OGH 10ObS63/91

OGH10ObS63/9130.4.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rudolf Oezelt (Arbeitgeber) und Leo Samwald (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef P*****, Kraftfahrer, ***** vertreten durch Dr. Helmut Valenta, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4020 Linz, Gruberstraße 77, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen S 16.923,60, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. November 1990, GZ 13 Rs 104/90-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15. März 1990, GZ 13 Cgs 1011/89-9, in der Hauptsache bestätigt wurde, in

nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof nach Art 89 Abs 2 B-VG die Anträge:

1.) § 153 Abs. 1 Satz 1 ASVG nach Art 140 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben;

2.) §§ 32 Abs 1 lit. b, 34 Abs 1 und 3 der Satzung der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse

als gesetzwidrig aufzuheben.

Text

Begründung

Der Kläger stand in der Zeit vom 16.September bis 23.Oktober 1989 bei Dr. Wolfgang D*****, Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in Behandlung. Im Zuge dieser Behandlung wurden zwei Metallkeramikkronen, vier Pfeilerkronen aus Metallkeramik, zwei Zwischenglieder aus Metallkeramik und neun Composite-Inlays angefertigt. Das hiefür in Rechnung gestellte Honorar von S 63.480 incl. 20 % Umsatzsteuer wurde vom Kläger am 8.November 1989 an den Zahnarzt überwiesen. Nunmehr verlangte er von der beklagten Partei den Ersatz dieser Kosten für Zahnbehandlung und Zahnersatz. Er begehrte die Ausstellung eines bekämpfbaren Bescheides.

Mit Bescheid der beklagten Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse vom 10.November 1989 wurde ausgesprochen, daß gemäß § 153 Abs 1 ASVG iVm § 34 der Satzung der beklagten Partei pro Inlay bzw. pro gegossenem Aufbau ein Betrag von S 399,60 incl. 20 % Mehrwertsteuer ersetzt werde. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, daß § 34 Abs 1 der Satzung dem Versicherten einen Rechtsanspruch auf konservierende Zahnbehandlung im notwendigen Ausmaß und unter Verwendung von einwandfreiem haltbarem Material gewähre. Als einwandfrei haltbare Materialien, die das notwendige Ausmaß nicht übersteigen, kämen alle Arten von Amalgamfüllungen, Silikat- und Steinzemente oder ähnliche die gleichen Herstellungskosten verursachenden Materialien in Betracht. Für jede Drei- oder Mehrflächenfüllung mit den vorhin angeführten Materialien leiste die Kasse den im Spruch angeführten Betrag; dies gelte analog für Inlays bzw. gegossene Aufbauten. Verlange der Versicherte aber, wie im gegenständlichen Fall, die Verwendung eines Materials, welches in den Verträgen nicht vorgesehen sei, so habe der Versicherte die Mehrkosten zu tragen. Zahnbrücken und Kronen zählten hingegen zum Zahnersatz. Nach § 153 Abs 2 ASVG sei Zahnersatz eine freiwillige Leistung des Versicherungsträgers und das Begehren auf solche Leistung keine Leistungssache nach § 354 ASVG, weshalb keine Verpflichtung bestehe, über den Kostenersatz für die Zahnbrücken und Kronen bescheidmäßig abzusprechen.

Mit der fristgerechten Klage begehrt der Kläger - nach Einschränkung des Klagebegehrens in der Streitverhandlung vom 8. Februar 1990 - nunmehr den Ersatz der aufgelaufenen Zahnbehandlungskosten für neun Inlays a S 1.900 zuzüglich 20 % Umsatzsteuer, ergibt S 20.520 abzüglich der bescheidmäßigen Teilleistung der beklagten Partei von S 3.596,40, also die Zahlung eines Betrages von S 16.923,60 mit der Begründung, es sei medizinisch notwendig gewesen, die vorhandenen Amalgamfüllungen gegen teurere Füllungen aus anderem Material zu ersetzen. Dieser Anspruch ergebe sich aus § 34 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei, worin dem Versicherten ein Rechtsanspruch auf konservierende Zahnbehandlung in notwendigem Ausmaß und unter Verwendung von einwandfreiem haltbarem Material eingeräumt werde.

