OGH 10ObS160/91

OGH10ObS160/919.7.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Richard Bauer (Arbeitgeber) und Reinhold Ludwig (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Vinzenz K*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier und Dr. Hubertus Schumacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Weitergewährung des Hilflosenzuschusses, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. März 1991, GZ 5 Rs 33/91-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. November 1990, GZ 44 Cgs 178/90-7, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Rekurskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 18. 7. 1929 geborene Kläger bezieht seit 1979 von der beklagten PENSIONSVERSICHERUNGSANSTALT DER ARBEITER eine Invaliditätspension. Mit Bescheid vom 29. 5. 1988 wurde ihm ab 24. 2. 1988 (Antragstag) zur Pension der Hilflosenzuschuß gewährt. Mit Bescheid vom 27. 7. 1990 setzte die beklagte Partei die Invaliditätspension ab 1. 9. 1990 um den auf den Hilflosenzuschuß entfallenden Betrag mit der Begründung herab, daß die Voraussetzungen für diesen Anspruch nicht mehr gegeben seien.

Das Erstgericht gab der dagegen erhobenen Klage Folge und erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger den bisher gewährten Hilflosenzuschuß auch ab 1. 9. 1990 in der gesetzlichen Höhe weiterzugewähren. Es ging dabei im wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Der Gewährung des Hilflosenzuschusses lag die Diagnose Mischpsychose, stabil depressiv-gehemmter Residualzustand zugrunde. Der Kläger wurde als antriebslos eingeschätzt, der vorwiegend auch tagsüber in seinem Zimmer liege oder sitze. Er war von 1972 bis 1981 mehrmals stationär in der psychiatrischen Universitätsklinik Innsbruck aufgenommen. Ab dem Jahr 1982 liegt ein Residualzustand vor, der mit einer depressiv-gehemmten Verfassung einhergeht. Psychopharmaka, die einerseits die schizophrene Psychose behandeln und andererseits antidepressiv wirken, werden vom Kläger regelmäßig eingenommen. Es handelt sich bei ihm um einen schwunglosen, initiativarmen, apathisch gleichgültigen Menschen. Der Kläger kann sich selbst mühelos an- und auskleiden und eine Gesamtkörperreinigung allein durchführen. Er kann die Nahrung allein aufnehmen und sich kleine Mahlzeiten zubereiten. Er kann die Notdurft alleine verrichten, den Wohnraum allein beheizen, eine notdürftige Wohnungsreinigung vornehmen und auch seine kleine Wäsche waschen. Er kann die Nahrungsmittel und sonstigen Bedarfsgüter des täglichen Lebens herbeischaffen. Er kann auch mit Geld umgehen. Im Vergleich zum seinerzeitigen Gewährungsbefund ist eine wesentliche Besserung in seinem Zustand eingetreten. Trotzdem könnte er ganz alleine nicht leben, weil er wegen der Schwung- und Initiativlosigkeit jemanden braucht, der ihm aufträgt, die notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens zu erledigen. Wenn er niemanden hätte, der ihm das Aufstehen, Anziehen oder auch Abwaschen aufträgt, würde er verwahrlosen. Diese Betreuung müßte freilich nicht den ganzen Tag währen, sondern es genügte, wenn man ihm täglich in der Früh eine gewisse Anleitung gebe. Man müßte auch untertags manchmal ausführen, daß er ein Bad nehmen sollte. Das Einnehmen von Medikamenten würde der Kläger, wenn er alleine wäre, nicht regelmäßig durchführen. Man müßte ihn mindestens zwei- oder dreimal pro Woche darauf aufmerksam machen, seine Tabletten dreimal am Tag einzunehmen.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß der Kläger monatliche Hilfe im Ausmaß von rund 30 Stunden benötige und daß die Kosten für eine Hilfsperson in diesem Ausmaß sich auf rund S 3.000,- monatlich beliefen, so daß die Voraussetzungen für den Hilflosenzuschuß nach § 105 a ASVG nach wie vor gegeben seien. Obwohl im Gesundheitszustand des Klägers im Vergleich zum seinerzeitigen Gewährungsbefund eine wesentliche Besserung eingetreten sei, sei der Kläger nach wie vor hilflos, so daß der Hilflosenzuschuß nach § 99 ASVG nicht entzogen werden könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, es hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Der vom Erstgericht festgestellte und im Berufungsverfahren nicht mehr strittige Betreuungsaufwand reiche für die Gewährung des Hilflosenzuschusses nicht aus. Bei einem Stundensatz von rund S 80,- für eine nichtqualifizierte Haushaltshilfe werde der durchschnittliche Monatsbetrag des Hilflosenzuschusses (S 3.054,-) nicht erreicht. Diese Überlegungen könnten aber, da die Feststellungen für eine abschließende Beurteilung des Sachverhaltes nicht ausreichten, noch nicht zu einer Abänderung des Ersturteils führen. Beim Hilflosenzuschuß handle es sich um einen Pensionsbestandteil im weiteren Sinne, so daß die Entziehung eines solchen Zuschusses für sich allein als Herabsetzung der Pension iS des § 97 Abs.3 ASVG anzusehen sei. Eine solche Herabsetzung der Pension um den Hilflosenzuschuß stelle aber auch die Entziehung eines Bestandteiles eines Anspruches auf eine laufende Leistung im weiteren Sinne dar, deren Voraussetzungen im § 99 Abs.1 und 2 ASVG festgelegt seien. Ein Hilflosenzuschuß dürfe somit für sich allein auf Dauer nur entzogen werden, wenn eine wesentliche (entscheidende) Änderung der Umstände eingetreten sei. In der Regel werde die Änderung ihren Grund in der Wiederherstellung oder Besserung des körperlichen oder geistigen Zustands des Pensionisten haben. Ob eine solche Änderung der Umstände eingetreten sei, sei durch den Vergleich der zur Zeit der Gewährung des Hilflosenzuschusses gegebenen mit den nunmehrigen Verhältnissen festzustellen. Sei keine wesentliche Änderung eingetreten, dann könne der Hilflosenzuschuß wegen der Rechtskraft des Zuerkennungsbescheides auch dann nicht entzogen werden, wenn seine Voraussetzungen im Zeitpunkt seiner Gewährung gefehlt hätten (Schrammel in Tomandl, SV-System 3. ErgLfg. 181 f; SSV-NF 1/43, 1/44, 2/90). Weder die Verfahrensergebnisse erster Instanz noch die Feststellungen des Erstgerichtes reichten aber aus, um die Frage der wesentlichen Besserung beurteilen zu können. Das Erstgericht werde im ergänzenden Verfahren die genaue Behinderung und den Betreuungsaufwand des Klägers im Zeitpunkt der Gewährung zu ermitteln haben, um die Frage der wesentlichen Besserung beurteilen zu können.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Rekursgericht für zulässig erklärte Rekurs des Klägers ist auch ohne die Voraussetzungen des § 46 Abs.1 Z 1 ASGG zulässig (§ 45 Abs.4 ASGG iVm § 519 Abs.1 Z 2 ZPO); er ist aber nicht berechtigt.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes über die mangelnde Spruchreife der Sache ist selbst dann zutreffend, wenn man den nach den bisherigen Feststellungen erforderlichen Betreuungsaufwand nicht am durchschnittlichen Mindesthilflosenzuschuß, sondern mit Rücksicht auf die Höhe der vom Kläger bezogenen Invaliditätspension und bei Außerachtlassung der Sonderzahlungen zum Hilflosenzuschuß (vgl. SSV-NF 3/72) am gesetzlichen Höchstausmaß des Hilflosenzuschusses (2. Hälfte 1990 S 2.840,-) mißt. Die Vorinstanzen haben den Betreuungsaufwand des Klägers mit rund 30 Stunden monatlich keineswegs zu niedrig bemessen (§ 273 Abs.1 ZPO). Anders als nach dem der Entscheidung SSV-NF 2/32 zugrundeliegenden Sachverhalt - dort mußte die Klägerin wegen ihrer Kritik- und Antriebslosigkeit zu praktisch allen lebensnotwendigen Verrichtungen angehalten werden - genügt im Falle des Klägers eine gewisse Anleitung täglich in der Früh und nur manchmal auch tagsüber. Auch der vom Berufungsgericht angenommene Stundensatz von S 80,- ist keinesfalls zu niedrig:

