Deckung des Unterhaltsbedarfes eines Kindes

gemäß § 140 Abs 1 ABGB nach ihren Kräften beizutragen haben, ist

für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht nur das

tatsächlich erzielte, sondern das bei zumutbarer Anspannung der

Leistungskraft des Unterhaltspflichtigen erzielbare

Erwerbseinkommen maßgebend (EvBl 1990/128; 7 Ob 551/91, 8 Ob

509/91 uva). Dem Rechtsmittelwerber ist darin beizupflichten, daß

eine Unterhaltserhöhung bei unbekanntem Aufenthalt des

Unterhaltsschuldners nach den Grundsätzen der Anspannungstheorie

nicht ausgeschlossen ist (EvBl 1990/156 = ÖA 1991, 25; ÖA 1990,

109; SZ 53/54 = RZ 1981/7 = ÖA 1981, 23 mwN und Anm von Pichler

in ÖA 1981, 67; 7 Ob 551/91, 7 Ob 620, 621/90 ua; Pichler in Rummel2, § 140 ABGB Rz 6; Schlemmer-Schwimann in Schwimann, § 140 ABGB Rz 57).

Der unterhaltspflichtige Vater ist unter Berücksichtigung der auch für ein vom Untersuchungsgrundsatz beherrschtes Verfahren geltenden allgemeinen Beweislastregeln dafür beweispflichtig, daß ihm derzeit die Erzielung eines gleich hohen Einkommens wie bei der Erstbemessung nicht mehr möglich, somit eine ihn entlastende Änderung der Verhältnisse im Sinne einer verminderten Leistungsfähigkeit eingetreten ist (SZ 53/54 mwN; 8 Ob 565/91 ua). Der Vater hat einen solchen Beweis nicht angetreten. Bei einem Erhöhungsantrag ist dann von jenen Verhältnissen auszugehen, die der letztmaligen Festsetzung des Unterhaltsbeitrages zugrunde lagen (7 Ob 551/91 ua), vorbehaltlich der allgemeinen realen Änderungen (vgl ÖA 1990, 109; Schlemmer-Schwimann aaO Rz 57; Pichler in ÖA 1981, 67). Die in der Entscheidung EvBl 1990/156 vertretene Ansicht, auf die Anspannung des Unterhaltspflichtigen gestützte Unterhaltsbemessungsverfahren blieben im allgemeinen dann aussichtslos, wenn der Unterhaltspflichtige schon lange Zeit hindurch unbekannten Aufenthaltes ist, kann jedenfalls so weit nicht beigepflichtet werden, als die Beweislast den Unterhaltspflichtigen trifft (so schon 1 Ob 597/91). Der Antrag des unterhaltsberechtigten Kindes stellt sich hier - bei Annahme gleichbleibender Leistungsfähigkeit des Vaters - als Anpassung an den seit der Erstfestsetzung des Unterhaltes erhöhten Bedarf des Kindes einerseits sowie die seither eingetretene Geldentwertung und ein nur daraus abgeleitetes (angenommenes) höheres Einkommen des Vaters andererseits dar. Die zulässige (Schlemmer-Schwimann aaO, Rz 57) und vom Erstgericht angenommene Valorisierung des väterlichen Einkommens mit 10 % für einen Zeitraum von rund sechs Jahren entspricht angesichts der gerichtsbekannten Inflationsrate den allgemeinen realen Änderungen in den Lebensumständen. Die Unterhaltsbemessung nach der Prozentsatzkomponente (hier mit 20 %) stellt für durchschnittliche Verhältnisse eine brauchbare Handhabe dar, um den Unterhaltsberechtigten an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen angemessen teilhaben zu lassen (RZ 1991/50, RZ 1991/26; Schlemmer-Schwimann aaO, Rz 8).

Dem ao Revisionsrekurs des Kindes ist Folge zu geben.

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