Die beklagte Partei beantragte die Klage abzuweisen. Sie habe die gesetzliche Pflichtleistung für neun Inlays durch Zahlung des Betrages von S 3.596,40 erbracht und darüber hinaus dem Kläger aus dem Unterstützungsfond gemäß § 84 ASVG einen Betrag von S 30.000 übergeben, womit die Kosten der konservierenden Zahnbehandlung zur Gänze abgedeckt worden seien. Für Zahnersatz habe sie dem Kläger eine freiwillige Leistung von S 4.800 erbracht.

Der Kläger erwiderte, die Zahlung von S 30.000 habe ausschließlich der Abdeckung seines weiteren Aufwandes für Zahnersatz (von S 38.160) gedient, sich aber nicht auf die Zahnbehandlung bezogen.

Die beklagte Partei behauptete daraufhin die Widmung für Zahnersatz und Zahnbehandlung.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der Kläger hatte schon längere Zeit gesundheitliche Probleme durch eine erhöhte Quecksilberbelastung. Ein Arzt empfahl ihm, die Amalgamfüllungen durch Keramikfüllungen auszutauschen. Sein behandelnder Zahnarzt verwies ihn dann wegen der Frage einer allfälligen Kostenübernahme an das Zahnambulatorium der beklagten Partei. Dessen ärztlicher Leiter und Stellvertreter des leitenden Chefzahnarztes befürwortete von medizinischer Seite in einem Gutachten den Austausch der Amalgamfüllungen durch Keramikinlays und Kronen und hielt einen Zuschuß durch den Unterstützungsfonds als gerechtfertigt. Er verwies den Kläger an den zuständigen Sachbearbeiter der beklagten Partei, der mit dem Kläger gemeinsam einen dann auch von diesem unterfertigten Antrag auf Beihilfe aus Mitteln des Unterstützungsfonds ausfertigte. Der Sachbearbeiter machte dem Kläger bei dem Gespräch klar, daß mit einer allenfalls bewilligten Beihilfe aus dem Unterstützungsfonds die gesamten verbleibenden Kosten abgegolten seien. Dem Kläger wurde dann eine Beihilfe von S 30.000 gewährt. Die dem Kläger tatsächlich entstandenen Kosten beliefen sich auf S 63.480.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, der Kläger habe konsequenterweise nur den Ersatz der Kosten für die Zahnbehandlung (9 Inlays) und nicht für Zahnersatz begehrt, weil es sich dabei um eine freiwillige Leistung der Krankenversicherung handle. Die vom Kläger behauptete ausdrückliche Widmung der aus dem Unterstützungsfonds gewährten Leistung auf die Kosten des Zahnersatzes sei nicht erwiesen. Sein Antrag auf Gewährung einer Beihilfe habe sich eindeutig auf die Kosten für Zahnersatz und Zahnbehandlung bezogen. Die beklagte Partei sei bei der Gewährung des Unterstützungsbeitrages auch von den Gesamtkosten laut Kostenvoranschlag ausgegangen. Da der begehrte Differenzbetrag aber jedenfalls in der gewährten Beihilfe volle Deckung finde, sei das Klagebegehren selbst bei vorbehaltloser Annahme der medizinischen Notwendigkeit der Verwendung des teureren Materials abzuweisen gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil in der Hauptsache. Es übernahm die erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und trat auch im wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichtes bei. Die Frage eines Rechtsanspruches des Klägers auf Ersatz der Kosten der Zahnbehandlung mit teureren als den in den Verträgen der beklagten Partei mit den Zahnbehandlern vorgesehenen Füllungsmaterialien (alle Amalgame, Silikat- und Steinzemente oder ähnliche, gleiche Herstellungskosten verursachenden Materialien) könne dahingestellt bleiben. Insofern bedürfe es auch nicht der Überprüfung, ob § 153 Abs 1 ASVG durch seinen Hinweis, daß die Zahnbehandlung nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung zu gewähren ist, überhaupt eine ausreichend inhaltlich bestimmte Verordnungsermächtigung enthalte, allenfalls im Hinblick auf die Besserstellung der nach dem GSVG und BSVG Versicherten (§ 94 GSVG, § 95 BSVG) wegen ungerechtfertigter Ungleichbehandlung verfassungsrechtlich bedenklich erscheine oder § 34 der Satzung der beklagten Partei im Hinblick auf die dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern ungesetzmäßig sei. Fest stehe, daß der Kläger von der beklagten Partei Ersatz der Kosten der Zahnbehandlung und des Zahnersatzes begehrt und dafür einerseits die satzungsgemäßen Kosten der Zahnbehandlung und ohne besondere Widmung eine Unterstützung von S 30.000 aus Mitteln des Unterstützungsfonds erhalten habe. Die beklagte Partei habe dabei zu erkennen gegeben, daß sie nicht auf Abschlag einer gesetzlichen Verbindlichkeit aus der Krankenversicherung leiste; andererseits sei ihre Zahlung aber auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu verstehen, daß sie die Beihilfe zusätzlich zu einer gesetzlichen Verpflichtung habe gewähren wollen. Die nicht bloß unter Berücksichtigung der Kostenbelastung des Versicherten hinsichtlich des Zahnersatzes gewährte Beihilfe decke damit selbst im Fall des offengelassenen Kostenerstattungsanspruches bezüglich der Mehrkosten der Zahnbehandlung den damit verbundenen Aufwand jedenfalls zur Gänze ab. Die Zweifelsregeln der §§ 1415, 1416 ABGB könnten zwar nicht unmittelbar angewendet werden; die beschwerlichere Schuld wäre aber jedenfalls jene, bezüglich derer der Gläubiger einen Rechtsanspruch behaupte. Aus diesen Gründen komme daher auch die hilfsweise geltend gemachte verhältnismäßige Anrechnung der Beihilfe nicht in Betracht. Die Zahnbehandlungskosten des Klägers seien zur Gänze durch die Leistung der beklagten Partei abgedeckt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitige Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung abzuändern.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Die Revision ist nach § 46 Abs 1 Z 1 ASGG zulässig, weil zu den behandelten Rechtsfragen eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt.

