OGH 9ObA610/90

OGH9ObA610/9024.4.1991

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Klaus Hajek und Dr. Carl Hennrich als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der antragstellenden Partei ÄRZTEKAMMER FÜR KÄRNTEN, Klagenfurt, Bahnhofstraße 22, vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, wider die Antragsgegner 1. KONVENT KLAGENFURT DES ORDENS DER ELISABETHINEN, Klagenfurt, Völkermarkter Straße 15,

2. NIEDERLASSUNG (KONVENT) DES ORDENS DER BARMHERZIGEN BRÜDER, St. Veit an der Glan, 3. NIEDERLASSUNG DER BARMHERZIGEN

SCHWESTERN VOM DEUTSCHEN ORDEN ST.MARIENS IN JERUSALEM,

Deutsch-Ordens-Krankenhaus, Friesach, 4. EVANGELISCHES

DIAKONIEWERK WAIERN DES EVANGELISCHEN VEREINES FÜR INNERE MISSION

IN KÄRNTEN, Waiern bei Feldkirchen, 5. KRANKENHAUS DER EVANGELISCHEN STIFTUNG DER GRÄFIN ELVINE DE LA TOUR, Treffen, sämtliche vertreten durch ***** Rechtsanwalt *****, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Feststellungsantrag in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Anträge der Antragstellerin auf Feststellung, daß:

1. die an den Krankenhäusern der Antragsgegner angestellten Ärzte, mit Ausnahme der Primarärzte und der in der Ausbildung zum praktischen Arzt befindlichen Turnusärzte, Anspruch auf Mehrarbeits- und Überstundenentgelt für die über die vereinbarte Normalarbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit haben und zwar für die die 40-Wochenstunden übersteigende Arbeitszeit mit einem 50 %igen Überstundenzuschlag für die in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr geleistete Arbeitszeit und mit einem 100 %igen Überstundenzuschlag für die von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr sowie an Wochenenden und Feiertagen geleisteten Überstunden;

2. Bemessungsgrundlage 1/173stel des monatlichen Grundgehalts einschließlich ein Zwölftel des 13. und 14. Monatsgehalts und einschließlich der in diesem Monat gebührenden Zulagen insbesondere gemäß Beilage A, sohin insbesondere der Erschwerniszulage, der Zuschläge für Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit und der Zwischendienstzulage sei;

3. diese Zulagen, insbesondere gemäß Beilage A auf den Mehrarbeits- und Überstundenentgeltanspruch gemäß Punkt 1 nicht anzurechnen seien;

4. der verfahrensgegenständliche Antrag den Ablauf der Verjährungsfrist für die Geltendmachung der Entgeltansprüche durch die einzelnen Ärzte gemäß Punkt 1 hemme, werden abgewiesen.

Text

Begründung

Mit dem vorliegenden Feststellungsantrag begehrt die Antragstellerin letztlich die aus dem Spruch ersichtlichen Feststellungen und bringt zu ihrer Antragslegitimation vor, daß sie als gesetzliche Interessenvertretung der Ärzte kollektivvertragsfähig im Sinne des § 54 Abs 2 ASGG iVm § 4 Abs 1 ArbVG sei. Sie sei dazu berufen, die gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Belange der Ärzte wahrzunehmen und zu fördern. Ihre Mitglieder seien überwiegend unselbständig erwerbstätig. Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit könne nicht so weit gehen, daß in einer Berufsvereinigung, die für die Arbeitnehmerseite einen Kollektivvertrag abschließen wolle, überhaupt keine Arbeitgeber Mitglieder sein dürften. Es komme stets auf die jeweils "korrespondierende Seite" an. Es genüge, wenn eine organisatorische Trennung innerhalb der beruflichen Vertretung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmergruppen vorliege.