Angesichts der nach den einschlägigen Mindestlohntarifen noch niedrigeren Entlohnungen hat der erkennende Senat wiederholt einen Stundenlohn für Hilfskräfte von S 70,- für angemessen gehalten (zuletzt 28. 5. 1991, 10 Ob S 143/91). Entgegen der Auffassung des Revisionswerbers ist ein Stundensatz von S 100,-

nicht realistisch.

Da also nach den bisherigen erstgerichtlichen Feststellungen die Voraussetzungen für die Weitergewährung des Hilflosenzuschusses nicht gegeben sind, bedarf es der vom Berufungsgericht für notwendig gehaltenen Gegenüberstellung des Bedarfes an Wartung und Hilfe zur Zeit der Gewährung und der nunmehrigen Entscheidung (außer der vom Berufungsgericht zitierten Judikatur vgl. noch SSV-NF 2/43 und 20. 11. 1990, 10 Ob S 363/90 = SSV-NF 4/149).

Der erkennende Senat sieht sich auch nicht veranlaßt, der Anregung des Revisionswerbers zu folgen und § 105 a ASVG wegen Verstoßes gegen das Gleichheitsgebot auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen zu lassen. Es trifft zwar zu, daß die Leistungen im Fall der Hilflosigkeit etwa nach dem Pensionsgesetz (PG) und den Sozialversicherungsgesetzen unterschiedlich geregelt sind. Obwohl der Begriff Hilflosigkeit im § 27 Abs.1 PG ("einer Person, die derart hilflos ist, daß sie ständig der Wartung und Hilfe bedarf ...") im wesentlichen gleich definiert ist wie etwa im § 105 a ASVG, ist die Höhe der Hilflosenzulage nach § 27 Abs.2 und 3 PG nicht nach der Pensionshöhe (so § 105 a Abs. 2 ASVG), sondern nach der Pflegeintensität (in drei Stufen) abgestuft (vgl. dazu Ivansits, Überlegungen zum Hilflosenzuschuß und zur Pflegesicherung, DRdA 1991, 193, 195 ff). Diese unterschiedliche Regelung mag unbefriedigend und eine Neuregelung im Bereich der Sozialversicherungsgesetze etwa mit einem mehrstufigen Hilflosigkeitsbegriff, der sich an jenem des § 27 PG orientieren könnte, wünschenswert sein (so Rudda, Der Hilflosenzuschuß in der österreichischen Pensionsversicherung, ZAS 1989, 185, 193 mwN); sie ist jedoch verfassungsrechtlich nicht bedenklich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 11.665 = ZAS 1988, 208/29 = JBl. 1988, 442 mit Hinweis auf VfSlg. 5241; kritisch Rebhahn in einer Entscheidungsanmerkung DRdA 1991, 218) sind das Pensionsrecht der Beamten als Teil des öffentlichen Dienstrechtes (vgl. § 1 PG) auf der einen und das Pensionsversicherungsrecht als Teil der gesetzlichen Sozialversicherung auf der anderen Seite tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete, so daß sie unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes nicht verglichen werden können.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs.1 ZPO.

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