Aus Anlaß dieser zulässigen Revision hat der erkennende Senat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionswerber hält an seiner Rechtsauffassung fest, daß die Mehrkosten der Keramikinlays nicht ihn treffen könnten, sondern diese Kosten für medizinisch notwendiges Material im Rahmen der Zahnbehandlung zur Gänze von der beklagten Partei ersetzt werden müßten. Die Leistung aus dem Unterstützungsfonds könne nur auf den Zahnersatz angerechnet werden, nicht jedoch auf die Behandlungskosten.

Bei der weiteren Erörterung der Rechtslage ist davon auszugehen, daß der Austausch der vorhandenen Amalgamfüllungen aus medizinischer Sicht unbedingt notwendig war. Nach den unbekämpften Feststellungen der Tatsacheninstanzen hatte der ärztliche Leiter des Zahnambulatoriums der beklagten Partei und Stellvertreter des leitenden Chefarztes in einem Gutachten den Antrag auf Austausch der Amalgamfüllungen und Ersatz durch Keramikinlays von medizinischer Seite befürwortet.

Gemäß § 513 Abs 1 Satz 1 ASVG ist Zahnbehandlung nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung zu gewähren. Nach § 32 Abs 1 der Satzung der beklagten Partei umfaßt die Zahnbehandlung im Rahmen der folgenden Bestimmungen a) chirurgische Zahnbehandlung, und zwar

1. Zahn- und Wurzelentfernungen, 2. operative Eingriffe;

b) konservierende Zahnbehandlung, und zwar insbesondere

1. Untersuchung des Zustandes der Zähne und des Mundes (Beratung), 2. Zahnfüllungen, 3. Wurzelbehandlungen,

4. Mundbehandlungen und 5. Zahnsteinentfernungen;

c) Kieferregulierungen, soweit sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsschäden oder zur Beseitigung von berufsstörenden Verunstaltungen notwendig sind. Nach § 34 Abs 1 der Satzung hat der Versicherte für sich und seine Angehörigen Anspruch auf konservierende Zahnbehandlung im notwendigen Ausmaß und unter Verwendung von einwandfreiem haltbarem Material. § 34 Abs 3 der Satzung lautet:

"Wird auf Wunsch des Versicherten (Angehörigen) eine Leistung erbracht, die auf Grund der jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern nicht für Rechnung der Kasse zu gewähren ist, hat der Versicherte (Angehörige) die Kosten hiefür zu tragen. Ist die Leistung in den Verträgen zwar vorgesehen, verlangt der Versicherte (Angehörige) aber die Verwendung eines Materials, welches in den Verträgen nicht vorgesehen ist, hat er die Mehrkosten zu tragen."