Die Antragsgegner seien als Betreiber von Privatkrankenhäusern ex lege Mitglieder der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und nicht der Antragstellerin. Als juristischen Personen des Kirchenrechts, denen das Öffentlichkeitsrecht verliehen worden sei, komme ihnen Kollektivvertragsfähigkeit im Sinne des § 7 ArbVG zu.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund (Gewerkschaft Handel, Transport und Verkehr) habe seine Antragslegitimation gemäß § 54 Abs 2 ASGG bisher nur für die Turnusärzte in Anspruch genommen (9 Ob A 501/89), jedoch keinen Kollektivvertrag für die Ärzte an den Kärntner Privatkrankenanstalten abgeschlossen. Ein Kollektivvertrag (26. 3. 1981) bestehe lediglich für Angestellte, die nicht zum ärztlichen Personal gehören. Die Kollektivvertragsfähigkeit der Antragstellerin bestehe daher gemäß § 6 ArbVG weiter. Eine Vertretung der Kärntner Ärzte durch den Österreichischen Gewerkschaftsbund komme schon deshalb nicht in Betracht, weil keiner der Ärzte Gewerkschaftsmitglied sei. Die Antragsgegner hätten im übrigen die Berechtigung der Antragstellerin zur kollektiven Regelung von Entgeltfragen, sohin zum Abschluß von Kollektivverträgen, bereits dadurch anerkannt, daß sie am 7. 2. 1980 (die Fünftantragsgegnerin am 1. 7. 1983) eine dahingehende "Betriebsvereinbarung" abgeschlossen hätten.

Zur Begründung der Feststellungsbegehren behauptet die Antragstellerin folgenden Sachverhalt:

Im Sprachgebrauch an den Krankenhäusern der Antragstellerin sind Sekundarärzte alle jene Ärzte, die nicht Primarärzte sind oder sich nicht als Turnusarzt in der Ausbildung zum praktischen Arzt befinden (sohin insbesondere die in der Ausbildung zum Facharzt befindlichen Ärzte). Die Antragsgegner beschäftigen jeweils mehr als drei Sekundarärzte (insgesamt ca. 100 Sekundar- und Turnusärzte) aufgrund mündlich abgeschlossener Dienstverträge, als deren Bestandteil die "Betriebsvereinbarung" vom 7. 2. 1980 (hinsichtlich der Fünftantragsgegnerin vom 1. 7. 1983) vereinbart wird. Weiters erklären die Antragsgegner jeweils, daß eine "gehaltsmäßige Einstufung wie bei den entsprechenden Ärzten im Landesdienst" erfolgt. Die "Betriebsvereinbarung" lautet auszugsweise wie folgt:

§ 1

Allgemeines

Den Assistenzärzten, Sekundarärzten und den in Ausbildung stehenden Ärzten der oben genannten geistlichen Krankenanstalten - im folgenden kurz Ärzte genannt - werden ab 1. Februar 1980 bis auf weiteres nach Maßgabe folgender Bestimmungen nachstehende Zulage gewährt:

  1. a)

    Erschwerniszulage

  2. b) Zuschlag zur Nachtarbeit
  3. c) Zuschlag für Sonn- und Feiertagsarbeit
  4. d)

    Zwischendienstzeitzulage

§ 2

Erschwerniszulage

(1) Mit Wirksamkeit ab 1. Februar 1980 werden die bis dahin bestehenden Zulagen, wie Zonenzulage, Strahlengefährdungszulage, Infektionszulage, Mehrdienstzulage und Erschwerniszulage zu einer einheitlichen Erschwerniszulage zusammengefaßt. Diese beträgt ... (ab 1986) S 1.915,- und wird monatlich (12x pro Jahr) ausgezahlt.

§ 3

Zuschlag für Nachtarbeit

(1) Der Zuschlag der Nachtarbeit gebührt den zur Nachtarbeit eingeteilten Ärzten für jede tatsächlich geleistete Nachtarbeit.

(2) Der Zuschlag für Nachtarbeit beträgt je

Nachtarbeit ... (ab 1986) S 827,-.

§ 4

Zuschlag für Sonn- und Feiertagsarbeit

Den zum Dienst an Sonn- und Feiertagen eingeteilten Ärzten gebührt für jeden an Sonn- und Feiertagen geleisteten Dienst ab 1. Februar 1980 ein Zuschlag für Sonn- und Feiertagsarbeit von S 650,- sofern die an Sonn- und Feiertagen geleistete Arbeit nicht binnen eines Zeitraumes von vier Wochen durch die Anstaltsdirektion mit je einem vollen Arbeitstag durch Freizeit abgegolten werden kann.

......

§ 6

Zwischendienstzeitzulage

Die Zwischendienstzeitzulage beträgt ... (ab 1986) S 83,-.

§ 7

Wertsicherung

Die in den §§ 2, 3, 4 und 6 dieser Betriebsvereinbarung genannten

Beträge ändern sich zum Zeitpunkt und im selben Verhältnis wie

die Gehaltsansätze der Vertragsbediensteten des Bundes.

......

Die an den Krankenhäusern der Antragsgegner beschäftigten Ärzte erbringen regelmäßig über ihre vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit von teils 38 Stunden und teils 40 Stunden hinaus noch Arbeitsleistungen, insbesondere an Sonn- und Feiertagen. Diese Überstunden werden von den Antragsgegnern jeweils "mit Druck" angeordnet und unbeanstandet entgegengenommen. Unabhängig davon, ob die in der "Betriebsvereinbarung" angeführten Dienstleistungen innerhalb oder außerhalb der Normalarbeitszeit geleistet werden, zahlen die Antragsgegner nur die in der "Betriebsvereinbarung" angeführten Zulagen und Zuschläge. In den Einzeldienstverträgen ist nicht vereinbart, daß durch die Zahlung dieser Zulagen auch die Überstunden pauschal abgegolten seien. Dennoch verweigern die Antragsgegner die Auszahlung von Mehrarbeitsentgelt und von Überstundenentgelt gemäß dem AZG und ARG mit der Behauptung, durch die Aufnahme der "Betriebsvereinbarung" als Vertragsinhalt gelte als vereinbart, daß über diese Zulagen hinaus kein Überstundenentgelt zu leisten sei.

Die Angestellten der Antragsgegner, die nicht im ärztlichen Dienst stehen, erhalten auf Grund des Kollektivvertrags vom 26. 3. 1981 bei Überstunden, die bis 22.00 Uhr erbracht werden, einen 50 %igen Zuschlag und bei Überstunden, die zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr früh sowie an Sonn- und Feiertagen erbracht werden, einen 100 %igen Überstundenzuschlag. Diesen Zuschlag erhalten auch die Primarärzte an den Krankenhäusern der Antragsgegner, ebenso die Ärzte mit vergleichbarer Ausbildung und Stellung an den Krankenhäusern des Landes Kärnten und jene an Privatkrankenhäusern in anderen Bundesländern.

Die Antragsgegner beantragten, den Feststellungsantrag mangels Antragslegitimation zurück- , in eventu abzuweisen. Für eine Kollektivvertragsfähigkeit der Antragstellerin fehle es an den Voraussetzungen des § 4 ArbVG. Nach § 38 Abs 2 Z 7 ÄrzteG seien die Ärztekammern ausdrücklich nicht dazu berufen, die in den Dienstverträgen mit öffentlich-rechtlichen Körperschaften vereinbarten Entgelte zu überprüfen. Da die Antragsgegner öffentlich-rechtliche Körperschaften seien, seien ihre Entgeltbeziehungen zu den angestellten Ärzten einer Wahrnehmung durch die Antragstellerin entzogen. Diese sei nicht berechtigt, Dienstnehmerinteressen im Verhältnis zu öffentlich-rechtlichen Körperschaften zu vertreten. Dazu komme, daß die Sektionsgliederung in § 43 ÄrzteG nicht danach differenziere, ob es sich um selbständig oder um unselbständig tätige Ärzte handle.