Die zitierten Satzungsbestimmungen entsprechen den jeweils verbindlichen §§ 32 Abs 1, 34 Abs 1 und 3 der vom Hauptverband gemäß § 455 Abs 2 ASVG aufgestellten Mustersatzung (abgedruckt in Teschner-Fürböck ASVG 48. Erglfg. A 4).

Was hingegen den unentbehrlichen Zahnersatz betrifft, der nach § 153 Abs 2 ASVG unter Kostenbeteiligung des Versicherten gewährt werden kann, ist auf die Entscheidung des erkennenden Senates vom 18. Dezember 1990, 10 Ob S 194/90 (= SSV-NF 4/163 - in Druck) zu verweisen, wonach es sich - entgegen den meisten früher vertretenen Auffassungen - auch beim unentbehrlichen Zahnersatz um eine Pflichtleistung handelt, also um eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, die allerdings unter Kostenbeteiligung des Versicherten gewährt werden kann. Da der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit ausschließlich den Ersatz von Zahnbehandlungskosten geltend macht, ist die Frage nach der Rechtsnatur des unentbehrlichen Zahnersatzes nicht von entscheidender Bedeutung.

Der erkennende Senat hat jedoch aus folgenden Gründen gegen die hier anzuwendenden Bestimmungen des § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit sowie der §§ 32 Abs 1 lit. b, 34 Abs 1 und 3 der Satzung aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken (Art 89 Abs 2 B-VG).

Nach dem ASVG (wie auch nach dem B-KUVG) ist es weitgehend der Satzung überlassen, den Leistungsumfang bei Zahnbehandlung und Zahnersatz zu bestimmen. Hingegen ergibt sich der konkrete Anspruch auf Zahnbehandlung und Zahnersatz nach dem GSVG und dem BSVG schon unmittelbar aus dem Gesetz (Binder in Tomandl SV-System 4. Erglfg 259). Irgendwelche sachliche Gründe für eine Unbgleichbehandlung der Versicherten nach dem ASVG und dem B-KUVG einerseits und dem GSVG und dem BSVG andererseits sind nicht ersichtlich, so daß gegen § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG schon aus dem Aspekt der Gleichheitswidrigkeit verfassungsmäßige Bedenken bestehen. § 153 Abs 1 Satz 2 ASVG legt lediglich fest, daß als Leistungen der Zahnbehandlung chirurgische Zahnbehandlung, konservierende Zahnbehandlung und Kieferregulierungen in Betracht kommen, letztere, soweit sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsschädigungen oder zur Beseitigung von berufsstörenden Verunstaltungen notwendig sind. Welche Leistungen etwa im Rahmen der - hier allein interessierenden - Zahnbehandlung zu erbringen sind, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen; es verweist auf die Satzung, die in ihrem § 32 Abs 1 zwar die Zahnbehandlung näher umschreibt, in ihrem § 34 Abs 3 aber inhaltlich auf die "jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern" verweist.

Das ASVG bestimmt ausdrücklich, was Gegenstand einer sozialversicherungsrechtlichen Satzung zu sein hat bzw. sein kann. Die Satzung dient nicht nur der Ausgestaltung der Innenorganisation, sondern sie setzt auch objektives Recht für die Versicherten, Beitragspflichtigen, Anspruchsberechtigten und Leistungsberechtigten hinsichtlich jener Gegenstände, die nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift der Regelung durch die Satzung zugewiesen sind (Teschner ASVG 48. Erglfg. 1870 Anm 1 zu § 453; Tomandl in Tomandl SV-System 4. Erglfg. 14; Korinek in Tomandl aaO 498). Insbesondere kann die Satzung den Leistungskatalog ausweiten und bestimmte Mehrleistungen als Pflichtleistungen vorsehen, sogenannte satzungsmäßige Mehrleistungen (vgl. Korinek aaO mwN). Nach österreichischem Verfassungsrecht ist die Satzung ihrer Struktur nach als Verordnung zu qualifizieren (VfSlg. 1798, 3219, 3709, 5422 ua; Tomandl aaO mwN in FN 4 und 5, Korinek aaO 499 mwN in FN 17 und 18). Bei der Erlassung oder Abänderung der Satzung ist der Sozialversicherungsträger mehrfach gebunden. Selbstverständlich ist die Bindung an das Gesetz: Es ist unbestritten, daß sich Art 18 Abs 2 B-VG auch auf generelle Regelungen von Selbstverwaltungskörpern bezieht, weshalb es für jede Satzung eines Sozialversicherungsträgers der inhaltlichen Bestimmung durch das Gesetz bedarf. Jede Satzung bedarf überdies der Genehmigung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales als Aufsichtsbehörde. Aus der notwendigen gesetzlichen Determinierung jeder Verordnung ergibt sich, daß auch Verordnungen der Sozialversicherungsträger nur dort verfassungsgemäß rechtsetzend eingreifen dürfen, wo bereits das Gesetz die Grundlinien der in Betracht kommenden Regelungen sichtbar gemacht hat (Tomandl aaO 14).