Der vorliegende Antrag beziehe sich auch auf Ärzte, die ihre Ausbildung zu einem Sonderfach bereits abgeschlossen haben und sohin berechtigt seien, freiberuflich tätig zu sein. Es gebe zahlreiche Ärzte, die neben ihrer unselbständigen Tätigkeit im Krankenhaus eine freiberufliche selbständige Tätigkeit ausüben. Die Sektion für Fachärzte aller Sonderfächer nehme sowohl die Interessen der selbständigen als auch der unselbständigen Ärzte wahr. Die Ärztekammern seien daher zwar als Arbeitgeber-Interessenvertretung gegenüber allen nichtärztlichen Arbeitnehmern zu qualifizieren, mangels "Gegnerunabhängigkeit" nicht aber als Interessenvertretung der unselbständig tätigen Ärzte.

Dem Antrag fehle auch das erforderliche Feststellungsinteresse, da die aufgeworfene Sachfrage längst geklärt und nicht strittig sei. Im Krankenhaus der Fünftantragsgegnerin seien überhaupt keine Sekundarärzte im Sinne des Antrags beschäftigt. In den Krankenanstalten der übrigen Antragsgegner werde auf Grund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 9 Ob A 501/89 betreffend die Turnusärzte auch den Sekundarärzten in gleicher Weise ein Überstundenentgelt ausgezahlt. In jenem Verfahren sei festgestellt worden, daß kein Rechtsgrund für einen 100 %igen Überstundenzuschlag bestehe. Auch im vorliegenden Verfahren habe die Antragstellerin keinen Rechtsgrund für einen erhöhten Überstundenzuschlag geltend gemacht. Den Antragsgegnern stehe es frei, die Dienstverhältnisse der Sekundarärzte im Rahmen der gesetzlichen Mindesterfordernisse anders zu regeln als die der bereits ausgebildeten und ständig beschäftigten Ärzte oder des nichtärztlichen Personals. Für die Frage der Berechnung der Überstundenvergütung bestehe ebenfalls kein spezifisches rechtliches Interesse. Es werde damit nur eine abstrakte Rechtsfrage gestellt, da es ohnehin unbestritten sei, daß die Überstunden gemäß § 10 des AZG zu berechnen seien. Dieses Feststellungsbegehren lasse nicht erkennen, inwieweit es hier einer Prävention und der Prozeßökonomie dienen könnte.

Rechtliche Beurteilung

Der Antragstellerin fehlt die Legitimation zur Antragstellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG.

Beim Obersten Gerichtshof war bereits ein besonderes Feststellungsverfahren betreffend die Überstundenvergütung der Turnusärzte an den Krankenanstalten der ersten vier Antragsgegner anhängig. In diesem Verfahren trat der Österreichische Gewerkschaftsbund für die Gewerkschaft Handel, Transport und Verkehr als Antragsteller auf (9 Ob A 501/89). Nunmehr nimmt die Ärztekammer für Kärnten als gesetzliche Interessenvertretung der angestellten Ärzte im Sinne des § 4 Abs 1 ArbVG die Antragslegitimation in Anspruch. Die Frage des Vorranges der freiwilligen Berufsvereinigung gemäß § 6 ArbVG (vgl ZAS 1990/21 mwH (Klein)) stellt sich hier zwar nicht, da der Österreichische Gewerkschaftsbund keinen diesbezüglichen Kollektivvertrag abgeschlossen hat; es ist aber die Antragslegitimation der Antragstellerin an sich nicht gegeben.