Da es sich also bei den Satzungen der Sozialversicherungsträger um Durchführungsverordnungen im Sinne des Art. 18 Abs 2 B-VG handelt, muß das betreffende Gesetz den Inhalt der Verordnung bereits determinieren, es muß inhaltlich bestimmt sein und darf den Sozialversicherungsträger nicht lediglich zur Regelung einer Angelegenheit durch Satzung ermächtigen. Der Gesetzgeber wird durch Art. 18 Abs 2 B-VG verpflichtet, den Regelungsspielraum der Verwaltung für die Erlassung von Durchführungsverordnungen so weit einzuengen, daß alle wesentlichen Merkmale einer näheren Konkretisierung des Gesetzes im Verordnungswege bereits dem Gesetz selbst zu entnehmen sind. Gesetzliche Regelungen, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, sind wegen Undeterminiertheit verfassungswidrig; soweit es sich dabei um eine ausdrückliche Verordnungsermächtigung handelt, spricht man von einer formalgesetzlichen Delegation (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts4 170;

Adamovich-Funk, österreichisches Verfassungsrecht3 252;

Aichleitner, Österreichisches Verordnungsrecht Band 2, 986;

VfSlg 6289, 7334, 7903 uva).

Nach Ansicht des erkennenden Senates liegt im Fall des § 153 Abs 1 ASVG eine solche verfassungswidrige formal-gesetzliche Delegation vor. Ausmaß, Umfang und Charakter der im Rahmen der Zahnbehandlung zu erbringenden Leistungen werden der Regelung durch die Satzung überlassen, ohne die wesentlichen Merkmale der beabsichtigten Regelung erkennen zu lassen. Daran ändert die Aufzählung im zweiten Satz dieser Gesetzesstelle, daß als Leistungen der Zahnbehandlung chirurgische Zahnbehandlung, konservierende Zahnbehandlung und Kieferregulierungen in Betracht kommen, nichts: Diese Aufzählung umschreibt zwar die Fälle einer Zahnbehandlung, sagt aber nichts darüber aus, nach welchen Merkmalen und unter welchen Umständen Zahnbehandlung zu gewähren ist; lediglich die - hier nicht zu beurteilenden - Kieferregulierungen werden dahin eingeschränkt, daß sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsschädigungen oder zur Beseitigung von berufsstörenden Verunstaltungen notwendig sein müssen. § 153 Abs 1 ASVG würde demnach nicht ausschließen, daß die Satzung bestimmte Zahnbehandlungen selbst dann nicht vorsähe, wenn sie zur Verhütung von schweren Gesundheitsstörungen notwendig wären. Da eine solche Maßnahme bei allen anderen Gesundheitsstörungen schon mit Rücksicht auf § 133 Abs 2 ASVG undenkbar wäre, bestehen auch insoweit aus dem Gesichtspunkt der Gleichheitswidrigkeit verfassungsrechtliche Bedenken. Es bieten sich auch keine Anhaltspunkte für eine verfassungskonforme Auslegung des § 153 Abs 1 ASVG. Die Vorsorge für Zahnbehandlung und Zahnersatz zählt zwar nach § 116 Abs 1 ASVG zu den Aufgaben der Krankenversicherung, fehlt aber im Leistungskatalog des § 117 ASVG. Die Erbringung der Leistung von Zahnbehandlung und Zahnersatz ist vom Gesetzgeber des ASVG als eigener Aufgabenkreis des Krankenversicherungsträgers ausgewiesen (Binder aaO 258;

Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 115;

Grillberger, Österreichisches Sozialrecht 30). Während die Krankenbehandlung im zweiten Unterabschnitt des zweiten Teiles des ASVG (§§ 133 ff) geregelt ist, finden sich die Bestimmungen über Zahnbehandlung und Zahnersatz im fünften Unterabschnitt des zweiten Teiles. Daraus folgt nach der derzeitigen Rechtslage die Nichtanwendbarkeit etwa des § 133 Abs 2 ASVG, wonach die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein muß, das Maß des Notwendigen jedoch nicht überschreiten darf und wonach durch die Krankenbehandlung die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die Fähigkeit, für die lebenswichtigen persönlichen Bedürfnisse zu sorgen, nach Möglichkeit wieder hergestellt, gefestigt oder gebessert werden sollen, auf die Zahnbehandlung. Gegen die Verfassungsgemäßheit des § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG bestehen daher gewichtige Bedenken.

Ist aber § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG verfassungswidrig, dann fehlt es an einer gesetzlichen Deckung der Bestimmung der Satzung über die Zahnbehandlung und den Zahnersatz. Da im vorliegenden Fall nur die im Antrag zitierten Bestimmungen anzuwenden sind, war der Aufhebungsantrag auf diese zu beschränken.

Selbst wenn man aber § 153 Abs 1 ASVG iVm § 133 Abs 2 und § 153 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 ASVG verfassungskonform dahin auslegen wollte, daß Leistungen zur Verhütung von Gesundheitsschädigungen, also "notwendige" oder "unentbehrliche" Leistungen der Zahnbehandlung jedenfalls vom Sozialversicherungsträger zu erbringen bzw. die hiefür aufgewendeten Kosten jedenfalls von ihm zu ersetzen sind, bestünden zumindest gegen § 34 Abs 3 der Satzung gewichtige Bedenken, weil er einerseits dieser Auslegung widerspräche und andererseits eine unzulässige (dynamische) Verweisung auf die jeweils geltenden Verträge mit den Zahnbehandlern und die dort geregelten Leistungen enthält. Unter Verweisung soll hier eine Regelung verstanden werden, die den Inhalt eines anderen Regelungskomplexes durch bloßes Zitat desselben oder eines Teiles davon zum Inhalt der eigenen Regelung machen will (Strasser, Entscheidungsbesprechung DRdA 1990, 343). Während nun die Satzung sowohl einer aufsichtsbehördlichen Genehmigung als auch einer entsprechenden Publikation bedarf (§ 455 Abs 1 ASVG), bestehen solche Erfordernisse für die von der Gebietskrankenkasse mit den Zahnbehandlern geschlossenen Verträge nicht. Der sachliche Umfang der Behandlungspflicht des Vertragsarztes sollte im Idealfall alle gesetzlichen Verpflichtungen des Krankenversicherungsträgers abdecken (vgl. Selb in Tomandl SV-System 4. Erglfg. 594). Durch diese Verträge könnte aber der Umfang der dem Versicherten zu erbringenden Leistungen jeweils erweitert oder eingeschränkt werden, ohne daß sich Anhaltspunkte hiefür aus der Satzung ergäben. Gerade der vorliegende Fall zeigt, daß die beklagte Partei die Kosten einer medizinisch (zur Abwendung gesundheitlicher Störungen) unbedingt notwendigen Zahnbehandlung nur deshalb nicht übernahm, weil die Verträge eine derartige Leistung (die Verwendung eines bestimmten Füllungsmaterials) nicht vorsehen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Bestimmung des § 539 ASVG zu verweisen, wonach die Anwendung der Bestimmungen des ASVG zum Nachteil der Versicherten (ihrer Angehörigen) im voraus nicht ausgeschlossen oder beschränkt werden kann. Darunter können auch die privatrechtlichen Verträge zwischen der Gebietskrankenkasse und den freiberuflichen Zahnärzten und Dentisten (§ 338 Abs 1 ASVG) fallen, sofern durch sie - sich aus dem ASVG ergebende - Rechte der Versicherten ausgeschlossen werden.

Gegen § 34 Abs 3 der Satzung bestehen daher auch für den Fall Bedenken, als § 153 Abs 1 Satz 1 ASVG nicht verfassungswidrig sein sollte.

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