Für eine Antragstellung gemäß § 54 Abs 2 ASGG ist auf seiten des Antragstellers Kollektivvertragsfähigkeit (§§ 4 bis 7 ArbVG) und ein Handeln im Rahmen seines Wirkungsbereiches Voraussetzung. Da die Antragstellerin eine gesetzliche Interessenvertretung im Sinne des § 4 Abs 1 ArbVG ist, hängt ihre Kollektivvertragsfähigkeit davon ab, ob ihr unmittelbar oder mittelbar die Aufgabe obliegt, auf die Regelung der Arbeitsbedingungen hinzuwirken, und ob die Willensbildung in der Vertretung der Arbeitgeber- oder der Arbeitnehmerinteressen gegenüber der anderen Seite unabhängig ist. Nach § 38 Abs 1 ÄrzteG sind die Ärztekammern unter anderem berufen, die gemeinsamen beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Belange der Ärzte wahrzunehmen und zu fördern. Soweit sich dieser Aufgabenkreis auch auf die nichtselbständigen Ärzte bezieht (vgl etwa auch § 1 Arbeiterkammergesetz) ist damit die erste Voraussetzung der Kollektivvertragsfähigkeit erfüllt. Entgegen der Ansicht der Antragsgegner steht einer Aufgabenwahrnehmung in diesem dualistischen Sozialbereich auch nicht entgegen, daß die Ärztekammern gemäß § 38 Abs 2 Z 7 ÄrzteG zwar ausdrücklich berechtigt sind, die Honorare für ärztliche Leistungen zu überprüfen, nicht aber die in Dienstverträgen mit öffentlich-rechtlichen Körperschaften vereinbarten Entgelte, da eine solche Überprüfungsmöglichkeit als Eingriff in die Privatautonomie auch anderen gesetzlichen Interessenvertretungen in der Regel nicht zukommt.

Die Bedenken ergeben sich jedoch aus den weiteren Voraussetzungen der Kollektivvertragsfähigkeit, nämlich der sogenannten Gegnerunabhängigkeit und Gegnerfreiheit. Auch im Bereich der gesetzlichen Interessenvertretungen muß die Unabhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Vertretung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen gewährleistet sein. Doppelvertretungen sind auszuschließen. Wenn die Organisationsgesetze eine vom sozialen Gegenspieler unbeeinflußte Willensbildung im Kollektivvertragsbereich nicht gewährleisten, können die entsprechenden arbeitsrechtlichen Agenden entweder nur für die Arbeitgeber- oder nur für die Arbeitnehmerseite besorgt werden. Gegnerunabhängigkeit und Gegnerfreiheit sind wesentliche Eigenschaften, die wesensmäßig im Koalitionsrecht begründet sind und auf die nicht verzichtet werden kann. Die Unabhängigkeit hat daher die unbeeinflußte Freiheit der Willensbildung sowohl der Berufsvereinigung als auch der gesetzlichen Interessenvertretung zur Voraussetzung. Die sozialen Gegenspieler müssen ihrer Struktur nach auf eventuelle Auseinandersetzungen vorbereitet sein, die allenfalls auch den Einsatz von Kampfmitteln notwendig machen können (Martinek, ZAS 1972, 190 ff).

Gemäß § 40 Abs 1 ÄrzteG gehören einer Ärztekammer alle Ärzte als ordentliche Kammerangehörige an. Sie werden nach § 43 Abs 1 und 2 ÄrzteG zwingend fachlich in drei Sektionen erfaßt (Turnusärzte, praktische Ärzte und Fachärzte). Diese Sektionen haben lediglich beratende Funktion für die Organe der Ärztekammern, denen sie untergeordnet sind (vgl Kux ua, KommzÄrzteG § 43 Anm. 1 und 2). Es sind somit die selbständigen und unselbständigen Berufstätigen ohne organisatorische Trennung Mitglieder dieser Interessenvertretung. So wurde bereits in der EB zur Regierungsvorlage betreffend die §§ 4 und 5 des ArbVG (840 BlgNR 13. GP, 57) darauf hingewiesen, daß einer gesetzlichen Interessenvertretung nur in besonderen Ausnahmefällen das Recht zustehen werde, einmal auf Arbeitnehmerseite und dann wiederum auf Arbeitgeberseite Kollektivverträge abzuschließen. Dies sei nur dann möglich, wenn die gesetzliche Interessenvertretung vom Gesetzgeber so organisiert sei, daß ihr sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber angehören und sowohl die Arbeitnehmer als auch die Arbeitgeber innerhalb der Kammer in der Willensbildung voneinander vollständig unabhängig sind. Dies sei kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§ 125 Abs 2 Z 4 der NotariatsO) zB bei der Gruppe der Notare und der Gruppe der Notariatskandidaten der Fall. Hingegen vermöge etwa die Gliederung der Ärztekammern (vgl § 26 ÄrzteG: nunmehr § 43 ÄrzteG) den Erfordernissen der "Gegnerunabhängigkeit" nicht zu genügen. Eine ausreichende organisatorische Selbständigkeit zwischen selbständigen und angestellten Ärzten und eine entsprechende Freiheit der Willensbildung sei hier nicht gegeben.

Diese Problematik besteht nur insoweit nicht, als die Ärztekammer

als Arbeitgeberinteressenvertretung nicht gegenüber den

unselbständig tätigen Ärzten auftritt (Relativität des Gebots der

Gegnerunabhängigkeit). Demgemäß ist die Ärztekammer in rechtlich

unbedenklicher Weise als Arbeitgeberinteressenvertretung

gegenüber allen nichtärztlichen Arbeitnehmern zu qualifizieren

(vgl Strasser in Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht3

II 56 f; Floretta-Strasser, Handkommentar zum ArbVG 48 f).

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kann es aber nicht

entscheidend sein, ob die Ärztekammer im Einzelfall gerade auf

Arbeitnehmerseite Interessen jener Kammermitglieder vertritt, die

bei Nichtkammermitgliedern beschäftigt sind (so Tomandl,

Arbeitsrecht 1, 95 unter Berufung auf Goller), sondern es

kommt - wie bereits ausgeführt - darauf an, ob die unbeeinflußte

Freiheit der Willensbildung in der Interessenvertretung auf

Arbeitnehmerseite gegeben ist. Läßt die einschlägige Organisationsvorschrift eine Vertretung der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite zu, ist zu verlangen, daß die betreffende Körperschaft sich endgültig für eine der beiden Varianten entscheidet. Ein laufender Wechsel in der Vertretung sozialer Gegenspieler widerspricht dem Sinn des Gesetzes (Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4 75; in diesem Sinn auch Cerny ArbVG8 § 4 Erl 4). In diesem Zusammenhang weist Martinek (aaO 192) zutreffend darauf hin, daß es in der Regel die Arbeitgeberseite ist, der potentiell die dominierende Stellung in beruflichen Interessenvertretungen dieser Art zukommt und die auch die Zielrichtung der Wahrung der Interessen des freien Berufes entfaltenden Tätigkeit bestimmt.

Der Auffassung Gollers (Zur Kollektivvertragsfähigkeit der Standeskammern, ZAS 1972, 173 ff, 180), die Ärztekammern seien sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite uneingeschränkt kollektivvertragsfähig, da insbesondere ein Arzt niemals Dienstgeber eines anderen Arztes sein könne, steht schon die Rechtsansicht der Österreichischen Ärztekammer entgegen, daß aus der Bestimmung des § 22 Abs 2 ÄrzteG (vormals § 7 Abs 2 ÄrzteG) ein Verbot der Anstellung von Ärzten bei Ärzten nicht abzuleiten ist (Kux aaO, § 22 Anm. 6 b; vgl auch Stellamor, Ärztliche Berufsordnung 274 f). Da sohin die Organisationsvorschriften der Antragstellerin weder formell noch funktionell die Unabhängigkeit und soziale Eigenverantwortlichkeit der unselbständigen Ärzte gegenüber den selbständigen Ärzten auch Dritten gegenüber garantieren, kann ihr die in Anspruch genommene Antragslegitimation als gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer im Sinne des § 4 Abs 1 ArbVG nicht zugebilligt werden. Mit ihren Ausführungen, es komme für die Antragslegitimation nicht darauf an, daß im konkreten Fall tatsächlich die Möglichkeit bestehe, für die vom Verfahren betroffenen Personengruppen einen Kollektivvertrag abzuschließen, läßt die Antragstellerin außer acht, daß sich die von ihr zitierte Entscheidung (RdW 1990, 12) auf Arbeitsverhältnisse zu juristischen Personen öffentlichen Rechts bezogen hat, die nach § 7 ArbVG grundsätzlich kollektivvertragsfähig sind.

Der Feststellungsantrag war daher abzuweisen.

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